Wieder in der Arbeitswohnung ODER Nach der Reise. Das Reiserückblicksjournal des Sonntags, dem 22. Mai 2011.
9.18 Uhr:
Muß mich erst wieder konsolidieren. Schriftkram ist zu erledigen. Zu ordnen ist, ’s ist auch in Die Dschungel und in die Dschungeldateien neue, bzw. die alte Ordnung reinzukriegen. Wegen der Schwierigkeiten auf See, in gewohnter Weise ins Netz zu kommen und wegen der dafür nötigen mehreren Computer ist einiges durcheinandergeraten. Zudem müssen noch Bilder vom IPhönchen in die Ordner übertragen werden. Und und und. Wenigstens hatte ich den Schreibtisch, bevor ich aufgebrochen war, in einen akzeptablen Zustand gebracht.
An sich müßte ich heute auch dringend wieder zum Sport, denn das nicht zu mir gehörende Gewicht, das ich mir in den vergangenen Wochen wegtrainiert hatte, hab ich mir an Bord wieder an den Bauch gefuttert. Doch nachmittags kommt mein Junge, den ich gestern schon kurz auf ein gemeinsames Eis traf; er hat morgen schulfrei, so daß wir uns am Abend den vierten Teil der Piraten der Karibik anschauen können und das auch wollen. Im übrigen ist nun mit vollem Tempo an das neue Hörstück zu gehen, das bereits am 3. Juli ausgestrahlt werden wird. Dazwischen aber noch fünf Lesungen, am Dienstag in Frankfurtmain (Erzählungen), am Donnerstag im Literaturhaus Berlin Fasanenstraße (Elegien), am darauffolgenden Dienstag, 31.5., nachmittags an der Uni und abends im Literaturhaus Kiel (Elegien), tags drauf in Potsdam (Erzählungen). Eine Woche später drei weitere Lesungen. Für den Kleinkram werde ich den Tag heute, also, brauchen und den Sport noch mal aufschieben müssen. Außerdem habe ich verschlafen.
Zweiter Latte macchiato.
Meine >>>> Impresaria fragt nach dem Fazit >>>> dieser Reise, und ich selbst frage mich auch. Nein, ich frage mich eigentlich nicht. Denn es gibt sicherlich keinen Grund zur Klage; es war ein feines Engagement, ich habe viel gesehen, wurde sehr gut bewirtet, und wenn der Roman, den ich nun im Kopf und auch im Herzen mit mir trage, wirklich entstehen sollte, dann hätte sich die Kreuzfahrt viel mehr als nur ge„lohnt”. Doch was eigentlich intendiert worden war, unserer-, also Stangs und meiner Seiten, hat sich nicht oder nur gering realisieren lassen: Literatur mit und an Bord.
Das lag an mehreren Faktoren:
Zum einen hat die Kommunikation zwischen den Veranstaltern und den Reiseleitern an Bord nicht funktioniert. Das geht schon einmal damit los, daß die Autoren den Passagieren nicht gesondert vorgestellt worden sind am ersten Abend, als sich das angeboten, ja angedient hätte: bei einem ersten Plenum. Das zwar stattfand, und die Autoren wurden auch erwähnt, aber im Nebenbei und ohne persönliches Gesicht. Jeder von uns hätte da sich und die eigene poetische Arbeit mit zweidrei Sätzen vorstellen können und müssen. Das unterblieb. Statt dessen gab es am Abend ohne Publikum eine interne Verteilung der Termine, zu der den Autoren nichts über den üblichen Bordablauf erzählt wurde, so daß etwa ich meine Lesungen auf Zeiten legte, in denen allgemein noch gegessen wird.
Von der Idee täglicher Lesungen aus der Weltliteratur, die ich für jeden einzelnen Hafen eigens vorbereitet hatte, war bei meiner Ankunft an Bord nichts bekannt gewesen. Es steht aber in meinem Vertrag. Jetzt mußte das irgendwie reingewürgt werden. Also las ich nicht etwa die Texte zuvor, sondern nur zwei- bis dreiminütige Auszüge, und zwar über die Außensprechanlage per Mikrofon; in den täglichen Programmen wurde das nicht erwähnt, so daß bis zum Schluß noch mindestens zwei Drittel der Passagiere von der Aktion gar nichts wußten. Zumal schliefen die meisten noch, wenn wir in die Häfen fuhren, oder saßen in den Frühstücksräumen, wo man nichts vom Text hören konnte.
Ein Problem waren aber schon „Literatur & Poesie”-selbst. Der einzige literarische Schriftsteller an Bord war nämlich ich; gefeatured - etwa mit einem eigens für sie gedruckten hohen Plakat, das im Aufgang zur Rezeption am Sammelpunkt aller stand – wurde hingegen vor allem die eine Kollegin, die ich „die Erdbeere” zu nennen mir angewöhnt habe; weshalb, gehört nicht hierher. Sie schreibt Lebens-, sagen wir’s freundlich, -entlastungstextchen der Sorte „Wunscherfüllung in zehn Dreiviertelminuten”, ein Belebensratgebungs- und Motivationszeugs, das aus siebeneinhalbklassigen positive thinking-Broschüren der USA erst ab- und dann zusammengekleistert worden ist und - so flüsterte ein Hörer, bevor er aufstand und ging - wie vor debilen Kindern vorgetragen wird. Man kann das an Naivetät nur unter großen Mühen überbieten, jedenfalls wenn man sich klarmacht, daß die gemeinte Autorin höchst pfiffig für den Most ist, indes die zweite Kollegin ihre Naivetät tatsächlich hat; das gibt ihr etwas Humanistisches. Sie meint es ja nicht böse, wenn sie von „Eingeborenen” spricht und Franzosen damit meint, die, anders als sie selbst, in ihrem Heimatland geblieben sind und nun von ihr beschrieben werden. Sie meint es sogar gütig und mit dem Lächeln der Verliebtheit. Im übrigen hat sie bei Renovierungen ihrer verschiedenen Wohnungen in Frankreich so ziemlich dasselbe erlebt wie die Passagiere bei den Revovierungen ihrer deutschen. Es gab einen „Literatur- & Poesie”-Nachmittag, der vor Austauschbarkeit blühte: imgrunde hätte man sich zusammensetzen und die Erfahrungen mit ausbleibenden Handwerkern und den Umständen privatsanitäter Begebnisse sich gegenseitig erzählen können, im Kränzchen bei Kaffee und Kuchen. Wie das ja auch geschieht und sein volles privates Plauderrecht hat, nur eben nicht unter „Poesie” befaßt; selbst in ein Album schreibt man so etwas nicht, ohne in Gelächter auszubrechen.
Von Gestaltung und Arbeit am Wort – von Sprache mag ich schon gar nicht mehr schreiben – und von Ideen, Erzählung, Roman gar, um von Gedichten einmal ganz zu schweigen – kein Wort. Mein Schuster und mein türkischer Schneider hätten solche Erinnerungsaufsätze ganz ebenso verfassen und vortragen können, doch zum einen wissen sie ihre Grundschulzeit lang genug zurück; vor allem aber haben sie Ehre und täten es auch dann nicht, würden sie dafür so gut bezahlt wie wir „drei Autoren” auf dieser Reise. So bleibt, meinen Schuster und meinen türkischen Schneider vor Augen, der Geschmack einer großen Schamlosigkeit, die allerdings manch Passagier goutierte, wofern er weiblich war und nach dem Positiven suchte. Nach den Erfahrungen nunmehr halte auch ich Harry Potter für ein Erzeugnis der höchsten Kultur und Utta Danella für eine Dichterin, der der Nobelpreis gebührte; Jerry-Cotton-Heftchen sollten indes Goethes Plaketten zieren.
Nachtrag, wohlgemerkt:
Es geht mir mit meinen Anmerkungen nicht darum, daß Lebensentlastungstexte und simple MotivationsRatgebereien nicht ein unterhaltendes wie unterhaltsames Recht haben dürfen und damit nicht auch Geld verdient werden kann, - es aber als Literatur auszugeben, zumal in der Verbindung mit „Poesie”, ist so ganz ohne Grund, um von einem künstlerischen Geist überhaupt noch zu schweigen, der seine poetischen Arbeiten aufs Risiko völligen Mißlingens hin zäh und nicht selten unter Entbehrungen erstreitet, in jedem Fall, indem er seine Existenz in diesen Beruf wirft und oft auch mit ihr bezahlt hat – so, wie es der Pfarrer hielt, der mit an Bord war und allmorgendlich seine Andachten gab: aus einem Glauben heraus, den ich zwar nicht teile, aber – aus den genannten Gründen – hoch achte und respektiere.
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