Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
________________________________


 

Gegen die Egalität.


„Der kocht auch nur mit Wasser.“
„Nein.“
„Nein?“
Schweigen.
„Nein.“
Schweigen.
„Der da kocht mit Blut.“


(LXXXXII).

Der kleine Junge ist zurück. Vaterliebe (2).

Und hält bei den Fiktionären einen Mittagsschlaf, dessen Träume auf Mozarts Klaviersonaten wie auf Wellen reiten.

adrian 011004

Interessanter Eintrag im Buchclub.

"Nichtmädchen" möchte meine Bücher nicht lesen, weil:

zu poetische sprache... nicht meins.
Weshalb liest man Romane, wenn nicht eben w e g e n der Sprache? Was ist ein literarisches Kunstwerk, wenn ihm die Poesie fehlt?


[Ich wittere hier etwas Wichtiges. Es könnte den Pop erklären. Könnte Konsalik und Pilcher erklären. Könnte auch Hollywood erklären. Und das abgeschnittene Ohr van Goghs.]

Alles tragische Geschehen ist allegorisch. Isabella Maria Vergana (11).

Es m e i n t nie, die es betrifft. Sondern realisiert wieder und wieder ein Muster. Das zieht sich durch beinahe sämtliche Lebensgeschichten und hebt das Individuelle auf. D e s h a l b ist der Erzähler am Ende der „Vergana“ stolz. Auch, wenn sie umkam und er sich nur knapp davonretten konnte.

(LXXXXIII).

Liebeswort, kybernetisch.

Schlafen Sie, Königin, schafen Sie. Auch ich wäre gern bei Ihnen. Obwohl ich weiß, daß selbst dies hier --- ins Netz gesprochen ist.

Anthropologie des Internets.

Auch das sind Die Dschungel. Dem unter anderem dienen die heruntergeladenen und veröffentlichten Chats. Es ist eine Erhebung über u n s. Denn das Netz ist ein Spiegel innerer Zustände... eines anthropologischen Allgemeinzustands nämlich, der gerade im Begriff ist, sich zu verdinglichen. Die Dschungel beschreiben Körper, die sich so sehr verloren, daß sie sich nur noch in der Auflösung zu fassen versuchen.
Und der Geist ist von geradezu unglaublicher Banalität. In den Chats. In den Blogs. Meist. Man möchte weinen über diesen Befund einer entsetzlichen Sentimentalität .

[Ausformen zu einem weiteren Kapitel der „Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens“.]

Immerhin.

Es wird bemerkt, worum es - unter vielem anderen - geht. T r o t z der poetischen Sprache, die den Profanen nicht mehr zeitgemäß zu sein scheint, weil sie den Boden verloren - und es unerträglich finden, daß einer den Verlust b e s i n g t. Der Gewinn ist ein Messer, das auch mit dem Heft schneiden kann. Und immer wieder schnitt.

Die Realität, von außen in die Seele gespiegelt. Der Sanfte. (6).

Veränderungen.
Vergehen.

der sanfte 7 draht
Neuerlich fotografiere ich das kleine Stück Brachland. Ein buckliger, sehr kleiner Alter kommt von der Straße heran. Schaut mir ins Gesicht.
"Ist er da?" fragt er, als wüßte er, wem ich nachspüre.
"Nein", sage ich.

der sanfte 81Er hebt das Blechgatter an, verschwindet im Gestrüpp.

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5 <<<<

Der Sanfte (5).

Und wieder stehe ich in der Brache und frage. Einen Jungen von vielleicht zwölf. Verschmutzt hat er die Garagentür zur Seite gehoben. Sieht mich mit der Kamera. Er ist nicht mißtrauisch, nur ambivalent.
"Wohnst du hier?" frage ich.
Er zögert kurz. Dann:
"Nein. Das ist nur der Clubraum."
Er weiß nichts mehr von dem Sanften. Die Kinder haben die obdachlosen Säufer vertrieben. Braunschweig drängt in mir hoch. Hier war das Mittelalter ewig.
"Du mußt keine Angst haben", sage ich. "Ich fotografiere, weil ich eine Geschichte schreibe."
Er sieht mich nur an, nahezu regungslos. Sieht mir stumm mach, als ich gehe.

>>>> 6
4 <<<<

Innere Realität, von außen in die Seele gespiegelt.

innere realitt 2innere realitt 3innere realitt 4innere realitt 5innere realitt 6

"Fantastische Räume".

Bei herbst & deters fiktionäre unter "Essays" eingestellt. Die kleine Arbeit wird Grundlage eines längeren Aufsatzes über Fantastische Literatur werden, um den ich für das Jubiläumsheft der HOREN gebeten "wurde.

Lezama Lima. Unsichtbare Ären.

Bei
trschild

zum Herunterladen: Ein Hör- und paradiesisches Schmerzens-Spiel über José Lezama Lima und das amerikanische Barock.

Sämtliche Beiträge zur Rubrik "Chats".

Werden fortan nur noch da und nicht mehr auf der Hauptseite geführt. So kann, wer mag, die "Feldforschungs"-Originale d o r t lesen. Auf die Hauptseite werden Die Dschungel dann nur die Folgerungen stellen.

Der Vielen jauchzendes Glück nährt sich aus der Einzelnen Not.

Blinzeln. Es hatte geregnet, hat geregnet, die ganze Nacht hindurch, und ich wußte – sie wußte – nicht mehr, wo sie war. Angekommen als eine andere, gestern, vor einem Jahr? Nicht länger Mutter. Nur noch Flucht. Immer diese Tropfen, säuselig, seltsam dichtsüß, etwas, das mich verspinnen ließ. Geschlafen im Kokon, gewiegt. Ich weiß nicht mehr, wie ich hineinfiel, wollte vergessen. Ich hörte Stimmen, die streichelnde Hände, die selber Mutterhände waren. Ich hätte mißtrauischer bleiben müssen. Gegen sie, gegen mich. Ich war gelaufen, erinner mich, weggelaufen, weitergelaufen, meine Kinder waren schon tot.
Es ist lange her, daß ich lief, eine Wiese, eine Höhe, ich erinner mich nicht. Kein Wald mehr. Ich war von festen Böden, über Steine in eine Öffnung gelaufen, hinter der es nicht Boden mehr gab, nicht Decke, nicht Seiten, nicht Richtung. Wo also liege ich hier? Sucht man mich noch? - Ein Jubelschrei, so kam es mir vor, als sie meinen Unterschlupf entdeckten, die Tür öffneten, aufrissen wohl: „Haben wir dich?!“
Noch stand ihnen das Blut auf dem Kinn.
Und die ich gestern getötet hatte, krümmten sich noch im Sofaschlaf vor dem Fernsehgerät.
Da war ich durchs Fenster schon wieder fort - paar Schüsse hinter mir - nicht mehr –
Es war die früheste Dämmerung.
Auf den Wiesen stand nabelhoch Nebel. Es war, als schwömme ich aus dem blaschenden Blaulicht heraus, tauchte unter den Wagen hindurch, deren Motoren noch liefen; die Türen standen sperrangelweit auf, und die Schützen hockten im Anstand dahinter. - Sie jagen in Horden, seit Jahrhunderten feige:
Ein Biß nach links beißt sie weg, ein Biß nach rechts - so lief ich - sie lief, so sehe ich mich - lief mit geschlossenen Augen, hörte von innen, die Verfolger von innen: eine Gemeinschaft -
- inwendig Volk.

So durchschnitt ich das erwachende Meer dieses Morgens –
sah schon das Land, doch auch sie schon waren wieder nahe heran.
Ihren Menschengeruch wurde ich gar nicht mehr los. - Ich rannte weiter.
Ich hockte mich bauchflach in die Kuhle.
Stapfen.
„Hier ist sie!“ Das mechanische Schnappen der Hähne. Ein paar vorbei. „Hier! Die Fährte!“: Ein andrer. - Hochschnellen, weiter, Flatteratem, sie standen überall, ich hetzte im Kreis, sie kamen von vorne, von hinten...
„Hier ist sie jetzt!“
„Dort!“
„Schneidet ihr den Weg weg!“
Ich fand ein Gebüsch, ich drückte die Flanke hinein. Es roch nach altem Atem und Konserve und Moos und Metall.
So wollte ich schlafen.
Schlafen? - Nichts merken, hinüberschlummern.
Blinzeln. Es hatte geregnet, hat geregnet, die ganze Nacht hindurch, und ich wußte – sie wußte – nicht mehr, wo sie war. Angekommen als eine andere, gestern, vor einem Jahr? Nicht länger Mutter. Nur noch Flucht.

Ein Jubelschrei, so kam es mir vor, als sie meinen Unterschlupf entdeckten - die Tür öffneten, aufrissen wohl - Und sahen auf mich hinab:
„Bringt sie um!“
Sie schossen, ich ersehnte es schon.
Wer stirbt, muß einig werden mit den Mördern.
Ich ging in die Knie. Mir tobte der Schmerz, in den Knien, den Schenkeln - dann trafen sie meine Schulter, links –
sie schossen mich langsam kaputt!
Ich wußte ja: das ist Haß - das wird kein schneller Prozeß, den ganzen Schmerz zerfetzten sie mir, Splitter, Schrapnelle, es seufzen die Winde.

Ich sah meine Kinder noch einmal, drei, erst erschossen, dann mit den Äxten zerteilt, die Köpfe flachgeschlagen.
Dann hier ein Bein - ein Lauf - da der vertrocknete Stempel über der Schnauze - das ganze Gras, umher, darunter - rote, ins Schwarze verschrumpelte Kruste.
Die andere Schulter platzte.
Meine Ohren platzten.
Die erste Axt blitzte, da atmete ich noch.
Jubelnd traten sie mir in die Weichen, triumphierend rissen sie mir das Gedärm aus dem Bauch.
Stießen mir die Faust ins Geschlecht und zogen das Geschlecht heraus.
Lachten. Standen johlend bis zu den Waden in meinem schäumenden Blut.

Nie sah, nie h ö r t e ich solches Glück.
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herbst & deters fiktionäre

Nach der Geburt.

„Jetzt beginnt die Zeit des Verzichtens“, sagte die ältere, hagere Schwester dem glücklichen Vater, bevor er Kinderwagen und Säugling zum ersten Mal durch den Park schob. Sie und auch er hatten keine Ahnung, daß Verzichten die falsche Kategorie war. Symbolisch, wiederum, aber n i c h t.

Falsch.

„Was einer fest anschaut, schaut fest zurück.“
„Nein. Es verschwimmt.“

(LXXXXIV).

Berliner Nacht. Der Morgen.

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[Kleine Etude der Aussparung I, 2.]

Intime Details.

Am frühen Morgen, nach der gemeinsamen Nacht.
Sie hatte immer i h n anrufen wollen, hatte sich völlig bedeckt gehalten. Und als sie sich trafen, war andres zu reden. Noch als sie zu ihm gingen, denn die letzte Bahn war längst fort, wußte er ihren Namen nicht.

Er: „Jetzt kannst du mir aber deine Telefonnummer geben.“
Sie: „Darf ich noch etwas überlegen?“

Am wiederum nächsten Morgen, nahezu vierundzwanzig Stunden später.

SMS: „Guten Morgen. Ich wollte diese Entscheidung bei halb halbwegs wachem Verstand treffen. Nun wünsche ich auch Dir einen schönen Tag. Ute.“ Und die Mobilnummer mitgesendet.

[Kleine Etude der Aussparung I, 2]

Karl Lagerfeld. Die Konsequenz des Künstlers.

Der BUNTE-Reporter: „Warum haben Sie selbst eigentlich keine Kinder?“
KL: „Ich habe schon als Kind zu mir gesagt: ‚Du bist dafür geboren, alleinzuleben.’ Ich kann in meinem Riesenhaus mitten in der Nacht so laut Musik machen, dass die Bäume wackeln. Ich liebe Kinder, aber nur die anderer Leute. Ich selbst wollte nie Kinder haben, weil ich Verantwortung hasse.

Was wird eines Tages wichtiger sein für ein Kind? Daß ein Vater eine künstlerische Vision hat, die er gegen alle - ‚bürgerlichen’, finanziellen - Widerstände d u r c h k ä m p f t, oder daß er Überzeugung und Fähigkeiten hintanstellt und sich in den Gesellschaftsgang f ü g t, um für das Kind ganz dazusein? Immer wieder diese Frage. Moral hat die Haut eines Hais: Streicht man sie gegen den Strich, beginnen die aufgerauhten Hände zu bluten.

(Daß Lagerfeld nicht weiß, wovon er spricht, wird aus dem Beispiel deutlich, das er wählt: laut Musik machen. Dennoch, der böse Geist der Frage ist ganz bei ihm.)

DAS NEUE DSCHUNGELJAHR HAT BEGONNEN.

Vendémiare 2004.

(Vendémiaire, Weinlesemonat, der erste Monat im franz. Revolutionskalender und in Den Dschungeln, da in der Zeit vom 22. Sept. bis 21. Okt. die Frankfurter Buchmesse liegt. So hatten bereits seinerzeit DIE DSCHUNGELBLÄTTER gerechnet, deren Töchter im Geiste DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT sind.)

dschungelcover1

DLZI (IX).

SMS von ihr, nachts.Seit einigen Tagen bin ich eine verheiratete Frau, die sich nicht um die sexuelle Außenwelt schert. Trotzdem ruft meine Seele Deinen Namen. Ich glaube, Du bist einfach irgendwie in mein Herz gewachsen, und ich wüßte gerne ab und zu, daß Du noch lebst. Ich schicke Dir in Zuneigung getränkte liebe Gedanken. Julia
SMS von ihm, morgens. Seit einigen Tagen vermisse ich meine Baseler Kopfbedeckung. (Ich akzeptiere keine Ehen.) Julian

Von Betz.

Die Venus ist eine glitschige Göttin und kennt keine Regeln.

Treffen der Fiktionäre. Buchmesse 2004 (1).

buchmesse halle 3.1eisenhauer anonymEisenhauer, anonym. der herr heinz1 Der Herr Heinz. buchmesserainer g. schmidt liest rimbaud Rainer G. Schmidt liest Rimbaud. hans erich deters genervttitania und gassner daniello nach dem nobelpreis Hans Erich Deters, genervt. Titania Carthaga und Gassner. Daniello nippt von einer bösen Idee. Nach dem Nobelpreis. marebuch Bücher über Meere. boehmer Der große Dichter Böhmer. titania Titania Carthaga, glücklich. spiegel online Spiegel online, flirtend. buchmesse1verwischtverleger dielmann  gassner Verleger Dielmann und Gassner.

Und was für ein Lektor: Delf Schmidt.

Der Stolz in mir, daß der Mann auch zu m e i n e r Arbeit steht, immer in Distanz, immer voller Kritik, aber doch ganz dahinter... daß er, aus Freundschaft, denn Conradi, der Chef des Berlin Verlages, hat mich ja gefeuert, auch DIE NIEDERTRACHT DER MUSIK wieder lektorieren wird... aber man muß sich das klarmachen, was für diesen Mann der staunenswerte Erfolg bedeutet, was es für die Haltung bedeutet, die er gegen alle Ökonomie im Literaturbetieb durchhielt: stur und kompromißlos überzeugt... was es eigentlich für a l l e Lektoren bedeutete (wieso haben sie sich nicht zusammengetan, diesem Monolithen ein Rosenfest zu bereiten?). – ALSO (und alles in einem einzigen Herbst):

Peter Esterházy. Friedenspreis des Deutschen Buschhandels. Lektor: Delf Schmidt.
Elfriede Jelinek. Nobelpreis für Literatur. Lektor: Delf Schmit.
Und:
Wilhelm Genazino. Büchner-Preis. Lektor... jaja, über Jahre: Delf Schmidt.
Daß Genazino nicht mehr sein Autor ist, hat derselbe Mann verschuldet, der auch den Lektor aus dem Rowohlt-Hause trieb: Ein mächtiger Untertan namens Wilfert. (Vorname Peter... nur so, für den Steckbrief.)

Elfriede Jelinek im Fleische.

Dieses enorme Glück, das Die Dschungel erfaßte, als sie Jürgen Lentes („Weißt du, wer den Literatur-Nobelpreis kriegt?“ – es war da gerade nach ein Uhr mittags, wir standen bei dielmann am Stand herum) und keine zwei Minuten später, aus Berlin, Justitiar Lethen anrief: „Die Jelinek bekommt den Nobelpreis für Literatur.“ Zeitgleich riefen z w e i auf, laut, der eine jubelnd, ANH, die andre, Iris Radisch, in einem Café und voller Entsetzen. „Das gibt es nicht!“ sagten die Freunde. „Das kann gar nicht sein“, hieß es am nächsten, am übernächsten Stand. Und ANH rief: „Ich muß meinen Lektor suchen!“ und brauste, schwebte, schoß hinweg, die ungeheure, die herrliche Nachricht verbreitend, bei marebuch, bei den Horen, den Journalisten, die er traf auf seinem Weg hinüber zum Berlin Verlag. Es war ein solches Zeichen! Den ganzen Tag über lachte er nur und fiel seinem Lektor dann um den Hals - den großen Mann hatte man aus dem Laumer herkarren müssen, da ihm nicht so nach Messe gewesen war.
Nun grämen sie sich, die Damen und Herren Literaturkritikaster, die über Jahre Jelineks Arbeit denunziert hatten, nun standen sie endlich einmal im Regen. Margaret Atwood, das hätten sie goutiert, und John Updike, Philip Roth, sogar die Mayröcker noch - - dann hätte man wichtig dastehen können, die alte Dame, w e i l alt, ist ja bequem unterdessen, und die anderen sind so handlich sentimental, da mag man sich hineinlegen mögen, da mag man auch Walzer mit tanzen.... aber Jelinek?: Die tritt einem doch dauernd vors Schienbein, die hält sich an keine Regel des Betriebs, nicht sprachlich, nicht über den Inhalt vermittelt, persönlich schon gar nicht… eine Wütende, Wütige, eine Zicke voller Männerhaß, eine Ästhetin der Sprachwut, Literatur-Amazone fürwahr: unerbittlich steht sie im Krieg. Diese Entscheidung des schwedischen Komitees war ein solches Fest für Die Dschungel! Man muß beharren, muß durchhalten, darf sich nicht betriebslinks, betriebsrechts anpassen wollen und schon gar nicht in der Mitte. Muß unverrückbar selbst gegen die Leser bleiben, die man darum nicht hat oder nur in geringer Zahl... darf nicht auf Einnahmen schielen, nicht den Agenten entgegenkommen, mal etwas „Positives“ schreiben, damit der Umsatz stimmt... und dastehen klar und konturiert, nicht korrumpierbar auch gegenüber Gerichtsvollziehern, Finanzamtsbeamten, den Kontobewegten. D a s bedeutet dieser Preis: Es lohnt sich die poetische Kompromißlosigkeit. Ob man Jelineks Dichtung mag oder nicht, das spielt gar keine Rolle. Ausgezeichnet wurde eine, die ästhetisch absolut rechtschaffen ist. Und besessen. Wem es auf Kunst ankommt, der darf - der m u ß - in diesem Jahr feiern.

Nun steckt die Jelinek den Betrieblern im Fleische, und sie kriegen diesen Stachel nie mehr heraus. Literarhistorisch gesehen weht an diesem Stachel und verwest, aber untot für immer, ihr eigener Name.

[„Bitte schickt uns 100 Mark, wir konnten wieder nichts zum Frühstücken kaufen“, schrieben Jelinek und Pilz an Rowohlt vor Jahren, da übersetzten sie Pynchons Gravity’s Rainbow - auch d a s ist, tatsächlich, zu erzählen, damit klar wird, welche ökonomischen Folgen es auch heute noch hat, ist e i n e r, sind z w e i konsequent.]

Tobias Zeitkan (1) und die Taktlosigkeiten.

Kaum von der Messe zurück, eben jetzt zur Nacht, finde ich den hier verlinkten Artikel Tobias Zeitkan zum „Fall Gstrein“ in der Literarischen Welt. Schon heiter, daß ein Mann, der ANH so auch genannte „Nachtbillets“ geschickt hat, die dieser freilich nicht beantwortete, da es ihm an homosexueller Lust mangelte – daß eben dieser Tobias Zeitkan nun folgendermaßen den Autor rügt, der ihm einst den Korb gab:

Nun hatte zwar Gstrein, der schon handwerklich über die Taktlosigkeiten eines Alban Nicolai Herbst oder Maxim Biller erhaben ist, anders als diese, die Geschichte durch Verfremdung so sehr zu seiner eigenen gemacht, daß er, anders als die Genannten, gerichtlich nicht belangt werden konnte.
Die handwerkliche Minderwertigkeit ANHs möge Tobias Zeitkan, der nicht einmal den Namen richtig zu schreiben weiß, doch bitte am Beispiel erläutern. Außerdem ist ANH unseres Wissens bislang eben n i c h t gerichtlich „belangt“ worden, sondern das Verfahren um das verbotene Buch hat gerade erst begonnen. Auch hier scheint der Herr Zeitkan sich nicht eingehend informiert zu haben, was wiederum mehrere Schlüsse auf sein journalistisches Talent zuläßt. Oder aber es geht ihm um Präjudizierung, was abermals Schlüsse erheischt. Im übrigen möge er ANH nun gerne a u c h verklagen, die entsprechenden Billets sind hier jederzeit vorzeigbar archiviert. (Sie sind handschriftlich, man könnte sie eigentlich faksimiliert in Die Dschungel stellen, geböte nicht eben der Takt, davon abzusehen.)

[Die Leute kochen ihr Süppchen aus rein privater Rancune - und bleiben schon deshalb die Belege, gar Beweise schuldig. Auch der Vorstoß gegen Radisch ist in diesem Fall privat motiviert.]

Ein Rosenkavalier. Tobias Zeitkan (3).


Was schreibt er auch so viel, er ist doch hübsch genug.

So ließ der Herr Zeitkan Hofmannsthal travestierend - einmal einen Verriß untertiteln, der ANHs Arndt-Novellen „galt“.

Zur antiquierten Sprache.

Eine gute Diskussion hat sich erst h i e r , dann h i e r entwickelt. Sie dreht sich um Sprache und Klang und um sound, um Nüchternheit und Metaphern... imgrunde läßt sich eine ganze Ästhetik daran diskutieren, wenn nicht sogar entwickeln. Deshalb reagierte ich persönlich darauf. Denn die Idee der „Schnörkellosigkeit“, der Nichtmädchen akademisch so anhängt, setzt eine Realität voraus, die schnörkellos i s t, also die Volte nicht kennt, nicht die Verstellung... und sie ist zudem ahistorisch wie die Neue Deutsche Rechtschreibung, die das Wort vom Ursprung, aber auch von seiner Beugung durch Gepflogenheiten löst - im weitesten Sinne „Sitten“. Nabokov war einer der ersten, der sensibel auf diesen Irrtum reagierte, und also ließ er Postkutschen zur Zeit von Flugzeugen fahren; in „Thetis“ wiederum ist ein Polizeichef mit Sackmesser und Laserpistole ausgestattet: Auf diese Weise stellen sich eben diejenigen Gleichzeitigkeiten wieder her, die der Realismus, ohne es zu wissen oder zu wollen, unter der nüchternen Formulierung versteckt. Die Frage des „alten Klangs“, der „sound“ werden soll, findet genau hierin Grund und Antwort. Manch scheinbar altertümliche Formulierung erlaubt eine Genauigkeit, die nicht in der Fantasie des Lesers, sondern bereits im Text selbst hergestellt wird, so daß die Leserfantasie dem Widerspruch ausgesetzt ist und ihn nun, möchte man ein Buch genießen, interpretieren, das heißt: auflösen oder aushalten muß. Auch dies geht allein durch N ä h e; die distanzierte Analyse, die von außen betrachten kann, versagt daran: sie selbst nämlich ist zu einem Objekt der sprachlichen Gestaltung geworden. Die sie unterläuft.
Wahr ist, daß die altertümliche Sprache den Fluß der story hemmt; sie hat ein retardierendes Moment, das dem „Voran! Voran!“ in den Speichen steckt und auf Einzelnes abstellt: eine Lichtbahn, eine Tasche, ein sich drehendes Rad der Métro. Zudem wirkt sie immer fremd, wie von außen. Und sie steht für das, was man abstreifen wollte, wenn sie behauptet: „Ick bin allhier.“ So gesehen verstehe ich schon, daß man damit nichts zu tun haben möchte. Aber man hat es.

Das verbotene Buch: Tilman Krause (2). Nämlich w i e d e r Moral.

Was an diesen Attacken so hinterfotzig ist, die den Lesern ganz im Nebenbei verköstigt werden, ist die moralische Unterstellung, gegen die es sich nicht wehren läßt. Denn es sind suggestive Manipulationen, wird von „Taktlosigkeit“ gesprochen, von „Vertrauensmißbrauch“, von „Schamlosigkeit“. All dies sind Begriffe, die auf eine Ästhetik eigentlich keine öffentliche Anwendung finden, jedenfalls nicht mehr seit den Sechziger Jahren. Man nimmt höchst ungefähre, unscharfe Terminologien des Alltags und wendet sie auf ein Buch an, das der Leser in aller Regel nicht kennt und durch das derzeitige Verbot auch gar nicht kennen k a n n. Er ist ja angewiesen auf Berichte „Eingeweihter“ und muß sie glauben. Doch nicht nur, daß man sie nicht glauben k a n n, ist Skandal, sondern auch, daß der Autor sich nicht wehren darf, denn ihm ist gerichtlich sogar untersagt, „aus dem Kopf zu zitieren“. Er soll schweigen, insgesamt, über das Buch, darf eigentlich nicht einmal über dessen Inhalt sprechen, weil das ja Werbung wäre, die ebenfalls untersagt ist. Da nun finden Leute wie Tilman Krauses ihren ungefährdeten Claim: Hier stecken sie ihre Verdikte ab, hier schürfen sie ihr Pech, das sie dann erhitzt in Artikel schütten und als Artikel von den Zinnen der Zeitung die Mauer hinab.

Der Autor selbst hat zu schweigen. Sowieso. Weshalb, das hab ich h i e r ausgeführt.

Nochmal “Moral”: Elfriede Jelinek. Buchmesse 2004 (3).

Zwei Lektoren sitzen zusammen, ich süffele von meinem Sekt. Sagt die Lektorin stolz, sie habe für eine Klassiker-Gesamtausgabe über Delf Schmidt einen kleinen Text Jelineks bekommen. Antwortet der Lektor: „Da sind hoffentlich k e i n e Schweinereien drin.“

[„ANH muß doch nur die Sexstellen streichen, dann ist das ganze Problem doch vom Tisch.“
]

Das verbotene Buch: Buchmesse 2004 (2).

Ein eigenartiges Gefühl, der Amoralist der neueren deutschen Literatur zu sein. Von allen Seiten die Berichte, wie sich hinter den Türen Lektoren und Kritiker gefetzt: „Was der Herbst da gemacht hat, das d a r f man nicht machen“... aber keiner k e n n t eigentlich das Buch, Ulrich Greiners, der das Buch a u c h nicht kennt, Verdikt, ich hätte „Vertrauensmißbrauch“ begangen (an sich schon kein literarisches Argument), hat sich in die ... nein, „Köpfe“ kann man das nicht mehr nennen... – also: hat sich in das hineingesetzt, was die Leute da oben tragen. Jemand aus einem ziemlich großen Verlag greift (bei anderer Gelegenheit) die Pressesprecherin von marebuch an: „Wie konntet ihr einen solchen Roman herausbringen? Ihr hättet das schon im Vorfeld stoppen müssen.“ Die junge Dame fragt nach den Gründen. Und der Mann sagt: „Der Skandal ist, daß die Sprache großartig ist, daß die Konstruktion großartig ist. Aber das Buch ist unmoralisch.“ Die junge Dame verteidigt den Text, und aufgebracht setzt der Lektor sich von ihr weg. Es geht also gar nicht um „Vertrauensmißbrauch“, sondern um eine Moral-an-sich. Die hat selbst befreundete Journalisten ergriffen: „ANH muß doch nur die Sexstellen streichen, dann ist das ganze Problem doch vom Tisch“, so wurde mir das zugetragen.
Moral scheint wieder Thema zu werden, in gleichem Maß übrigens, wie die Realität sie aufweicht und wir sie anderswo, in den Glaubenskriegen nämlich, mit Füßen treten. Eine Freundin, die aus dem Hebräischen übersetzt, bietet einem anderen großen Haus ein reich bebildertes Kinderbuch an. Dessen Geschichte geht so: Eine Familie mit zwei Kindern. Die Mutter verdient das Geld, der Vater ist Hausmann, er wäscht, er bügelt. Eines Tages besucht man einen Zirkus, von dem der Vater so begeistert ist, daß er seine Familie verläßt und mitzieht, Jonglieren lernt, Messer zu werfen lernt usw. Jede Woche bekommen seine Kinder eine Postkarte von irgendwoher, aus Rio, aus Mexiko City, aus Vancouver und Kairo. Und auf jeder Postkarte ist der Vater anders zu sehen: als Hochseilakrobat, als Feuerschlucker. Nach einem Jahr kehrt der Mann zurück und nimmt seine Position in der Familie wieder ein, wäscht wieder, bügelt wieder... nur mit dem Unterschied, daß er den Grill im Garten nun mit großen geblasenen Feuergesten entfacht, und die Pfannkuchen wirft er zehn Meter hoch, wobei sie fünfzehn Loopings machen. Der deutsche Verlag lehnt das Buch als unmoralisch ab: ein Vater dürfe seine Familie nicht verlassen, solch eine Vorstellung sei Kindern nicht zuzumuten. Die Geschichte positiv darzustellen, sei ja geradezu eine Aufforderung an reale Väter, sich verantwortungslos davonzustehlen. (Als bestünde eine wirkliche Verantwortung gegenüber dem Kind nicht auch darin, etwas zu sein. Ihnen Grund für Stolz und Staunen zu geben.) – Man kann den Leuten so ein Urteil nur um die Ohren schlagen.

Genau das Gleiche reflektiert sich in den Verdikten um mein verbotenes Buch. In Deutschland hat sich die Verdrängungs-Moral der protestantisch-sektiererischen USA eingeschlichen, die der rigiden Ausschlußmoral des fanatischen Islamismus mitunter erschreckend parallelgeht. Wir ziehen bloß nach. Erst im Umbau der ökonomischen Leistungsgesellschaft, dann in der Seele.
 



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