Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
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Ich, Hagen, ich! – Zur Ehre eines Henkers.

HAGEN
mit furchtbarem Trotze herantretend
Ja denn! Ich hab' ihn erschlagen!
Ich - Hagen - schlug ihn zu Tod.
Das wäre das Mindeste: daß der Delinquent seinem Henker ins Gesicht schauen kann, daß man ihn nicht zwingt, vor dem Tod den Blick zu senken. D i e s e n Stolz ihm zuzugestehen, wäre wahrlich ein Wenigstes… und zwar für den Henker. Daß e r sich hinstellt und sagt: Ja, ich tu’s! Sieh mich an, ich vollstrecke. (Wobei es f ü r die Todesstrafe ein kleines Moment gäbe: vollstreckte nämlich der Richter s e l b s t, der das Urteil sprach… und begleitete er und begleiteten all die, die es mitsprachen, den Delinquenten auf seinem – so weit wir wissen – letzten Weg: wenigstens eine Nacht die Todeszelle mit ihm und auch die Henkersmahlzeit teilen und einmal bei ihm schlafen, a l l e, die Richter, die Schöffen, die Staatsanwälte. Man würde, seien Sie sicher, mit solchen Urteilen sehr zurückhaltend werden. Das Problem hier ist nämlich ebenfalls eines der Entfremdung und keines des strafend jemanden-Umbringens-an-sich.)
Und umgekehrt desgleichen. Bei einer Erschießung wird dem Delinquenten eine Binde über die Augen gelegt, auch er soll nicht offenen Antlitzes sein – Verweigerung, daß er noch Stolz habe. Was nun, wenn er sich wehrt? Was nun, wenn ein zu Erschießender sich weigert, diese Binde zu nehmen? Ah, man wird sie ihm mit Gewalt aufpressen, wird ihn niederringen, ihn schlagen womöglich, damit er nicht mehr sehen , damit man sagen kann: Du bist n i c h t s! – In dieser Imagination von Gewaltsamkeit der Henker wird vollkommen klar, was die Todesstrafe in Wahrheit i s t. Sie wollen nicht angesehen werden, nicht die Henker, nicht die Richter. Es ist das geheime Symbol ihrer Scham. Es verbirgt, daß sie wissen.

Ein Neujahrswort zum Mord am Tyrannen.

Schon morgens in jedem Boulevard-Blatt die letzten Bilder des Diktators: „gebrochen, aber uneinsichtig“, wie es heißt. Ein Henker legt dem Mann die Schlinge um, ein zweiter zieht sie zu. Privatsender brachten, ist zu hören, eine Aufzeichnung der Exekution im Netz. Man muß über Demokratie und Moral eigentlich nicht m e h r schreiben, um zu wissen, was von beider Verhältnis zu halten ist. Die Hinrichtung hat in Wahrheit einen antik-römischen Character und s o l l ihn auch haben. Aber damals glaubte man nicht an Demokratie, man glaubte auch nicht an die Aufklärung und nicht an die Wissenschaften, schon gar nicht solche der Seele.
Nein, Die Dschungel ist n i c h t der Meinung, daß Saddam Hussein n i c h t den Tod ‚verdient’ hätte; aber unabdingbar bleibt in einer Moderne, die sich dem G e i s t verpflichtet hat, daß die Todesstrafe für einen rein barbarischen Akt steht – und für einen purer Machtdemonstration, die noch den Tod für warenartig praktikabel hält. Dafür stehen herausragend-beschämend bis heute die USA. Man muß sich nur anschauen, wie der eine der beiden Henker aus seiner Kapuze herausschaut – daß man sehen kann, er trägt einen Schnäuzer, das reicht schon völlig hin, eben dieses ‚Menschliche’, Individuelle an ihm, um zu begreifen: Länder, die Verurteilte hinrichten lassen, stellen M ö r d e r von Berufs wegen ein und unterhalten sie, Mörder zudem, die aus nichts als aus Feigheit bestehen, da sie ja keinerlei Risiko tragen, wenn sie staatshalber umbringen dürfen. Ehrenloseres läßt sich nicht vorstellen, jeder Berufskiller ringt einem dagegen Achtung ab.
Hätte freilich einer der Soldaten, die Saddam Hussein fanden, hätte gar ein Nachkomme und/oder sonstiger Verwandter all jener Tausenden, die von diesem Diktator so furchtbar geschädigt wurden, die Waffe gezogen, als man den Mann ‚aus seinem Erdloch’ zog, und auf ihn abgedrückt – es wäre dagegen nichts einzuwenden gewesen, nicht einmal etwas gegen eine Z e r s t ü c k e l u n g vor Ort. Wohl aber ist etwas - ist a l l e s - gegen die Todesstrafe aus Rechtsstaatlichkeit einzuwenden: sie nämlich muß fragen: „Weshalb wurde jemand so, wie er wurde?“ – dann muß man sich dem Wissen über das menschliche Gehirn aussetzen als eines Organs, das chemischen/physikalischen Gesetzen folgt und rein nach Ursache/Wirkung reagiert… - dann ist der ganze Begriff der Schuldhaftigkeit ohnedies nicht mehr haltbar. Und man muß erkennen, wie wenig - nämlich gar keine - Freiheit bei den Entscheidungen und den angeordneten Massakern in diesem Mann gewirkt hat. Eine Rechtsstaatlichkeit, die an die Wissenschaften glaubt, kommt mit ihrer Straffähigkeit notwendigerweise in Konflikt. Wobei der Konflikt im Fall Saddam Husseins gut zu lösen gewesen wäre, ehrenhaft heißt das, und zwar auch n a c h dem Richtspruch der Ankläger noch… aber vielleicht schon, haltungshalber, bereits vorher… Jemand betritt die Zelle, sagt keinen Ton, beugt aber auch nicht den Blick, tritt auf den Diktator zu, legt eine Pistole vor ihn auf den Tisch, verbeugt sich knapp, dreht sich um und schreitet wieder hinaus…

Argo-ÜA (15). Anspielungen als ‚wahre’ Fehlwege. Möglichkeitenpoetik.

Die in ARGO eingearbeiteten oder nur leichter Hand hineingestreuten Anspielungen, etwa auf Irene Adhanari, selbst d a n n belassen, wenn die Figuren (und Handlungsmotive) aus den anderen Romanen längst revidiert, etwa umbenannt worden sind. Dies hinterläßt Spuren einer ‚ursprünglichen’ Entstehungswahrheit, auch und gerade dann, wenn sie scheinbar (also konkret) ins Leere führen: es bleiben doch R i s s e wie narrative Erdspalten, die den, der will, hinabsehen lassen. Dies ist nicht nur ein Verweis auf ganz andere als die schließlich gewählten, bzw. publizierten Erzähl-Möglichkeiten, sondern auch ganz bewußter Widerstand gegen das Geschlossene System, das Widerspruchsfreiheit will. Leben aber, an sich, ist voller Ambivalenzen – Ambivalenzen zumindest der Wahrnehmung. Wobei sich aus den differierenden Wahrnehmungen jeweils eine andere Realität ergibt, bzw. hätte ergeben können. Der erzählte oder angespielte ‚Irr’weg bewahrt genau das und stemmt sich gegen das Systemhafte selbst. Bewußt bewahrte, bzw. willentlich eingewobene Irrtümer sind Teil des emanzipierten Erzählens, durch das der herkömmliche Realismus immer wieder dicke Striche zieht.
[Poetologie.]
ARGO-ÜA 14 <<<<

An Dielmann. Liebesgedichte. Und der Dolfinger.

(…) Gerade hab ich die Fahnen der Liebesgedichte ausgedruckt und will Dir bis abends die Imprimatur erteilen. Bei nötigen Korrekturen rufe ich Dich am besten an, so daß wir das gemeinsam durchgehen können. Hast Du die Fahnen auch an Prunier geschickt? Die frz. Korrektur muß unbedingt e r übernehmen, da kann ich nichts tun. - Und wie halten wir das mit dem Signieren? >>>> Die ersten 99 Expl. müssen ja dann irgendwie nach Laon zum Signieren durch Prunier, dann an mich, wiederum zum Signieren. Wobei ich dafür auch einfach nach FFM kommen könnte. Unterkunft bekomme ich mit Sicherheit bei BL (…).
Noch etwas: Der >>>> Filmemacher Ulrich Bohnefeld, einer meiner hiesigen Mitstipendiaten, will einen kleinen Film über mich und vor allem die >>>> Vergana-Erzählung, >>>> die ich am 17.1. im >>>> Kölner Literaturhaus lesen werde (zusammen mit >>>> Thomas Meinecke, der ebenfalls eine Erzählung lesen wird), sowie über meine Netz-Präsenz. Nun lese ich ja am 7.3. >>>> im hiesigen Jazzkeller als Concordia-Veranstaltung den >>>> DOLFINGER ganz, und als ich ihm das erzählte, fragte er gleich: "Schneidet ihr das mit?" Und hatte die Idee, man müsse daraus eigentlich ein Hörbuch machen; wenn die Aufnahme als mp3 oder besser mp4 gemacht würde, wäre auf der CD mit Sicherheit noch Platz für ein paar auszugsweise Filmaufnahmen von der Lesung. Was hältst Du davon? Und wirst Du bei der Langlesung dabeisein? (…)

ARGO-ÜA (16). Gestrichenes. „Transsystemisch“.

War ich deshalb aus Garrafff verschwunden? Das hat mich lange beschäftigt und geht mir bisweilen immer noch nach. Oder kann man sich innerhalb desselben Bezugssystems sozusagen verdoppeln? Werden die Welten auf diese Weise ineinander verschränkt? Das könnte die Irregularitäten erklären, welche die Anderswelten offenbar voneinander nicht mehr trennen ließen. Nach dem ersten Hauptsatz der Themodynamik hätte ich im selben Moment, da ich in Buenos Aires hinzukam, aus Beelitz und überhaupt der Welt gelöscht sein müssen. Es sei eben denn, Broglier sowie die anderen Cyborgs, die ihre Welt verlassen hatten, und dann eben auch ich (k e i n Cyborg!), hätten durch unsere jeweilige sagen wir „Wanderung“ die geschlossenen Systeme tatsächlich um das je andere erweitert. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Auch nicht durch die quantenphysikalische Überlegung einer ‚vorübergehenden Schwankung’. Meiner Rechnung zufolge bin ich unterdessen schon ein ziemlich genaues Jahr hier, da läßt sich von Schwankung allenfalls dann sprechen, wenn die Systemzeiten nicht konvergieren sollten. Dafür finde ich bislang kein Indiz. So ist nun, wärmetheoretisch ist das die einzig schlüssige These, zum „wirklichen“ Beelitz das computergenerierte Buenos Aires genauso real hinzugekommen wie neues Hedwigenkooger Land1). Transsystemisch wandernde Einheiten – zu denen auch ich jetzt gehöre – sind gewissermaßen Bühne und Lähnung sich komplex ineinander erweiternder datischer und physischer Welten. (Seinerzeit war das bereits, wußte ich, Deters aufgefallen und eben eines der nachdrücklichsten Ergebnisse unseres simulativen Anderswelt-Projektes gewesen: daß nämlich Ungefuggers Versuch, Welt datisch zu säubern und sie insgesamt, wie er sagte, „auf eine Diskette zu kriegen“, zwar möglicherweise funktionierte, nicht jedoch ausschließlich, nicht als Transposition, sondern ganz im Gegenteil sie ergänzend: Indem man Welt transponiert, wird das Transponierte zu ihr hinzugetan. Sie wächst also an. Infinit, fürchte ich.)2)
Argo. Anderswelt, TS EF 82/83.

1) Dort wird Landgewinnung betrieben.
2) Sofern diese Überlegung stimmt, können sich die Welten (Bezugssysteme) auch untereinander kalibrieren! Eine zur Realwelt hinzugekommene Datenwelt kann sie also umjustieren! DEN GEDANKEN SPÄTER WEITERVERFOLGEN.


ARGO-ÜA 15 <<<<

ARGO-ÜA (17). Abschweifungen. Zu streichen, doch zu bewahren. Gestrichenes ff.

Aber ich will nicht vorgreifen, nur mal von Zeit zu Zeit ein Orientierungsmästchen pflanzen. Daß bisweilen meine Erinnerungen hineinblasen wie in eine Wiese voller Pusteblumen, muß man mir schon zugutehalten: Dann fliegen sie auf und schweben durcheinander, lassen sich treiben, davontreiben und pflanzen sich anderswo ein, so breitet der Roman sich aus; viele andere Möglichkeiten bleiben ihm nicht, wenn er fruchtbar sein und seine Art erhalten will. Er wird sonst von den ganzen Fernsehserien erstickt. Schlechtes Bild? Meinen Sie? Der Ausbreitungsweise von Löwenzahn liegt, bedenken Sie das, eine Ordnung zugrunde, sie mag chaotisch sein; entropisch ist sie nicht. Anders als monokulturelles Erzählen laugt sie weder Böden aus, noch gefährdet sie andere Arten, lebt mit ihnen vielmehr symbios. Kann man das sagen: symbios? Wahrscheinlich nicht. Ist auch egal. W a r egal, als ich da versuchte, mich an die Scheibe des kleinen Handy-Ladens zu lehnen, unten im Zentrum der Schönhauser ALLEE-ARKADEN. Sowas ‚Arkaden’ zu nennen, ist ein Witz, also wirklich...: Ich mach mir Gedanken um ‚symbios’, ‚Arkaden’ aber geht durch... -
Argo. Anderswelt, TS 173/174.
UF zu der Passage: „Weiß nicht. Klingt fast wie ne Entschuldigung.“
ARGO-ÜA 16 <<<<

Der Fälscher Herbst in Wikipedia ODER Helmut Schiestl und Carl Johannes Verbeen. Außerdem Hannibal Lector. Verbeen (14).

Schon klasse, wenn einen >>>> die achte Klasse >>>> eine ‚dritte‘ nennt. Was aber ist mit dem >>>> Hinweis bei Thelen auf „De nieuwe catechismus. Meditaties over het christendom“?

>>>> Verbeen 15
Erster Produktionstag <<<<
Zweiter Produktionstag <<<<
Dritter Produktionstag <<<<
Vierter Produktionstag <<<<

Verbeen 13 <<<<

Zur Vergana fürs Literaturhaus Köln. Aus dem Entwurf. Die Niedertracht der Musik. Vergana (16).

Erbeten ist ein Text zur
Poetologie der Erzählung, die >>>> am 17. 1. vorgetragen wird.
(...)
Mit solchen Grundkonstellationen experimentiere ich seit dem Wolpertinger-Roman von 1993. Zugrunde liegt die Beobachtung, daß, solange wir ihnen nicht real begegnet sind, historische Figuren - auch solche der Gegenwart - von unserer Psyche nicht anders erfaßt werden als Figuren der Literatur. Das verschärft sich, um so weiter diese realen Personen von uns entfernt sind - sei es räumlich, sei es zeitlich. Wir hören von ihnen vom Hörensagen, wir sehen sie meinethalben im Fernsehen, aber keiner von uns weiß, ob das, was er zu sehen bekommt, einer tatsächlichen Realität entspricht oder ob es nicht vielmehr Inszenierung ist. Im politischen Leben ist letzteres nahezu gang und gäbe. Wir werden mit Desinformationen gefüttert, auf die wir - wie Levi-Strauss schreibt - ‚brikolierend‘ reagieren. Das bedeutet, daß unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit eine um so mehr mythische ist, je stärker der mediale Entfremdungszusammenhang wird. Dem trägt meine Poetik unterdessen radikal Rechnung. Ebenso wie etwa Napoleon Bonaparte schließlich nicht mehr von irgend einer Figur der Literaturgeschichte zu unterscheiden ist, ist es für einen Leser, der, sagen wir, Peter Aßmann (den Leiter der Landesmuseums in Linz) nicht kennt, eben dieser. Mit anderen Worten: Sowie eine Realperson in einen Roman implantiert wird, wird sie zur literarischen Figur und unterliegt deren literarischen Gestaltungsgesetzen.
Es liegt auf der Hand, daß dieses ästhetische Konzept eine scharfe Gegenposition zu allen sogenannt realistischen Konzepten vertritt; letztlich wird gesagt: Es gibt kein Dokument, also auch keine dokumentarische Literatur. Weitergehend formuliere ich heute: auch ein dokumentarischer (= objektiver) Journalismus ist unmöglich. Alles ist gefilterte und gestaltete Interpretation. Dem verleihen die meisten meiner Arbeiten Ausdruck.
- Das ist das erste.
- Das zweite.
Je älter ich wurde, und je weiter sich meine Arbeit fortentwickelt hat, desto mehr rückte ich von meinen ‚ursprünglichen‘ Positionen ab, die auf Emanzipation und Freiheit ausgerichtet waren. Unterdessen halte ich die Idee, Menschen seien potentiell frei, für eine Täuschung; ich halte - und folge darin entschieden dem Gehirnwissenschaftler Wolf Singer - ihre Handlungen (zu denen auch Bewußtseinsprozesse wie etwa Meinungen zählen) für letzten Endes strikt determiniert. Damit fällt der Schuldbegriff für mich in den Bereich des Illusionären. Andererseits verhalten sich Menschen anders, wenn sie sich frei fühlen, als wenn sie das nicht tun. Illusionen wirken also - gleich, ob ihnen irgend eine Realität entspricht - realitätsbildend. Um sich diesen Gedanken klarzumachen, denken Sie bitte an Bachs h-moll-Messe. Ohne Gott - und zwar egal, ob es einen gibt oder nicht – hätte es diese Messe, einen Meilenstein für die weitere Musikgeschichte, nie gegeben. Gleiches gilt für Bauwerke und schließlich die Struktur unserer Städte, ja der gesamten jeweiligen Zivilisationen. Es gilt für sämtliche Lebensbereiche, von der Rechtsprechung bis zum Verkehrssystem. Ich spreche in diesem Zusammenhang von einer „Realitätskraft der Fiktionen“. Eine solche Realitätskraft schlägt in der Vergana-Erzählung durch. Es ist völlig egal, ob der Erzähler, in diesem Fall ich selbst als literarische Figur, dem Mädchen tatsächlich angetan hat, wovon er berichtet: Er muß schließlich die Schuld austragen - daß dies am Ende zu Ungunsten des Mädchens geschieht, hat einen wiederum anderen Grund, nämlich
- Das dritte.
(...)

Vergana 15 <<<<

Aus einem Prekariat. Ein kleiner Beitrag zum Protektionismus der Privatindustrie.

VERANSTALTER
(...) Leider kann ich Ihnen (...) die Spesen und das Honorar nicht bar auszahlen. Der Bayerische Oberste Rechnungshof lässt das leider nicht zu. ANH(...) Das (...) ist (...) ist ärgerlich. Letztlich handelt es sich bei dem Verfahren politisch um einen Akt des Protektionismus: die Banken werden vom Staat protegiert, indem verlangt ist, daß jeder ein Bankkonto h a b e. Nun sind Banken aber private Unternehmen. Und abgesehen hiervon: Was ist denn mit Leuten, die so an der existentiellen Grenze leben, daß ihnen jedes Bankkonto verwehrt wird, bzw. ein bereits existentes gesperrt ist? Wenn ich so meine ökonomische Zukunft abwäge, gehöre ich sehr wahrscheinlich in nicht mehr ganz unabsehbarer Zeit dazu. Stellt der Rechnungshof da einen Bar-, bzw. Orderscheck aus?
Im übrigen kenne ich einen Fall, da ist einer Studentin (!) die Eröffnung eines Berliner Kontos bereits vor drei Jahren mit dem Argument verwehrt worden, sie habe kein festes Einkommen. - Schon deshalb finde ich einen solchen Protektionismus politisch bedenklich, zumal in einer Zeit, die zu vollem Recht vom Entstehen einer "neuen Armut" spricht und den Begriff Prekariat geprägt hat. (....)

ARGO-ÜA (19). An UF. Planung.

Damit Du weißt, wie es mit ARGO weitergehen wird, wenn die beiden TS-Exemplare an Döblin, bzw. Berlin abgegeben und die Erstkorrekturen auf dem Weg von der EF zur ZF eingearbeitet sind:
Um die ZF zu erstellen, werden zuerst die mittlerweile 402 Fußnoten sowie die 411 Arbeitsnotate aus den Anderswelt-Notizen in den Fließtext eingearbeitet werden, bzw. mit ihm abgeglichen und sich daraus ergebende offene Fragen geklärt. Damit bin ich dann so weit, auch >>>> EA Richter - jenen Künstler, der seinerzeit in der >>>> ebay-Versteigerung obsiegt hat - vernünftig, also nicht nur mit Anspielungen, in den Roman zu implantieren. (Wobei er sich auf meine Mails der letzten Monate gar nicht mehr gemeldet hat und ich insofern unsicher bin, ob er das eigentlich noch will. Andererseits hat mir sein ebay-Zuschlag einen überaus deutlichen Auftrag gegeben.) Daß ich für alles das einen neuen eigenen Ausdruck - mit Stand der Bewerbungsfassung fürs Berlin-Stipendium - brauche, ist klar, also eine korrigierte Erste Fassung.
Hab ich die hierüber skizzierte Arbeit geschafft, werde ich den ganzen Text noch einmal am Bildschirm lesen, einiges modulierend umformulieren und schließlich die ZF ausdrucken. Wiederum diese auf dem Papier korrigierend, wird zu sehen sein, wo Schnitte, also Streichungen, möglich sind. Nach Übertragung der entsprechenden Änderungen wird dann die DF, Dritte Fassung, ausgedruckt werden. Ich hoffe, damit bis zum Frühherbst 2007 durchzusein. Diese DF kann dann schon als Grundlage eines ersten Lektorates mit >>>> Dielmann fungieren.
[Bei Bartók, Konzert für Orchester.]
18 <<<<

ARGO-ÜA (18). Manifest. Übernommen aus dem Wolpertinger. Und wieder hinausgeworfen (Gestrichenes ff).

Ihr müßt in die Maschinen hinein, in die Hochhäuser, in die Kanalisati­on, ihr müßt euch den Aufzügen einsetzen, den Flughäfen, müßt durch die Böden der Kauf­häuser ziehen, müßt die Geräte durchdringen und im Kreischen der Elektrosägen leben, müßt den Asphalt zum Knistern bringen, die Säuren kochen lassen und im Lampenlicht sirren. Wenn ihr überleben wollt, müßt ihr eure Teiche verlassen, eure Bäche, eure Wälder, eure Erdhügel und euer Meer sogar.
(Deters zur Versammlung der Geister).
Wolpertinger oder Das Blau, Sechster Septor, II. Thing und (kurze) Dritte Nachtmusik.
Seite 828.
17 <<<<

ARGO-ÜA (20). Sätze. Über die Lamia Niam Goldenhaar im Keller des Berlin Carrées.


Da sie sich schminkte, waren noch Reste Menschheit in ihr.

(Argo EF 586.)

19 <<<<

Von Findeiss. Eingegangen kommentarlos als Mail

an einem wilden strand an der nordwestküste vom rhodos.
schwere see dort.
schwarze felsstrünke in der brandung.
wir liefen den strand entlang, kein mensch weit und breit.
sie ging weit weg von mir.
ich fand ein angespültes totes delphinbaby.
seine haut teerschwarz, aufgeplatzt.
in den rissen himbeerrot, die kleinen zähne scharf entblößt,
die trockene zunge schwarz,
die spitze eingerollt wie die eines Chameleons.
fliegen und sandflöhe in den leeren augenhöhlen.
keine erinnerung an es.
kein wesen das es je vermisste.
ich dachte an all diese leute,
die ihre erinnerungen aufschreiben,
die keiner jemals lesen wird,
ich dachte an das kind
das wir nie zusammen haben würden.

ARGO-ÜA (21). Sätze. Frauen.

Sondern Frauen kennen den Nu eines Moments der Lebensentscheidung, welchen Männer, wenn überhaupt, immer nur passiv erfahren, als Betroffene, so oder so. Plötzlich f ä l l t s i c h in Frauen diese Entscheidung: von einer Sekunde auf eine andre, und jeder Zweifel in ihnen vergeht.
Argo, EF 606.

20 <<<<

Kitsch, den Menschen leben, ist anspruchsvoll.

Den sie nur ansehen, billig.

(CDXXXI).

(Das gilt für die Akte der Menschlichkeit wie für Obsessionen der Kunst und der Liebe.)

Auferstehung

verbrennt mich nicht, wenn ich tot bin
gebt meinen körper in den boden zurück...
den ins vorwärts gedrehten... in die
treibenden schlamme... wille: zu z e u g e n:
so wälzt er sie weiter... achtend zu fürchten
ist‘s und zu lieben noch im zerfall

(Ohne das nicht Geister noch Geist.
Und im Fleische molekular.)

Aus Notwehr nicht korrupt. Moralisches Paradox.

Man kann in die Korruptionslosigkeit auch hineingedrängt werden; dann hebt sie sich über dir wie ein Richtschwert, und der Henker zeigt das Gesicht der Verhängnis.

(CDXXXII).

"Sinekuren noch und noch." Filz und Gönnertum. Ulrich Janetzki (ff.).

In >>>> Sachen Janetzki (18.08 Uhr) ist hübsch >>>> Lutz Hagestedts Satz >>>> „und wer auf seinen Rat und seine Unterstützung zählen kann (...) , der kann sich auf ein abwechslungsreiches und einträgliches Leben als Schriftsteller einrichten.“ Wie freundschaftlich das ganz gewiß auch gemeint ist, so verräterisch ist es. Der Satz verbirgt nämlich H ö r n e r unter seinem nicht grundlos so dicken, lobenden Fell. Die spießen alle jene auf, die n i c h t auf Janetzkis Unterstützung rechnen können, und es spielt da gar keine Rolle, aus welchen Gründen nicht. Nun wäre das nicht problematisch, ja wäre restlos in Ordnung und sogar zu begrüßen, ginge es nicht um die Verteilung ö f f e n t l i c h e r Gelder. Janetzki ist kein Mäzen, der aus eigenen Mitteln seine Leidenschaft und also seine Künstler fördert, sondern letzten Endes Verwaltungsangestellter.

[Es ist Der Dschungel bewußt, welches Risiko Einlassungen wie diese bergen. Nur gehört zur Zivilcourage ganz unbedingt n i c h t, etwas n i c h t zu sagen, weil man persönliche Nachteile fürchtet. Zivilcourage ist das Gegenteil der strategischen Haltung. G e g e n diese, ganz unbedingt, stehen Die Dschungel ein. Auch wenn sich die persönliche Ökonomie dafür rächt.]

That‘s self-referentiality!

BUCHMARKT >>>> verweist auf Die Dschungel.

Also die gestrige Veranstaltung. Mr. Gay, Thomas Meinecke, Norbert Wehr und Maria Isabella Vergana. Vergana (17).

Es waren so gegen fünfzig, vielleicht auch sechzig Leute >>>> da; das läßt sich, weil klug bestuhlt wurde, nicht so genau sagen. >>>> Norbert Wehr besorgte den Büchertisch, aushilfsweise, weil man keinen Babysitter gefunden hatte. „Das werden Sie so schnell nicht wieder erleben“, kommentierte Thomas Böhm. „Ich rate Ihnen deshalb zu kaufen.“ Was die Leute dann auch taten, sogar ein WOLPERTINGER ging weg, vor dem die Leser sonst immer scheuen. Wehr hatte ein ganz zufriedenes Lächeln auf seinem sehr klugen, sehr scharfen, dabei sehr melancholischen Gesicht. Er ist tatsächlich ein schöner Mann; Wissen, Leidenschaft und eine zugleich starke Zurückhaltung sind physiognomisch bei ihm zu hochästhetischem Ausdruck geworden. Mir ist das schon mehrfach aufgefallen, es gibt darin keinerlei Schwammigkeit; dennoch ist er nicht kantig, sondern hat etwas Mildes, g u t -Weiches, das mit einem irgendwie Indianischen eine ausgesprochen edle Symbiose eingegangen ist. Ganz entfernt ist man an Al Pacino erinnert. - Für den Literaturbetrieb - worin Fettsucht, Alkoholismus mitsamt seinen Besenreißern und überhaupt graue Haut das jedenfalls ‚männliche‘ Bild bestimmen, das sich zudem um eine körpergewordene Characterdisposition zu ständigen Bücklingen ergänzt, oder aber, worin für Kultiviertheit allein eine vergeistigte Schwulen-Ätherik steht - ist er deshalb eine Erscheinung von ganz enorm männlicher Reinheit, die trotz dieses Milden Weichen durch nicht einmal den A n f l u g von Androgynem gestört wird. Daß mir so etwas gefällt, muß ich Ihnen nicht schreiben.
Meinecke (ich habe ihn in den vorigen Postings immer falsch, nämlich nur mit ‚k‘ geschrieben; das muß ich im nachhinein ändern) las >>>> „Mr. Gay“, einen Text über verschwimmende Geschlechteridentität, s e i n Thema, ganz offenbar; situiert in den USA, so auch die Namen aller ‚Mitwirkenden‘ US-amerikanisch, bewegt von Pop und Subkultur, aber eigenwillig durchsetzt von theoretischen Partien, die sich letztlich den gender-Diskussionen verdanken, stark beeinflußt von Judith Butler direkt. Die Stimmung erinnerte mich teils an Szenen aus Cronenbergs nach Ballards Roman gedrehtem „Crash“; über- und aufgedreht wie eine Drag-Queen, zugleich aber heruntergekühlt, fast profanierend-nüchtern im Stil, der a u c h etwas Anti-Poetisches hat und ganz bewußt auf klassischen Spannungsaufbau verzichtet. Daher gibt es keinerlei Pathos in dem Text, der dennoch immer Literatur bleibt und bis hin zu nicht selten auch direkt ausgedrückten Bibel-Verweisen mit seinem ganzen Material s p i e l t. Das ist in seiner Konsequenz beeindruckend, übrigens gerade auch im Kontrast zur >>>> Vergana, die i c h dann las.
Wieder einmal wurde mir bewußt, welchen Regreß ich da eigentlich gestalte und wie d i c k der Strich ist, den ich durch die Aufklärung ziehe: dick und, selbstverständlich, r o t. Ich werde ganz offensichtlich ein radikaler Konservativer - ‚konservativ‘ in einem alten Sinn, nämlich ohne daß das anarchistische Element verlorengeht. Manchmal muß ich an Erich Mühsam denken, der mit Beginn der kurzen Münchener Räterepublik bei einem Essen auf Messer und Gabel und Tischsitten bestand, indes seine Genossen all dies für ‚bürgerliche Verbildung‘ hielten. Konservatismus in meinem Sinn bedeutet einen Anarchismus, der F o r m e n wählt, aber aus Freiwilligkeit, aus ‚Selbst‘entscheidung, soweit freilich der Begriff „Entscheidung“ für einen noch eine Rolle spielen kann, der den Glauben an Freiheit nicht länger teilt.
So wurde denn auch in der kleinen Diskussion hernach von Thomas Böhm der Komplex der Schuldhaftigkeit thematisiert: „Diese Person macht das Schlimmste mit dem Mädchen, das man sich nur vorstellen kann, und scheint doch überhaupt kein Schuldgefühl zu entwickeln“, wendet er ein. Das ist in der Geschichte nicht richtig; der Erzähler g e s t e h t sogar seine Schuld; zugleich wird aber eben erzählt, daß dies für die D y n a m i k des Geschehens überhaupt keine Rolle spielt. Es entwickelt sich völlig jenseits menschlicher Kategorien, entwickelt sich - eben - schicksalshaft. Das ist der eigentliche Skandal der Vergana-Erzählung. Nicht für die Literatur-an-sich, der ist sowas seit Jahrhunderten bekannt, sondern für eine aufgeklärte, demokratische Moderne, bzw. Nach-Moderne. Ich habe im Gespräch darauf hingewiesen, daß dies nicht unähnlich dem Geschick ‚nachgeborener‘ Deutscher ist, die schuldlos sind, aber dennoch Schuld am Hitler-Faschismus t r a g e n müssen – ein Thema, das mich seit Jahrzehnten begleitet. In der Zeit meiner Psychoanalyse formulierten mein Analytiker und ich dazu den Begriff schuldlose Schuld. Daß so etwas einen Bogen zurückzieht zum antiken ‚fatum‘, liegt auf der Hand. Übrigens teile ich diese Auffassung mit Borges; nur hat der sie nicht so mit moralischen Reizthemen verbunden, wie ich das unentwegt tue.
UF: „Du mußt Dir nur die Gesichter der Hörer ansehen, während du liest: wie irritiert, wie erschreckt teils! Aber darüber muß man sich nicht wundern: Du läßt einerseits den Erzähler sagen, er selbst habe all das tatsächlich g e t a n, andererseits hat er es aber n i c h t. Schon das führt zu Verstörung. Wenn Du das dann noch mit diesen Reizthemen kombinierst - gegenüber Lesern, die es gewohnt sind, gut für gut und schlecht für schlecht zu lesen -, dann entziehst du ihnen jede Orientierung, und zwar selbst oder g e r a d e dann, wenn die Erzählung so geschlossen und in sich stimmig ist wie die Vergana.“
Was diese Reizthemen - es sind Tabus - insgesamt anbelangt, wird erstaunlich wenig bemerkt, wie sehr sie Mitschreibung von Realität sind, Beobachtung und Erfahrung. Selbstverständlich i s t in der Dritten Welt eine 13jährige, die auf den Strich geht, n i c h t ungewöhnlich; eher im Gegenteil. Unsere zivilisierte Wahrnehmung will aber diese uns moralisch nicht genehme Regel n i c h t wahrnehmen und stilisiert sie drum zur Ausnahme. Nur ist das eben ein Weg-Blick, der die hochtechnisierte westliche Welt zentralisiert und sich keinerlei Gedanken über Notwendigkeiten macht, die in der Dritten Welt aus rein existentiellen Gründen herrschen. Auch daß dort ein auf-den-Strich-Gehen nicht unbedingt mit unseren Maximen übereinsgeht. Und sowieso: daß es wichtiger ist zu überleben (und die gesamte Familie oder gar das Dorf mitzuversorgen), als zwar moralisch ‚sauber‘ zu bleiben, aber zu verhungern und die andren mitverhungern zu lassen.
Das Tragische an Verganas Geschichte ist aber nicht dies, sondern ist, daß sie l i e b t e. Obendrein spielt der antibürgerliche, n i c h t auf Autonomie und gleichberechtigte Mündigkeit gegründete Liebesbegriff eine Rolle: nicht Pragmastismus, sondern Obsession. Ungebremste Naturgewaltigkeit von Gefühlen. Die Zivilisationen haben das gebunden und moderiert; viele meiner Erzählungen setzen es wieder frei – und zwar gerade da, wo sie formal so perfekt sind, daß es mir den Vorwurf des Formalismus einerseits, andererseits - etwa durch Martin Halter - >>>> den eines galoppierenden Narzissmus eingetragen hat. Das ist dann gleich der nächste Widerspruch, den Leser ertragen können müssen – ich selbst, übrigens, muß es auch. Denn es ist ja nicht so, daß ich mir derartiges vornehme, sondern e s g e s c h i e h t in den Geschichten. Erst ihre Überarbeitung - ein formaler Akt des Handwerks - deckt mit der Form den Schein einer Verfügbarkeit und Autoren-Autonomie darüber. Allerdings sind es allein dieser Schein und diese Form, was den perversen Kunst-Akt des Kathartischen ermöglicht.
[Poetologie.]
>>>> Vergana 18
Vergana 16 <<<<

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und die Pointe. Claudius Seidl, die Didaktik und René Jacobs. Monteverdi nämlich: Marienvesper/Combattimento di Tancredi e Clorinda. Premiere in der Staatsoper Unter den Linden Berlin.

Mit einer nachträglichen Form >>>> versuchter Rücknahme am 20. Januar.


Frankfurter Allgemeine SonntagszeitungLieber Alban, schön, daß Du für uns in die Oper gehst - leider handelt es sich halt ums Genre der Kurz- bzw. Kürzestkritik. Es sind nur 41 schmale Zeilen, also ca. 1200 -1250 Anschläge. Eine Pointe und äußerste Konzentration sind gefordert.
Herzlich, Dein Claudius
ANHWas d a s jetzt soll, ist mir unklar: "Eine Pointe und äußerste Konzentration sind gefordert."
1) bin ich kein Boulevard - und sowieso kein Journalist...
2) mußt Du schon, w i e ich etwas und w a s ich schreibe, mir selbst überlassen. Sonst können wir auf Zusammenarbeit auch verzichten. Didaktische Anweisungen führen für meine Person in jedem Fall zu Widerstand und Unwille.
3) ist das eine g r o ß e Inszenierung; wenn Ihr lieber über Pop berichtet, solltet Ihr d a s machen und Euch nicht ein Feigenblatt vorhängen.
4) ich werde diesen Mailwechsel in Die Dschungel stellen; wenn Ihr meinen Artikel nun kippt, möget Ihr's tun.
Alban

[Meinen Lesern: Vorgegeben war erst R a u m, dann waren es 55 Zeilen à 33 Anschläge, das war schon knapp genug. Jetzt erreichte mich die zitierte Mail. Beteiligt sind drei verschiedene Redakteure. Darauf nun meine Reaktion. Wie das ausgeht, werden wir am Sonntag wissen. - Wohlgemerkt, es geht mir nicht um den Platz; dessen neuerliche Einschränkung mag zeitungstechnische Gründe haben. Sondern es geht um den T o n: als wäre Konzentration sonst nicht 'mein Ding'.]

Daraus lernen! Es w i e d e r lernen! Marienvesper, Monteverdi. Alltag & Andacht. Staatsoper Unter den Linden.

Im hervoragenden Programmheft zur >>>> neuen Inszenierung René Jacobs‘ und Luk Percevals findet sich gleich zu Anfang >>>> Silke Leopolds Bemerkung, es habe zu den Auswirkungen“des Reform-Konzils von Trient (1545-1563) (..) auch das Ziel {gehört}, das weltliche Dasein wieder stärker mit der Religionsübung zu verknüpfen, Alltag und Andacht zu einer Einheit zu machen und schließlich in der religiösen Inbrunst auch eine erotische Komponente zu entdecken. Daß die Musik hierfür ein geeignetes Werkzeug darstellte, weil sie den Intellekt und die Sinne gleichermaßen ansprach, erkannten vor allem die neugegründeten Religionsgemeinschaften wie der Jesuitenorden oder die Oratorianerbruderschaft des heiligen Filippo Neri, die sich weltliche Kunstformen des Theaters oder der Musik für religiöse Bestimmungen zunutze machten.“K u n s t, umgekehrt, tat das immer. Daher ihr unbedingt Irdisches.
[Poetologie.]

Ulrich Amling. Der Tagesspiegel, die Netzeitung und ihre Verreißer. Monteverdi, Marienvesper, Staatsoper Unter den Linden (ff). Und Dorothea Zeemann: "Ich will den Respekt einer anständigen Erektion!"

War denen Helmuth Karasek - der einzige Mensch, den ich kenne, der schon beim Flirten schwitzt - peinlich nicht genug? - Nö.

Ich lese gerade >>>> die ersten Kritiken, die v o r der meinen über >>>> Jacobs‘/Percevals Inszenierung im Netz erschienen sind. Allüberall Verrisse aus Abwehr. „Kitsch“ ist als Argument zuhandenst. So auch bei Ulrich Amling vom Tagesspiegel. Nun ja, denkt man sich, da schaut man doch mal: Was hat der Mann s o n s t noch geschrieben? Und man sieht: >>>> so viele Verrisse...
>>>> „Sie wandern umher, manchmal, aber nur ganz leise ohne Schuhe, um die Musik nicht zu stören.“ Dagegen in m e i n e r Rezension:

Barfuß heißt „Erde“, man gibt dem Monotheismus seinen Eros zurück.
Nix kapiert, also, der Mann. Wie l i e b e n solche Leute?

[Nicht klüger ist übrigens >>>> Esteban Engel.
Dito (22.1.): >>>> Halblützel und Brug.]

Das Netz Der Dschungel. (2). Synapsen.

dschungelnetz-220107
Via >>>> touchgraph.

>>>> Das Netz Der Dschungel (3)
Das Netz Der Dschungel 1 <<<<

Die Dschungel, contradomisch (1).

Mit allem Recht wird gesagt werden dürfen (und sicher auch gesagt): Der tut >>>> das alles nur, weil wir ihn nicht anerkennen.
Daran i s t was. Aber halt „was“ nur. Denn die Bewegung fand ihre Gründe, und der Einwand ist so wohlfeil wie der Vorwurf, wäre man ‚arisch‘ ins ‚Dritte‘ Deutsche Reich geboren, man wäre a u c h zum Hitlerjungen geworden. Selbstverständlich wäre man das, schon gar bei dieser Abkunft.

Notamale: Moral entsteht aus Prägung und Erfahrung.
[Moral.]

Mit der FACKEL gerufen.

Es muß (und w i r d) so weit kommen, daß die Leute z u c k e n, wenn sie hören, >>>> sie sind in Der Dschungel erwähnt!

[Bereits jetzt entkommt ihren Schlingpflanzen keiner. Etwa findet man >>>> i h n bereits auf Platz 1, kaum daß man sich heute (22. Januar) >>>> mit der google-Machete ins Netz schlägt.)

Niklaus Halblützel, in der TAZ.

>>>> Reiht sich >>>> ein .

[Marienvesper und die Angst vor Gefühlen.
Typischerweise ist Die Dschungel wie fast immer anderer Meinung. Weil sie nicht das, nicht Meinung, sondern >>>> weil sie v i t a l ist. Wären wir boshaft, wie schrieben sogar nicht "vital", sondern: v i r i l, nämlich ein Wort, das von „Mann“ kommt und mit „Tapferkeit“ zu tun hat, mit männlicher Tugend (virtus), also mit M u t. Der geht mit dem Staub der Antiquariate auch dann nicht zusammen, wenn dieser als Tausende intellektuelle Partikelchen in der Luft flirrt.
Manuel Brug nun >>>> ebenfalls. Natürlich könnte >>>> die Wahrheit a u c h sein: Die Kritiker sind homosexuell, und weibliche Schönheit ist ihnen... sagen wir: mütterlicherseits zu tabubesetzt

ARGO-ÜA (22). Sätze (ff).

Jede Odyssee kommt vom Vater.
Argo. Anderswelt. EF 657.
21 <<<<

ARGO-ÜA (23). Gestrichenes (ff). Wirklichkeit & Gegenwart.

Der klirrenden Kälte wegen kann es kaum der späte Oktober, frühe November s e i n, an dem dieser Roman eigentlich spielt; seine Entstehung braucht mehr Zeit als die Handlung, vergessen Sie das nicht. Will er also Gegenwartsroman bleiben, dann müssen die Geschehen die Gegenwart vor sich herschieben oder wenigstens mit sich ziehen, und zwar jeweils in eine neue Gegenwart hinein; dem entspricht die Vorstellung von Gleichzeitigkeit (geschichtsmoralisch ausgedrückt: der Anwesenheit des Vergangenen im Jetzt, seine Metamorphose). Das fiel Eckhard Cordes soeben zur Erklärung ein, und er dachte, es müsse dieses sich-ineinander-Verhaken dazu führen, daß die einzelnen Erzählfragmente selbst immer kleiner würden, es seien schließlich narrative Punkte, entities, hätte Whitehead gesagt, die insgesamt wie Tausende Pixel das flächige Bild, das Tableau, über die Entfernung bewirkten, die jemand dazu einnimmt. Stehe er zu nahe daran, dann zerfalle das Bild. Das ist eine Beobachtung Vilèm Flussers. Unsere Wirklichkeit sei nämlich schon deshalb nicht stetig, w e i l sie pointilliert sei. Die Wahrnehmung eines Geschlossenen und Stetigen stelle sich rein deshalb her, weil das Gehirn die Wirklichkeit so interpretiere; ähnlich einem Spielfilm, dessen 25 bis 26 Bilder pro Sekunde wir eben auch als etwas Stetiges erlebten, ohne daß das der Realität entspricht.
Nun wirkten die Wirklichkeitspunkte selbstverständlich gegenseitig aufeinander, das halte die Wirklichkeit überhaupt zusammen wie die Anziehungs- und Fliehkräfte die Körperchen des Moleküls und wiederum diese die Zelle und die den Körper insgesamt, welcher wiederum auf eine ganz analoge Art mit anderen Körpern, schließlich der Welt und dem Kosmos interagiere; indes sei die Art dieser Kräfte völlig verschieden: in der Poesie nennt man sie Inspiration.
[Poetologie.]
22 <<<<

Wie es im Hintergrund geht.

Wie es im Hintergrund geht.
Geburten und Sterben vergessen,
ist einem eine Zeit bemessen,
die ihr in den Gesichtern seht:

an Fülle, an Tiefe und Schluchten;
die Augen werden dir ganz matt,
zu früh, wenn einer nicht ausgeschöpft hat
Versuchung und Höhen und Buchten;

spät aber dem, der bereit war zu nehmen,
und verbarg sich in niemandes Schatten.
Er blutete, spritzte, war nicht zu zähmen

und s t ü r z t e, er sank nicht. Sie hatten
ihn zu töten die Kraft, nicht zu lähmen.
Er stürzte, um noch den Tod zu begatten.

Das Literarische Weblog als Schwarzes Loch. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (78).

blogshares-anh-260107Schaut man sich diese Grafik an, dann wird deutlich, daß Die Dschungel eigentlich n e b e n der Netzdynamik einherexistieren, wiewohl sie extrem auf sie bezogen ist: Enorm viele Links führen von anderen in sie hinein, aber extrem wenig führen hinaus (und zwar, obwohl >>>> blogshares.com durchaus nicht alle Links erfaßt hat). Man gewinnt den Eindruck, Die Dschungel s c h l u c k t e n Links – vielleicht führen die Linien auf einer „anderen Seite“ hinaus; vielleicht auch nicht. Wer kann das sagen, ob es eine solche andere Seite gibt? - Die Dschungel meinen, d a ß es sie gibt, aber auch, daß es sie immer schon gab; nämlich i n der und a l s Dichtung.
Das Literarische Weblog s p i e g e l t insofern das Netz; in ihm wiederholt sich - bzw. Literatur führte es vor -, was im Netz a l l g e m e i n geworden ist. Das Literarische Weblog - verstanden als ein Publikationsforum, das nicht nur Texte publiziert, sondern sie den Netzdynamiken aussetzt, das also nicht nur Ausweichorgan, sozusagen publizitäres >>>> Übergangsobjekt ist - wird zum poetischen und poetologischen Mini Mundus des Internets, weil es dessen Vorgänge ästhetisiert. Dazu gehört selbstverständlich a u c h >>>> die erzählte Privatheit; dazu gehören aber ebenso das Abstrakte der Theorie wie die Narration sinnlicher Geschichten, sowie eine Zeitmitschrift, die sich aus den unmittelbar zeitnah reflektierten Vorgängen selbst ergibt, i n d e m man sie reflektiert. Das Literarische Weblog hat mit einer Geistes-Geschichtsschreibung des kybernetischen Zeitalters begonnen.
[Poetologie.]

P.S.: Wie in einem Schwarzen Loch scheinen die Geschehen auf dem Zeitstrang verlorenzugehen; die RUBRIKEN sind der A n s a t z, diese Verluste zu vermeiden; ebenso die SEARCH-Funktion. Solange nicht der Provider in die Knie geht, ist alles immer zugegen. Nur sieht man das nicht. Genau so wirken die Determinanten der Realität.

77 <<<<
 



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