Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
________________________________


 

Undine stirbt (vielleicht d o c h nicht [1.5.]) in Gütersloh.

Und >>>> in den Kommentaren.

[Ein ausführliche Kritik zu den Bearbeitungs-Vorgängen steht >>>> dort.]

Brave Jungs. Von Margaret Cohen. Bei Rafael Yglesias (2).

Sie gluckste leise, ein komplexes Nebeneinander von Zärtlichkeit und Verachtung – eine Melodie, die kein Mann je hervorbringen konnte: wissend und sarkastisch, liebevoll und genervt zugleich. „Meine Brüder...”, begann sie. „Die sind die streberhaftesten jungen Männer, die du dir vorstellen kannst. So brave Jungs”, seufzte sie. „Meine Mutter hat sie gut erzogen.”

Yglesias-Gluecklicher-Ehe

Yglesias 1 <<<< [um 12.10 Uhr im Link].

Zur Ehre des freien Geistes.

„Sie sind unbeherrscht!”
Welch ein Lob, wenn man den moralisierenden Ausruf gegen den Ausrufer wendet: Nicht beherrscht sein. Von niemandem.

(DXIX).

ANH, Sämtliche Erzählungen. Band II, Azreds Buch, Kulturmaschinen Berlin. Überarbeitung (2): DER SCHUT. Auszug.

(...)
Durch den Hain kieselte Gelächter von den Wein- und Cocktailgläsern her, mit denen Liebespärchen zum flirtenden Eifer der Zikaden klirrten. Das ging dem Schut etwas nah, der, seit er wieder nachsann, nicht mehr schwitzte. Er war in die Nacht wie ein Ausrufezeichen auf einen ermatteten Spiegel gemalt. Die Pinie reflektierte seinen hölzernen Duft auf wisperndes Gebüsch, und das warme Dop­pelrohr roch nach Spuren von Schwarzpulver. Ein Satz lag dem Schut im Ma­gen. Er hatte das Gefühl, es beule den wie jenes schoßhundskleine meta­phorische Ungetüm, von dem er gehört hatte, der Philosoph führe es abends gern gassi, zu späterer Stunde, bevor er am Dorfplatz einen letzten Pastice zu sich nahm. Angeleint ziehe er das Tier über die Dorfstraße hinter sich her.
Es war nicht schwer, sich beide vorzustellen. Des Alten etwas gehässiges, doch auch philantropisches Lächeln, dazu der wehrbereite Blick aus dem gesenk­ten Kopf hinauf, worauf die eine der beiden Brillen gesetzt, die er stets trug und oft im Reden wechselte, bis sich die Haltebändel verwirrten. Und der Oktopus in einer Kunststoffhaut, in der ihn Meerwasser kühlte und am Leben erhielt, den Anus gen Himmel, den Schnabel zur Mutter. Die zweite hintere Seite. Natur sei, so der Satz, was man erkennen könne, ohne es anerkennen zu müssen: sei ein fortschreitend künstlicher Ausschnitt der Welt. Dem zu widersprechen, war der Schut hergekommen, und um das Tier zu töten. Kunst sei vielmehr, wollte er sagen, ein aus der Natur herausge­nommener Ausschnitt: sei Interpretation und eine, je mehr sie voranschritt, Krankheit, die die Entfremdung chronifiziere. So kam er, der Schut, um der Unmöglichkeit zu begegnen.
Er hatte gelitten und war nicht bereit, es neuerlich zu tun. Er kam im Auftrag der Empirie. Wenn man die störte, schlug sie zu. Wie er so verborgen im Nachtglanz mit einem Zeigefinger an der Baumrinde kratzte, demütigte ihn bereits, daß er überhaupt und wieder dachte. Als Folge, dachte er, des Kunstgriffs in Welt.
Dem Schut war übel. Schienenbeinaufwärts saugte die Kunst. Er ließ Platon herabgleiten, einen Bolzen im geschmierten Rohr der Hand, faßte am Schutzring des Auslösers nach, pfiff tonlos, kauerte sich zu Füßen der Pinie. Da sprang der Faber in den Lu­dens zurück und fluchte.
„Bilderwichser!”
Der Neologismus machte ihn lachen, flüsternd setzte er nach „Quale seduzione!”
Die Warterei war zermürbend. Die synkopische Gewalt des inneren Widerspruchs, dachte er, sei eine der Folgen des äußeren zwischen Söldner und Besol­der. Wahre, gute und schöne Taten, dachte er, sind Werke des schöpferischen Dialogs zwischen Lehnsherrn und Jäger: sie berechtigten zu der Hoffnung, es fielen nicht alle Aktionen dem emportauchenden Universum der puren Einbildungskraft zum Opfer. Auch darauf wäre der Philosoph anzusprechen, käme er denn die sandige Straße noch entlanggeschritten: klein und kompakt, ein bißchen zu nervös für sein Alter, doch eben deshalb bereit, alles immer umzukehren, wenn er’s für denkbar hielt: sein ganzer Körper war eine manngewordene Inversion des Bilderverbots.
„Ich werde Sie Aaron nennen”, sagte der Schut und trat aus dem Schatten auf ihn zu.
Der Alte stoppte und zog an der Leine, die den latexnen Raumanzug des Mollusken zugleich mit Sauerstoff versorgte. Das Tier kam langsam und ein bißchen wabernd hinter dem Philosophen einhergewatschelt. Jetzt wollte es die Überraschungssekunde nutzen und versuchte, sich gen Büsche fortzuwinden.
„Kant, bei Fuß!”
Der Molluske gehorchte. Doch sah das ziemlich ironisch aus, wie er die Radula zeigte.
(...)


Selzers-Singen-Titel-kleinErster Band, Selzers Singen <<<<

ANH, Sämtliche Erzählungen. Band II, Azreds Buch, Kulturmaschinen Berlin. Überarbeitung (3): Eine Richtigstellung. Von Javier Otárola. Der Anfang.

Die größte Leistung auf dem Gebiet der Fiktion ist die Erfindung unseres Ichs. Sie kommt der Anstrengung Neugeborener gleich, ihre Lunge aufzublasen, wobei man, als Mensch und zunehmend japsend, dann weiterblasen muß, nur um schließlich doch zu kollabieren. Daran ändert auch das Gepuste der Mitmenschen, allesamt Kurzatmer, nichts, die um die Bildung unseres Ichs solange mitkeuchen, bis wir gemeinsam ins Nichts zurückgefächelt sind. Nur wenigen gelingt es überhaupt und den wenigsten zu Lebzeiten, an Pneuma und Pneumatik derart zu pumpen oder pumpen zu lassen, daß sie, wie einen Platonismus, nicht etwa das Spiegelbild ihrer empirischen Person schaffen, sondern etwas, das ganz gleichberechtigt zu der Realität noch hinzukommt. Marino brachte es bekanntlich dazu, am Vorabend seines Todes. Jorge Luis Borges, sein Schöpfer, hat es bereits zuvor dazu gebracht: So sei ihm gratuliert, der er kein Ende findet.
Allerdings weiß ich nicht, wo er und als wer er sich dort zur Zeit aufhält. Doch will er an seiner unter dem Pseudonym James Woodall erschienenen Autobiographie gewiß nicht so viele Jahre gearbeitet haben, ohne die Vorführung seiner Redoute auch zu genießen. „Ein Ziel dieses Buches ist es, Licht in das Dunkel von Borges’ Leben zu bringen“, heißt es am Ende der einleitenden Rollenprosa, „bis zu dem Augenblick“ (hier die entscheidende Stelle: ) „in dem er im Alter von ungefähr vierzig Jahren für immer das Universum der Fiktion veränderte und – wie er es wohl ausgedrückt hätte - die Fiktionen des Universums“. Diesen Witz eines Zweiten Konjunktivs kann nur begreifen, wer den Woodall-Satz als Borges-Satz liest: das ist unverkleidet borges’sche Humor. „Seht ihr’s nicht, wie ich lebe?“ ruft uns mokant seine weiter so lebensfrische Sterblichkeit zu.
Aber es gibt Indizien, die deutlicher sind: Nicht bloß seinen spöttelnden Starrsinn, der ihm gar keine Wahl läßt, als an der berühmten Drohung festzuhalten, nicht eher zu sterben, als bis man ihm den LiteraturNobelpreis zuerkennen werde. Ein Mann wie Borges hält sein Wort. Sondern das unter dem durchsichtigen Pseudonym Herbert Ashe vor zwei Jahren erschienene Bändchen Alusiónes sowie Quilos‘ El Barrio del Tigre Azul sind gleichsam brüllende Zaunpfähle. Der in Borges‘ Werk wirkenden Ironie entspricht dabei völlig, daß wir in tiefstem Herzen längst die Wahrheit kennen. Nur in den Kopf will sie, als Tatsache, nicht. Nicht in jenen der Schwedischen Akademie, nicht in unsren. Wir können nicht glauben. Und Aufklärung erfaßt den Sachverhalt nicht.
(...)
[Mit freundlicher Genehmigung von La Nación, Buenos Aires,
23. August 1999. Aus dem Spanischen von Ramón Roger Hüon.]



„Azreds Buch, Geschichten und Fiktionen”
wird im Herbst 2010 erscheinen.
Selzers-Singen-Titel-kleinErster Band, Selzers Singen <<<<

ANH, Sämtliche Erzählungen. Band II, Azreds Buch, Kulturmaschinen Berlin. Überarbeitung (4): Von Gräbern und von Moden, Auszug.

(...)
In Wien ging es los, auf dem Zentralfriedhof nämlich, gleich da, wo Curd Jürgens begraben liegt, als kurz vor dem Totensonntag letzten Jahres eine beauftragte Firma eine Holzwand mit einem Plakat affichierte, worauf verschiedene, indessen wohlgekleidete Skeletts sich an den Fingerknochen hielten. Im Tode sind wir alle gleich. Das stand darüber. Und darunter: United Colors of Benetton. Irgend ein Witzbold, einer von der unge­pflegten Sorte, die mit Sprühflaschen und neuerdings auch über Friedhöfe geistert, hatte rechts unten graffititiert: Ein einziges Europa. Das war, wie sich zeigte, voller Voraussicht.
Es erregte auch keinen Verdruß. Als vielmehr am 22. November die, so André Heller, mit dem Zirkus unter dem Herzen hinauswallfahrteten, um ihre Verwandten in Robert Stolz eingegangen zu finden und gelbe Blümchen auf endlichen Heimstätten niederzulegen, da konnten sie was staunen! Das Drängeln vor der Plakatwand hatte für mich, bei aller spürbaren Freude, etwas Bedrohliches; deshalb hielt ich mich abseits. Doch meine Arg war grundlos: Manche Leute klatschten sogar, der Gebärden gab es vertrackte. Sprechen tat niemand, aber die Augen! Wie zuversichtlich, wie kindlich aufgerissen sie schauten! Irgendwo fiedelten Gei­gen, die Amseln krakeelten, so aßen die Leute den türkischen Honig. Man fühlte sich wohl und an Dante erinnert:
Die Mode, die herabstieg mit der Kunde
Von jenem jahrelang ersehnten Frieden
Der uns erschloß den lang verbo­tenen Himmel,
Die war vor unseren Augen so wahrhaftig,
Dort fotografet und mit sol­cher Milde
Daß es nicht schien, es sei ein Bild, das schweiget

(Göttl. Komödie, II, 10. Gesang,34 ff).
In der Tat ließ sich bei einiger Versenkung die Impression ge­winnen, einem still-naiven, grenzüberschreitenden Tanz zuzuschauen. Selbst ich, ein Skeptiker, konnte mich des Gefühles nicht mehr erwehren, den Gipfel eines werberlichen Läuterungsberges erklommen zu haben. Erstmals sei hier, dachte ich, ein Abbild unserer Welt und Abwelt gelungen, das Anspruch und Wirklich­keit in Deckung bringt. Was nutzt das Lamentieren über die Ungerechtigkeit und Kürze unseres Lebens zu anderem, denn es noch weiter abzukürzen? Hier hatte jemand menschlich verstanden, hier war ein Realist des Product Placings am Werke gewesen, und ich bezweifelte nicht, es werde ihn der Heilige Geist mit steigendem Umsatz besegnen.
Am Montag frühmorgens, so las ich am Dienstag im Hotel in der Zeitung, hätten, v o r den Öffnungszeiten bereits, vor der Wiener Filiale Schlangen gestanden. Man habe den lieben, langen und folgenden Tag mit den Produkten nicht nachkommen können. Ja Nachtschicht sei einzulegen gewesen, zu deren spätester Zeit die abgerissensten Gestalten, und zwar in düsteren Faschingskostümen, die Geschäftsräumlichkeiten erstürmt hätten, um an sich zu raffen, was ging.
Wie wunderlich aber das Bild, das sich nachzüglichen Besuchern, die das Plakat noch nicht zu se­hen bekommen hatten, dann auf dem Zentralfriedhof bot! Nämlich lagen auf den Gräbern statt sterbender Blumen Blusen, Leggins, Tücher, Joppen, vor allem aber Strümpfe, und in den Nekropolen steckten sie, halb in rostige Türen gequetscht, halb aus den Mahnplatten lugend, die Strümpfe und Schals und wiederum Strümpfe. Franz Schreker soll sich ein Bustier heimgeholt, Johann Strauss einen chiffonbesetzten knallroten Rock ergattert haben, Beethoven eine Pudelmütze mit "Greenpeace"-Emblem. Über das Totenhaus des Präsidenten des Verwaltungsrates der k.k. Priv. Lemberg-Czernowitz-Jassy-Eisenbahn seien gestreut gewesen Tutus wie Tütüs. Und das nachlässige, ärmliche Holzschildchen für Alexander Zemlinsky habe sich an einem goldbordierten Büstenhalter erwärmt. Das gesamte riesige Areal des Friedhofs soll ausgesehen haben wie eine vom Monsun verwüstete, doch friedlichst in neuem spätherbstlichen Sonnenlicht trocknende Kleiderfabrik.
Man schickte nach Gendarmen.
Die kamen, starrten, lachten. Sie zuckten die Achseln und fuhren tatütend wie­der davon. "Iis holt kolt, dera Tod," sollen sie geäußert haben. (...)



„Azreds Buch", Geschichten und Fiktionen,
wird im Herbst 2010 erscheinen.
Selzers-Singen-Titel-kleinErster Band, Selzers Singen <<<<

Störungen.

Ein >>>> Credo zur Netzkunst: >>>> d o r t.

AEOLIA/GESANG.

Stromb-zusammen
Alban Nikolai Herbst.
AEOLIA. GESANG.
Harald R. Gratz.
STROMBOLI.


Limitierte Auflage, 333 Exemplare. Einband in schwarzem Leinen, 56 Seiten Großformat (33 x 24), davon die Hälfte Abbildungen der Stromboli-Gemälde Harald R. Gratz'. Edition Jesse, Bielefeld. 50 Euro. >>>> Bestellungen. (Die Exemplare werden rar).

Wegen persönlicher Exemplare mit Autographen siehe >>>> dort (13.52 Uhr).

„J e d e s Kreuz hat Haken!” GURRE (1): Die Wilde Jagd. WOLPERTINGER ODER DAS BLAU: Dr. Lipom erzählt Arnold Schönbergs Gurrelieder. (Gurrelieder, Konzerthaus Berlin).

Wolpertinger-dtv

„Oh, das macht Ihre Angst, junger Mann, ach, die kleinlich deutsche Furcht,hä,samkeit! Die macht Pedanten, nicht der Wahnsinn, nicht die Unmoral! Pedanten aber zäumten Buchen­wald auf! Wobei ich nicht, hä, bestreiten will, man müsse der Wissenschaft auf die Finger klopfen, tock,hä,tock,hä,tock.” Er klöpferte aufs Holz. „Hätte es den Faschismus nicht gege­ben, wäre Hüon womöglich ein wahnsinniger Mörder geworden... wie Jack the Ripper, nicht wahr?... und damit Literatur!” Er fuchtelte mit dem Stock ins Tal und zur Stadt hinunter. „Das eben ist es, was die Deutschen an Nietzsche nie verstanden haben! - Wär’ ich doch nur in Frankreich geblieben!”
„Sie waren in Schottland...”
„Ich war überall in Europa. Ich bin ein gereister Mann, das können Sie glauben. Erst die Ei­senbahn hat mich festgebunden, immer her und hin, also, hin und, hä, her, wie Sie schon wissen.” Er schnalzte mit der Zunge. „Wissen Sie, was das schrecklichste ist?”
Ich sah ihm fragend ins Gesicht.
„Die Nutzbarkeit, junger Mann. O über die Nutzbarkeit! Die tolle Jagd, stelln Se sich vor, hä, nachts durchs Unterholz gestürmt, und es donnern die Hufe! Die Schatten schnellten, huschten nur so dahin! Und wir haben gesungen! Jedes Kreuz, das müssen Sie sich merken, hat Haken, auch wenn man sie nicht sieht!” Er warf sich in die Brust und obote: „Hu wie’s schaurig in den Buchenblättern lacht!/ In die Ähren schlägt der Wind in leidigem Sinne,/ daß das Kornfeld tönend bebt!” Er schloß wiederum die Augen, schien auf ein Waldhorn zu lauschen. „Tönend rieselt der Tau zu Tal”, sang er. „Flüchtend durchraschelt der Falter die Hecken,/ Springen die Frösche nach feuchten Verstecken. - Und dann, und dann, hören Sie nur, junger Husar!” Er drückte sich ächzend aus der Hocke, nahm seinen Stock in der Mitte und baßposaunte, wobei er den Takt schlug: „Aber hinauf, über die Bäume/ Schwingt er sich nun in lichtere Räume./ In ihres Laubes Kronen/ Grüßt er wieder die schlanken schö­nen! - Ach, Herr Deters, ach helfen Sie mir!” Als wäre er erstarrt, hielt er in seiner Dekla­mation inne und stöhnte, griff sich ans Zwerchfell, keuchte gegen seinen Bewegtheitsanfall an. Sein Gesicht war rot geschwollen, und es kostete ihn seine eigenwillige Bitte offensicht­lich große Kraft. Matt setzte er schließlich hinzu: „Das ist alles vorbeigegangen mit den Dreißigern, ausgemerzt worden, wenn Sie verstehen, wie ich das meine. Und ich... - Ich trage Mitschuld daran!”
Deters fühlte sich einigermaßen hilflos und schaute auf seine Schnürbänder.
Lipom wandte sich fast ergeben um, ein bißchen kleinlaut. „Und die Stille hinterher”, mur­melte er. „Wenn wir mit erhitzten Gesichtern in der Kühle uns niederhockten und lauschten. Östlich stieg die Sonne am Himmelssaum herauf und grüßte uns mit Morgentau. Das ist al­les vorbei. Sie hatten schon recht gestern nacht. Sie müssen mir helfen, Husar, dann helfen Sie sich, glauben Sie mir, selbst. Es fällt mir, hä, wirklich nicht leicht, Ihnen sowas zu sa­gen.” Er hockte sich nieder, zog das Taschentuch heraus, tupfte sich das Gesicht trocken. „Wenn Sie nur von Ohngefähr die, hä, Konkubiszenzen lieben wie ich... Verdammt nochmal, Junge, recken Sie den Kopf und tun Sie was! Ich selbst... ich, hä, kann es nicht mehr... Das ist Ihre Sache jetzt, ich schaue nur, hä, zu und gebe Ihnen... Tips. - Das, Husar, war der Grund, warum ich mich Ihnen angeschlossen und Sie überredet habe, aus dem Zug zu stei­gen. Wir brauchen, sag’ ich Ihnen, den Wider,hä,sinn!” Er war in sich heimgekehrt. Doch die selbstgewissen Gesten zuckten um seinen Leib. „Nur das Verwundbare birgt einen Gott!” rief er.
Es war jetzt beinah halb sechs. Das Gesummsel um ihn her. Keinen halben Kilometer ent­fernt bleckte das Wolpertingerweiß durchs Buchenwäldchen.”
„Sowas kann auch nur einem einfallen, der aus der Stadt kommt”, wandte Anna ein. „Merken Sie nicht, daß Sie, wenn Sie über Natur sprechen, immer ein bißchen parodistisch werden? Als wäre für Sie Landschaft ein ironisches Phänomen.”
„Daran mag etwas sein.”
Wir zogen an der Göttinger Altstadtmauer entlang, überquerten die Rasenfläche, wandten uns links der Innenstadt zu.
„Oder Sie werden halt sentimental.”

(ANH, >>>> Wolpertinger oder Das Blau, 2. Septor, 3. Kap.)


logo_konzerthausorchester>>>> Gurre 2 (Erste Probe)
>>>> Gurrelieder im Konzerthaus Berlin
(Gurre beginnt <<<<.)
[Jarrett, Testament, Paris 2008.]



Gurre (5): Die Wilde Jagd ff. Arme Seelen

Vielfach stellt man sich die Seele als bewegtes, luftähnliches Gebilde vor, weshalb ihr plötzliches Entweichen Wind erregt. Darum kehren die Seelen der Verstorbenen als heftiger Wind wieder. Deshalb weht an Allerheiligen ein starker Wind, der Allerseelenwind, in dem die a. S. umziehen. Ein Bruchstück eines alten Gebets gegen Fieber und das böse Wetter (Andr. Gryphius Horribilicr. S. 768) lautet: »Das walte der es walten kann. Matthes gang ein, Pilatus gang aus, ist eine a. S. draus.« »A. S., wo kommst du her?« »Aus Regen und Wind, aus dem feurigen Ring«). Mit der Vorstellung der im Wind lebenden Seelen berührt sich eng die Anschauung, daß die Geister der Abgeschiedenen im wilden Heer und Gefolge alter Götter erscheinen. Auch in den dunklen Elben sah man die Seelen verstorbener Menschen).

„Arme Seelen”. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, S. 1420
(vgl. HWA Bd. 1, S. 588)]
Aberglaube>>>> Gurre 6
Gurre 4 (Die dritte Probe) <<<<

Die berühmten Sätze. Wir sollten sie auswendig lernen. Und niemals entsagen, niemals verzichten. Anti-Adorno (1).

Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. Hoffen, über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt. Der Akt des Hoffens geht aus sich heraus, macht die Menschen weit, statt sie zu verengen, kann gar nicht genug von dem wissen, was sie inwendig gezielt macht, es ihnen auswenig verkündet sein mag. Die Arbeit dieses Affekts verlangt Menschen, die sich ins Werdende tätig hineinwerfen, zu dem sie selber gehören. Sie erträgt kein Hundeleben, das sich ins Seiende nur passiv geworfen fühlt, in undurchschautes, gar jämmerlich anerkanntes. Die Arbeit gegen die Lebensangst und die Umtriebe der Furcht ist die gegen ihre Urheber, ihre großenteils sehr aufzeigbaren, und sie sucht in der Welt selber, was der Welt hilft; es ist findbar.

Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Vorrede.

Hölty-Preis für Paulus Böhmer!

Boehmer-Am-Meer-An-Land-Bei-mir
>>>> Paulus Böhmer
Am Meer. An Land. Bei mir.
Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön

Es sieht so aus, als erhielten nun jene mir befreundeten Dichter, für die ich mich seit Jahren immer wieder eingesetzt, einer nach dem anderen die angemessene Ehrung, erst >>> Eigner, nun also >>>> Böhmer – und >>>> wie ich bei jenem schon schrieb: Das schafft >>>> Hoffnung. Die Dschungel gratuliert. Der hannöversche Hölty-Preis für Lyrik ist der höchstdotierte Lyrikpreis-überhaupt im deutschen Sprachraum. Man muß einfach durchhalten, unerschrocken, und unbeugsam gegen jegliche Betriebslerei.

[Eine meiner Rezensionen des Werkes von Paulus Böhmer finden Sie >>>> dort.]

Was ebenfalls schön ist.

Wo-bist-du-250510
An der Eingangstür
eines Hauses.
(Anlässe für Erzählungen.)

Verpflichten Sie sich! Gurre (7).

Der Philharmonische Chor veranstaltet zu
Beginn der Saison 1912/13 eine Aufführung der
Gurrelieder
von
Arnold Schönberg.

Das vor zirka 15 Jahren entstandene Werk des Komponisten erfordert einen Chorkörper von 600 Personen, 6 Solisten, einen Rezitator und ein Orchester von 150 Mann. Der Philharmonische Chor hält es für seine Pflicht, dem Hauptwerk des vielumstrittenen Autors endlich zu einer Aufführung zu verhelfen. Er kann dies aber nur dann tun, wenn sich eine Anzahl kunstsinniger Persönlichkeiten bereit erklärt, einem Komitee beizutreten, das die Gewähr bietet, den Großen Musik-Vereinssaal mit z a h l e n d e n Besuchern zu füllen.
Wir bitten Euer Hochwohlgeboren, diesem Komitee beizutreten und sich auf beilegendem Scheine zur Abnahme einer bestimmten Anzahl von Karten zu verpflichten oder für den Garantiefonds zu zeichnen.

Die Vereinsleitung.

>>>> Gurre 8
Gurre 6 <<<<

logo_konzerthausorchester
>>>> Aufführungen:
12.06.10
13.06.10
Karten 28 / 36 / 44 / 50 / 60 €

Interessant ist auch.

Was die Menschen so alles peinlich finden: darauf ist ein poetischer Finger zu legen.

 



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