Zweites Marburger Arbeitsjournal. Räume des Schreibens und der Fiktion (3). Sonnabend, der 24. November 2012. A u c h wieder: BDSM & Literartheorie.
6.15 Uhr:
[Gästehaus, L1.]
[Gästehaus, L1.]
Spät... ich meine, ehèm, früh wurde es von gestern auf heute, ein, ähm, harter Kern dreier Kerle bei einer entzückenden jungen Thomas-Mann-Foscherin, die sogar das Separée einer hiesigen RaucherLounge beflirtet ertrug, des akademischen Fortsprungs, denk ich mal, halber; wir waren aber auch ziemlich dezent und munterten auf mit Vorgehens-Tips, von denen ich glaube, daß sie die junge Dame nicht eigentlich braucht; aber hübsch war‘s vielleicht, sie zu, tja, empfangen - und dann halt ihr eignes Ding zu tun. Verabschiedung auf den vor Nässe glänzenden Katzenköpfen der Altstadt und Heimmarsch erst zu dem Berglift, dann durch den matschigen botanischen Garten, „auf meine Früharbeit verzichte ich heute“, versprach ich den beiden ins Nebenteil ziehenden Herrn, mit denen man sich nachts hat ver-du-t; das Brüderverb will mir nicht passend erscheinen, wär dann doch zu vertraut, etwa wie „Freund“ bei Facebook, da man sich grad erst hat bekannt doch gemacht.
(Der Tee ist fertig, soeben geholt; gestern mittag hab ich die Beutelchen am Veranstaltungsort geklaut. Also. Jetzt schreibt es sich besser. - Morgenpfeife.)
Es war >>>> ein munterer Tag gestern, die akademische Distanz ging ein bißchen, guterweise, verloren, sogar Peter Kurzeck rief einmal deutlich aus, nämlich, daß es doch um Sprache gehe - womit er einklagen wollte, daß es bei jedem, auch eben einem Erinnerungswerk, um Kunst gehe - Christoph Jürgensens höfliche, aber doch deutliche Abwertung „des“ Realismus, die er zugunsten - wie immer auch unterschiedlich - Georg Kleins und meiner literarischen Konzeptionen lautwerden ließ, war ihm auf den Nerv gegangen. Was mir gefiel, nicht, weil sein Nerv getroffen, sondern weil da Leidenschaft aus seiner poetisch lächelnden Seligkeit herausbrach. Damit war denn der ziemlich produktive Positionenstreit eröffnet. Direkt vor Jürgensen hatte ich selbst gesprochen; mein mehr oder minder zusammengeschustertes Reloading lief wider mein eignes Erwarten ziemlich gut, drehte jedenfalls den bisherigen Tenor der Hin-Sichten, auch wenn selbstverständlich ein genereller Verdacht gegenüber phantastischen Konstruktionen blieb, bzw. sie von zum Beispiel Moritz Baßler in ein sehr weites Realismus-Konzept mit hineingenommen wurden. Das machte aber Spaß, zumal er, wie morgens bereits Andrea Geiers Interpretation von Delius‘ Seumes Spaziergangbuch gewesen war, ein ebenso hinreißendes Parallelkonzept der Poetologie Christian Krachts auszubreiten unternahm. Da ging es dann, wohl falsch verstanden von mir, mit einer moralischen Frage los - jedenfalls werde ich heute mittag mit einiger Denklust und vielem Futter, um sie zu nähren, Marburg wieder verlassen. Heute vormittag sprechen nun noch Aleks Schulz & Kathrin Passig, hernach Raphaela Knipp und Niels Werber; nun wird noch einmal das Internet als literarischer Ort ins Blickfeld gerückt werden.
Ich denke, ich melde mich bei Ihnen wieder entweder aus dem ICE oder abends aus Berlin, wobei ich allerdings Freund Broßmanns Geburtstagsfeier will besuchen; außerdem ist die Glöckler-Ives-Rezension bis morgen zu schreiben.
7.10 Uhr:
Einer meiner hiesigen Gegner maulte mal wieder, ich hätte seinen Kommentar zensiert; bereits die falsche Wortwahl zeigt, daß meine Löschung zu recht erfolgte. Wer etwas gegen meine Arbeit hat und das zum Ausdruck bringen möchte - die meisten Gegner haben aber etwas gegen mich und vermischen das in Form scheinliterarischer Einwände mit den Texten -, darf das hier auch tun; ich erwarte allerdings Argumente; nur mit Schlammbatzen herumzuwerfen, reicht einfach nicht. Bei sowas wartet man, bis es trocken ist, dann saugt man es weg. So hinterläßt es nicht einmal Flecken, ich meine: auf dem Teppich meines literarischen Gewebes. Wie einer stirbt, der niemals war. Man muß ihn nicht mal vergessen.
7.42 Uhr:
Was ich noch erzählen wollte: Sehr gute Lesung Thomas Meineckes, bei dem mich - er selbst causierte davon - das religiös-mystische Moment nach wie vor sehr interessiert, das auch in seiner Arbeit bisweilen durchscheint; >>>> ich schrieb ja bereits darüber. Leider saßen wir abends nicht nebeneinander, ich hätte ihm gern die Fenster von Saint Chapelle gegeben, wegen des Pfingstwunders, das immerhin von einem neuinszeniert wird, der, anders als er, keinen katholischen Hintergrund hat, sondern die Erfahrung allein aus dem Erleben bezog. Und dann sprach mich ein Student auf BDSM an, bezog sich direkt auf meinen Ring, erhoffte sich Hinweise darauf, wo denn über diesen Komplex in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur bereits gearbeitet worden sei. Da konnte ich ihm nicht helfen, aber ihn auf Die Dschungel und ihre Suchfunktion verweisen; er möge einfach nur den Begriff „Perversion“ eingeben, dann werde er ganz sicher fündig werden. Vielleicht, daß dieser mein - und Bongartz‘ - Gedanke zur Kunst- und Produktivitätstheorie plötzlich einmal auf fruchtbaren akademischen Boden fällt. Ich hab ja nun wirklich einiges dazu geschrieben und gehe mit meiner - das ist ein grottenfalscher Begriff: - „Neigung“ sehr offen um. Spannend wiederum, welche Berührungsängte ansonsten nach wie vor bestehen, je nach Sozialisation, denke ich manchmal. In literarisch „französischen“ Zusammenhängen sozialisierte Denker haben sie entschieden weniger, als durch USA-Kulturen geprägte. Auch das wäre einmal eine Untersuchung wert: Wie wirken wo und warum welche Hemmungen? (Ich denke selbstverständlich auch an die erotischen Körperinszenierungen mit der Löwin, das heißt: an Erfahrungen. Das wurde mir gestern, quasi nebenbei, noch einmal klar: Wie wichtig es ist, den Perversionsbegriff in der Kunsttheorie wirklich zu verankern. Dazu auch Thomas Anz‘ Bemerkung nach meinem Vortrag, das höre man ja nun wirklich selten, daß sich jemand literarthetoretisch noch auf die Psychoanalyse beziehe - in der Tat eine treffende Beobachtung: Es ist fast ein kleines Tabu, so etwas noch zu tun; weshalb: auch da wäre nachzufragen.
19.46 Uhr:
Zurück. Eine schöne, angenehme Fahrt mit Jürgensen; wir wollten eigentlich beide arbeiten. Nun haben wir die ganzen mehr als vier Stunden geplaudert. Da vergeht solch eine Tour im Flug, selbst dann, wenn ein Zug nicht wirklich abhebt, sondern zwischendurch sogar mal dahinschleicht.
Jetzt aber gleich weiter. Einen Geburtstag mitzufeiern, bin ich aufgerufen. An die Rezension werde ich also erst morgen zur Früharbeit gehen.

(Der Tee ist fertig, soeben geholt; gestern mittag hab ich die Beutelchen am Veranstaltungsort geklaut. Also. Jetzt schreibt es sich besser. - Morgenpfeife.)
Es war >>>> ein munterer Tag gestern, die akademische Distanz ging ein bißchen, guterweise, verloren, sogar Peter Kurzeck rief einmal deutlich aus, nämlich, daß es doch um Sprache gehe - womit er einklagen wollte, daß es bei jedem, auch eben einem Erinnerungswerk, um Kunst gehe - Christoph Jürgensens höfliche, aber doch deutliche Abwertung „des“ Realismus, die er zugunsten - wie immer auch unterschiedlich - Georg Kleins und meiner literarischen Konzeptionen lautwerden ließ, war ihm auf den Nerv gegangen. Was mir gefiel, nicht, weil sein Nerv getroffen, sondern weil da Leidenschaft aus seiner poetisch lächelnden Seligkeit herausbrach. Damit war denn der ziemlich produktive Positionenstreit eröffnet. Direkt vor Jürgensen hatte ich selbst gesprochen; mein mehr oder minder zusammengeschustertes Reloading lief wider mein eignes Erwarten ziemlich gut, drehte jedenfalls den bisherigen Tenor der Hin-Sichten, auch wenn selbstverständlich ein genereller Verdacht gegenüber phantastischen Konstruktionen blieb, bzw. sie von zum Beispiel Moritz Baßler in ein sehr weites Realismus-Konzept mit hineingenommen wurden. Das machte aber Spaß, zumal er, wie morgens bereits Andrea Geiers Interpretation von Delius‘ Seumes Spaziergangbuch gewesen war, ein ebenso hinreißendes Parallelkonzept der Poetologie Christian Krachts auszubreiten unternahm. Da ging es dann, wohl falsch verstanden von mir, mit einer moralischen Frage los - jedenfalls werde ich heute mittag mit einiger Denklust und vielem Futter, um sie zu nähren, Marburg wieder verlassen. Heute vormittag sprechen nun noch Aleks Schulz & Kathrin Passig, hernach Raphaela Knipp und Niels Werber; nun wird noch einmal das Internet als literarischer Ort ins Blickfeld gerückt werden.
Ich denke, ich melde mich bei Ihnen wieder entweder aus dem ICE oder abends aus Berlin, wobei ich allerdings Freund Broßmanns Geburtstagsfeier will besuchen; außerdem ist die Glöckler-Ives-Rezension bis morgen zu schreiben.
7.10 Uhr:
Einer meiner hiesigen Gegner maulte mal wieder, ich hätte seinen Kommentar zensiert; bereits die falsche Wortwahl zeigt, daß meine Löschung zu recht erfolgte. Wer etwas gegen meine Arbeit hat und das zum Ausdruck bringen möchte - die meisten Gegner haben aber etwas gegen mich und vermischen das in Form scheinliterarischer Einwände mit den Texten -, darf das hier auch tun; ich erwarte allerdings Argumente; nur mit Schlammbatzen herumzuwerfen, reicht einfach nicht. Bei sowas wartet man, bis es trocken ist, dann saugt man es weg. So hinterläßt es nicht einmal Flecken, ich meine: auf dem Teppich meines literarischen Gewebes. Wie einer stirbt, der niemals war. Man muß ihn nicht mal vergessen.
7.42 Uhr:
Was ich noch erzählen wollte: Sehr gute Lesung Thomas Meineckes, bei dem mich - er selbst causierte davon - das religiös-mystische Moment nach wie vor sehr interessiert, das auch in seiner Arbeit bisweilen durchscheint; >>>> ich schrieb ja bereits darüber. Leider saßen wir abends nicht nebeneinander, ich hätte ihm gern die Fenster von Saint Chapelle gegeben, wegen des Pfingstwunders, das immerhin von einem neuinszeniert wird, der, anders als er, keinen katholischen Hintergrund hat, sondern die Erfahrung allein aus dem Erleben bezog. Und dann sprach mich ein Student auf BDSM an, bezog sich direkt auf meinen Ring, erhoffte sich Hinweise darauf, wo denn über diesen Komplex in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur bereits gearbeitet worden sei. Da konnte ich ihm nicht helfen, aber ihn auf Die Dschungel und ihre Suchfunktion verweisen; er möge einfach nur den Begriff „Perversion“ eingeben, dann werde er ganz sicher fündig werden. Vielleicht, daß dieser mein - und Bongartz‘ - Gedanke zur Kunst- und Produktivitätstheorie plötzlich einmal auf fruchtbaren akademischen Boden fällt. Ich hab ja nun wirklich einiges dazu geschrieben und gehe mit meiner - das ist ein grottenfalscher Begriff: - „Neigung“ sehr offen um. Spannend wiederum, welche Berührungsängte ansonsten nach wie vor bestehen, je nach Sozialisation, denke ich manchmal. In literarisch „französischen“ Zusammenhängen sozialisierte Denker haben sie entschieden weniger, als durch USA-Kulturen geprägte. Auch das wäre einmal eine Untersuchung wert: Wie wirken wo und warum welche Hemmungen? (Ich denke selbstverständlich auch an die erotischen Körperinszenierungen mit der Löwin, das heißt: an Erfahrungen. Das wurde mir gestern, quasi nebenbei, noch einmal klar: Wie wichtig es ist, den Perversionsbegriff in der Kunsttheorie wirklich zu verankern. Dazu auch Thomas Anz‘ Bemerkung nach meinem Vortrag, das höre man ja nun wirklich selten, daß sich jemand literarthetoretisch noch auf die Psychoanalyse beziehe - in der Tat eine treffende Beobachtung: Es ist fast ein kleines Tabu, so etwas noch zu tun; weshalb: auch da wäre nachzufragen.
19.46 Uhr:
Zurück. Eine schöne, angenehme Fahrt mit Jürgensen; wir wollten eigentlich beide arbeiten. Nun haben wir die ganzen mehr als vier Stunden geplaudert. Da vergeht solch eine Tour im Flug, selbst dann, wenn ein Zug nicht wirklich abhebt, sondern zwischendurch sogar mal dahinschleicht.
Jetzt aber gleich weiter. Einen Geburtstag mitzufeiern, bin ich aufgerufen. An die Rezension werde ich also erst morgen zur Früharbeit gehen.
albannikolaiherbst - Samstag, 24. November 2012, 23:49- Rubrik: Arbeitsjournal
Trackback URL:
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/zweites-marburger-arbeitsjournal-sonnabend-der-24-november-2012/modTrackback