Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
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Musik in Wortkunst setzen. Mr. Charles Ives bei Mrs. Harmony Twichell Ives. Ralph Roger Glöcklers Ives (1).

Dann legte er die Hände auf die Tasten, schlug einzelne, ganze, lang miteinander verbundene Töne an, solle, so er leise, zwei Geigen hören, Bratsche, Cello, ein schwebendes, fernes Pulsen, als kurvten Planeten in weiten, sich verändernden Kreisen umeinander, trieben, Stern- und Sonnensysteme, in veränderlichen Rhythmen auseinander hervor, als wäre ihre Bewegung, ja, wie Einatmen, Ausatmen, und bewegte, weder ernst noch heiter, sondern eins mit sich selbst, das All, oder, wenn ich es in Gedanken hören könnte, nicht nur Geige, Bratsche, Cello, sondern, je nach Größe des Raumes, in dem das Stück aufgeführt würde, wenn, was zu bezweifeln wäre, ein Orchester, das, wie die einzelnen Streicher, nicht zu sehen, sondern nur zu hören sein dürfe, verborgen, irgendwo anders, weil diese in sich ruhende, sanfte, aus dem Nichts pulsierende Musik nie enden, sich nur variierend wiederholen werde. Da, plötzlich, er schlug ein kurzes Motiv auf den Tasten an, erschalle eine helle, gestopfte Trompete, stoße in anderer Tonart, anderem Rhythmus ein Motiv vor die leise wogenden Streicherklänge, eine Frage: wie, wohin, wer, was - lasse sie in diesem endlos tönenden Raum verhallten, aber da antworten zwei Flöten, Oboe und Klarinette, stimmen schräge, sich nachdenklich ins Wort fallende Antworten an, was, scheinen sie in weiterer Tonart sagen zu wollen, könne einer schon wissen - die Streicher atmeten ihre sachte, unbeirrbare Melodie ein, atmeten sie aus, doch der Trompeter gebe nicht auf, so, wie er selbst, Charles, nicht aufgebe, nein, sondern, wenn auch vermessen, Antworten suche.
Mr. Ives und die Vettern vierten Grades, 33.


>>>> Glöcklers Ives 2
Veranstaltung >>>> am 6. 11. 2012 im Literaturhaus Berlin.

Sterne, bar aus Tod

Das Rot abruesten?
Erst du! Abarten, so
boese. Du. Starrt an

uns rote Bastarde!

Tust so aenderbar,
erbst es. Aorta und
ausartendes Brot.

Tabustern, da Eros
abtrat. So erde uns!

„Amerika hat gewählt“ ODER Sprachkritik, politisch.

AMERIKA WÄHLT!

So stand das gestern nacht zu lesen, groß auf eine Hauswand projeziert, und wir lasen‘s, vorher, noch und noch. Nun stell man sich vor, wir hätten bereits die nächste Bundestagswahl, und die, sagen wir, FAZ überschriebe:

EUROPA WÄHLT!

Dann wär wohl was los in den Landen -
Für die USA aber wird geschwiegen. Die doch, allein, haben gewählt, nicht Canada, nicht Mexiko - um von den zentral(!)amerikanischen Ländern zu schweigen, und von Südamerika reden wir besser sowieso nicht. Selbstverständlich hat niemand protestiert, ja für die Deutschen hat man den Eindruck, an „Amerika“ erfülle sich ihnen ein von Hitler nur verdrängter, nämlich versagter, doch weiterschwelender Großmachtswunsch - einer, der, sozusagen, erlaubt ist: Wir, ist „Amerika“ groß, gehören zumindest dazu. In Anbetracht des, aber, Umgangs der - nun nicht staatlich, sondern geografisch argumentiert - Amerikaner mit Amerikanern, etwa denen aus Mexiko, bekommt AMERIKA WÄHLT! etwas noch zynisch Brutales hinzu, das Menschenverachtung als Kollateralschaden beiseitelächelnd inkauf nimmt. Auch dies ist ein Beleg für Großmachtswünsche.

[Empfindlicher sind auch die Deutschen, wenn es um die Zuordnung der Geschlechter geht; bekanntlich haben wir keine Studenten mehr, sondern nur noch Studierende - was sie eben auch sind, obwohl sie‘s da nicht sind, wenn sie in der Kneipe sitzen. Correctness ist alleine ein Gebot des Mainstreams, nicht der Strukturen an sich. So wenig ist auf vorgebliche Sprachreformen ontologisch Verlaß. Es diktieren alleine die - Lobbies; allein diktiert die - Macht.]

Den Vettern vierten Grades. Walt Whitman, Leaves of Grass, Aus dem Zwanzigsten Gesang von ihm selbst. Übersetzungsversuch.

Wer denn geht da? voll des Gelüsts, wuchtig, dunkel, nackt;
Wie denn zieht sie, diese Kraft, aus dem verzehrten Rindfleisch in mich
ein?
Was ist ein Mann? was bin ich? was bist du?

Alles, was ich als meines markiere, das gleiche Dir aus mit Dir selbst,
sonst wär sie verloren, die Zeit, in der Du mir lauschst.

Ich flenne nicht mit im Geflenne der Welt,
daß leer doch die Monate seien und aller Grund nur Schlamm und Kot.

Winseln und in Ärsche kriechen - das mischt in die Pulver für die
Siechen,
Anpassung steht Vettern vierten Grades an,
Ich trag meinen Hut, ob drinnen oder draußen, ganz wie‘s mir gefällt.

Warum sollte ich beten? wozu denn huldigen in toten Ritualen?

Da ich die Sedimente erforscht, präzise zergliedert nach Ratschlag der
Gelehrten
und sie abgesteckt habe,
find ich kein andres Fett als das auf meinen eignen Knochen süßer.

In allen Menschen seh ich mich selbst, keiner als ein anderer ist um ein
Gränchen besser,
So erkenn ich mein Gutes oder Schlechtes ganz auch in jenen.

Ich weiß, ich bin von Kern und Klang.
Zu mir strömt unaufhörlich hin, was aufeinanderläuft im All,
All das ist nur für mich geschrieben und fordert, daß ich's versteh.

Ich weiß, daß ich unsterblich bin,
Ich weiß, daß keines Sargmanns Zirkel meine Kreise je umfaßt,
Ich weiß, ich werde nicht verglühen wie die Bögen, die eines Kindes
bengalisches
Feuer in die Nacht malt.
*******

Who goes there? hankering, gross, mystical, nude;
How is it I extract strength from the beef I eat?

What is a man anyhow? what am I? what are you?

All I mark as my own you shall offset it with your own,
Else it were time lost listening to me.

I do not snivel that snivel the world over,
That months are vacuums and the ground but wallow and filth.

Whimpering and truckling fold with powders for invalids, conformity
goes to the fourth-remov'd,
I wear my hat as I please indoors or out.

Why should I pray? why should I venerate and be ceremonious?

Having pried through the strata, analyzed to a hair, counsel'd with
doctors and calculated close,
I find no sweeter fat than sticks to my own bones.

In all people I see myself, none more and not one a barley-corn less,
And the good or bad I say of myself I say of them.

I know I am solid and sound,
To me the converging objects of the universe perpetually flow,
All are written to me, and I must get what the writing means.

I know I am deathless,
I know this orbit of mine cannot be swept by a carpenter's compass,
I know I shall not pass like a child's carlacue cut with a burnt
stick at night.
*******


(Aus Anlaß >>>> dieser Lesung.)

Replikanten ODER Ist alles bereits Gegenwart. Jens Jensen in Thetis.Anderswelt. Argo.Anderswelt. (287).

„Also gut“ sagte Jensen, beugte sich vor, rieb die Pranken aneinander. „Sehen Sie, Frau Jaspers, es ist nämlich so, daß wir Sie nicht ohne Hintergedanken hierhergeholt haben. - Ich weiß, Sie haben sich das längst gedacht. Mich hat auch ganz besonders das Gutachten... - nein, bewahre!“, er lachte häßlich auf, es klang wie eine Art innengewendetes Husten, „sagen wir besser: unseres gemeinsamen Freundes hier in­teressiert...“ „Über mich? Deshalb haben Sie uns... einander bekannt gemacht?“ „Ich will Ihnen etwas erklären. Dafür haben wir solche wie Sie ja auch gemacht, daß Sie das nicht verstehen.“ Er erhob sich ächzend, schritt zum Fenster. „Sehn Sie nur hinaus! Das alles ist unser Werk... Ungefuggers, meines Vaters, Gerlings“, drehte sich um, „und wie wir die Stadt gebaut haben - wir, Sie hören ganz recht - so auch die Städter. Sie sind nach unseren Lebensprinzipien erzogen, wie die Maultiere, ja, nur daß man die weg­schalten kann, werden sie nicht mehr gebraucht. Mit Ihnen geht das nicht. Deshalb Er­ziehung, da sage ich Ihnen nichts Neues. Wenn ich aber ‘wir’ sage, dann meine ich Werte, Wertvorstellungen. Wir haben aus Vorstellungen Realitäten gemacht: gänzlich ideologiefreie ökonomische Kraftgeschöpfe wie Sie, Frau Jaspers, ideologiefreie mäch­tige Strategen wie Sie, Herr Goltz. Sie sind unsentimental, praktisch, intelligent. Bere­chenbar. Scheußliche Dinge, wie sie im Osten geschehen, sind hier kaum mehr mög­lich.“
>>>> Thetis.Anderswelt, S. 319.
>>>> Argo 288
Argo 286 <<<< (um 10.48 Uhr im Link).

Der Geist, nicht Hamlets Vaters aber. Der „Mittags“schlaf des 11. Novembers 2012.

[Protokolliert im ICE.]
Eingeschlafen und dann >>>> fast drei Stunden lang nicht mehr aufgewacht (um 16.55 im Link). Sondern von meinem Vater geträumt, der nun schon bald zwanzig Jahre lang tot ist. Es war kein Angsttraum, sondern, seltsam, einer von einer Art Vereinigung. So sehr wirkt >>>> Pelléas et Mélisande nach, ganz sicher mitbewirkt durch Norbert Abels kleinen Text im Programmheft:

Die symbolistische Mystifikationstechnuk camoufliert seine (des Todes) Gestalt unablässig. Gleichwohl ist er nicht die Inkaranation der Delolatheit, sondern - im Gegenteil - die einzige wirkliche Instanz einer transzendentalen Geborgenheit inmitten einer nunmehr ohne Gott sich fortsetzenden Welt. (…) Weder für das symblistische Universum des Poeten noch für den empirischen Lebensraum des Menschen gibt es einen Ort, wo nichts ist, und noch das seit Jahrmillionen erloschene Sternenlicht durchzieht den Weltraum. Das Tote lebt fort, der Tod selbst aber ist so wenig begreifbar wie das Nichts.
Und was dabei m i twirkt! Einer meiner >>>> Seminarteilnehmer arbeitet als freiberuflicher Helfer bei der Polizei, und er war es, der am Freitag abend von seinem gestorbenen Vater sprach... nicht erzählte, nein, sondern nur erklärte, er wolle in seinem Leben seines Vater Wunsch erfüllen, den dieser an ihn gerichtet. N u n, in dem Traum, war ich ein Polizist und erhielt Nachricht über einen Verkehrsunfall auf der, ich weiß nicht mehr, sagen wir, Frankfurter Allee. Es gab Indizien, daß der dabei umgekommene Mann mein Vater gewesen, wobei ich erst einmal vergessen zu haben schien, wie lange er schon tot ist. Vielmehr rief ich auf der Wache an, stellte mich als einen Kollegen vor und erhielt wirklich Auskunft. Ja, mein Vater sei in diesen Unfall verwickelt und - umgekommen. Ich erschrak nicht, aber war irritiert - genau das trifft mein Gefühl: Irritation. Ich hatte einen Schlüssel zu seiner Wohnung, was er in der Realität gehaßt hätte, ich schien ihn mir heimlich angefertigt zu haben - schon das ist nicht ohne eine dunkle Symbolik - und fuhr hin, nahm meinen Sohn mit, der gerade bei mir in der Arbeitswohnung war.
Auf mein Klingeln öffnete niemand. Das hatte ich erwartet, aber auch befürchtet.
Ich schließe also auf. Sehe sofort, daß ich in dieser Wohnung noch nie gewesen bin. Dennoch erinnert mich etwas an sie. Nein, sie sah nicht aus wie irgend eines der heruntergekommenen, von meinem Vater mit eigener Hand instandgesetzten Hausruinen, in denen er gelebt hat, sei‘s auf dem Land in Deutschland -

(Bild: >>>> Fassen.) So,
immer, sahen seine Häuser aus. Und so,
immer, waren sie gelegen.
- sei‘s in seiner mallorcinischen Steinwüste, aber auch nicht wie die Wohnung seiner letzten Gefährtin, als er, in der Realität, dahinstarb.
Wir treten in das von einem schweren Vorhang mittengeteilte Wohnzimmer. Dies wiederum war mein Vater: so dämmte er die Wärme seines kaminbeheizten Flures gegen kühle Wände ab, Bramstedt, 1973. Vorsichtig schiebe ich den Vorhang beiseite. Da schläft mein Vater auf einer kippbaren Liege, öffnet die Augen, lächelt. „Verzeihung“, sage ich, „ich habe geklingelt, ich habe einen Zweitschlüssel“ - gleich, um mich zu entschuldigen. „Ich habe dir aber meinen Sohn mitgebracht... deinen Enkel.“
Er besinnt sich gar nicht, scheint schlafend auf uns gewartet zu haben. Sagt nichts, aber lächelt und steht auf, nimmt weder mich, das hätte er sowieso nie getan, noch aber auch meinen Jungen in den Arm, den er noch nie gesehen hat - und er nicht ihn -, sondern eilt aber, wirklich lächelnd, in die andere Wohnzimmerhälfte, um hervorzukramen, was immer einem Kind Freude machen könnte: Schokoladen, Kekse, sogar Weingummis - und eine Stofftierkatze. „Die habe ich noch“, sagt er. „Die habe ich immer behalten für solch einen Moment. Möchtest du sie haben?“ - Mein Sohn ist bereits zwölf und längst aus dem Alter für Stofftiere hinaus, reagiert auch nicht, schaut den fremden Mann nur verwundert an, der aber nicht zurücksieht, keinen Blick erwidert. Statt dessen holt er immer und immer noch weitere Geschenke aus seinen Schränken und schichtet sie, ja, so muß ich das nennen, schichten, eines um das andere auf dem großen Tisch auf, der im Raum steht. Wobei er, mein Vater, auf eine allein nach innen gewendete Weise lacht, wie auch früher stets, wenn er Freude zeigen wollte.
Darüber wache ich auf.
Wie traurig schön diese Geschichte ist, merke ich erst nun, da ich drüber nachdenke: daß mein Junge seinen Großvater tatsächlich nie kennengelernt hat. Schöner würde sie noch, hätte mein Junge diesen Traum zugleich mit mir gehabt und, irgendwo im Jenseits, mein toter Vater auch. Dann erst wäre dieses - eine Dichtung.
Also sei es so berichtet.

„Und dennoch: Dieses Meer bleibt eine“, schreibt Norbert Abels, „unüberwindbare Grenze -“

Das Prinzip der Allegorie in Thetis.Anderswelt: Zur Poetik der Verwandlungen. Argo.Anderswelt. (288).

Es gibt eine Parallelität der Ereignisse, ein sowohl natürliches wie künstlerisches Formgesetz der Analogie, das indessen nicht fixiert, sondern an seinen Konturen sehr liquide ist und über die Schaffung bloßer Ähnlichkeiten hinausgeht. Aufgrund sei­ner Regulationen kann es zu erstaunlich zeitgleicher Entstehung kommen voneinander unabhängiger Gebilde mit fast-identischer Struktur. Es sind Überlappungen der auffäl­ligsten Art, die sich hingegen anders als über das Modell eines unbestimmbaren, nicht meßbaren, die Phänomene dennoch durchdringenden Äthers, worin das Formgesetz schwimmt, kaum herleiten lassen. Wie sich alte Ehepaare einander zunehmend ähnlich werden nicht nur in ihren Gesten, nein im Gesichtsschnitt, in einer plötzlichen Ermat­tung der Augenfarbe, so werden zur selben Zeit identische Erfindungen gemacht, Poe­tiken entwickelt, sogar biologische Mutationen vollzogen. Mit einem Mal war Hodna-Technologie verfügbar geworden, auf ein Mal waren die Schänder erschienen, auf ein Mal die ersten Flatschen aufgetaucht und ebenso wieder verschwunden, auf ein Mal brach in voneinander geradezu isolierten Gebieten des Ostens die Revolution vom 17. Juni aus, und auf ein Mal kamen in Buenos Aires seltsamste Moden und Lieder auf. Plötzlich - nicht nur über Nacht, sondern von einer Sekunde auf die andere - ist eine Redewendung in aller Munde, unabhängig von gesellschaftlicher Schicht, Bildung, Ein­kommen. Plötzlich finden alle etwas ‘oì’. Auf einen Schlag finden es alle oì, Bars wie das Boudoir zu frequentieren. Das nämlich geschah, und auch Branding war Volksmode plötzlich. Und dieselben Leute finden etwas oì, die das Wort kein halbes Jahr vorher nicht einmal gedacht hätten, ohne verlegen zu werden. Es in den Mund zu nehmen, wäre ihnen unerträglich gewesen.
>>>> Thetis, Anfang des Dritten Teils, S. 809.

Hygienisierung als Produktionsmotor. Buenos Aires' Sozialität. Argo. Anderswelt (289).

Parallel zu den Reihenimpfungen war Ungefuggers Hygienisierungskampagne angelaufen, auch dies bereits während der ersten Legislaturperiode. Prostitution wurde verboten, zur Triebbefriedigung standen Videoskope und Orgasmatrone bereit. Pontarlier führte den Begriff der politischen Korrektheit ein, eine Art internalisierter Selbstzensur, die jegliches Handeln außerhalb einer vorgegebenen Norm nicht zwar i n, aber doch a n Ketten legte. Da die derart gebundenen Triebe in die eine, ihnen animalischerseits bestimmte Richtung nicht mehr konnten, der Energieerhaltungssatz jedoch auch diesbezüglich gilt, mußten sie anderswohin. Die Produktion bot sich an und wurde angeboten. Da machte jedermann gern mit, zumal es so demokratisch war; den Ängsten der Mehrheit ist einzelner Mut von Grund auf suspekt. Mut ist aber immer einzeln. Ungefugger wußte, was er tat. Und wusch sich jeden Tag in Transparenz und Correctness, bis seine Haut vom vielen Reiben ganz rot war.
>>>> Buenos Aires. Anderswelt, S. 130.
>>>> Argo 290 (Auszug aus Arbeitsliste)
Argo 288 <<<<

Phantastische Räume im Internet (1). Aus dem Entwurf des Marburger Vortrags.

Hier liegt die Verwandtschaft mit den Träumen, die sich geradezu nach Art von Feldforschungen die surrealistischen Traumversuche zum Gegenstand erkoren, was wiederum eine Erbschaft des roman­tischen Einspruchs gegen die allewelt funktional zurichtende Industrialisierung war und logischerweise ein Reflex auf die Aufklärung. Horkheimer und Adorno haben gezeigt, wie diese selber mythisch wurde. Auch davon legt Phantastik, nämlich bildhaft, Zeug­nis ab. Vielleicht hat sie das Privileg, wie in seinen besten Arbeiten Lem, ungefähre Perspektiven einnehmen zu können, vielleicht weiß sie, wie Borges, um ihren Rang. Doch immer schreibt sie mit Tinte in Sand. Oder zeitgenössischer: Sieht Tiefe, wo nur Screen ist. Und weiß zugleich, der Screen ist nicht tief, kaum räumlich, doch die flachen digitalen Zeichen sind wie Spins unendlich ineinandergerollt. Insofern ist der gegenwärtig modernste Phantastische Raum das Internet, worin sich, zumal fast in Echtzeit, persönlich Reales mit Fiktivem vermischt. Alles wird hier Literatur und der Autor, bzw. die Autorin selbst zur literarischen Figur, die mit anderen, teils realen, teils ebenfalls erfundenen Figuren ein Netzwerk aus avataren Kommunikatoren bildet, um deren Erscheinung im Netz, das ich einen ortlosen Ort nennen möchte, sich ausgeprägte Nester bilden.

(Siehe dazu auch die Bemerkungen
im >>>> heutigen Arbeitsjournal.

Sexualität und Anthropologie.

Tiere haben Zeiten, wir hingegen - Kultur. Daraus ergibt sich >>>> Aufladung und, um sie uns nicht erschöpfen zu lassen, die Perversion. Also: das Ritual.

(DXXX).

Farben.

..

Liebe. Argo.Anderswelt. (292).

An­ders Kalle. Der hätte wohl schon zugeschlagen, aus Herzensgüte sozusagen, hätte verdattert die eigene Hand angesehen und den Tropfen Bluts unter der Nase der Freundin, die nun allen Grund gehabt hätte und die Gelegenheit, den Geliebten zu verlassen. Beides vorenthielt Broglier der in sich und ihr Programm derart verlorenen holomorfen Klonin, ja firmte noch, was dringend hätte umgeschrieben werden müssen. Liebe, wenn sie tief ist, erduldet, so lang der Geliebte sie anschweigt; sie ist bereit, sich bis ins Vergessen, wonach sie sich sehnt, quälen zu lassen. Erst dann ist es genug, wenn der andere ebenso bereit ist, sich zu zeigen, und sich vergißt oder wenn da ein völlig fremder Klotz von Mann am Küchentisch sitzt, so einer, von dem, fällt mir ein, Cordes’ Großmutter gerne sagte, daß er recht sei - und will nichts, momentan, als seinen Kaffee zu löffeln, worein er den abgezwackten Brotzipfel tunkt; ein Mensch, dessen Güte ganz naiv glaubt, es sei nicht wirklich Böses auf der Welt. Falls aber doch, dann könne man es leicht vom Guten unterscheiden.
Argo (Vierte Fassung), TS 227/228.
>>>> Argo 293
Argo 291 <<<< (im Link um 8.56 Uhr)

 



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