Zwölfter Brief nach Triest. (Briefe nach Triest, 14.)
Deine Achselhöhlen, Geliebte ...
Arbeitswohnung, den 1. Dezember 2014,
Montag, 6.01 Uhr,
Dieter Ilg, Otello,
Montag, 6.01 Uhr,
Dieter Ilg, Otello,
(ein eleganter ruhiger Jazz heute früh, Baß, Klavier, Schlagzeug; ich schrieb >>>> in der FAZ darüber; vorgestern steckte im Briefkasten Ilgs neue CD, wohl, damit ich auch diese bespräche. Das will ich, Liebste, gerne tun. Allerdings brauchte ich dazu auch noch Ilgs Wagner-Arbeit: Du weißt, wie gerne ich Zusammenhänge höre, wie ich auf sie angewiesen bin, selber, um ästhetisch arbeiten zu können; nichts steht für sich allein) -
Deine Achselhöhlen, Schönste. Mit ihnen schloß ich gestern, quasi, den Brief, obwohl es nur um e i n e Deiner beiden geht, die - nun muß ich schon, zur Selbstvergewisserung, mein Erinnern beginnt zu verschwimmen, glaubst Du‘s? muß das Foto öffnen, das Du mir geschickt hast, damals... - „damals“! ist denn das zu fassen? - …
- rechte. Man kann nicht in zwei Kapellen zugleich sein, aber ich kann‘s in einer, Lenz in der andren. Daher meine Erinnerung an die Grottenkapelle, als wir dort unten waren, Sgonico, Du weißt schon, links, daher meine Verwirrung. Lenz aber rechts. (Das meine ich trotz seines Berufs nicht politisch: Ich bin nicht Jessir, noch bin ich, den die Nordallianz exekutiert hat, Volker. Aber auch Jessir könnte, à la Oliver Stone, erschossen werden, oder er kommt während eines mysteriösen Verkehrsunfalls um, und die Behörden stochern träge im Nebel, als ob sie lichten gar nichts wollten. Das aber freilich erst, nachdem die Lydierin und Lenz schon lange wieder getrennt sind; er liest davon in der Zeitung. Vielleicht nimmt sich die Liebesgeschichte dann wieder auf. Nein, unwahrscheinlich. Dann sogar erst recht nicht.)
In Deiner Achselhöhle schlief ich gestern ein und wachte heute aus ihr auf, die kaum eine Handvoll Hemdchen zwischen links den Kieferknochen und meinen Hals geschoben. Ich kann, Du weißt, nicht schlafen, wenn etwas mein Gesicht bedeckt, ertrage nicht einmal geschlossene Fenster, egal, ob‘s Winter draußen ist. Doch mit Deiner Achselhöhle geht es. Nur muß sie wirklich da sein. Ach Sìdhe, sie fehlt mir so! Doch schau nur, dort, die Tür! Man kann sie auf dem Foto wirklich sehen, gleich unterm gliedrigen Ansatz Deines Bizeps. Du hältst den rechten Arm in Spannung, abgewinkelt im Ellenbogen, dessen Außenkuppe hochsteht (gute Komposition, dieses Bild), und Dein sich zur Handwurzel, die schon nicht mehr zu sehen, verjüngende Unterarm führt die Hand hinter Dein Haar; dort scheinst Du den Kopf zu umfassen. (Wie gern Du meinen faßtest! Alle Frauen, wenn sie küssen, tun das gern; wohl Männer aber a u c h.)
So wird, als sie, die Lydierin und Lenz, die Absperrung überklettert haben, der Boden unversehens weich. Man merkt das nicht gleich, weil der Tropfhöhlenfels nicht nur der Feuchtigkeit halber glitschig ist, sondern hier und dort gibt es einfache Formen von Moosen, Flechten, nicht natürlicherweise, nein, sondern die Besucher bringen sie als Sporen an ihrer Kleidung mit in die Höhle. Für die Forschung ist das ein Problem. Besonders an den künstlich beleuchteten, ja angestrahlten Stellen fassen diese Sporen Wurzel. In reiner Dunkelheit gediehe hier wohl nichts. Du selbst rasierst sie freilich weg. Derart menschlich ist die Grotte geworden, durchglitzert wie ein Weltraumhafen oder nachts die Fabrik auf der anderen Seite der Elbe: unterm kosmischen Sterngewimmel wimmelnde irdische Sterne, darinnen versteckt die Kapelle. Ver- und geborgen.
Siehst Du, wie früh ich wieder aufgestanden bin? Halb sechs, das ist doch endlich was! Latte macchiato, Morgenpfeife, gleich der erste Morgencigarillo. Wahrscheinlich habe ich von der Achselkapelle auch geträumt: So sehr will alles mein Ich in den Roman. Der hellste produktive Wahnsinn. Du, Sìdhe, hast ihn ausgelöst. Dabei habe ich doch grade erst ein Buch abgeschlossen, wie kann denn das gehen? und es im selben Jahr, diesem, erst begonnen... - Trotzdem, trotzdem nun Sgonicos Grotte bei Triest und unser Liebespaar darin. Nur noch entfernt, längst in der Höhe, die anderen Stimmen, nah nur der glitschige Fels... glaubst Du‘s? - : als ob es wieder wärmer würde! So tief unten in der Erde! Ein leichter, von letztem Parfum überwehter Duft nach Schweiß, der glatte Fels von einem (Dein eigenes Wort!) Film überzogen: dunkle Schokolade, Bitterorange, Vanille, tropische Hölzer. Guarda, amata, come sorriso perchè! - Bleib so, ruft der Maler seinem Modell zu, rühr dich auf gar keinen Fall! Und zieht das zugespitzte Haar seines Pinsels Deinen halben schmalen Unterarm entlang bis zu jener Stelle, auf die er in Deine Achselhöhle diese Tür malt. „Folge mir, Geliebter“, sagt die Lydierin. Ich tat es und schlief ein. Als ich wieder erwachte, waren, nach dieser einen einzigen Nacht, auf Erden sieben Jahre vergangen.
Selbstverständlich wurde nach den beiden gesucht, ihr Verschwinden spätestens dann bemerkt, als man oben die gelben Schutzhelme wieder abgeben mußte, ohne die man hinunter nicht darf. „Aber da fehlen doch zwei!“ Hastiger, auch schon aufgeregter Austausch, ob jemanden wen vermisse. Nein, die Gruppe war zusammengewürfelt. Der Führer steigt wieder ab, ruft und ruft. Soll man die Polizei informieren? Aber vielleicht sind die beiden auf eigene Faust nach oben gestiegen und längst schon wieder weg. Man hat mit Touristen schon anderes erlebt. Abwarten also, allein der Papierkram! - un‘sigaretta, un cafè? („se ne zgodi nič“: ‘s wird schon nichts passiert sein).
[7.45 Uhr,
Brad Mehldau, Knive is out (Day is Done],
‘s wird wohl ein Jazztag werden.]
Bitte? Ja selbstverständlich ist dieser Roman die Verarbeitung einer Trennung... was sag ich! einer kaputtgegangenen Liebe. Wie lange, fragst Du, denn unsre wohl bestanden habe? Kommt es, Nahe, darauf an? Das weißt Du doch, wie manche Zeiten sich komprimieren: in solche Tage passen Jahre. Andre gehen in Sekunden vorüber, und wir fragen uns, wo sind die M o n a t e geblieben? Schon w i e d e r Weihnachten, es ist nicht zu fassen! Und haben gar nicht gelebt, oder nur wenig. Deshalb, Geliebte, stimmt dieses Bild von den sieben Jahren so sehr. Ich habe es ebenso wenig zufällig gewählt, wie das Buch zufällig aus dem Regal fiel, Du weißt schon, Arrowsmiths gestern. Und nun soll, „diskretionshalber“ etwa, ein Dichter diese sieben Jahre wie all die Monate behandeln, die man nicht gemerkt hat? Einen Strich durch sie machen, als wäre nichts geschehen als ein, sagen wir, „Ausrutscher“? Und wissen doch beide, daß es keiner war? sondern war Erkennen, biblisch? Αἰαιαη oder Die Erleuchtung: Nein, ich habe diese Fährte – eine alte – in diesen Briefen nie verlassen, für keine Zeile und keinen Moment. Erst, wenn die Skulptur, m e i n e >>>> Amphritite, vollendet ist, werde ich sie auf- und damit wegstellen können, um mich von ihr zu lösen. Danach werde ich von Dir wieder frei sein und offen, hoff ich, für Neues und Neue. (Noch hoff ich‘s aber n i c h t, sondern halte; anders ist das Buch nicht zu schreiben. Nur Replikanten können aus der Leere schreiben: leere Romane des Uneigentlichen. Solch eine Liebe legt, wie unsre, nicht einfach zur Seite und ab, wer ein Mensch ist; Du selbst, mein Herz, weißt das am allerbesten.)
An Amphritites Bild, übrigens, läßt sich gut erkennen, weshalb Lenz später solche Schwierigkeiten hat, sich an die Haarfarbe seiner Geliebten zu erinnern. Für die Lydierin würden wir wohl sagen, sie war dunkel, schon herkunftshalber. Dazu indes, ich bitte Dich!, diese helle Haut. Eine wirklich unglaubliche genetische Mischung. Auch daher meine Fassungslosigkeit, die mich Dir verfallen ließ. Ja selbstverständlich such ich jetzt nach Gründen, den meinen wie den Deinen. Und manchmal, es hilft nichts, muß das Skalpell her, mit dem mein Schnitter-Ich sich doch auch selber schneidet. An die Kapellen Deiner Achseln kommt aber nur der Pinsel. Erinnerst Dich, wie wir über >>>> La belle Noiseuse gesprochen haben? („Alles hat ein Ende“, mailt mir Ebay soeben. Faßt man‘s?) Wäre ich Maler, ich hätte viel größere Probleme, Dich unkenntlich zu machen. „Ich will nicht, daß du mich malst!“ Dann aber, wenige Zeilen danach: „Ich verbiete dir nichts. Was du malen willst, malst du.“ Und sogar, „es ist gut.“ Ich kann aber nicht schon wieder den Mann einen Bildenden Künstler sein lassen, frei nach Dumas: Fichte Oder Zwölf Jahre später. Ich halt mich an Nabokov diesmal, halte mich, mehr noch, an mich.
Selbstverständlich wurde nach den beiden gesucht, ihr Verschwinden spätestens dann bemerkt, als man oben die gelben Schutzhelme wieder abgeben mußte, ohne die man hinunter nicht darf. „Aber da fehlen doch zwei!“ Hastiger, auch schon aufgeregter Austausch, ob jemanden wen vermisse. Nein, die Gruppe war zusammengewürfelt. Der Führer steigt wieder ab, ruft und ruft. Soll man die Polizei informieren? Aber vielleicht sind die beiden auf eigene Faust nach oben gestiegen und längst schon wieder weg. Man hat mit Touristen schon anderes erlebt. Abwarten also, allein der Papierkram! - un‘sigaretta, un cafè? („se ne zgodi nič“: ‘s wird schon nichts passiert sein).
[7.45 Uhr,
Brad Mehldau, Knive is out (Day is Done],
‘s wird wohl ein Jazztag werden.]
Bitte? Ja selbstverständlich ist dieser Roman die Verarbeitung einer Trennung... was sag ich! einer kaputtgegangenen Liebe. Wie lange, fragst Du, denn unsre wohl bestanden habe? Kommt es, Nahe, darauf an? Das weißt Du doch, wie manche Zeiten sich komprimieren: in solche Tage passen Jahre. Andre gehen in Sekunden vorüber, und wir fragen uns, wo sind die M o n a t e geblieben? Schon w i e d e r Weihnachten, es ist nicht zu fassen! Und haben gar nicht gelebt, oder nur wenig. Deshalb, Geliebte, stimmt dieses Bild von den sieben Jahren so sehr. Ich habe es ebenso wenig zufällig gewählt, wie das Buch zufällig aus dem Regal fiel, Du weißt schon, Arrowsmiths gestern. Und nun soll, „diskretionshalber“ etwa, ein Dichter diese sieben Jahre wie all die Monate behandeln, die man nicht gemerkt hat? Einen Strich durch sie machen, als wäre nichts geschehen als ein, sagen wir, „Ausrutscher“? Und wissen doch beide, daß es keiner war? sondern war Erkennen, biblisch? Αἰαιαη oder Die Erleuchtung: Nein, ich habe diese Fährte – eine alte – in diesen Briefen nie verlassen, für keine Zeile und keinen Moment. Erst, wenn die Skulptur, m e i n e >>>> Amphritite, vollendet ist, werde ich sie auf- und damit wegstellen können, um mich von ihr zu lösen. Danach werde ich von Dir wieder frei sein und offen, hoff ich, für Neues und Neue. (Noch hoff ich‘s aber n i c h t, sondern halte; anders ist das Buch nicht zu schreiben. Nur Replikanten können aus der Leere schreiben: leere Romane des Uneigentlichen. Solch eine Liebe legt, wie unsre, nicht einfach zur Seite und ab, wer ein Mensch ist; Du selbst, mein Herz, weißt das am allerbesten.)
An Amphritites Bild, übrigens, läßt sich gut erkennen, weshalb Lenz später solche Schwierigkeiten hat, sich an die Haarfarbe seiner Geliebten zu erinnern. Für die Lydierin würden wir wohl sagen, sie war dunkel, schon herkunftshalber. Dazu indes, ich bitte Dich!, diese helle Haut. Eine wirklich unglaubliche genetische Mischung. Auch daher meine Fassungslosigkeit, die mich Dir verfallen ließ. Ja selbstverständlich such ich jetzt nach Gründen, den meinen wie den Deinen. Und manchmal, es hilft nichts, muß das Skalpell her, mit dem mein Schnitter-Ich sich doch auch selber schneidet. An die Kapellen Deiner Achseln kommt aber nur der Pinsel. Erinnerst Dich, wie wir über >>>> La belle Noiseuse gesprochen haben? („Alles hat ein Ende“, mailt mir Ebay soeben. Faßt man‘s?) Wäre ich Maler, ich hätte viel größere Probleme, Dich unkenntlich zu machen. „Ich will nicht, daß du mich malst!“ Dann aber, wenige Zeilen danach: „Ich verbiete dir nichts. Was du malen willst, malst du.“ Und sogar, „es ist gut.“ Ich kann aber nicht schon wieder den Mann einen Bildenden Künstler sein lassen, frei nach Dumas: Fichte Oder Zwölf Jahre später. Ich halt mich an Nabokov diesmal, halte mich, mehr noch, an mich.
[Michael Mantler, Cerco un paese innocente.]
Die Tür endlich öffnen. Lenz tritt in die Achselhöhle ein. Denn wirklich sieht dieses abgelegene Grottenende nach einer Kapelle aus. Unter den Fresken ihrer Wölbung gibt es sogar einen Tropfsteinaltar. Die Tür führt, nehme ich aber erst nachträglich an, in eine Sakristei, links und rechts Michelangelo, die Finger berühren den Eingang, nicht sich, das scheint mir von Bedeutung zu sein. (Wir beide, aber es ist wohl unnötig, das zu erzählen, sind keineswegs, als wir die Grotte besucht haben, über die Absperrung geklettert, haben diese Kapelle also nicht wirklich gesehen. Doch erinnre Dich, Geliebte, Dich, daß ich da schon so eine Idee hatte, jener gar nicht unähnlich, die seinerzeit zu meinem >>>> San-Michele-Hörstück geführt hat. Wir haben es hier gemeinsam gehört. Du warst davon verzaubert. Und lehnst vielleicht, so beginne ich zu ahnen, mich unterdessen mit derselben Kraft ab, die Dich an mich gezogen hat: Das wäre allein ihre logische Kehre. Indes b e h a r r t die meine: bis Amphritite steht.)
Blutwolken, fließend. Wärme. Lenz strömt mit. Er liegt dabei, und etwas - ist das denn sie? - hockt gebeugt auf ihm, herunter auf ihn gebeugt, seine Mitte. Man hört Schritte durch den Korridor des Hauses gehen, von dem die Höhle nur das matte Glas eines Fensters trennt. Man hört auch hallende Stimmen. Aber das ist nur der Höhlenführer, der nach den beiden ruft und sie nicht finden kann. Sie strömen zu Deinem Herzen, er konzentriert auf die Hoden, i s t schon nur noch sie. Und schreit. Zittert minutenlang, so in Dich geflutet. Alles, inseits ihrer glattrasierten Haut, in der Kapelle Deiner Achsel. Minuten oder Stunden. Sieben Jahre sind es schließlich. An einer ganz anderen Stelle Deines Körpers kommen sie wieder heraus: Voyage au centre de la femme, 1864. Der Stromboli, 2006. Ich hab Dir >>>> die Aeolia ja gelesen, als ich zum ersten Mal bei Dir in Triest war. Auch dieses Buch hast Du geliebt. So geht das nun alles zusammen. Sag, wirfst Du meine Spuren weg wie mich? Stellst sie zumindest weg, damit nicht er sich quält? Weil solche Nähe war. Blutwolken, fließend. Wie ich Dich ausgeleuchtet habe! nein, nicht ich, mein Geist nicht, sondern allein die Lampe des Geschlechts, „Organ“ kommt von „Werkzeug“, wußtest Du‘s? Sinnenwerkzeug: erigierte Taschenlampe. So die Wölbung schon, der Achselkapelle. Ich seh die Schleimhaut bewegt wie das Meer. So tief ist Lenz unter die Wellen getaucht, die die Lydierin ist! Wir können nicht einmal sagen: in seine F r a u – weil selbst unser „Du...“ „Du...“ „D u..!“ in etwas Eines schmilzt, das Grenzen nicht mehr kennt, nicht einmal Körpergrenzen. Sieben Jahre, stell‘s Dir nur vor, doch draußen sind fünf Wochen vergangen, als sie aus dem, >>>> schrieb die Löwin, Berg ihres Verschlungenseins wieder herauskamen, Lenz und die Liebste, die es nun nicht mehr ist und nie wieder, weiß er, würde. Sie klopft sich den Schmutz aus den Kleidern. „Danke“, sagt sie, „das war schön.“ Läßt ihn aber stehen, steigt in ihr Cabrio und fährt Richtung Triest davon. Hilflos lange sieht er ihr nach, wie sie ihre Sachen – Laptop, Handgepäck, Jacke, die Uhr, ein bißchen Schmuck – auf das Sicherheitsband legt. (Es wär jetzt sehr literarisch, liefe er nachher herum auf dem Karst und fände dabei dieses Grenzhäuschen. So war es aber nicht. Slovenien ist zu Fuß denn doch noch etwas weit entfernt. Trotzdem habe ich mich auf dem kleinen Tegeler Flughafen aus lauter Verwirrtheit verlaufen. Wie da ich, nimmt dort nun Lenz den Bus, er der Lydierin in die Stadt nach, ich Richtung Prenzlauer Berg. Aber fühlen tun wir ganz dasselbe.)
Schon einen Tag darauf ist Lenz erstmal wieder in Zürich. Er hat versucht, sie anzurufen. Sie ist nicht rangegangen. Auch auf seine SMSe gibt sie keine Antwort, und Skype läßt sie geschlossen. Dennoch ist für ihn, anders als für mich, diese Liebe noch lange nicht am Ende. Es hat sich nur schon angekündigt. Weil er nicht in ihr kam, nur in sie hinein. Weil er, anstatt zu tun, gefragt hatte, selbst in der Achselhöhle noch. „Wo hättest du gern..?“ Tatsächlich, er fragte, dieser schwache Mann. Heut schlägt er sich aufs Maul dafür. (Jeden Tag, Geliebte, mehrfach. Wirst Du verzeihen können? Doch wenn, selbst dann, was hilft‘s?)
Achselkapellen, darinnen Dein Blut. Das andere jedoch, das hab ich n i e geschmeckt. Verstehst Du, meine Sìdhe? Ich hab doch die Ferne ganz selber gesetzt!
Alban, verzweifelt.
Doch ruhig bin ich, Herz. Du spürst es, glaub ich, wie.
*
(15.14 Uhr,
Baldich & Hermann, The New Tradition,
Espresso.)
Abermals nicht zum Sport. Antriebslosigkeit. Aber ich muß auch auf den Anruf meiner Redakteurin warten, die noch einmal das Kreuzfahrt-Typoskript mit mir durchsprechen will. Immerhin habe ich einem Verlag heute schon den Roman angeboten, noch aber nicht viel erzählt. Ich möchte, Innigste, erst einmal die, sagen wir, prinzipielle Reaktion abwarten: inwieweit von mir ein Buch da überhaupt Thema, zumal ein so nahes, bei dem allewelt wieder die Luft zwischen den Zähnen einzieht. Schon, daß ich in diesem neuen Text den Briefautor so nahe an mir selbst lasse, fordert die Zeitläuft‘ heraus. Das wohl ist die tatsächliche Provokation. Und daß ich das auch noch reflektiere, als einen Teil des Romans, anstatt fein bürgerlich zu umnebeln, wie alles, alles seinen Grund hat. Doch laß nur, Geliebte, erstmal das Traumschiff heraus sein! Da wird sich manches drehen, wenn wir nur klug taktieren, Dein Du in mir, ich selbst und selbstverständlich der Verlag; der sogar vor allem. Noch wart ich da aufs letzte Zeichen.
Wie weit nun schon dieses Buch von mir weg ist! Ich bin doch so im Fieber gewesen... vor Deiner, Liebste, Zeit. Dabei... nicht einen Monat... - Wie kann man das begreifen? Daß sich von mir nach nichts einfach die Welt so umschlägt. Noch auf der Buchmesse bin ich auf meinem Roman, der dauernd hopste, huckepack herumgelaufen. Und dann genügt ein einziger Blick, um mich von den Schienen zu werfen, und Dich doch anfangs beinahe auch. Doch bliebst Du auf den Schienen. Du bist wohl, Nahe, so viel schwerer? Ich fühl mich wie ein Rauch, der fasert. Erdlos ungeerdet weht er auf. Schon ist da kaum mehr Geruch.
Lassen sich aus purer Luft Figuren schlagen, Statuen? Sie hätten, etwa gegenüber Marmor, immerhin den Vorteil, daß sie beweglich sind. (Vielleicht schleppe ich deshalb lieber Kohle aus dem Keller, als eine Heizung anzudrehen; vielleicht knete ich deshalb fast besessen Teig für Brot: um mir physisch einzuholen, was mir psychisch fehlt. Der Sport aber, momentan, kommt mir sinnlos vor: für wen? Statt dessen habe ich eben wieder geschlafen, und abermals zu lange. Doch es gelang mir, die Miete zu bezahlen, die Krankenkasse, Telefon und DSL. Tatsächlich. All das noch heute morgen. Fast hätt ich selbst, wär mir nach Spott, gestaunt. Liebe, Liebe, was denn ist das? Das lange Schlafen mittags tut mir nicht gut, aber es erlöst mich. Lenz, statt dessen, wird zum Bauern. Nein, Du irrst: Er kehrt in seine Welt nicht zurück, sondern wird sich sogar, möglicherweise, engagieren. Kunst als ein Weg steht ihm nicht offen.)
Natürlich hätten bei „Grotte“ viele an etwas anderes als ausgerechnet Achselhöhlen gedacht. Ich sah sie aber sofort, damals, als wir hinabgestiegen sind. An einer der Figuren gab es, im Halblicht, genau ihre Form. Nur deshalb konnte ich das alles jetzt erzählen. Ich hab die Stelle sogar fotografiert. Da hast Du aufgelacht. „Du bist wirklich ein Phantast“, und lachtest abermals. Doch dann: „Komm, zeig mal!“ --- „Ach dafür, dafür..!“ küßtest Du mich. Ich liebe dich aber, das hast Du n i e zu mir gesagt, statt dessen immer „Du!“ Und immer auch gewarnt: Ich hafte, wo ich bin. So kann Dich gar kein Vorwurf treffen – ach Schönste, „Vorwurf“ nun sowieso nicht. Wir sprechen nicht über Moral, allenfalls übers Verhängnis. Denn r u h e n, ruhen k o n n t e s t Du bei mir, und Du tatst es. („Ihr hattet viel zu wenig Zeit“: Berlin-Triest, mein Fluch – selbst jetzt noch, über das Ende hinaus.)
Skype ist immer offen. Deins ist immer zu. Nicht daß Du flüchtest, bewahre! Doch flohst unser Blicken und fliehst es? So ganz, mein Herz, wie Du recht hast. Wo denn ruhst Du n u n und darfst es, ohne daß Du – nicht mein Wort – betrügst?
A.
(16.35 Uhr.)
*
Blutwolken, fließend. Wärme. Lenz strömt mit. Er liegt dabei, und etwas - ist das denn sie? - hockt gebeugt auf ihm, herunter auf ihn gebeugt, seine Mitte. Man hört Schritte durch den Korridor des Hauses gehen, von dem die Höhle nur das matte Glas eines Fensters trennt. Man hört auch hallende Stimmen. Aber das ist nur der Höhlenführer, der nach den beiden ruft und sie nicht finden kann. Sie strömen zu Deinem Herzen, er konzentriert auf die Hoden, i s t schon nur noch sie. Und schreit. Zittert minutenlang, so in Dich geflutet. Alles, inseits ihrer glattrasierten Haut, in der Kapelle Deiner Achsel. Minuten oder Stunden. Sieben Jahre sind es schließlich. An einer ganz anderen Stelle Deines Körpers kommen sie wieder heraus: Voyage au centre de la femme, 1864. Der Stromboli, 2006. Ich hab Dir >>>> die Aeolia ja gelesen, als ich zum ersten Mal bei Dir in Triest war. Auch dieses Buch hast Du geliebt. So geht das nun alles zusammen. Sag, wirfst Du meine Spuren weg wie mich? Stellst sie zumindest weg, damit nicht er sich quält? Weil solche Nähe war. Blutwolken, fließend. Wie ich Dich ausgeleuchtet habe! nein, nicht ich, mein Geist nicht, sondern allein die Lampe des Geschlechts, „Organ“ kommt von „Werkzeug“, wußtest Du‘s? Sinnenwerkzeug: erigierte Taschenlampe. So die Wölbung schon, der Achselkapelle. Ich seh die Schleimhaut bewegt wie das Meer. So tief ist Lenz unter die Wellen getaucht, die die Lydierin ist! Wir können nicht einmal sagen: in seine F r a u – weil selbst unser „Du...“ „Du...“ „D u..!“ in etwas Eines schmilzt, das Grenzen nicht mehr kennt, nicht einmal Körpergrenzen. Sieben Jahre, stell‘s Dir nur vor, doch draußen sind fünf Wochen vergangen, als sie aus dem, >>>> schrieb die Löwin, Berg ihres Verschlungenseins wieder herauskamen, Lenz und die Liebste, die es nun nicht mehr ist und nie wieder, weiß er, würde. Sie klopft sich den Schmutz aus den Kleidern. „Danke“, sagt sie, „das war schön.“ Läßt ihn aber stehen, steigt in ihr Cabrio und fährt Richtung Triest davon. Hilflos lange sieht er ihr nach, wie sie ihre Sachen – Laptop, Handgepäck, Jacke, die Uhr, ein bißchen Schmuck – auf das Sicherheitsband legt. (Es wär jetzt sehr literarisch, liefe er nachher herum auf dem Karst und fände dabei dieses Grenzhäuschen. So war es aber nicht. Slovenien ist zu Fuß denn doch noch etwas weit entfernt. Trotzdem habe ich mich auf dem kleinen Tegeler Flughafen aus lauter Verwirrtheit verlaufen. Wie da ich, nimmt dort nun Lenz den Bus, er der Lydierin in die Stadt nach, ich Richtung Prenzlauer Berg. Aber fühlen tun wir ganz dasselbe.)
Schon einen Tag darauf ist Lenz erstmal wieder in Zürich. Er hat versucht, sie anzurufen. Sie ist nicht rangegangen. Auch auf seine SMSe gibt sie keine Antwort, und Skype läßt sie geschlossen. Dennoch ist für ihn, anders als für mich, diese Liebe noch lange nicht am Ende. Es hat sich nur schon angekündigt. Weil er nicht in ihr kam, nur in sie hinein. Weil er, anstatt zu tun, gefragt hatte, selbst in der Achselhöhle noch. „Wo hättest du gern..?“ Tatsächlich, er fragte, dieser schwache Mann. Heut schlägt er sich aufs Maul dafür. (Jeden Tag, Geliebte, mehrfach. Wirst Du verzeihen können? Doch wenn, selbst dann, was hilft‘s?)
Achselkapellen, darinnen Dein Blut. Das andere jedoch, das hab ich n i e geschmeckt. Verstehst Du, meine Sìdhe? Ich hab doch die Ferne ganz selber gesetzt!
Alban, verzweifelt.
Doch ruhig bin ich, Herz. Du spürst es, glaub ich, wie.
[Brugge & Henning, Last Spring.
10.31 Uhr.]
10.31 Uhr.]
(15.14 Uhr,
Baldich & Hermann, The New Tradition,
Espresso.)
Abermals nicht zum Sport. Antriebslosigkeit. Aber ich muß auch auf den Anruf meiner Redakteurin warten, die noch einmal das Kreuzfahrt-Typoskript mit mir durchsprechen will. Immerhin habe ich einem Verlag heute schon den Roman angeboten, noch aber nicht viel erzählt. Ich möchte, Innigste, erst einmal die, sagen wir, prinzipielle Reaktion abwarten: inwieweit von mir ein Buch da überhaupt Thema, zumal ein so nahes, bei dem allewelt wieder die Luft zwischen den Zähnen einzieht. Schon, daß ich in diesem neuen Text den Briefautor so nahe an mir selbst lasse, fordert die Zeitläuft‘ heraus. Das wohl ist die tatsächliche Provokation. Und daß ich das auch noch reflektiere, als einen Teil des Romans, anstatt fein bürgerlich zu umnebeln, wie alles, alles seinen Grund hat. Doch laß nur, Geliebte, erstmal das Traumschiff heraus sein! Da wird sich manches drehen, wenn wir nur klug taktieren, Dein Du in mir, ich selbst und selbstverständlich der Verlag; der sogar vor allem. Noch wart ich da aufs letzte Zeichen.
Wie weit nun schon dieses Buch von mir weg ist! Ich bin doch so im Fieber gewesen... vor Deiner, Liebste, Zeit. Dabei... nicht einen Monat... - Wie kann man das begreifen? Daß sich von mir nach nichts einfach die Welt so umschlägt. Noch auf der Buchmesse bin ich auf meinem Roman, der dauernd hopste, huckepack herumgelaufen. Und dann genügt ein einziger Blick, um mich von den Schienen zu werfen, und Dich doch anfangs beinahe auch. Doch bliebst Du auf den Schienen. Du bist wohl, Nahe, so viel schwerer? Ich fühl mich wie ein Rauch, der fasert. Erdlos ungeerdet weht er auf. Schon ist da kaum mehr Geruch.
Lassen sich aus purer Luft Figuren schlagen, Statuen? Sie hätten, etwa gegenüber Marmor, immerhin den Vorteil, daß sie beweglich sind. (Vielleicht schleppe ich deshalb lieber Kohle aus dem Keller, als eine Heizung anzudrehen; vielleicht knete ich deshalb fast besessen Teig für Brot: um mir physisch einzuholen, was mir psychisch fehlt. Der Sport aber, momentan, kommt mir sinnlos vor: für wen? Statt dessen habe ich eben wieder geschlafen, und abermals zu lange. Doch es gelang mir, die Miete zu bezahlen, die Krankenkasse, Telefon und DSL. Tatsächlich. All das noch heute morgen. Fast hätt ich selbst, wär mir nach Spott, gestaunt. Liebe, Liebe, was denn ist das? Das lange Schlafen mittags tut mir nicht gut, aber es erlöst mich. Lenz, statt dessen, wird zum Bauern. Nein, Du irrst: Er kehrt in seine Welt nicht zurück, sondern wird sich sogar, möglicherweise, engagieren. Kunst als ein Weg steht ihm nicht offen.)
Natürlich hätten bei „Grotte“ viele an etwas anderes als ausgerechnet Achselhöhlen gedacht. Ich sah sie aber sofort, damals, als wir hinabgestiegen sind. An einer der Figuren gab es, im Halblicht, genau ihre Form. Nur deshalb konnte ich das alles jetzt erzählen. Ich hab die Stelle sogar fotografiert. Da hast Du aufgelacht. „Du bist wirklich ein Phantast“, und lachtest abermals. Doch dann: „Komm, zeig mal!“ --- „Ach dafür, dafür..!“ küßtest Du mich. Ich liebe dich aber, das hast Du n i e zu mir gesagt, statt dessen immer „Du!“ Und immer auch gewarnt: Ich hafte, wo ich bin. So kann Dich gar kein Vorwurf treffen – ach Schönste, „Vorwurf“ nun sowieso nicht. Wir sprechen nicht über Moral, allenfalls übers Verhängnis. Denn r u h e n, ruhen k o n n t e s t Du bei mir, und Du tatst es. („Ihr hattet viel zu wenig Zeit“: Berlin-Triest, mein Fluch – selbst jetzt noch, über das Ende hinaus.)
Skype ist immer offen. Deins ist immer zu. Nicht daß Du flüchtest, bewahre! Doch flohst unser Blicken und fliehst es? So ganz, mein Herz, wie Du recht hast. Wo denn ruhst Du n u n und darfst es, ohne daß Du – nicht mein Wort – betrügst?
A.
(16.35 Uhr.)
albannikolaiherbst - Montag, 1. Dezember 2014, 16:42- Rubrik: Arbeitsjournal
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