Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Bis Okt. 2017 verboten)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Seit Okt. 2017 wieder frei)
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Vierter Brief nach Triest. (Briefe nach Triest, 4).

Ist es, Sìdhe, ein Zeichen,
Arbeitswohnung, den 22. November 2014,
Sonnabend, 6.21 Uhr,
Tippett, A Midsummer Marriage (ff),

daß seit unserem letzten Gespräch, da Du Dich trenntest, Facetime nicht mehr funktioniert, das unser tägliches Anschauen war, denn dies erst machte es uns über die Entfernung möglich? Wirklich, Geliebte, bei niemandem, mit keiner mehr und keinem, genau seit unserm allerletzten Blicken. Schon da hat sich die Technik aber gesperrt, Du weißt, wie oft wir's versuchten. Bis wir es aufgaben schließlich. So sehr krümmte vor unserm Ende sogar sie sich, die Technik; ich stehe nicht alleine: Selbst sie vermißt uns nach wie vor. Spürt sie, es sei eine Art, die in uns geworden wäre, nun für immer ausgestorben? - all den ausgerotteten Tierarten nach und denen, die es bald nicht mehr gibt, und den vergessenen Pflanzen? Und deshalb versagt sie, die Technik, oder leidet, auf ihre Weise protestierend, mit Ausfällen? Doch unserer Art war sogar Lebzeit verwehrt, wir durften nicht mehr als ein wenig von ihr kosten. Du mochtest das sehr, als Du hierwarst, doch dann, in der Ferne wieder, schriebst Du nach zwei Tagen des beinahe Schweigens, daß Du nicht annehmen könnest.
Das, noch immer, kann Lenz nicht verstehen. Wieso die Lydierin ging. Gab er nicht alles? Aber „ich kann nicht annehmen“ und „bitte verzeih.“
Die Szene findet ein Jahr später statt, in Hamburg vielleicht oder in Graz, vielleicht auch in Zürich; über die realen Orte bin ich mir, außer für Triest, noch unklar. Und natürlich - natürlich! - Lydien. Immerhin hatten sie, diese beiden Liebenden, mehr Zeit für sich als wir. Ihnen darf ich sie geben, hätte sie auch uns gegeben – sogar als ein, wieder einmal, Versteckter, der ich niemals sein mochte in meinem Bedürfnis nach Öffnung und freiem Gesicht. - Dennoch, auch eine längere Zeit war für die Lydierin und Lenz nicht genug. Weil nahezu alle großen mythischen Lieben mit dem Tod enden. Merkst Du, Sìdhe, wie wir wieder beim Tristan sind? Was wäre aus Cavaradossi und Tosca geworden, was wird – einige Jahre später hingeschaut – aus Sophie und Quinquin geworden sein, als Ehepaar, ja, was aus, vereinigt, >>>> Maria und Tony, deren alltägliche Lebensumstände härter als die der Capulets und Montagues sind? „Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute“, in immerwährendem Glück? in allmählich werdender, wie meine Brieffreundin es präferiert, Ergebung?
Aber ein Jahr doch, Geliebte, immerhin!
(Wenigstens doch das!)
(Nein. Es würde der Schmerz nur so viel größer werden dann.)
(Größer, Geliebte? Das geht nicht. Nicht nach diesem Blicken. Nach einfacher, normalisierter Verliebtheit vielleicht, nach dem aber nicht -)

In dreißig Minuten vor einer Woche hob Dein Flieger ab, genau jetzt, vor einer Woche, sehe ich Dich noch hinterm Sicherheitscheck, war eine Stunde später hier und fiel in die, aus der ich nicht mehr komme, >>>> Leere. Und habe so geweint. Als hätt ich, Herz, schon gewußt. Aber nur mein Körper wußte. Unsere Körper, immer, sind schneller. - Weißt Du, was mich, da der unmittelbare Schmerz sich allmählich aushalten läßt, denn er ist erschöpft und braucht eine gedämpfte Ruhe, sich selbst, ganz ohne Medikamente, sedierend: Endorphine - weißt Du, was mich derzeit fast – stille aber, wie gesagt – mehr quält als das Ende? Daß ich nicht weiß, wie es um Dein Husten bestellt ist, das fast unsere ganze Zeit begleitet hat, das Du nicht loswurdest nach unser ersten, Du erinnerst Dich, durchschrittenen Nacht. Wie es regnete da! Ich weiß jeden Tritt in dem Park, dann auf den vor Nacht und Nässe glänzenden Pflastersteinen. Und schließlich Dein winkender Arm, aus dem hinteren, rechts, Taxifenster. Da hast Du Dir diese Erkältung geholt, die zunehmend schwerer wurde, weil Du mich, so verstehe ich das, nicht einfach mehr hinaushusten konntest. Ich habe gesagt, wenn Du herkommst, wird die Bronchitis vergehen. Und so war es. Nun weiß ich nicht, ob sie wieder da ist. Und unmittelbar, bevor Du fortflogst wieder, das Fieberbläschen wieder, schon die Warnung. Du mußtest zum HNO, als Du wieder zurückwarst. Von dem kamst Du zurück und schriebst „ich kann nicht annehmen, bitte verzeih“. Und ich weiß nicht, wie es Dir geht, kann mich nicht kümmern, auch nicht mehr mit Blicken. Was uns vorher half, immer. Jede Traurigkeit drehte ich sanft in Dein Lächeln, dann Lachen. Jedes Mal. Jetzt würde es Facetime, selbst wenn wir‘s versuchten, nicht mehr gestatten. So viel Wahrheit, Geliebte, ist in der Technik. Schon im >>>> Wolpertinger wurde gedacht, daß all die Geister Europas hinein in sie müßten. Haben sie‘s also geschafft? Und kehren sich nun wider uns? Vielleicht ist es das. Wenn jemand sieht und nicht springt. Wenn alles offen daliegt, doch wir wehren es ab. Darum wehren auch sie ab. Facetime geht alleine deshalb nicht mehr. Schließlich bleibt uns nur noch, einen Roman daraus zu machen, der zugleich Erinnerung ist und aber wenigstens doch ein Mögliches als Fantasie gestaltet, das nicht wir selbst erleben, sondern Lenz und die Lydierin nun. Es sei ein bißchen unheimlich, sagte am Telefon gestern die Löwin, wie plötzlich sich das wirklich gestalte, bereits im gestrigen Brief, was ich angekündigt habe.
Sie, Du wirst es vielleicht gesehen haben, hat sich, die Löwin, genommen, was ich Dir anbot: ebenfalls in Der Dschungel zu schreiben. >>>> Sie tut es zurecht und mit Recht, hätte es jederzeit vorher tun können, hat ja alle Befugnisse (bisweilen schaute sie als Administratorin auf diese Seiten und löschte, wenn auf mich ein Angriff mal wieder zu arg war). Nun kann ich mein Angebot, Dir, nur wiederholen. Ich wiederhole es hiermit. Wir fingen die Wirklichkeit ein, jede und jeder die ihre wie ich die meine, und gäben ihr gemeinsam künstlerische Form. So, in der Netzwelt, hätte es das vorher niemals gegeben: das Futur II im Konjunktiv, würde es das vorher nicht gegeben haben. Auch dies ist freilich Literatur. - Du könntest es, hast die Sprache, hast ungemeine Poesie... - aber ich weiß ja, weiß! Du k a n n s t es nicht tun. Was für eine Trennung wär das, die sich derart bände? über noch diese Briefe hinaus, die wie Lassos geschwungen und ausgeworfen werden, aber ohne daß etwas ist, das sich noch einfangen ließe, oder, mir lieber, wie Bolas.

Moment, ich mach mir den zweiten Latte maachiato, nehme den zweiten Cigarillo. (Sei ruhig, Herz, ruhig: gestern habe ich mich nicht mehr betrunken, ging nur beizeiten zu Bett, weil ich spürte, da dringt was herauf. Davor besser die Flucht in den Schlaf.)

(7.52 Uhr.)
Ich habe die Musik ausgehen lassen. Sie ist zu aufgeregt, mir, zu repräsentierend: nicht e i n Mal Happy he. Auch das hätt ich Dir so gerne vorgespielt, wie so viel anderes noch, wofür unser ganzes Leben nicht ausgereicht hätte. Ich hätte Dir alles zu Füßen gelegt und meinen Kopf gebeugt. Jetzt hebe ich ihn, nicht annehmen können, in den Roman: bitte verzeih. (Hab bei Youtube geschaut; es gibt von Happy he keine angemessene Aufnahme; die innigste habe nur ich, offenbar, wie von der Winterreise auch, Oliver Widmer: auch sie existiert nun o h n e uns weiter, einsam, wie es mir entspricht, unhappy he). Aber wie schnell Du aus der Kleidung herauswarst, als wir das erste Mal lagen! Erinnerst Dich, wie ich‘s nachher beschrieb, für eine, vielleicht zwei Minuten in Dir gewesen? Dann gedacht, nein, du willst nicht überwältigen. Wie Dir doch jede Pore rief nach Berührung. Meine Eichel, glühend, eine Lampe, leuchtete Dich aus und schaute nur, schaute, bewegungslos, und staunte, angelegt oben fast an der Wurzel der Schaft unter dem Bogen der Pforte, darüber Deines, organischer Lichtpunkt. - Nein, ich habe den Brief nicht wiedergelesen, immer noch nicht. Ich kann nicht, Geliebte, bin noch nicht bereit, Dich als Material zu nehmen, so sehr ich will und muß. Die Lydierin ist eine andre. Schon die Szene, die ich gestern entwarf, ist voller Fremdheit. Was täte eine Elbin wie Du in einem Konferenzraum? Ich wiederholte Basic Instinct, seinen, nun ja, Geist, der meinem Perversen entspricht, es anspricht, aber mit Dir gar nichts zu tun hat. Dennoch wußte Lenz schon eine Stunde nachher nicht mehr, welche Haarfarbe die Lydierin hatte. Immer dieser erste Satz, wie ein Loup, wie ein Ohrwurm der Verhängnis.
Wie kommt die Frau in diesen Raum? Da bereits beginnt das Märchenhafte, das aber etwas ist, wiederum, d a s Dir entspricht. Romy Schneider, die erwachsene, hat so etwas darstellen können, w a r es, beinahe immer. Du hast ihren Blick, das wissende Aufschaun, sogar Eure Stimmen tremolieren ähnlich. Es ist die gleiche Verwundbarkeit, auch das gleiche Verwundetsein und ganz derselbe, dabei, Stolz. Ich habe mich darin verloren, bin es, verloren, noch immer. Puste leis, spürst es?, von Deiner rechten Schulter hoch über Deinen Hals hin, bis dort, wo der feine Unterkiefer am Gelenk sitzt, direkt unterm Ohr.
Dein Ohr.
Eines.
Das zweite.
Muscheln.
Unhappy he.

Ach, nun hab ich‘s, Elbin, doch gefunden, hatte es ja bereits einmal >>>> in Die Dschungel hineingetan. Höre jetzt hin, aber schließe die Augen; es stören die Bilder. Höre ab Minute 1 (ich h ö r e Dich hören):

„Ich höre Dich hören“: und weiß nicht einmal, ob Du hier liest, weiß so gar nichts mehr von Dir. Ob Du noch hustest, ob Du viel weinst oder strahlst, jetzt, da ich von Dir abfiel wie ein getrockneter Schlamm. Und w e i l ich.
„where, when he dies,
his tomb might be a bush
where harmless robin dwells
with gentle trush;
happe were he!“
Ich sehe die beiden in den Berg steigen, Lenz und die Sìdhe, unter ihnen Lydien gebreitet. Er ist, was er nie war, Mann geworden, fern von allem business, das er von sich abwarf. Imgrunde ist er bereit, Bauer zu werden, so, wie heute ich wieder backen werde, das nächste >>>> Christophsbrot. Der Freund wird mich schmähen, doch ich probiere herum. Hefe, las ich, verhindere die Entstehung ungewollter Bakterien, man solle dem Sauerteig deshalb etwas hinzugeben, nicht für die Gärung. Ich beschäftige mich, seit Du wegbist, immer wieder mit Brot. Mir kommt das sinnvoller vor, nicht nur sinnlicher, als fast alles andere, das ich in meinem Leben getan. Basal werden. Es hat, Geliebte, zudem etwas Therapeutisches, Heilendes. Erdenliebe, da Du in der Luft bist, zerblasen, Schimäre, verweht. Der Brotteig als Leben, das ich formen darf. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, Deinen Namen zu backen, jeden Buchstaben einzeln. Dann könnte ich Dich essen, später, wenn alles nach Dir riecht, gehoben aus dem Backofen, duftendes Du. Dich in mir aufnehmen, innen. Du gingest, was Du schon bist, nun aber konkret, in jede meiner Adern über. Vielleicht heilt das die vom Geschältwordensein so furchtbar wunden Organe, baut sie, sie um ihr Verlorenes ergänzend, neu auf. Weiß ich‘s? Weißt d u‘s? - „auch ich werde dich nicht hängen lassen“, schrieb Deine letzte SMS. Doch das mußt Du, es geht gar nicht anders, unverbunden, wie wir jetzt sind: Hang down your head, Tom Dooley, hang down your head and cry. - Wieso wird die Lydierin Lenz hängen lassen? Ich weiß es noch nicht. Fällt vielleicht Dir etwas ein? Er ist ja verheiratet, nicht etwa sie.
Etwas Religiöses vielleicht, Lydien hat viel Arabisches. Ihre, der Sìdhe, Familie läßt es nicht zu, wie bei den Capulets und Montagues. Vielleicht ist Lenz sogar, deshalb, gefährdet, und sie will ihn schützen. Er ist so wehrlos in seiner Liebe. Auch hat er schon binnen kurzem alles verloren, wäre in seiner Geöffnetheit gar nicht mehr fähig, ihr Auskommen zu sichern, kann es schon nicht mehr für sich selbst. Zuhause (Zürich, München, Bern?) hat seine Frau einen Prozeß angestrengt, den er zwar nicht verlieren müßte, aber er stellt sich ihm nicht, er ist ihm egal. Schon das erste Versäumisurteil. Heinz Bennent und Nasrin. Lenz verfällt der Lydierin so sehr, daß er zu einfachsten Alltagshandlungen unfähig wird, nicht bäuerischen, die wären ihm nah, sondern solchen der entfremdeten Zivilisation. Psychogramm einer Abhängigkeit aus tatsächlicher Liebe. Wir brechen den Leib Christi und essen ihn. Lenz ißt den Leib seiner Frau.
Über solch eine Liebe hat Günter Steffens einen der größten Romane geschrieben, die es in deutscher Sprache gibt: >>>> Die Annäherung an das Glück:
Darin stirbt die Frau, und ihr Mann imaginiert sie. Steffens folgendes Buch, „Der Rest“, erzählt das Ende - seines, das seinem wirklichen Ende entspricht. Er vegetiert nur noch, verläßt die Wohnung nicht mehr, vermüllt und verkommt, geht ein wie eine Pflanze, die ausdorrt. Ein furchtbares Buch. Es gelingt ihm nicht, was mit Nasrin Heinz Bennent gelang. Hang down your head and cry: Er versucht es auch gar nicht. Bennent hingegen, wenn man ihn ansprach, konnte lächeln, denn war dieses Lächeln, umfassend.
Vielleicht ist das auch für den Roman ein sogar klügeres und gütigeres Ende, nicht Steffens‘, sondern eben Bennents, indem sich im Roman-selbst wiederholt, was sein Einlaß und Wollen: Dich zu bewahren. Eben n i c h t zu akzeptieren, daß Du gingst, sondern Dich als eine Bleibende zu erschaffen. Dich zu bewahren in Lenz. Da mußt Du, Geliebte, gar nicht mehr da sein. Pragmatiker werden von Realitätsleugnung sprechen. Nun ja, wenn sie sich überlisten läßt damit, daß wir eine andere Realität in sie schieben, ist das vielleicht nicht ungeschickt.

So wenig wie Lenz der Prozeß interessiert mich derweil, daß immer noch nicht der Vertrag vorliegt, Du weißt schon, für das neue Hörstück. Das einzige, was mich dran fuchsig macht, das Geld ist mir egal, fast, ist, daß ich das Studio nicht bestellen, also nach wie vor nicht den Aufnahmetermin für Sprecherinnen und Sprecher terminieren kann. Ich weiß gar nicht mehr, wie das gehen soll, daß die Sendung im Januar ausgestrahlt werden wird. Schleunigst, schleunigst muß sich das klären. Aber ich bin unfähig zu handeln, vergesse dauernd, was ansteht in der Welt, für mich. Die Löwin spricht von einer Ausnahmesituation. Eisenhauer, abermals aus der Türkei, SMSte: „Du mußt dich nicht grämen, daß du lieben kannst wie kaum ein zweiter.“ Es ist eitel von mir, das einzustellen, zu zitieren. Aber der Satz hat von mir, Herz, etwas erfaßt. Darum, wenn ich nicht enden will wie Steffens, werde ich nachher aufsaugen müssen, schon der Kohleofen macht viel Schmutz. Und werde mich rasieren und, dies mehr als alles, kleiden müssen, bewußt, um nicht die Form zu verlieren. Ich habe einen Roman zu schreiben, einen wahrscheinlich letzten Liebesroman, meinen letzten. Die Lydierin und Lenz, die Sìdhe und der Faun. Vielleicht, daß ich den amerinischen Freund wieder anrufen werde: Darf ich kommen, um abermals bei Dir zu schreiben? Dann setzte ich mich und schriebe, wie Das Traumschiff, alles in einem Rutsch runter. Vielleicht bedeutete das das Ende dieser Briefe, vielleicht aber nicht, sondern sie verfaßten sich begleitend und auch nachher weiter: das Arbeitsjournal als ein Gespräch, wie einseitig es immer auch sei, wie auch immer ins Imaginäre. Und dennoch mit meiner Frau.

(9.37 Uhr.)
Hatte eben einen weiteren Gedanken.
Vielleicht muß das Buch ganz anders heißen, zum Beispiel „Die lydische Sìdhe“. Daran macht mir nämlich die Vorstellung Freude, daß Du in ihm schließlich auch als Dein wirkliches Du erhalten bliebest. Denn eines Tages werden Germanisten, Literaturwissenschaftler, wer immer, sich auf unsere Spuren setzen und herausbekommen, wer diese Nadja war, die meine, nicht >>>>> Bretons. Und dann wirst Du mit mir, da sind wir alle längst tot, in den Literaturgeschichten stehen: neben und bei mir. - Ja, diese Idee beglückt mich: vor allem das nicht-Eitle an ihr. (Alles, momentan, bist weiterhin Du. Ich komm zu gar nichts anderem. Die Hirnmaschine läuft - aber rund, nicht etwa heiß. Ein Kolbenfresser ist deshalb kaum zu erwarten. Also fürchte Dich nicht, hab um mich keine Bange, ich probiere nur aus. Alles ist tiefes, rundes, kraftvolles Röhren. Und wie das beschleunigt! - Du magst schöne Autos, so wird‘s Dir gefallen, das Bild.)

Wenn ich nur hören könnte, wie es Dir geht! Skype, ständig, ist bei mir offen. Aber heute, ich weiß das, fährst Du weg, da wirst Du ans Netz nicht kommen. Bist vielleicht schon gar gar nicht mehr dort in Deinem, fast wär‘s auch meines geworden, Triest. Ich hatte bereits nach einer Wohnung geschaut. Nein, das hat Lenz getan.

Es geschieht fast Ungeheuerliches: was die Trennung in mir lostritt. Wovon ich geglaubt hatte, mich längst damit befriedet zu haben. Ich hätte vorgestern nacht eine halbe Stunde lang geheult, am Telefon. So hat es die Löwin erzählt; ich selbst wußte gestern morgen nichts mehr davon: Filmriß, wie man sagt. Ich hätte getobt, um mich geschlagen, verbal. Dann geweint. Sie sei so hilflos gewesen. Sie mußte mir alles erzählen, gestern, ein Spießrutenlaufen, federn, >>>> schreibt sie, und teeren. Fließt von „federn“ phonetisch zu „Feen“, womit sie die Mövenart auf S. Helena meint, von der Lanmeister derart berückt ist. Und ist schon bei D i r, Fee und Federn. Solch Leid hab ich ihr beigebracht. Fast ist es, als wäre Deines auf uns in dem Moment übergegangen, hätte auf uns sich ausgestrahlt, also auf mich und meine, zu denen Du nicht mehr gehörst, mir Nahen, in dem wir, Du und ich, uns erstmals angesehen haben. Wäre es nun wenigstens aus Dir hinaus! Hättest, mein Schicksal, Ruhe nun wenigstens Du!
„Meine Fee“: Jetzt aber erst, da Du in Triest gerade ankommst, vor genau einer Woche. Davor, selbst im eben erst nun sich versagenden Facetime, warst Du für mich leiblich, nicht Projektion, nicht Schimäre - vielmehr ganz konkret Frau, nur nicht die werdende meine. Und warst es d o c h. Niemand wird mir das nehmen. Verzweifeln, vielleicht, wird nur Lenz.

Alban
*


(17.20 Uhr.)
Ich bekomme wirklich, Geliebte, nichts zuwege derzeit. Immerhin, geduscht und gekleidet bin ich jetzt. Einen Moment lang, als ich aus der Dusche trat, zögerte ich, in die arabischen Hausschuh zu schlüpfen, die zuletzt Du getragen hast, barfuß zumal. Daß ich Socken trage, kommt mir deswegen entweihend vor. Doch ich habe mich mit Deinem Handtuch abgetrocknet, das ich Dir gab, gleich, als Du herkamst. Und auf dem Mitteltisch stehen noch immer die Blumen, die ich besorgt, damit Du Dich von allem Anfang an wohlfühlen konntest. - Was habe ich, erinnre Dich, ich hab es gesagt, gebangt, was Du s ä h e s t! Alles Ich ist hier offenbar, das getriebene, das gelehrte, das obszöne perverse, das innige, kämpferische, verzweifelte und das verlassene auch. Spreizstange, Halsreif, selbstgeschnittene Gerten. Währungen, kleine Steine von Vulkanen, Datteln aus Palermo. Und die Bilder. Nichts tat ich weg, habe gewollt, daß Du willst, wenn Du willst, was Du willst.
Ist es wichtig, daß ich etwas zuwege bringe?
Doch, das Brot habe ich geformt, Dein Name steht oben auf dem Laib. Deshalb fotografier ich den nicht; andere sollen den Namen nicht lesen. Es ist nur ein kleines Brot, werd nicht unruhig bitte; in einem Tag ist es gegessen. (Über den Hut, den ich seither nicht mehr tragen kann, weil Du ihn getragen, will ich ein Gedicht schreiben, und über den Mantel; auch ihn zieh ich derzeit nicht an. Aber irgendwann werde ich die Bettwäsche wechseln müssen. Ich fürcht mich schon heute davor.

Auch mein Parfum, das ich liebe, auch weil es einzig an mir ist, mochte ich nicht auflegen. Hab drum zu dem einer alten Geliebten gegriffen. Ich erzählte Dir ja, daß ich, wenn etwas wirklich tiefging, die Parfums dieser Tiefen bewahre und trage bisweilen. Es ist dies wohl eine Art, post amorem, Treue und hat viel mit Dankbarkeit zu tun: daß ich diesen Frauen sein durfte. Nun werd ich mir Deines besorgen, ich kenn es. Verwend ich es aber, dann ist das Vorbei auch im Duft, wie ein Siegel.)

Ich will mich, Geliebte, an einem Ciabatta versuchen, anderes arbeiten kann ich eh nicht. Den Teig ansetzen, backen erst übermorgen, er soll noch nach dem Vorteig achtzehn Stunden ruhen. (Keine Brot-, auch keine Knetmaschine, sondern alles mit den Händen. Ich möchte auch keine Fernheizung haben, der Kohleofen paßt ebenso zu mir, wie daß ich mit Gas koche. Es gehe alles organisch ineinander, so körperlich also wie möglich.)

A.
*


(20.34 Uhr.)
Was aber ebenfalls wehtut (ich merk es, Geliebte, erst jetzt, hab es vor Dir nicht gewußt): alleine zu essen, für sich ganz alleine.


[Gekocht zu haben für sich, sogar einen Salat für sich bereitet.
Nur gegessen, keine Musik dazu gehört.
Gekaut und ins Rauschen von draußen gelauscht.]

Nichts sei entschieden, die Zeit nur verschieden.
(Glauben können: diese Szene nicht am Beginn des Romans, sondern unversehens inmitten. Lenz legt das Besteck ab, geht noch einmal vor seine Blockholztür. Schon seit Stunden ist es dunkel. Er sieht ihn nicht mehr, aber hört ihn, den Wald. Vor ihm ungefähr die Wiese. Es duftet nach Nässe aus ihr.
Die Elben sind in den Hügeln, haben zu empfindliche, für den fast späten November, Mitsommerflügel. Lenz wächst kein Huf mehr.)
*


albannikolaiherbst meinte am 2014/11/22 11:18:
P.S.
Es kann sein, daß ich Dir morgen n i c h t schreiben werde, sondern erst am Montag wieder, wenn ich weiß: Die Frau ist zurück in Triest. Aber an Dir schreiben, werde ich weiter, nicht, indem ich die Briefe durchschau, sondern indem ich mir die Gedichte auf Dich noch mal ansehe, an ihnen feile und zwei weitere, die nur entworfen sind, fertigstelle.

A. 
albannikolaiherbst meinte am 2014/11/22 11:57:
(Dummheiten
unter diesen Briefen - es stand eine da - werden gelöscht. So, wie ich vorhin >>>> dort die Kommentarfunktion ausschaltet habe. Um einige Kommentare ist es dabei schade, aber insgesamt wirkten die Texte zerstörend oder banalisierend. Dschungelleser:innen wissen, daß ich Profanierungen ablehne.) 
diadorim antwortete am 2014/11/22 13:39:
und sie wissen auch, dass ich sie gern über die hintertür wieder reinschleppe ;). meist geduldet, manchmal beschmunzelt, selten völlig verräumt. alles gut. na ja, fast.
habe ich eigentlich schon erzählt, dass carl hagenbeck seinen lieblingslöwen triest nannte? kein witz.
gerade noch mal nachgelesen bei wiki: "Auf seinem Grab liegt schlafend vor einem Findling mit den Namen Carl, Heinrich und Lorenz Hagenbeck der bronzene Löwe Triest, das Lieblingstier Carl Hagenbecks. Der Löwe hatte ihm einmal das Leben gerettet, als Hagenbeck im Freigehege gestolpert und von einem Tiger angegriffen worden war." 
albannikolaiherbst antwortete am 2014/11/22 13:46:
Ja@diadorim,
das wissen sie und weiß ich. Aber sie sind bei Dir nie hämisch gemeint und oft, auch wenn ich mich über sie ärgere, letzten Endes wohltuend. Vielleicht gehört diese Bewegung zusammen, ergänzt sich: die Profanierung spricht gegen den Hohen Ton ein, genau so er gegen sie; auf diese Weise geht, mag sein, nichts oder nur wenig von dem verloren, das uns - abermals dieses Sìdhe-Wort, ich habe es tief inhaliert - taugt
diadorim antwortete am 2014/11/22 13:51:
wohltuende ärgernisse, ach, das ist schön! 
Klaus (Gast) meinte am 2014/11/22 16:03:
Welche Sprache spricht die Sidhe eigentlich? 
albannikolaiherbst antwortete am 2014/11/22 16:50:
@Klaus zur Sprache.
Sie meinen die Lydierin? Lydisch. Aber sie ist polyglott. Deswegen wohl kommt sie in diesen Konferenzraum; sie muß also auch deutsch sprechen. Muttersprachlich, denke ich derzeit, hebräisch und das lydische Arabisch. Ihre um 1936/37 emigrierten Großeltern haben tiefe Wurzel im KuK, haben die Sprache auch zeitlebens nicht abgelegt. So hat schon das Kind sie mit aufgesaugt.

(Danke für diese Art Kommentar. So etwas, immer, stelle ich mir vor, erhoffe ich mir.) 
Klaus (Gast) antwortete am 2014/11/22 21:52:
Utopie Weltsprache
Ich habe zu danken für Ihre Texte. Ich schwebte durch etwas Ähnliches in diesem Sommer, bin Ihnen ein paar Monate voraus sozusagen und auf dem Weg zur Akzeptanz, oder vielleicht besser: Hinnahme. Was mich aber immer wieder straucheln lässt, ist die Verzweiflung ob unserer fehlenden gemeinsamen Sprache (aber warum verzweifeln an Dingen, die man nicht ändern kann). Mit einer polyglotten Lydierin wird das sicher keine oder kaum merkbare Missverständnisse mit sich gebracht haben, aber sich treffen in einer Drittsprache, das führt zu Wettbewerbsnachteilen. Vielleicht auch Romanstoff, nur wie diese Distanz zwischen den Sprachen abbilden, frage ich mich. 
albannikolaiherbst antwortete am 2014/11/23 09:25:
@Klaus (während der Fünfte Brief entsteht).
Die Akzeptanz ist gleich nach dem Nein da, das ist das Bittre. Auch wenn es regnet, können wir das nur akzeptieren. Alles andere ist leider Unfug. Hinnahme aber? Nein. Sondern Umformung. Was bedeutet: sich stellen, nicht wegdrängen, sondern im Gegenteil tief eindringen, auch in sich selbst. Das ist grade das Erstaunliche an solchen Prozessen, was in uns selbst dabei freiwird. Es kann deshalb sein, daß wir, die verlassen wurden, sich zumindest verlassen fühlen (in meinem Fall war es kein Verlassem, sondern ich wußte von Anfang an, daß ich erst etwas baute, bauen wollte, das allerdings tatsächlich beim ersten Blick im Raum stand; verlassen worden aber wäre, wenn, der andere Mann), - daß also wir, die sich so fühlen, weitaus größere Chancen auf innere Veränderungen, im allgemeinen "Reife" genannt, haben als die, die weggegangen sind.
Die Lydierin ist polyglott, ich skizzierte, weshalb. Mit der "wirklichen" Sìdhe spach ich, logischerweise, Italienisch und aber auch Deutsch. Österreich, bis heute, wirkt nach in Triest: die Stadt ist ein Ungefähres, man spürt es nach wie vor, Slovenien auch, auch Kroatien, also den Balkan. Die Stadt liegt am Karst. Deshalb halte ich auch für den Roman an ihr fest, anstatt sie umzuerfinden. (Sämtliche anderen möglichen Städte müßten in Grenzgebieten liegen, die mal hier- mal dorthin gehörten.)

Mich in einer Drittsprache zu treffen, so, wäre mir nicht möglich. Gerade ich, wenn ich mich nicht bis in die Verästelungen ausdrücken könnte, wäre als Liebesspieler vollständig disqualifiziert. Bei einer "rein" erotischen Beziehung ist das selbstverständlich anders, aber um so etwas geht es in diesen Briefen nicht.

Ich wünsche Ihnen von Herzen Ruhigwerden aus Gewißheit.
 

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