Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
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Napuluno: Domenilun. Il aprile tre e quattro nel anno duemillaseidici.


[3 aprile 2016
>>>> Buonanotteebuongiorno, stanza senza numero, ore 22.05]
So der Blick aus meinem, von dem ich „unserem“ hatte schreiben wollen, Zimmer:


Ich sehe direkt auf den Vesuvio und seine, so Helmut Krausser in den wunderbaren >>>> Hunden von Pompeji, Frau; ab Bildmitte, hintergrundartig nach rechts, also Süden, ist der Molo Beverello zu erkennen, der große Fährhafen für die Schiffe nach Sizilien, Malta, Afrika. Folgen Sie der Kurve nach rechts, gelagen Sie nach Pendino und Mercato, wo ich früher immer gewohnt habe, im Garküchenbereich der ganz einfachen Menschen, der Fisch- und Gemüsehändler und kleinen Bäcker, unweit derer >>>> Masaniello enthauptet worden ist.
Jetzt sitze ich auf dem Berg, sogar billiger, wenn ich außer acht lasse, daß ich ein Doppelzimmer nun alleine bezahle; es ist jugendlich eingerichtet, mit einer Weltkarte, die eine gesamte Wand tapeziert. Das (sehr große) Bett befindet sich auf einer in Eigenarbeit eingelassenen Zwischendecke. Es gibt einen Fernseher mit Flachbildschirm, die ich beide nicht brauche, außerdem einen gewaltigen Ghettoblaster; ich schaue auf eine sehr schöne Terrasse hinab, von der ich noch nicht weiß, ob sie „zu uns“ gehört. Als ich ankam und klingelte, öffnete niemand. Doch eine Telefonnummer steht auf dem Klingelschild. Also anrufen.
Ich solle links nach dem Wasserzähler schauen...
Ich sah aber nur einen Gaszähler...
Das verstand er nicht, dann verstand ich nicht. „Can we do this conversation in English?“
Allmählich wurde ich heller. Ah! Hier sieht der Wasserzähler wie in Deutschland der Gas- und Stromzähler aus... - „Dietro...“ - Ich fühle. Upps, da isser, der Schlüssel.
Es sei etwas „tricky“, er hake.
Das kenne ich aus Frankfurtmain, bringt mich nicht aus der Fassung.
Das Zimmer, das offenstehe, sei meines.. „unseres“, wie er noch glaubt. Ich korrigier ihn nicht, das kann ich morgen noch machen.
Später eine SMS, ob alles ok sei.
Moltissimo bene. Ich bin schon auf dem ersten Gang, es zieht mich in die vertrauten Quartiere, mercato, stella, sanità. Noch sonntagnachmittags sind die pescherie offen, allerdings bauen sie grad ab, spritzen die Auslagen sauber. Hat mein Weinbauer offen? Hat er, aber is‘ nicht da. Nur abgepackte Ware.
Es ist nicht wärmer als in Berlin, 23/25 Grad, aber erheblich feuchter: 90 %, hab ich gelesen, Luftfeuchtigkeit. Seit ich aus dem Flughafen bin, läuft mir der Schweiß. Den wenn auch dünnen Mantel hab ich bereits am Gepäckband in den Rucksack gestopft. Wie gut, wie geradezu erlösend, daß ich keinen Hut mitgenommen habe! Die beiden Schals haben was ziemlich Lächerliches.
Neapolitaner sehen das allerdings anders. Winter is‘ Winter. Ich sah echt noch ein paar Frauen mit Pelz. Allerdings trugen sie ihn überm Arm, sie wollten ja nicht stinken.
Die jugendlichen Paare haben bereits, am Lungomare von >>>> Chiaia, die brecherbrechenden Felsen im Meer eingenommen, einander umschlingend. Da bin ich nämlich hin, nachdem ich noch einen Wein gefunden in Flaschen ohne Etikett, sicherheitshalber zwei Brote dazu, also Wein (1 lt), die Brote und anderthalb Liter Wasser, lievemente frizzante, zusammen drei Euro... (Dafür bezahle ich später für ein Miniglaserl frisch gepreßten Granatapfelsafts ebenfalls dreie, und der Grappa ((die Grappa)), allerdings der feine, leicht gelbe, kostet vier...)
Das Brot ist gerade sehr hilfreich, mein Besäufnis zu bremsen. So hatte ich es auch geplant.
Immerhin, ich habe das Antidepressivum abgesetzt, will wissen, ob Abstand und Sonne reichen und dieses gute Fremdsein, weil in der Fremde.
Bisher reichte es. Gar keinVerlangen nach Hinunterdimmen.
Ich geh durch die Straßen und Gassen und bin, wiewohl ein Fremder objektiv, daheim.
Sogar ein Gedicht fing ich an (bevor ich zum zweiten Mal die >>>> Scala di Montesanto hinaufstieg):
Schon sind die Schatten hart
im April
Die Luft ist zart noch und schon warm
Ich will den Schweiß genießen
Die Männer gehen Arm in Arm
und sprechen leise von den Tagen
und wie sie einmal hießen
und hatten kaum schon Bart
Und wie sie lagen
zum ersten Mal mit einer Frau
zu zweit
und waren für XXXXXXX bereit
Selbst ohne die „X“e weiß ich noch nicht weiter.
Aber es ist ein Wiederanfang. Gleich am ersten Tag.
Insgesamt habe ich heute 36,10 Euro ausgegeben. Ich führe pedantisch Buch, tat das immer, auf jeder Reise. Mentale Erbschaft meiner kleinbürgerlichen Omi, ohne die ich aber heute nicht mehr wäre. Ihr Name war Else Eggers. Der wichtigste Begriff, den sie mir hinterließ, lautet „Herzensbildung“. Kein Machtverhältnis wird ihn mir wegnehmen, nicht einmal relativieren können.

[3 aprile 2016
>>>> Buonanotteebuongiorno, stanza senza numero, ore 21.41
Mag nicht mehr hinaus, war bereits hinaus, nach dem Abendessen: Penne al nero di seppia:

IMG_8360
Die Tintenfische morgens in Pendino gekauft, vorher, was sich in Napule nicht vermeiden läßt, ein Schuhpaar: „absolut unauffällig“, spottete in Facetime mittags die Löwin. Gedecktgrüne Schuhe, mit den erhobenen Schnäbeln, die ich seit drei Jahren liebe, die Sohlen handvernäht. Bekommt man wirklich, meines Wissens, nur hier.
„Solissomo, ma à casa, quasi, per dirlo così“ SMSte ich der Elve. Da saß ich schon, n a c h der Cena, auf der kleinen Piazza am nördlichen Ende des Corsos Vitt. Emanuele, der Salita Tarsia gegenüber und nahm meine Abendgrappa, heute chiara, zum Cigarillo ansonsten nur e-gedampft über den Tag):


Über diese Stadt nachdenken. Wie sie sich ineinanderwühlt. Vom Lungomare aus denkt sich‘s, ah, da geht‘s bloß den Hang hoch. Stimmt aber nicht. Diese Stadt besteht aus Schluchten: Es kommt nicht von ungefähr, daß sfogliatelle zu den heimischsten Gebäcksorten gehören. Einer baut, der nächste baut drüber, woraufhin der Eine seinerseits wieder höher baut. Von Durchlässigkeit schrieb schon Bloch, und „alles kommt aus dem Singen“ wiederum Henze.
Zuhaus sein in der Fremde. Wie Menschen leben. Habe wohl die falsche Entscheidung getroffen, sie wäre im Süden möglicherweise anders gefallen. Mich meines Temperamentes nicht schämen müssen. Hier stört mich auch der Kitsch nicht, der greller ist, noch greller, als anderswo.
Erste, wieder, Schreibversuche. Es ist l‘art pour l‘art, l‘art pour mois-même-seul: geschrieben, nur um geschrieben, nicht mehr, um auch gelesen zu werden. Wer liest denn noch, wenn etwas nicht simpel? (Der Tintenfischgeruch meiner Finger, die gesamte Albergo riecht nach meiner Cena...)
Der Wein aus Pozzuoli, leicht frizzante und mit einer Süße am Zungenhals.
Der zweite Tag ohne Antidepressivum.
Wie hier das Wasser s c h m e c k t!
Das Chaos, Ungeregelte, fast nicht Regelbare. Einen Laden haben. Den Laden leben: gar nicht mehr wollen von der Welt. Mich fasziniert diese mir verschlossene, vor mir zugesperrte Einfachheit. Kinder bekommen. Darin aufgehen, sie großwerden zu lassen, Welle um Welle.
Die Stadt bereitet sich auf die Hitze vor, ich hab‘s schon gestern und heute ganz besonders gespürt, sie kauert vor der Hitze auf dem Sprung. Es ist gar nicht viel wärmer als in Berlin, aber die Luftfeuchtigkeit, ich schrieb' schon, bei 90 %, und die Sonne hat eine andere, jetzt schon heftige Kraft. Abends kühlt es leicht aus, doch schon ein Schal ist fast zuviel. Für Nordeuropäer die ideale Jahreszeit für Neapel: man muß nicht befürchten, daß nachts die Hitze im Raum steht und sich keinen Millimeter bewegt.
Die erste Schnake gesehen, sie grüßte. Ein enormes Tier, ich war völlig baff. Erwiderte aber den Gruß. Wart nur ab, sagte sie sirrend.
Zwischen Stadt und Vulkan der Smog eine Fläche:


Im >>>> Madre gewesen. Nach wie vor, für mich, das schönste Museum der Welt. Ein Kiefer von 1991 hängt jetzt dort: Elisabeth von Österreich. Von Kiefer, scheint mir, beeinflußt, ausgesprochen eindrucksvoll, >>>> Lawrence Carroll:


Vielleicht umgekehrt? Kiefer von ihm beeinflußt?
Keine Ahnung. - Kommt‘s drauf an?
Vorher,.ebenso beklemmend, >>>> Raffaela Mariniellos Video „Still in Life“. Sie nimmt die Reste der – wahrscheinlich von der Camorra – niedergebrannten >>>> città della scienza auf, Nahaufnahmen, Detailaufnahmen, langsame, sehr langsame Einstellungen. Nur der Sonnenuntergang ist überflüssig, und einmal sieht man, ebenfalls ein Fehler der Konstruktion, den Schatten eines Teammitglieds. Das schwächt die Ästhetik. Ansonsten saß ich gebannt in dem dunklen Raum und starrte auf die Leinwand. Eine junge Frau setzte sich zu mir. Wir schwiegen. Draußen brandete der Verkehr.
Ins >>>> museo Hermann Nitsch ging ich dann nicht mehr, tu ich morgen. Es sind nur elf Gehminuten, sagt Google Earth, von hier.
Blick aus einem engen Fenster des Madres durch den engen Zwischenraum auf eine Kirche.
Immer wieder riecht es in Neapel nach Weihrauch, ganz plötzlich, auch auf Marktplätzchen.
Heisere Stimmen von draußen. Leises Hintergrundverkehrsrauschen. Der Vulkan ist nahe, er gilt als einer der gefährlichsten der Welt. Wir haben uns die Harmlosigkeiten angewöhnt, machten sie zu unserer Conditio sine qua non... - nun jà, ich tat nie mit und kann nun meine Hände waschen, wie ich will, sie riechen immer und weiter nach Fisch.
Noch einen Tag in Napule. Dann wieder Deutschlands Berlin.

ANH
(daß ich bereits betrunken bin, dürften Sie, Leserin, merken).

Napuledue, wieder aus Berlin: Il aprile cinque e sei duemilleseidici, an nämlich aber dem Donnerstag, dem 7.



la preda

[Arbeitswohnung, 8.10 Uhr
Jarrett, Creation]

Der Sog war stark, als ich vorgestern frühnachts für den Cigarillo des Tages auf der Steinbrust über der >>>> Scala di Montesanto saß, die Beine überm Abgrund hängend. So hatten nachmittags drei junge Frauen, ebenfalls rauchend, hier gesessen und geschwatzt und gelacht; da war ich ein wenig neidisch gewesen. Nun aber war es dunkel, zur ersten Empore geht‘s an die, schätze ich, zwanzig Meter hinab. Drittels den Vulkan hinauf und den langen Hafen entlang und weiter rund um die Küste flimmerten die Lichter bis ganz drüben nach Sorrento. Zwei weitere quasiTerrassen hinab lagerten die jungen Stadtstreicher auf ihren Matratzen, bisweilen schlug einer ihrer Hunde an. Jedesmal, stieg ich an ihnen vorbei hinauf, grüßten sie. Wenn ich morgen Neapel wieder verließe, würde ich ihnen den Rest Wein vorbeibringen, die geöffnete Literflasche, die ich nicht würde mit nach Deutschland nehmen können.
Hinterneben mir vier Männer, die den Aublick über den Hafen und zum Vulkan ganz ebenso genossen. Na, der hat Mut, sagte einer.
Hatte ich aber nicht. Wie geschrieben: der Sog war groß, zu groß.
Ich lehnte mich zurück, hielt mich quasi fest und noch fünf Minuten durch, dann zog ich die Beine zurück, kraxelte herab, nahm die letzten paar Stufen zum Corso hinauf, tat ein paar Schritte, stellte mich dann an die Brüstung, wie man an der Reling eines Schiffes steht, und rauchte zuende, bevor ich zum letzten Schlafen in mein Quartier ging, ein Stückerl den Corso weiter, in Richtung Pza Mazzini, dann rechts durch den schmalen Bogen die einundfünfzig Stufen hinab


und drinnen wieder zwanzig, aber weniger hohe, hinauf.
Ein Sprung oder ein Fallenlassen wäre gefährlich gewesen. Nicht für das Leben, nein, für den Tod.

Mit dem immer wieder Hermann Nitsch „gehandelt“ hat. Seine Erklärung ist wichtig:


Erklärung Hermann Nitschs.
>>>> museo Hermann Nitsch, Napoli

Keine mir bekannte andere Stadt, außer vielleicht noch Mumbai, scheint mir so perfekt auf seine Arbeit zu passen; in Mumbai fehlte allerdings das stark präsente katholische Element. Ich habe über das Museum >>>> schon einmal geschrieben und möchte mich nicht wiederholen; es ist auch >>>> in mein Hörstück eingegangen. Tatsächlich waren es von meinem Albergo dorthin nur wenige Minuten.
Unendlich bescheiden ist das Museum angezeigt:


Innen aber öffnet sich ein freier, durchweg eleganter Galerieort, dessen „Haupt“atelier nahezu denselben Blick auf den Vulkan öffnet, nur viel weiter, den ich von meinem Fenster aus hatte:


Wiewohl vorbereitet, wurde mir dann aber doch etwas schummrig, als ich lange die Videoaufnahme eines der Rituale ansah: wie auf den gänzlich entkleideten und hingestreckten Leib Mengen über Mengen Calamari und Polipi gehäuft wurden, die immer wieder wegrutschten, immer wieder aufge-, ja, -schmiert wurden, wie sich der Imagination da der Menschenleib-selbst öffnete, wie auf das verwiesen wird, was wir im Innersten sind. Dazu paßt, was ich zweidrei Stunden vorher am Lungomare >>>> Chiaias sah: Ein Fischer bot nahe Mergellina seinen kleinen Fang an, unter anderem zwei noch lebende Tintenfische, deren einer ständig zu entkommen versuchte:


Es ist mit Nitschs Aktionen, wenngleich vielleicht anderes zu vermuten wäre, gar kein Sexuelles verbunden. Sie erregen nicht, man müßte denn nekrophil sein. Schon weil dieses Sexuelle fehlt, läßt sich nicht von Pornographischem, gar von „Perversem“ sprechen. Viel deutlicher, nicht schreiend, sondern i n n i g deutlich ist der religiöse Nexus, in dem die Arbeit steht. Ich kann nur jedem empfehlen hinzugehen und sich ihr auszusetzen. Eintritt 10 Euro, vergleichsweise teuer, aber das Museum trägt sich privat und ist äußerst sorgsam gebaut – bis hin zum Konzert- und Vortragssaal, dessen Wände Nitschs Malaktionen zeigen, einige von ihnen:


Es gibt Verwandschaften zwischen Nischs Arbeit und Aspekten der meinen; nur bin ich nicht so ausschließlich wie er, aber eben auch kein Maler, indessen >>>> Fichte, eben w e i l hoch sexualisiert – und weil geschichtsbezogen – anderes Material favorisierte.
Wenn in Neapel, immer, pilgere ich in dieses Museum, wie ich auch stets wenigstens eine der Kirchen besuche und auf Stirn und Herz und Lippen vom geweihten Wasser nehme. Kerzen lassen sich nicht überall entzünden, weil der gschaftlhubernde Katholizismus sie weitgehend durch Glühbirnen-Fakes ersetzt hat, die mich abstoßen.
Eine Stunde etwa blieb ich.
Zu diesem Museum gehören wie zum >>>> Madre aber unbedingt nicht nur die Kunstwerke, sondern vor allem auch die Ausblicke auf die „weltlichen“ Ensembles der Stadt, Gassen, Gärten, Dächer:


Man darf frei herumgehen, die meisten Türen, auch solche, die nach draußen führen, stehen offen, man wird kaum beobachtet. Es ist aber auch kaum jemand je da - außer den freundlichen, meist sehr jungen Mitarbeitern; knapp davor, daß sie einem Kaffee bringen.
Woher ich käme? - Besucher fallen auf.

und die Düsternis wiedererschien
stieg aus den Gassen mir zu
gestern abend in Wut und disparazione
la lingua sola mea, sola per me
in Unverständligibilità für alle gli altri:


So saß ich auf der Brüstung, ließ die Beine hängen und sah hinüber zum Vulkan

Schon wieder rochen meine Finger nach Fisch

Meine kleine Pescheria, Montecalvario sotto: Spaghetti al vongole, un bichier‘ di vino bianco:: sechs Euro plus einen für das Wasser. Wann immer ich vorbeiflanierte, war ich ab da gegrüßt.

War zu müde abends, um noch zu schreiben, die Oberschenkel pochten. Um halb elf schon ging ich schlafen. Morgens wären Einkäufe zu tätigen, für die Beute. Um neun wär aufzubrechen, Tintenfische (totani, polipetti, calamari – es darf nichts durchseien, und hoffentlich halten sie durch) sowie Käse, Prosciutto und Salami verstaut, und die Tomaten, die wie Pralinen schmecken. Es ist immer ein kleines Abenteuer, wenn ich aus Neapel fortflieg: - bekomm ich alles mit, anstandslos durch die Kontrollen? Neun Kilo mehr im Rucksack als bei meiner Ankunft.

6.4., 9.58 Uhr
Alter Platz am Rand der Piazza Garibaldi. Hier saß ich früher oft.
Eine Stunde noch Zeit bis zur Abfahrt des Alibusses. Um herumzustreunen, zuviel Gewicht auf dem Rücken. Also Caffè und Cigarillo, SMSen, die Straße beobachten, 26 Grad Celsius:


Nochmal die Idee von gestern nacht überdacht: eine eigene Sprache, nur für die Gedichte, aus Deutsch und Italienisch komputieren. Und die großhofigen Palazzi in den quartieri spagnoli mit ihren großen Bögen über den in sie verschummernden Treppenfluchten. Die Topographie einer Stadt im Kopf haben. Und wieder, beim Beobachten/Betrachten, meditativ, der Passanten und des Treibens: „Alle Menschen schlafen“, Roman.
Notlächeln.
Eine sehr dicke Frau steigt hinter ihrem nicht ganz so dicken Mann auf die Vespa, nimmt im Damensitz Platz. So rattern die beiden davon.
Evolutionäres Erfolgsmodell Mensch.
Ein Anruf aus Deutschland: ob der Aufnahmetermin im ARD Hauptstadtstudio von 14 auf 16 Uhr verschoben werden könne, am Freitag..?

Im Alibus schimpft der Fahrer auf einen Passagier ein: Er habe den falschen Biglietto; der gelte nicht für diese Linie. Dann nimmt er den Mann aber mit und läßt ihn an dessen Wunschstraße hinaus, obwohl dort gar keine Haltestelle ist. Aus dem Streit hat sich während der Fahrt ein geradezu freundschaftliches Gespräch entwickelt – eine Freude, dessen Zeuge zu sein.
Der Rucksack geht anstandslos weg, die drei Kilo Übergewicht werden mit Schulterzucken registriert.
Noch anderthalb Stunden.
Der (noch) überflüssige Mantel über der Stuhllehne. Letzter Cigarillo Napules. Letzte Wärme:


*******

Abends Essen mit लक्ष्मी und Broßmann; ich bringe neapolitanisches Brot und kampanische Tomaten hinüber und zweierlei Sorten Prosciutto, eine Salami dolce dazu und den Rest Calamari al nero di seppia, sowie gekochte (!) Gorgonzola, jungen Pecorino und sehr alten Parmigiano; außerdem die beiden Flaschen des frizzanten Weines; geht alles restlos in die Mägen.
Die erste Nacht wieder, nun jà: „daheim“. Tiefer Schlaf, auf um Viertel nach sieben und zehn Minuten vor Jarrett.

Die Deutsche Grammophon hat Anoushka Shankars neue CD geschickt, >>>> „Land of Gold“; offiziell wird sie erst morgen erscheinen.
Die WDR-Lesungen aus dem >>>> Traumschiff müssen heute zusammengestellt werden. Das Antidepressivum bleibt abgesetzt, Neapel soll halten:


[Jarrett, Radiance]

Ästhetische Urteile.

Woraus sozial unbeliebten Menschen der Strick gedreht wird, knüpft man die Hängematte der beliebten: Es ist derselbe Stoff.

(DLI)

Einundsechzig

Ich stehe da mit dem, was ich tat,
und was ich nicht tat, steht mit mir
nach all den Jahrzehnten

steckt es hilflos seine Hände
in meine Hosentaschen

Jene nicht, nicht meine
werd ich in Unschuld waschen können

der nun zurückersehnten Gnade,
die sich das junge Menschentier
tollkühn vor Stolz verbat

Neapel im April (Entwurf)

Schon sind sie hart, die Schatten im April
doch ist die Luft noch zart
Ich will den Schweiß, der warm
mir meine Schläfen näßt, genießen

Die alten Männer, Arm in Arm,
flüstern an Ecken von den Tagen
und wie sie damals hießen,
als sie fast noch ohne Bart warn

und lagen doch schon beinah fest
zum ersten Mal auf Frauen
Die seufzten still, noch unbereit,
aber im scheuen Willen,

den wilden Jungs zu trauen,
die sie verrückt am Corso fassen,
und gaben sich
Und waren nun zu zweit -

So hockt die ganze Stadt zum Sprung
im Hang vorm silbergleißen Golf
unter der Sonne, die sich breit
durch die opaken Schlieren drückt

in die Verdunkelung der Gassen

„Corruptissima re publica plurimae leges.“


(Wenn ein Staat am verdorbensten ist, bestehen die meisten Gesetze).

Tacitus, >>>> Annalen

Weiße Messe (Frühsommerpastorale)


Von Fußsohlen träumen verlorenen schmalen
„meist sind sie trocken und kühl“

Von den konkaven Seiten der Spanne
über die gliedrigen Fersen hinauf-
steigen zubein junger Fähen

Den Rasen drauf mähen zur Weißen Sonate
Skrjabins, Du weißt schon
Und aus der Tülle der Kanne

neben dem Gartengestühl
trinken wie Blumen in grünen Schalen


ANH, März/April 2016
Berlin

Machismo des Hohen Intellekts. Von Friedrich bei Stern (1)


Erst die männliche Wollust des >>>> sprachlichen Nachschaffens körperlicher Ekstasen hebt die Leiber vom schweißnassen Laken und macht aus einer Bettgenossin eine Bewegerin des Geistes.

>>>> Mann aus Apulien, 76


Liliana Ahmetis Warum ich kein Model geworden bin in vierzehn Partien und einem Epilog.


Nunmehr als eBook erschienen:


Die Kommentare zur Erstveröffentlichung blieben erhalten und lassen sich über >>>> diese Verlinkungen weiterhin aufrufen.

ANH, 26.4.

Poetologie der Anderswelt. Von Friedrich bei Stern (2).

(...) und noch, während meine Zunge sich bewegte, fragte ich mich, was es mir an Gutem und Bösem noch alles eintragen würde in meinem Leben, daß ch einen Verstand hatte, der schneller, als ein Augenlid auf- und zugehen kann, die disparatesten, durch die Logik voneinander getrennten Dinge zu einem neuen Ganzen zu fügen imstande war, >>>> das nicht Wahrheit ist und nicht Lüge, sondern ein Neues, das noch keinen Namen hat und von dem die Philosophen nichts sagen.

>>>> Mann aus Apulien, 122


 



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