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albannikolaiherbst - Freitag, 1. Mai 2015, 10:56- Rubrik:
In jener Nacht auf den 18. Oktober gegen 0.30 Uhr erstrahlten die Kerker im siebten Stock der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim in einem hellen Licht, und der Wachbeamte Hans Springer wurde von einer unbekannten Stimme, die ihm versicherte, für die Bewachung der Gefangenen sei gesorgt, für drei Stunden von seinem Posten abgerufen. Eine Lichtgestalt betrat die Zelle mit der Nummer 716, als wäre sie nicht mehrfach verschlossen, mit Alarmanlagen gesichert und zusätzlich mit gepolsterten Spanplatten verstellt. Und sie stieß den Gefangenen in die Seite und weckte ihn und sprach: „Steh schnell auf.“ Jan-Carl Raspe erwachte und meinte, das Jüngste Gericht sei hereingebrochen, doch da erkannte er den Erzengel Michael und wußte, es war erst das Partikulargericht, das nun anstand, denn es steht geschrieben, daß ein jeder Mensch zweimal gerichtet werde, einmal als Inividuum zur Stunde seines Todes und dann noch einmal als Teil der Gesellschaft, wenn sich die Seele erneut mit dem Körper vereinigt am Jüngsten Tage, wenn von allen Rechenschaft gefordert wird, wenn die Apusie Christi sich in eine Parusie verwandelt und er die Urteile des Partikulargerichts bestätigt oder auch aufhebt und revidiert. Der Engel hieß Jan-Carl Raspe sich auf das Bett setzen, und Jan-Carl Raspe wußte nicht, ob seine Hand geführt wurde oder er selbst sie führte, doch dann hielt er sich eine Pistole der Marke Heckler und Koch an die linke Schläfe und drückte ab. Und die Kugel drang durch seinen Kopf und durch die Wand hinter ihm, und sie verließ die Zelle und fand ihren Weg zur Zelle 719, wo sie in Andreas Baaders Genick eintrat, seinen Körper durchschlug, am Boden abprallte, erneut die Wand durchdrang und ihren Weg zur Zelle 725 nahm, wo sie mit letzter Kraft den Brustkorb Irmgard Möllers unterhalb des Herzens erreichte, diesen aber nur äußerlich verletzte, sodaß man meinen konnte, ein stumpfes Messer habe diese Wunde geschlagen. Dann verschwand der Erzengel Michael unerkannt, wie er gekommen war, und hielt die Augen derer, die Wache standen in und um den Kerker, weshalb sie nichts anderes als einen kurzen Stromausfall meinten wahrgenommen zu haben, als man sie am anderen Tag nach den Vorkommnissen der Nacht befragte.
Frank Witzel, >>>> DEdRAFdem-dTiS1969, S. 574/575
[Witzels RAF, 3 <<<<]
albannikolaiherbst - Sonntag, 10. Mai 2015, 09:17- Rubrik: Zitate
Daß zu altern die Larve der Liebe -
konnt wer es ahnen Dem Lächeln
ließ sich‘s nicht ansehn das
statt daß es blieb ihm bleibt
im Entfliehn nur und altert
jeden Tag mehr den er um-
schlägt und treibt auf den Stunden
und sieht: Es verbleiben nur
wenige Seiten im Glas
albannikolaiherbst - Dienstag, 12. Mai 2015, 10:14- Rubrik: Gedichte
Und jetzt verstehe ich auch, jetzt, daß wirkliche Erkenntnis nur von Zwanzigjährigen kommen kann und daß diese Erkenntnis nur von Vierzigjährigen begriffen wird, weil sie alle noch die Sprache der Mystiker sprechen, weil sie beseelt sind, weil sie noch glauben, daß der lange Weg, der vor uns liegt, Schritt für Schritt ins Paradies füht, weil sie nicht wissen, was sie erwartet, so wie ich nicht wußte, was mich erwartete, damals auf der Kerb, weil Glaube Liebe Hoffnung noch ungefiltert und unverschnitten das Fühlen bestimmten, noch nicht begradigt waren zum Wahren Schönen Guten, diesem zivilisierten Mist, diesem kleinsten gemeinsamen Nenner, diesem bescheuert biederen Blödsinn, hinter dem nur die Angst steht. Die Angst regiert. Die Angst regiert im Gewand der Vernunft, die Ungeheuer gebiert. Nein: do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. Rage against the Machine. Rage against l‘Homme Machine. Rage against Descartes und gegen jede Aufspaltung in res extensa und res cogitans, weil die denkende Sache in Wirklichkeit die ausgebreitete Sache ist, die sich immer weiter ausbreitet und immer mehr Dichotomien erzeugt, in deren Lücken wir stürzen und untergehen. Und obwohl es Abend ist und der Himmel längst zugezogen, reißen die Wolken noch einmal für einen Moment auf und Schneeflocken wirbeln herab, Schneeflocken, so weiß, daß sie fast schon wieder blau sind.
Frank Witzel, >>>> DEdRAFdem-dTiS1969, S. 766/767
[Witzels RAF, 4 <<<<]
albannikolaiherbst - Freitag, 15. Mai 2015, 08:54- Rubrik: Zitate
In der Zeit = alles gleichzeitig.
Die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen, wie Ernst Bloch das formulierte, die unterschiedlichen Zeitebenen, auf denen sich das scheinbar Gleichzeitige als das Ungleichzeitige erweist, wie ein von den Wassern urzeitlicher Ozeane gewaschener Stein in meiner Hand, die so ephemer wie eine Eintagsfliege ist, das Gedächtnis, das die Illusion der Gegenwärtigkeit des Vergangenen erzeugt, um Gegenwart als einen Modus der Dauer zu illusionieren, die Zeit als ein Wahrnehmungsmodus eines sich in der Zeit auflösenden und verlierenden Wesens, Zeit, deren Existenz parasitär an ein hypoleptisches Wesen, das eingeflochten ist in ein Geflecht aus Gewohnheit, Wahrnehmungsvermutungen, zeitlicher Knappheit und biologischer Hinfälligkeit, gebunden ist, und nur in dessen Wahrnehmungsmodus eine unabdingbare Konstante ist, weil sie unabdingbare Voraussetzung des Gefühls von Existenz ist, Zeit, als ein von den Prozessen des Werdens und Vergehens, der Prozessualität des Seins abgetrennter Parameter, deren Scheinexistenz aber das konstituierende Element des Bewusstseins der Existenz schlechthin ist, wird schließlich als das Medium begriffen & postuliert - eine Substanz wie Wasser und Gold.
findeiss - Sonntag, 17. Mai 2015, 01:03- Rubrik:
Fanny kam herein, flog auf ihn zu, hielt dann aber inne angesichts seiner Kälte, und sie standen beide für einen Moment da, erstaunt, zögernd, wie man sich eben, wenn Intimität da war und zerbrochen ist, wiedersieht, als stünde man zu beiden Seiten einer zerbrochenen Bücke, hüben und drüben, und zwischen sich die gewaltige Breite der wogenden, alles mit sich fortreißenden Wassermassen.Alphonse Daudet, Sappho.
albannikolaiherbst - Dienstag, 19. Mai 2015, 18:24- Rubrik: Zitate
„Keine natürlichen Feinde“: Diese behauptete Hierarchie der Nahrungskette ist falsch. Vielmehr wird, wer ganz oben steht, zum Opfer des untersten Kleinen.
albannikolaiherbst - Mittwoch, 27. Mai 2015, 09:07- Rubrik: NOTATE
Durch die Narbe nur
-nicht durch mich-
durch die ein Ich, ein Du,
wie es immer entsteht und entstand,
sind Zwei vereinzelt
so verwahrt
Gewalt,
erinnerst du.
Doch mehr gibt
niemand von sich her
als Leben.
So hält es sich selbst
ewig
und auch deswegen
als Heilrundes, ein DichundMich,
diese Kugel in den Bauch.
read An - Donnerstag, 28. Mai 2015, 15:55- Rubrik: Gedichte
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Für Adrian Ranjit Singh v. Ribbentrop,
meinen Sohn.
Herbst & Deters Fiktionäre:
Achtung Archive!
DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT wird im Rahmen eines Projektes der Universität Innsbruck beforscht und über >>>> DILIMAG, sowie durch das >>>> deutsche literatur archiv Marbach archiviert und der Öffentlichkeit auch andernorts zugänglich gemacht. Mitschreiber Der Dschungel erklären, indem sie sie mitschreiben, ihr Einverständnis.
Kontakt ANH:
fiktionaere AT gmx DOT de
E R E I G N I S S E :
# IN DER DINGLICHEN REALITÄT:
Mittwoch, den 5. April 2017
Bremen
Studie in Erdbraun
Mit Artur Becker und ANH
Moderation: Jutta Sauer
>>>> Buchhandlung Leuwer
Am Wall 171
D-28195 Bremen
19 Uhr
Sonnabend, 23. September 2017
Beethovenfest Bonn
Uraufführung
Robert HP Platz
VIERTES STREICHQUARTETT
mit zwei Gedichten von Alban Nikolai Herbst
>>>> Beethovenhaus Bonn
Bonngasse 24-26
D-53111 Bonn
16 Uhr
NEUES
Bruno Lampe - 2017/03/29 19:48
III, 280 - Bei Äskulap
Gegen zwei löste ich mich kurzentschlossen vom Schreibtisch. Es war nichts mehr abzuliefern. Aber die ... Die in einem ...
... Deckenlabyrinth sich mäandernde Inschrift...
Bruno Lampe - 2017/03/28 21:42
Vielhard, Leichtgaard:
albannikolaiherbst - 2017/03/28 07:53
Bruno Lampe - 2017/03/27 20:43
III, 279 - Oder auch nicht
Kühler Nordwind. Die Sicht ging bis zu Sant’Angelo Romano weit unten im Latium. Jedenfalls vermute ich ... Bruno Lampe - 2017/03/24 19:55
III, 278 - Einäugigkeiten und Niemande
Ein Auge fiel heraus, abends beim Zähneputzen. Es machte ‘klack’, und der Zyklop sah nur noch verschwommen. ... Danke, gesondert, an...
bei der sich in diesem Fall von einer "Übersetzerin"...
albannikolaiherbst - 2017/03/24 08:48
albannikolaiherbst - 2017/03/24 08:28
Schönheit. (Gefunden eine Zaubernacht). ...
Es juckt sie unter der Haut. Es juckt bis in die
Knochen. Nur, wie kratzt man seine Knochen?
Sein ... Bruno Lampe - 2017/03/22 19:39
III, 277 - Die Hühner picken
Irgendwas ist schiefgelaufen seit dem 9. März. Man könnte es so formulieren: die Verweigerung der Worte ... ich hör' ein heer...
ich hör’ ein heer anstürmen gegens...
parallalie - 2017/03/21 06:51
Ich höre berittene...
Ich höre berittene Landsknecht sich ballen vorm...
albannikolaiherbst - 2017/03/21 06:18
albannikolaiherbst - 2017/03/21 06:12
James Joyce, Chamber Music. In neuen ...
XXXVI.I hear an army charging upon the land,
And the thunder of horses plunging, foam about their knees: ... den ganzen tag lärmen...
den ganzen tag lärmen die wasser
ächzen schon
trist...
parallalie - 2017/03/18 09:55
Den ganzen Tag hör...
Den ganzen Tag hör ich des brandenden Meeres
Klagenden.. .
albannikolaiherbst - 2017/03/18 08:23
JPC

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Zuletzt aktualisiert am 2017/04/01 07:33
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