Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
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Beziehungsunfähigkeit. Physiognomie der Kunst (2).

Kunst wird anstelle der fehlenden oder gescheiterten Mutter-Repräsentanz zum libidinösen Ersatzobjekt, in das reife Libidoobjekte wie abgesplitterte Repräsentanzstücke integriert werden müssen; sie sind aber logischerweise nicht mit dem Kunst-Objekt kompatibel und wollen das berechtigterweise auch gar nicht sein. Genau das schafft die Konflikte, die sich letztendlich in der Beziehungsunfähigkeit des Künstlers ausdrücken. Im 19. Jahrhundert nannte man das “Einsamkeit”. Hierher rührt das melancholische Element aller Kunst. Es ist immer ein Teil Verzweiflung in ihr – nur daß sie, anders als die individuelle Depression, die Verzweiflung herumdreht, nämlich pervers s c h ö n macht, und zwar mit zunehmender Reife des ästhetischen Konstrukts. Kunst interpretiert aus dem Elend Lust.

Arbeitet der Künstler, den Kunst diesermaßen als Mutter-Repräsentanz trägt, konsequent, so entsteht zwar ein überindividuelles Werk; persönlich bleibt es aber immer auf das frühkindlich angelegte Ersatz-Objekt bezogen, ja wäre ohne es nicht existent. Die bei einem gelungenen Kunstwerk sich einstellende Transzendenz leistet insofern immer der Rezipient, nicht der Künstler selbst. Das Kunstwerk löst sich von der Mutter, nicht hingegen der Künstler. Wenn er nicht permanent weiterarbeitet, entfremdet sich ihm sein Werk obendrein: Es gleitet ins Allgemeine, worin er selbst eben n i c h t aufgehoben ist. Deshalb stets das n e u e Buch.

Physiognomie der Kunst (1).

Die künstlerische Arbeit wird zum Existenzgrund. Fehlt sie, zerfällt auch er. Damit verschwimmt die Identität, und der Künstler verliert seine Konturen – nämlich sowohl als gesellschaftliches Ich wie individuell. Er wird handlungsunfähig. Ein Sozialfall.

(CXLIV).

Survival of the fittest, abgestimmt.

Nichts ist für Kunst verheerender als die auf dem Boden des Kapitalismus gegründete Demokratie.

(CXLVI).

Die Wahlen im Irak. Dialektik des geschichtlichen Unrechts.

Das Unrecht erhält durch Einschliff recht. Es braucht nur etwas historische Zeit, um schließlich akzeptiert und bald schon als neues Recht begrüßt zu werden. Das gilt für j e d e n staatlichen Gewaltakt. Sofern er militärisch siegreich war.

(CXLV).

Über Tabus. Kulturelle Errungenschaft: Gesetze.

“Was ich am Judentum so achte, ist, daß es zum ersten Mal die Einsicht in die Notwendigkeit eines allgemein verbindlichen Gesetzes in die Kultur brachte”, sagt M. vorgestern nacht im Atamé.

Akzeptiert. Nur wird in diesem Fall das Gesetz zum Bestandteil der Religion. Sie verschafft ihm seine achtunggebietende Gültigkeit. Insofern hat das religiös gefaßte Gesetz immer die Form eines Tabus, und dieser Satz ist umkehrbar. Wie nun, wenn ein bestimmtes Gesetz oder mehrere Gesetze ihre realen Gründe verlieren oder längst verloren h a b e n? Wenn sich ein Gesetz überlebt?

Leere Mitte: Lilith. Briefwechsel mit einem Redakteur.

I.

Lieber Herr Platz,
der SWR macht keine DVD, sondern einige der Mitwirkenden werden es tun... als Dokumentation.
Selbstverständlich muß ich das Projekt im Radio senden, weil SWR Aufträge zugrundeliegen. Ich mache das aber nicht eins zu eins, sondern mit Kommentaren zu jedem Projekt und nicht additiv. Es gibt also einiges Material Ihres Projekts, das ich sendefähig finde.
Über Ihr Stück würde ich bei Gelegenheit mit Ihnen sprechen. Grundsätzlich hat es mir nicht gefallen, weil es "altmodisch" musiktheatralisch Oper sein wollte und weil der an sich famose Text durch diese Art der Inszenierung kaputtgesungen und kaputtgespielt wurde. Mir ist schleierhaft, wie ein solcher Autor solche Texte zu solcher Vertonung freigibt. Da vermute ich Freunschaftsdienst.
Dies also hier nur kurz. Differenzierteres später.
Herzlich grüßt zurück
Ihr Hans-Peter Jahn

II.
Lieber Herr Jahn,
Robert HP Platz hat mir Ihre Mail von gestern weitergeleitet, und ich will dazu Stellung nehmen.
Daß ich bereits Freundschaftsdienste als Korruption erlebe und seit Jahrzehnten gegen Betriebsschiebereien mit aller Heftigkeit anrenne, was nicht zu meiner Beliebtheit beigetagen hat, können Sie wahrscheinlich nicht wissen; dennoch weise ich Ihre Unterstellung eines Freundschaftsdienstes für den Komponisten sehr entschieden und höchst verärgert zurück. Ich stehe zu dieser Komposition und weiß auch sehr genau, weshalb.
Daß das Stück durchgefallen ist, darüber müssen wir nicht sprechen. Aber das ist vielen Opern in der Musikgeschichte widerfahren, später gehörten sie dann – ob mit oder ohne kompositorische Revisionen – oft nachdrücklicher zum Fundus als viele jeweils zeitgenössische Erfolgsstücke. Ich erlebe so etwas derzeit mit meinen Anderswelt-Romanen, die von maßgeblichen Kritikern bei Erscheinen ziemlich verletzend herabgewürdigt wurden, aber heute in den maßgeblichen Lexika stehen und einigen Anlaß für die poetologische Theoriebildung an den Universitäten bieten. Was den Kritikern seinerzeit hingegen en vogue war, ist in den Orkus geplatscht und hat nicht mal Wellchen dabei gemacht. Wer gegen den Zeitgeist, der meist Ungeist ist, anarbeitet, muß also mit Unverständnis rechnen.
Ganz sicher war unser Stück an diesem Abend deplaziert; das hat sehr verschiedene Gründe, über die Platz und ich, aber auch mein Freund Bernd Leukert und ich derzeit diskutieren; und ebenso sicher wird es noch Eingriffe in Partitur und Libretto geben, allerdings in nicht d e m Maß, wie es mir lieb wäre, was an der 10-Minuten-Vorgabe und dem darauf hinkomponierten Zuspielband liegt. Prinzipiell aber kann ich nichts Falsches daran finden, “altmodisch” Oper zu machen. Vielmehr bin ich der Meinung, daß die von Wagner in seiner Schrift “Das Kunstwerk der Zukunft” betrachtete Zukunft durchaus noch nicht am Ende ist. Ganz im Gegenteil liegt erheblich mehr künstlerische Nahrung in Platz’ und meiner Konzeption als in irgend einem anderen Stück Ihres Großstadt-Abends. Sofern dort ü b e r h a u p t Kompositionen zu hören waren, handelte es sich um Collagen; im Fall Michael Beils um eine allerdings perfekte. Dennoch bleibt mir selbst da das Unbehagen, man habe sich auf handwerklich hohem Niveau bloß amüsiert, mehr aber nicht. Musikdramatisch essentiell gab es eben auch da nichts.
Das liegt wahrscheinlich bereits an der Konzeption, die von Tableaus ausgeht. Also wurde vor allem auf visuelle und semantische Oberflächen gesetzt, die sich zudem durch vor allem tonale Musikstrukturen illustrierten, oft vermittels einer an Unterhaltungsmusiken orientierten ich möchte sagen: tänzerischen Rhythmisierung, die ihre Kraft vorwiegend aus der Repetition bezieht – aus Redundanzen also. So etwas kommt erfahrungsgemäß bei einem großen Publikum gut an, bezeichnet aber letztlich sowohl individuell wie kunstgeschichtlich bloß den Regreß. Tatsächlich regrediert Publikum g e r n e, was Gründe hat, die auszuführen hier zu weit gehen würde. Das gehört ins Kapitel Rezeptionsästhetik.
Abschließend ein Wort zur Inszenierung: Gemessen an der Tatsache, daß die Musiker aus bekannten Gründen vom Blatt spielen mußten, war nach knapp drei Tagen Proben, die vor allem der musikalischen Einstudierung dienten, nicht sehr viel Inszenierungsspielraum übrig. Ich finde das auch nicht schlimm, denn es sollte vor allem g e h ör t werden. Dadurch daß weder die Monitore im Container funktionierten, noch war das Zuspielband im Publikumssaal richtig vernehmbar, hat die an sich sehr intensive sängerische und spielerische Gestaltung enorm leiden müssen. Da ich alle Hauptproben, die Generalprobe und die Uraufführung auf Band mitgeschnitten habe und nunmehr am Musikcomputer die Einspielungen verglichen habe, kann ich das ziemlich schlagend beweisen. Auch das ist sicher nicht schlimm, nur etwas traurig; aber Pannen gehören zum Theateralltag. Nur möchte ich daraus keine Sottise gegen “altmodische” Oper abgeleitet wissen. Es wäre selbst als rhetorisches Argument zu substanzlos, um nicht hämisch zu wirken.
Mit den besten Grüßen
Ihr
ANH

Kehl (ff). Argo. Anderswelt. (105).

Kehl nun ragte als kolossaler Monolith aus den übrigen Modulen hervor und war unterdessen nicht nur, wie Buenos Aires sonst, nach Westen hin nahezu fensterlos verschlossen, sondern auch gegen die bürgerlichen Arkologien des Zentrums. Das merkte, wer hineinfahren durfte, allerdings nicht, denn das ebenerdige Geschoß hatte einen eigenen Himmel, unter dem das insgesamt flachgebaute Städtchen wie seinerzeit ruhte mit den gepflegten badischen Häusern, mit Kirchen und ringsumher sogar der Anmutung kaum entfernten Weinbaus. Oft schien über Kehl sogar eine Art Sonne, gleißend und ausgebreitet über den künstlichen dichten Wolken, so daß man nicht hochsehen mochte; schon der Gedanke daran ließ einen die Augen zusammenkneifen. Obwohl bereits vor Jahrzehnten Kehls Multimodalität nicht nur ein Mundzeugnis gewesen war, ließ sich nicht einmal eine Ahnung davon gewinnen, daß ganz in der Nähe eines der wichtigsten Hodnawerke in Betrieb genommen worden war, das einen Abschnitt der nebelhaften Projektionen mit Energie versorgte, die längsrheinisch das Zentrum von der Weststadt trennten. Und schon gar nicht von dem raumhafenähnlichen Komplex vier Geschosse darüber, dem weiten Flugfeld mit Start- und Landbahnen der busartigen Gleiter für den Personenverkehr, der gesamten Logistik aus Hightech und Mannschaftsunterkünften, den Lagerhallen, Wartungs- und Reparaturbetrieben und, wiederum in Geschossen darüber, den Kasernenanlagen Exerzier- und Übungsplätzen, den Schießständen, der westlichen europäischen Kommandantur des MAD und der Feldjägertruppe; Kehl war für den europäischen Militärapparat, was Koblenz für die Polizei war. Aber davon ließ sich nichts merken, wenn einer unten ins Örtchen fuhr und den Wagen in der Hauptstraße 20 vor Baldners Gasthof Schwanen parkte. Von hier aus waren es nur ein paar Schritte stadteinwärts die Straße hinunter, dann stand man schon vor dem Häuschen, in das sich der junge Hertzfeld ein paar Wochen nach dem Verschwinden seines Vaters einquartiert hatte oder, genauer formuliert, auf Veranlassung Carola Ungefuggers, die dabei selbstverständlich nicht in Erscheinung trat, einquartiert worden war. Letztlich finanzierte aber sie dem jugendlichen Freund die Laube, wie sie die zweieinhalb Zimmer kitschiger- und schon deshalb fälschlicherweise nannte, weil die Unterkunft souterrain lag. Eigentlich hatte Familie Orten bloß einen Teil des Kellers ausgebaut.

>>>> ARGO 106
ARGO 104 <<<<

Mainstream.

Dichten mit Präservativ.

(CXLVII).

Argo. Anderswelt. (106).

Konnte es sein, daß allein die Größe einer Datei, eines Systems – einer Matrix, dachte er – innerhalb der ihr zugeordneten Strukturen selbständige Entscheidungsprozesse in Gang setzte, daß also auch ein kybernetisches Programm evolierte? So daß Ungefuggers Vision einer datisch bereinigten, datisch kontrollierten und datisch befriedeten Welt sich selbst außer Kraft setzte? Reproduzierten Computer die Natur?
(Buenos Aires. Anderswelt. Berlin 2001).

>>>> ARGO 107
ARGO 105 <<<<

Findeiss' Eifer.

Süchte.

Kommentiert.

Übertretungen. Melusine Walser. (2). Erotischer Roman. Jenseits der Moral.

Ich wurde zum Jahreswechsel von meiner Herrin an ein junges Paar nach Köln verkauft. Arbeite nun dort als Haussklavin und verdiene etwas Geld als Hure für meine neue Herrschaft nebenher. Mein Herr hat vor, mich zu Zuchtzwecken zu benutzen, weil sich die Herrschaft ein Kind wünscht. Meine Herrin möchte nur ihrer Figur nicht schaden, und so soll ich geschwängert werden.
Das Leben Melusine Walsers. Arbeitsmaterial.
[Profiltext. Gefunden bei sadomasochat.de, Februar 2005.]

>>>> MW 3
MW 1 <<<<

Ein halbes Jahrhundert.

G e l e b t.

Die erotische Dynamik, fokussiert.

Nicht alles muß sich realisieren, wohl aber alles zur Erhitzung ausgesprochen sein. Oder miteinander im Akt fantasiert. Und, in freien Sätzen noch über die letzte Hemmung gesprungen, stets haarscharf am Werden. Lustvoll dabei auf dem Risiko schleudernd, daß es geschieht.

[Selbst, g i n g e faktisch nicht, was fantasiert ist.]

Die politisch linke Vererbungslehre.

“Ich habe sehr gekämpft für Ihr Buch”, schreibt eine Journalistin, mit der ich ausgerechnet in einem SM-Chat in Kontakt komme. “Aber wissen Sie, es ging der Redaktion, die über Ihre Arbeit nichts veröffentlichen wollte, gar nicht um Literatur. Sondern: die mochten Ihren Großvater nicht.”

Daß s i e das Buch (Thetis) schließlich habe besprechen dürfen, habe ausschließlich an ihrer Herkunft gelegen; die sei nicht “ursprünglich” deutsch.

In wievielen linken Köpfen, fragen sich Die Dschungel nicht erst seit neuestem – aber sie werden immer wieder bestätigt –, hat sich die faschistoide Vorstellung einer solchen Erbschuld bis heute erhalten? Abgesehen davon, daß ein wenig Recherche genügt um herauszubekommen, daß jener Joachim von Ribbentrop ein in die Familie gegen Geld adoptierter Karrierist gewesen ist und also die tatsächliche Verwandtschaft ausgesprochen locker: S o ist auch mein Bäcker mit dem Automechaniker von der Tankstelle drei Häuser weiter verwandt und trägt an dem Fahrraddiebstahl, den dessen Großvater verübte, eine ganz unbedingte Schuld.

Ins deutsche Geschichtsbuch geschrieben.

Der Anschluß spätestens der Universitäten an Hitlers Ideologie hat bewiesen, daß die Vorstellung eines Gesellschaftsvertrages nicht trägt. Wann immer seitdem eine Entscheidung zu treffen ist, in welchem Amt und in welcher Funktion auch immer, ist eine Entscheidung nach Aktenlage per se faschistoid. Die geschichtliche Erfahrung Deutschlands macht j e d e Entscheidung zu einer persönlichen und auch persönlich haftbaren; wer hingegen treu nach Weisung oder Gesetz oder Vorschrift entscheidet, entscheidet prinzipiell feige und als Mit- und Überläufer.

Deshalb ist gegen jede Vorschrift, die man nicht selbst durch klare Einsicht akzeptiert und selber innig will, zu revoltieren.

Ein Bild-Geschenk. Jetzt Lesezeichen.

notizen
Selbstvergewisserung (7).

Wer nicht schwimmen will.

Geht nicht ins Schwimmbad.

(CXLVIII).

Erotical correctness. Netzfrauen § 10.

Ort der Handlung: www.sadomasochat.de
Zeit der Handlung: Februar 2005.


ER (IM CHAT): Einen imaginären Nackenkuß zum Abschied.

SIE (ALS NACHRICHT): Auto: Zur Kenntnisnahme Vor weiteren Dialogen möchte ich darauf hinweisen, dass ich auf irrelevante Intimitäten á la "imaginäre Nackenküsse" sehr wohl verzichten möchte. Für eine Person, die ein Du als Übergriff empfindet, sollte das eigentlich mehr als verständlich sein - und ist, grade im Bezug auf eigenes Übergriffs-Empfinden, nicht homogen.

ER (ALS NACHRICHT): Da wir uns aber in einem SM-Chat befinden, ist wohl das Du ein Ubergriff, der Nackenkuß hingegen nicht. lächelt. Achtsamkeitsfet… [ NACHRICHT ABGESCHNITTEN - VERFASSER IST KEIN VOLLMITGLIED ]

SIE (ALS NACHRICHT): Eitle Gedanken eines eitlen Mannes. Oder Siezt Du beim Dommen? *fg

ER (ALS NACHRICHT): Ich 'domme' nicht. Ich liebe immer. Ihre Vorstellungen sind ein wenig naiv. Schade. Und hier kann ich nicht kommunizieren, da al… [ NACHRICHT ABGESCHNITTEN - VERFASSER IST KEIN VOLLMITGLIED ]

SIE (ALS NACHRICHT): Es ist vollkommen irrelevant, in welcher Weise jetzt der Versuch erfolgt, das zu rechtfertigen durch Haarspaltereien. Die Tatsache, dass es sich hier nominal um einen "SM-Chat" handelt, impliziert nicht, dass jedeR Dominante jeder/m Devoten zwischen die Beine greifen kann nach Belieben. Ein einfaches Sorry hätte genügt. Es sollte ausreichen, dass ich es nicht möchte.

ER (ALS NACHRICHT): Ich hab Ihnen nicht zwischen die Beine gegriffen. Und finde das jetzt sehr unsinnig. Vergessen wir also den Kontakt.

[MERKE. Wie aus dem Nacken eine Möse wird. Und aus dem Kuß ein Grabschen. Und das flirtende Spiel zur Vergewaltigung. Miszelle einer Psychopathologie der regredierten Erotik im gecleanten, aseptischen Kapitalismus.]


§ 9 <<<<

Übertretungen (ff). Melusine Walser. (3)

Ja, ich habe ihn geliebt. Unendlich geliebt. Aber wissen Sie, eben darin lag dieser furchtbare erotische Reiz: diese süchtigmachende Lust, ihn zu hintergehen, ihm untreu zu werden. Wenn ich ihm gegenübersaß, immer, morgens, beim Frühstück, und wenn er mich anlächelte, dann wurde ich allein von der Vorstellung naß, irgend einem Fremden den Saft aus der Handfläche zu lecken, aber für meinen Mann, den ich wirklich geliebt habe, weiterhin die sanfte, wunderschöne, feine Frau zu sein, auf die er sich für alle Zeit verlassen kann. Verstehen Sie, was ich Ihnen erzählen will? Ich wurde mehr als von irgend etwas sonst von dem furchtbaren Betrug erregt, den es bedeutete, einem völlig Fremden sexuell gänzlich zu Willen zu sein, und zwar einem, der nicht im entferntesten weder charakterlich an meinen Mann heranreicht noch auch nur ungefähr seine Liebesfähigkeit besitzt. Das Lustvolle war nicht nur der Betrug an dem Gatten, sondern auch der an mir selbst, an meiner Autonomie, an meinem emanzipierten Selbstbild, an meiner - erfüllten - Vorstellung von Liebe. Ich w o l l t e das hintergehen. Und hinterging es. Tatsächlich hat mir nichts anderes in meinem Leben je so viel Wollust bereitet.

>>>> MW 4
MW 2 <<<<

Von Ranke-Graves.

Es ist eine Sache des poetischen Prinzips, den Teufel nie mit einer halben Antwort oder mit einer Lüge abzuspeisen.

Bombay (1).

Und für alle sind Stufen gemäß dem, was sie tun, auf daß Er ihnen
ihre Taten voll vergelte; und kein Unrecht soll ihnen widerfahren.

46. Sure, 20

Wellengepeitscht im Sturm einge-
Knickt zum Winkel mit Blick nach Mahalaxmi drüben
In einer Bucht des Arabischen Meers
Leitet Mole Pfad zum Pilgergrab die Insel gehört den Tausendundeinen Nächten
Strahlendweiß die Minarette
Opfergaben aus Gewürz und Duft
Hier werden noch die Feigen vergiftet
Von Zungenlosen dargebracht:
Die lassen ihre Stumpen tanzen

Ich werfe eine Handvoll Bonbons über Kinderhände Hände Hände
spritzen weg

Von Do.

Jemanden verohnmächtigen.

Netzfrauen § 11: Sola-ngozi.

Ort der Handlung: www.finya.de (dort auch Profiltext und Fotografie).
Zeit der Handung: Die Gegenwart der Cyberräume.


ER: Lacht nach der Profil-Lektüre... Sie Arme. Lacht weiter. Und erspart sich eine Bemerkung zum Aussehen, schließlich sehen Sie das ja selbst. - Und Sie lieben die Provokation. Ich meinerseits b i n Provokation. Bevor Sie mir jetzt also mein Alter um die Ohren hauen, schauen Sie erst mal ins Profil. Lächelt. Und surft weiter.

SIE: trotz deines alters hab ich mir dein profil angesehen, und das provokanteste war die antwort auf die frage nach dem lieblingsgericht: meeresfrüchte. früher galten ja schon simplere dinge als provokant, aber ich fürchte, du unterliegst der völligen selbstüberschätzung. s-n

ER: Lacht. Selbstüberschätzung? Sicherlich nicht. Und "trotz deines Alters" bereitet mir ein Zucken im Mundwinkel... Sie denken ein bißchen zu bürgerlich; ich hätte bei Ihnen etwas anderes erhofft... etwas mehr, sagen wir: fantastische Realität. Nein nein, was ich schreibe und sage, ist schon sehr fundiert. Aber, zugestanden, das können Sie nicht wissen. Allenfalls ahnen. Im Blick. Alles andere bleibt uns im Netz erst einmal verschlossen. (Ich hab genügend darüber publiziert, über diese Sachverhalte.)

SIE: haha. sehr lustig, was du schreibst. eher hat diese lächerliche siezerei auf dieser internetplattform etwas von bürgerlichkeit. trotz deines alters habe ich dir zurück geschrieben, obwohl du nicht meinen wunsch hinsichtlich des alters respektiert hast. dabei kommt es mir gar nicht auf ein paar jahre an (auch nicht nach unten), doch auch den teil über besserwisserei und privatdozententum scheinst du nicht verinnerlicht zu haben.
tja, manch einer fühlt sich jünger als er ist - realistische phantasie. dass du dir was erhoffst ist mir klar. wenn du meinen komplett text gelesen hättest, dann wüsstest du um die trotzigkeit.
und zur selbstüberschätzung gesellt sich auch die arroganz - die waren schon eh und je verwandte. das, was du sagst und schreibst, macht sie beide aus. das eigene wissen als sehr fundiert darzustellen, und die publikation dessen als zement, ist schon eine art von fundamentalismus. du führst dich selber vor.
nun, vielleicht vermag ja deine omnipotenz, das es überhaupt noch zuckt, herr professor...s-n

ER: Lacht laut auf. Junge Frau, auch in der Trotzigkeit gibt es so etwas wie Sensibilität. Sie hatten mir nach jemandem gewirkt, die darüber verfügt. Sollten Sie dem von mir angegebenen Link gefolgt - also neugierig gewesen - sein, dann wären Sie über einiges mehr informiert. Schade. Immerhin besser, um Sie zu zitieren, daß es "überhaupt noch zuckt", als eine wenn auch, ja, "trotzige" Kontaktlosigkeit. Nur: Bevor Sie von Selbstüberschützung sprechen, überprüfen Sie doch einfach, ob es sich nicht möglicherweise um ein f u n d i e r t e s Selbstbild handelt. Leichter, als ich es Ihnen gemacht habe, geht es ja nicht. So habe ich mir nun erlaubt, unsere kleine Korrespondenz in mein Literarisches Weblog zu stellen. Sie finden den Dialog h i e r: http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/520206/
Ich danke Ihnen für das Material und bin lächelnd: ANH

>>>> SOLA-NGOZI 2
§ 10 <<<<

Die Cyberräume ausmessen, als wären es weiße Landschaften der Geographie.

Tatsächlich sind sie kaum erfaßt, geschweige erforscht. Hier berühren sich Fantasien,Verdrängungen und die traditionell fast nur vom Romanlesen geöffneten projektiven Räume mit dem, was Innere Erdkunde zu nennen wäre. Hier findet zu a l l e r e r s t die reale Verschiebung der materiellen in eine “ideale” Wirklichkeit statt. Hier wird die Belletristik zu einer Säule der gesellschaftlichen (also auch partnerschaftlichen) Existenz. Hier feiert der abstrahierende Monotheismus seinen größten Sieg.

(Doch segensreich warten dahinter, körperhaft radikal, Dämonen.)

Poetologie & Erkenntnis.

Sublimitas. Für Rucker, auf einen Kopf aus Gips.

[Man fand den alten Freund vor ein paar Monaten, noch nicht fünfzigjährig, am Küchenboden seiner Berliner Wohnung auf. Der Bauch war bereits offen, der Leib völlig in Verwesung übergegangen. Seit etwa zwei Wochen lag er dort unbemerkt, die Augen schon ins Jenseits gewurzelt. Wir hatten einmal eine private Arbeitsgruppe, Iris Radisch, Manuela Müller, Axel Rucker und ich. In Frankfurt am Main, Anfang der achtziger Jahre. Bisweilen war auch Rollo dabei, stets angetrunken von Äpfelwein. So stritten wir über Adorno und Hegel. Das liegt nun 23 Jahre zurück. In memoriam, Axel.]

So steht er, steinern, still und stumm,
Der einst von lust’gem Leide laut getönet,
Von leid’ger Lust; auf einem Tuskulum
Ward er von Weibesliebe warm verwöhnet.

Wahrlich! Kein zweiter Sänger hat wie er
Der milden Minne wonnig Weh besungen,
Und doch, um rohen Ruhmeszins gedungen,
Des Wehes zäher Zähren leid und leer,

Hat keiner so, was Weib und Held verschönet,
In gräßlich-greiser Heiligkeit verhöhnet
Durchs Christenkreuz, des wunden Weibes neidlicher Not.

Freia starb. Denn alle Lust im ew’gen Meer,
Das Töne und Welt durchzieht, lästerte er
Und schlug, lüsterner Leidbold, sein Leid an Lüsten tot.


Anonymus
Vates Germanicus
MCMLXXXVII
___________________

[Fingerübung aus dem Winter 1987.]

Fanpost, weiblich. Von vorn und von hinten.

vorne Jenseits allen Merchandisings. hinten














































[Ich bekam einmal etwas ähnlich Schönes zugesandt. Das aber durfte ich nicht veröffentlichten, da es sich auf das verbotene Buch bezog.]

Wie alles auseinanderfällt.

Wenn die gestaltende Hand fehlt. Oder verhindert ist. Gebunden.

Ein Computerspiel erfinden.

Das sich, verliert man, selbst löscht, und zwar endgültig.

(Analogie. Leben.)

Von Spinnen (2).

… in einem etwas abfallvermittelten Kontext…

Netz-Psychologie (3).

Es waltet vornehmlich in Chat-Räumen eine seelische Dynamik, die offenbar völlig direkt auf jene Synapsen zugreift, welche die Empfindlichkeiten der Sprechenden regeln. Und zwar in solch einem Ausmaß, daß es nicht möglich ist, in Distanz dazu zu gehen. Auch nicht der oder dem, die oder der es begreift. Das Internet als der imaginär realisierte unmittelbar-psychische Raum.


2 <<<<

Von Spinnen (1).

Als literarische Figur muß man sich seinen Tod hart verdienen.
 



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