III, 173 - “bada!” disse
Vor ein paar Minuten funktionierte es noch: im Heroben… schlüftwärts die Blicke, dankend aller Abwärtsheit, die ganze Landschaft lag unten in schwüler Ruhe (Ahnung und Gegenwart), von unten fern im Tal der Strom. Ganz nach dem Motto: links a mountain, rechts a mountain, und dazwischen ein ruscell’. Romantikerlandschaften und -phantasien. An ihnen läßt sich Etym-Theorie noch am besten studieren. Könnte auch locker eine x-Szene (also nach ZT-Schreibung keine X-Szene) aus ‘Franz Sternbalds Wanderungen’ nachweisen.
Vielleicht darauf zurückzuführen meine Unlust hinabzusteigen. Man weiß auch gar nicht, wie man sich anziehen soll. Leute, die körperlich arbeiten, nach wie vor im T-Shirt. Wär’ mir zu kalt. Und käme mir auch lächerlich vor. Also halt’s ich wie die Alten: Jäckchen über. Es ist Oktober.
Und dem Berliner Freund immer noch nicht die eine Halma-Stelle aus dem ‘Olympischen Frühling’ geschickt. Denn er sagte, er spiele zuweilen mit seiner Freundin Halma. Aber wie’s so geht mit den Blicken zuweilen beim Hinabsteigen (und ganz abgesehen von diesem Riesenstern des Halmaspiels, wo es ja auch um nichts Anderes geht, als seine Sternspitzen talwärts zu verlassen): es geht in die Archive eines abgespeicherten Seins:
Schad’ indes um Stendhal. Die Piazza delle Meraviglie in Pisa besuchte er, als es in Strömen regnete, während ich dort vor fünfunddreißig Jahren auf dem Schiefen Turm schon versuchte, mir vorzustellen, daß…
dem Eigentlichen das Uneigentliche vorzuziehen ist, wenn man, wie auch immer, vom Schiefen Turm ins Land schaut in ein Sagen, des Hort ungezogene Reminiszenzen und nicht anerzogene Perspektiven sind, die sich zusammenstückeln wie in einem Gemälde von Arcimboldo.
III,172 <<<<
Palermo ODER Am Leben sein. Das dritte Sizilienjournal im Oktober 2016: vom Mittwoch, dem 5., auf Donnerstag, den 6. Oktober 2016.
Richard Strauss, Don Quixote (Janos Stalker)]
Da habe ich mir gestern nacht wirklich wohl die Kante gegeben. Oh der >>>>Zibibbo!, den ich als Aperitiv und nachher noch als Nachtisch nahm... in „meiner“ Vucciria, die sich aber verändert hat, seit ich das letzte Mal dort gewesen, und dennoch sich fast gleich blieb. Jetzt ist sie abends bis in die Nacht der Treffpunkt junger Leute, ja einer Szene. Wobei jung so zwischen zwanzig und vierzig liegt, ein paar ältere Abenteurer noch dazwischen. Wobei geflirtet wird, was das Zeug hält. Und die noch Älteren sitzen in den immer provisorisch hinausgebauten Trattorien, meist nur Tischen und Stühlen vor den Garküchen, deren Köche nach Wahl zusammenstellen, zubereitet vor den Augen:
Und als ich hier ankam! Wie riesig wurde mein Herz und pochpochpochte.
Nach dem Hotel, ich verlink' es diesmal gerne, sofort der erste Gang, der mich, klar, fast direkt zum >>>> Teatro Massimo führte, das ich noch aus VorMafia-Clearing-Zeiten nur verbrettert und verfallen kenne (die zur Sanierung abgestellten europäischen Gelder flossen sämtlichst in private Taschen). Heute Abend Gustav Mahler, ich werde hingehen: Frühwerk, „Blumine“, Lieder eines fahrenden Sängers, Erste Sinfonie; so geballt hört man es selten. Und die >>>> Politeama Garibaldi, wo ich sonst „immer“ meine Opern hörte? Da geht’s erst Mitte des Monats wieder los.
Das sehr schöne, kleinere als des Massimos Gebäude wirkt ein wenig vernachlässigt, seit das riesige Opern- und Konzerthaus wieder instandgesetzt ist – das übrigens den überhaupt größten Opernsaal hat, den ich je sah, größer sogar noch als die Met. Und bis ganz oben, man meint, aus einem Flugzeug hinabzuschauen, kommen selbst Pianissimi aufs prägnanteste an. Schon deshalb bin ich gespannt, wie sich der Klang eines spätromantisch großen Orchesters hier machen wird. Außerdem kenne ich nicht eine der Musikerinnen, nicht einen der Musiker; Gustavo Mahler siciliano...
Vor allem aber wird heute nach dem Familienstammhaus meines Helden gesucht; ich werde mehrere mögliche Gebäude fotografieren und mich danach mit der Contessa absprechen, ihr wahrscheinlich schon immer gleich die Bilder rüberschicken.
Außerdem will ich über die Siesta nach >>>> Mondello fahren; ich war erst einmal da, entsinne mich aber nicht mehr richtig. Irgend ein Instinkt sagt mir, daß ich dort fündig werden werde. Doch will ich zum Corso wieder zurücksein, schon um vor dem Konzert, das erst um 20.30 Uhr beginnt und gewiß zwei Stunden dauern wird, wenn nicht, mit der Pause, länger... um also vorher noch einzwei dieser Riesenaustern
Noch ein Wort zum Hotel, das ich – obwohl noch vieles zu berichten ist – nun gleich verlassen werde, so sehr zieht's mich hinaus... also es gibt auch hier keine Küche, jedenfalls keine zur Nutzung durch Gäste. Doch hier habe einmal ich mich geirrt. Denn es war auch keine annonciert; ich hatte falsch gelesen. Doch ab acht bekommt man (guten!) Caffè. Und vorher, das nachtdunkle marmorstufige Treppenhaus hinunter, das um einen uralten Aufzug herumläuft, gleich um die Ecke eine schon um sechs geöffnete kleine Bar, in der der Padrone wie man selbst fast noch schläft. Dort läßt der aufsteigende Tag sich mit einer Nazionale senza filtro gut besinnen. Danach wieder hoch und auf die Toilette. Auf Sizilien sind nahezu alle Gabinetti mit einem Bidet ausgestattet; für jemanden wie mich ideal, der den Gebrauch von Toilettenpapier ablehnt – wie es die meisten Orientalen tun (Japaner nennen „Westeners“ sogar schmutzig). „Du bist ja genauso sauber wie wir!“ rief meine afghanische Geliebte damals aus, als sie es mitbekam.
Im Frühstücksraum nimmt ein älteres Ehepaar sein Frühstück. Völlig unitalienisch. Und hier nun noch das Vestibülchen, typisch für Palermo:

Ihr, liebste Freundin, liebster
Unhold
Die Leute vom „Perlentaucher“ (de)
Ich kann da nur noch – verachten.
Daß jemand umkommen könnte, ist dem gesamten Perlentaucher egal. Hauptsache, man obsiegt. So sorgt er prächig für deutsche Kontinuität.
Und alle wissen's. Und alle schweigen. Jüdische Nachbarn? Nee, sowas hat es hier niemals gegeben.
III, 177 - Eine Art Tischrede
Wahrscheinlich werde ich nachher doch noch einen Gang nach unten antreten. Bis zum Largo Cristoforo Colombo. Nein, es regnet nicht, aber mein Holzlieferant rief an: morgen gegen halb zehn, wenn es nicht regnet. Obwohl ich grad sah, daß Tröpfchen an den Wolken der Wettervorhersage hingen. “Sai, tante volte!” wie man hier sagt. So etwas wie: Man weiß nie. Und wenn er kommt, muß er bezahlt werden. Also Geldautomat. - Morgen früh hinunterzugehen verbietet sich. So früh stehe ich doch nicht auf, und ein Seitchen ist noch zu machen und bis halb zehn abzuliefern. In das ich auch erst noch eindringen muß. Dann wartet auf mich wieder der Audioführer durch das Kastell (oder Fort?) von Mirbat in (oder im?) Oman. Oder besser im Dhofar (jedenfalls immer mit Artikel im ital. Text). Wo ich nicht ungern und jetzt einfach nur abwesend wär’. Es gibt andere Stellen. Aber es reicht, dann meinen Küchentisch zu betrachten und die Holzwurmspuren. Das Anderswosein läßt sich nicht anders bewerkstelligen als gerade darin.
Vorm Holzlieferanten rief auch die Russin aus ‘Toschkent’ an, die sich vor Wochen meine Ersatzmaus ausgeliehen hatte. Wolle sie mir zurückbringen. Sprach aber erst spaßeshalber russisch. Ich dauernd: punjemaju. Ich doma. Ja tjepjer doma. Oder domu? Eine, die sich so durchwurschtelt mit einem Sohn von einem Italiener, der sich dann davonstibitzt. Aber kaum zu bremsen, wenn sie anfängt zu reden. - War froh, als sie fort war. All die peinlichen Spasibas am Ende mit Unterarmberührung. Nix choroscho.
Ich geh’ dann mal runter…
Erstmals mit Lederjacke in diesem Herbst. Zauber stellte sich nicht ein. Gassen, die sich als Windkanäle gebärdeten. Das Schnellgehen auf der steileren Strecke den Waden weniger beschwerlich als das langsame Hinaufgehen auf der weniger steilen Strecke. Und konnte mir wieder nicht verkneifen, einen zu bedauern, der sein überfüttertes Hündchen ausführte, während er auf seinem Smartphone herumfuhrwerkte.
Ich bin, wenn ich meine Wohnung verlasse, nicht erreichbar. Es sei denn, es stehen Verabredungen an. Wie die Sternchen, die ein Finger in den Staub auf der Heckscheibe einst malte.
dell’estate
ancora qualche
stella
disegnata sul lunotto
e già
“cangiar di colore”
(ma non d’autunno
parlasti)
Hannover erst und München dann. Das Arbeitsjournal des Dienstags, dem 11. Oktober 2016. Darinnen nachgetragen dieses Oktobers Drittes Sizilienjournal.
[Arbeitswohnung, 7.25 Uhr
Bantock, Sappho]
Morgen und übermorgen die letzte Ortsrecherche mithin, die für den Ghostroman nötig ist. Dann Buchmesse. Sonntag abends noch eine Lesung in Karlsruhe, morgens weiter nach Sardinien, um ‚durchzu‘schreiben. Kurz >>>> Romamelia, danach κάπου, beides ebenfalls fürs ‚Durch‘schreiben. Von Mitte November bis Weihnachten Reiseruhe und Schreibzeit in der Berliner Arbeitswohnung hier. Dann eventuell Afrika, >>>> einmal wieder, aber nur für etwas mehr als eine Woche.
Die Löwin ist mit ihrer Frau Mama auf einem Gestaltseminar und die Contessa nicht sehr glücklich über >>>> meine Bemerkung zum Perlentaucher: „I don‘t like“, whatsappte sie mir gestern nacht zum zweiten Mal. „So eine Gossensprache, noch dazu ohne Begründung, steht Dir nicht... Süffisant, mit siptzer Feder, perfekten Manieren, Contenance gefällst Du mir viel besser.“ - Nun steht die Begründung freilich im Link (er ist die Begründung), und auf manches hilft nur die Faust. Wie mein Freund K. wußte, der, als ihm ein – danach ehemaliger – Geschäftspartner beim Essen sagte, seine, K.s, unentwegten Versuche, für seine todkranke Lebensgefährtin doch noch ärztliche Hilfe zu finden, seien ein schlechtes Investment gewesen -... der also kurzerhand aufstand, ausholte und diesen seinen Geschäfts‚freund‘ mit einem einzigen Schlag ins Krankenhaus schickte.
Es gab einen Prozeß danach, klar, den K. verlor. Über das zu zahlende Schmerzensgeld konnte er nur lachen: „Das war“, sagte er, „ein gutes Investment.“ Womit er vollumfänglich recht hatte. Er hatte sein Unternehmen sehr vernachlässigt, weil er mit seiner kranken Frau nur noch von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent gereist war, fast ein ganzes Jahr lang, um das Unabwendbare vielleicht doch noch abwenden zu lassen, irgendeine wirkliche Hilfe zu finden.
Nun hätte ich meiner Contessa also antworten können, ich spräche halt auch die Sprache solcher Investoren. Aber ich mochte nicht; der Tag war durcheinandrig genug gewesen.
Sizilien.
Ich war im >>>> Teatro Massimo:
Überhaupt scheint dieses Haus – abgesehen von der Repräsentanz seinerzeit des Königs – alleine auf Klang hin gebaut worden zu sein; etwa gibt es keine Wandelgänge und außer dem Café ganz unten keine Bewirtungseinrichtungen. Um nach unten zu kommen, reicht aber die Pausenzeit nicht hin. Es gibt auf jeder Seite einen einzigen Aufzug, der je allenfalls zehn Leute faßt.
Also bleiben in der Pause alle im Saal. Unten zwischen den Poltroni wird dann hin- und flaniert, um in Grüppchen zu plaudern, darüber wechselt man für die Gesprächelchen einfach nur die Logen (deren hintere Bereiche auch prima als Séparées genutzt werden können).
Es wäre falsch, von einem solchen Orchester die Perfektion der Berliner Philharmoniker, der Staatskapelle, London Philharmonics oder vom Chicago Symphony Orchestra zu erwarten. Dennoch, den berühmten dritten Satz von Mahlers Erster, worin er das Frère Jacques verarbeitet hat, habe ich nie zuvor dermaßen intensiv gehört. Wie Ferro seine Musiker die Celloseufzer artikulieren ließ, war sogar phänomenal. Allein die Trompeten quäkten etwas - später (auch wenn das ganz gut paßte – jedenfalls für jeden, der weiß, wie in Palermo die Musiken zu den Prozessionen klingen, die sich durch die engen Gassen drücken - - Anverwandlung).
Glücklich zog ich nach dem Konzert wieder ab und in „meine“ Vucciria zurück, wo ein ganz anderes Leben immer noch brandete. Einen letzten Wein, selbstverständlich draußen sitzend, die Gassen besinnend, das warmgelbe Nachtlicht in ihnen

Ich hatte geschafft, was vorgenommen war. Jetzt wäre ein wie >>>> in Catania ungebundener Tag noch schön gewesen (meine Güte! heute schon eine ganze Woche her...). Allein, mein Flieger höbe am nächsten Vormittag ab; लक्ष्मी hatte Geburtstag, da wollt' ich in Berlin sein. Woher mich schreckliche Nachrichten über das Wetter erreichten. Dabei saß ich hier in Anzug und TShirt frei... - „Wieso bleibst Du nicht einfach im Süden?“ hatte mir auf meine leise Vorausklage die Contessa gewhatsappt.
Der Morgencaffè in dem verschlafenen Bistrotchen.
Der Alibus stand schon da.
Den Rucksack runtergewuchtet und auf die untere Gepäckfläche eingeschoben.
Schon mal den Biglietto erstanden. Der Fahrer hatte aber kein Wechselgeld, gab mir den Fahrschein dennoch. „Zahl es später.“
„Hab ich noch Zeit für einen Caffè?“
Er grinste. Geh.
So kam ich mit passendem Fahrgeld wieder.
Der Flughafen liegt weit außerhalb nordwestlich Palermos; von der Freiterrassen-Empore aus kann man zum Isola‘chen delle femmine hinübersehen, über dem sich dunkles Gewölk zusammenzog. Eieiei, dachte ich. Es war auch schon ein tiefes Meergrollen zu hören – akustische Reflektion des Grummelns in den sich immer weiter schwärzenden Wolken.
Und dann war das Unwetter da, brach geradezu apokalyptisch über die Punta Raisi herunter. Sämtliche Scheiben verwandelten sich außen in strömende Wasserfälle.
Der gesamte Flughafen war paralysiert. Es wäre Wahnsinn gewesen, jetzt zu starten, geschweige denn zu landen. Die Bahnen sind sowieso gefährlich kurz: landeinwärts das schroffe hohe Vorgebirge, seewärts die See... Nix ging da mehr.
So kamen wir mit einer Verspätung von knapp anderthalb Stunden los, was für mich bedeutete, daß ich meinen Anschluß in Fiumicino nicht mehr bekommen würde. Und nicht mehr bekam. Was an sich nicht schlimm war, dachte ich, nehm ich halt den nächsten Flieger.
Es gab aber nur noch einen, der direkt Berlin anflog, und der war ausgebucht. Ich müsse nunmehr erst nach Mailand fliegen und dort den Anschlußflieger nehmen. „Wann bin ich denn dann heim?“ 16 Uhr war vorgesehen, 22 Uhr sollte es nun werden.
Was tut man drei Stunden lang auf einem Flughafen innen?
Man lernt das Niemandsland kennen.
Flughäfen sind schlimmere Passepartouts als sogar die heutigen Bahnhöfe (die früheren waren Abenteuer; heute herrscht Austauschbarkeit: Karl Marx, Warenform).
Aber dies war nicht das Problem.
„Der Name steht auf der Rückseite.“ Ich legte sogar meinen rechten Zeigefinger darauf.
Sie drehte den Ausweis aber störrisch wieder um. „Da steht ein anderer Name.“
„Ja. Ich reise unter meinem Künstlernamen, unter dem ich auch lebe. Deshalb ist er hinten eingetragen.“
„So etwas gibt es nicht. Das sind Sie nicht.“
Eine Idiotin.
Ich holte meinen Reisepaß heraus, in dem der Name ebenfalls vermerkt ist.
Nun ging sie von einer Fälschung, einer Doppelfälschung, aus. Gefälschte Papiere. Schon war ich Terrorist.
„Das sind Sie nicht“, beharrte sie. „Das ist ein Sicherheitsrisiko.“
„Haben Sie die Schule abgeschlossen?“
Sie wurde immer störrischer. „Zwei Namen für einen Menschen... das ist verboten.“ Und rief tatsächlich den Sicherheitsdienst.
Hatte ich noch nie erlebt.
„Meinen Sie im Ernst, daß Justin Bieber Justin Bieber heißt?“ - Es hingen überall Plakate von ihm herum.
Der Begriff Künstlername war ihr komplett fremd. Ich nannte noch, zunehmend – wenn auch vor Hilflosigkeit – wütend, >>>> Elsa Ferrante. Kommentar der Servicekraft: „Die ist ja auch berühmt.“
Mit blieb die Spucke weg.
Der Mann von der Sicherheit kam, nicht Fußvolk, sondern ein Offizier, ließ sich die Ausweise zeigen.
„Wo ist das Problem?“ fragte er.
„Ein Mensch darf keine zwei Namen haben“, sagte die Frau.
„Aber hier ist er doch eingetragen.“
„Dann ist das eine Fälschung.“
Nun wurde auch der Offizier ärgerlich. Er war um einiges älter als die junge Frau, hatte in der Schule deshalb noch gelernt, selber zu denken. Unterdessen ist sowas nicht mehr Lehrstoff. Insofern war die Servicekraft zu entschuldigen.
„Es ist keine Fälschung“: So wieder er. Und er gab ihr die Anweisung, die Dokumente zu akzeptieren. Widerwillig folgte sie.
Ich muß nicht eigens schreiben, daß sich mittlerweile um meine beiden Ausweise ein ganzer Pulk Leute versammelt hatte, die alle ihrerseits ihrer Meinung Ausdruck verliehen. Ich meine, Fiumicino ist ein Weltflughafen, nicht etwa „Frankfurt“-Hahn oder Saarbrücken. In Palermo hatte die Servicedame, die an der Abfertigung, den Künstlernamen mit Interesse zur Kenntnis genommen. „Was denn für ein Künstler?“ - „Ich schreibe Bücher.“ - „Oh, welche?“ - „Gucken Sie im Internet nach. Es würde sonst zuviel.“ - Sie zog tatsächlich ihr Notizbücherl vor, ein sehr kleines, das in hellroten Stoff gebunden war, und notierte sich das AlbanNikolaiHerbst. Dann gab sie mir lächelnd den kleinen Gepäckzettel. Den ich noch dringend brauchen würde. Noch wußte ich das aber nicht.
„Sie müssen schon entschuldigen“, sagte nunmehr die wieder römische Servicekraft, als der Offizier davongegangen war, „aber sowas ist mir noch niemals begegnet. Ich gebe sicherheitshalber am Gate bescheid.“
Wo man tatsächlich abermals stutzte. Göttinseidank haben Römer:innen Erfahrung im Umgang mit Telefonen.
Aber auch hier ging‘s nicht voran. Die Leute saßen und saßen, die Dame und der Herr am Gate standen und standen. Hin und wieder telefonierten sie, weil sie das, wie schon vermerkt, auch können. - Wir waren bereits ein halbe Stunde über die Zeit.
- Eine ganze Stunde.
Meine Umstiegszeit in Milano Linate: anderthalb Stunden.
- Anderthalb Stunden. Der nächste Anschlußflieger wäre ebenfalls fort.
Ich ging mir ein Eis holen. Lecker, am römischen Flughafen. Leckend kam ich zurück. Immer noch kein Boarding.
Insch‘allah.
Endlich kam Bewegung in Menschen und Sache. Con passione, kann man sagen, hob der Flieger ab. Und holte wirklich einige Zeit herein, obwohl man von Rom bis Mailand nicht wirklich lange unterwegs ist, also in der Luft.
Wir setzten auf. Das Boarding meines Anschlußfliegers hatte längst begonnen, sofern nicht auch er verspätet war. W a s er war, ja wir fuhren direkt in die Parkbucht neben ihm ein. Wirklich dachte ich sofort, als ich die airberlin-Boeing sah: „Das ist mein Flieger, den muß ich kriegen!“ Aber sah schon die ersten Leute sich durch den Finger, die >>>> Flugastbrücke, schieben. Hilfe, gleich ist das Boarding da vorüber!
Aber sowas von losgesprintet jetzt, ließ ich einigen Unwillen und manches Murren hinter mir zurück. Spurtete in die Empfangshalle, sah mich fliegend, ja, weiterfliegend, und nicht nur sozusagen, nach Transferschildern um. Gab aber keine. Nur Uscita. „Wo geht‘s zum Transfer?“ rief ich einem Sicherheitsbeamten zu. Der schüttelte den Kopf.
Ich landete, rollte auf ihn zu.
„Wir haben hier keinen Transfer für Passagiere. Tut mir leid. Sie müssen erst hinaus....“
„... und dann abermals durch den Sicherheitscheque?“
Er nickte. Es tue ihm leid. Der Transferbereich werde erst im nächsten Jahre fertiggestellt werden. (Hätte mir nicht unbekannt sein dürfen: Neulich habe ich für die Eröffnung des neuen Berliner Flughafens eine Einladung zum 1. 3. 2024 erhalten.) - Aber das hier war M a i l a n d! Einen Wowereit hat es hier nie gegeben!
Raus und zum Sicherheitscheque gerannt.
Riesige Schlange.
„Mein Flieger geht! Mein Flieger geht!“
Bitte jetzt keine Probleme wegen der zwei Namen mehr!
„Kommen Sie! Kommen Sie!“ Er warf meinen Arbeitsrucksack auf das Band. Ich warf ihm mein Jackett zu. Man winkte mich einfach durch. „Laufen Sie! Laufen Sie!“
Und ich l i e f!
Kam hechelnd an.
Einer – in Zahlen: 1 – stand noch bei der Gate-Abfertigung.
Ich zeigte meinen Boardingpass.
„Vai!“
So daß ich dann endlich und völlig unwahscheinlicherweise im Flieger nach Berlin saß. Und dort ankam. Wobei mir schon, als wir in Mailand abhoben, klar wurde, daß mein Gepäck es n i c h t geschafft haben würde. Wie auch? Es hat ja keine Beine und kann schon deshalb nicht über Sicherheitssperren springen. Dazu war der Rucksack überdies zu schwer.
Einige frische Calamari darin, übrigens. Na, das würde was werden. Ich überschlug die andern Lebensmittel. Und um‘s jetzt endlich kurzzumachen: Nach Gepäckvermißtenmeldung (auch die, nun nachts in Berlin, einigermaßen chaotisch) und abermaligerAnempfehlung in Allah erreichte er, der Rucksack, mich am nächsten Abend bei लक्ष्मी auf dem Fest, die Calamari unverdorben und keine Tintenfischtinte ausgelaufen; selbst das Brot hatte sich weichgehalten, und die capperi di Pantelleria waren in ihren Tüten geblieben. Den Wein der terre siciliane stellte ich gleich mit auf den Tisch.
Ende der oktoberigen Sizilienjournale.

*
und grüß in Ihren, Freundin, Tag.
ANH
III, 181 - Unfertige Ideen
Vor eineinhalb Stunden klopfte es an die Tür. Ich mußte glatt die Sicherheitskette abziehen. War noch nicht draußen gewesen. M., des Ukrainers Frau. Brauchte für morgen oder übermorgen Jemanden, der sie zum Ukrainer-Umschlagplatz nach Terni bringt, um ein paar Sachen in die Ukraine zu schicken. Private Kuriere, die zwischen hier und dort hin- und herfahren. Ihr “Santo V.”, so nannte sie ihren Mann, sei beschäftigt.
Nicht das überraschte mich wirklich, sondern eher die milde Luft, sobald man vor die Tür trat. Die allerdings nicht mehr ausreicht, das Drinnen dito milde sein zu lassen. Also Heizen a-go-go. Mit dem Gasöfchen.
Am Morgen nach dem Aufstehen indes wieder so Altmannsphantasien: ich spürte etwas am Gelenk zwischen Hüfte und Oberschenkel. Kein Schmerz, aber ein Nerv, der mich unwirsch schief gehen ließ. Vollständig weg ist es nicht. Nur fast.
Insofern tat es mir gut, daß mein Tabaccaio unwirsch reagierte, als ich den Laden betrag, während er in seiner Ecke PC saß. Was ich wolle, solle er denn jetzt schon wieder aufstehen? Um Himmels willen, ich wolle ihm nicht ungelegen kommen, sagt’ ich, schnappte mir kurzerhand selbst meine Zigaretten und brachte ihm den Zehner in seine Ecke, dessen Wechselgeld er bereits auf den Tresen geworfen. Ob er etwas am Chatten sei? Er lachte. Und damit war gut.
Nach der Arbeit - ich hatte tatsächlich aufhören müssen: mir flimmerte es vor den Augen (hatte aber mein Pensum erreicht), kommt nicht allzuoft, aber nach langen Tagen dann doch mal vor - wieder ‘Ahnung und Gegenwart’ vorgenommen, wobei es plötzlich Szenen gab, die mich unwillkürlich an das im August gelesene ‘German Amok’ von Zaimoglu denken ließen. Ich dachte, es reiche, die ganze romantische Patina abzutragen, um letztendlich zu Zaimoglus Spott über Kunstfotzen zu gelangen. In dem Sinn fast, daß die romantische Verbrämung eine Art Photoshop ist. Ich glaub’, es war die Szene, in der Friedrich das Schloß der Gräfin Romana aufsucht, in dem alle Türen offen standen, zwischen ihnen aber nichts passierte. Er hatte sich in seinem zugewiesenen Zimmer bekleidet aufs Bett gelegt. Im Spiegel gegenüber sah er wegen der offenen Türen, wie sich die Gräfin entkleidete. Lange lag er wach, schlief endlich ein, fand sie dann aber halb auf dem Boden, halb auf seinem Bett hingelagert. Und reitet dann fort.
Die Analogie zu ‘German Amok’ bildete dann seine Wohnungsnachbarin, mit der der Erzähler das Bad als eine Art Schleuse gemeinsam benutzt. Eine ähnlich ‘keusche’ Beziehung. Hinzu kommen die beißend ironischen Beschreibungen ‘künstlerischer’ Happenings.
Kann auch sein, ich rede Quatsch.
Er nannte unverhohlen das Ganze eine leidliche Komödie und den Minister den unleidlichen Theaterprinzipal, der gewiß noch am Ende des Stücks herausgerufen werden würde, wenn nur darin das Wort “d e u t s c h” recht fleißig vorkäme, denn das mache in dieser undeutschen Zeit den besten Effekt. (Ahnung und Gegenwart).
Hierbei auch der Gedanke, daß man vielleicht im Osten in einer nach wie vor währenden Übergangszeit immer noch Sehnsucht nach den Wäldern verspürt, wie auch immer.
Alles so unfertige Ideen.
Ok, morgen ist wieder Stendhal mit seinem Diario dran, da kann ich mich davon erholen.
Das Gute an der Literatur ist, daß man ihr nicht mit YouTube beikommen kann. Jedenfalls hatte ich nicht mal den Anflug einer Versuchung, mir Bob Dylan anzuhören. Widerspruch im Widerspruch:
>>>> Gara poesia in Sardegna
III,180 <<<<
Zu Dylan fällt mir nichts mehr ein. Im Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 15. Oktober 2016.
Aber vielleicht nimmt er den Preis nicht an. Dann wär es eine Hoffnung, und er hätte, der Herr Dylan, alle Hochachtung verdient und bekäm sie auch von m i r, gerade weil er die künstlerische Valenz seiner lyrics, im Vergleich mit andrer Lyrik, einzuschätzen wüßte; Geld hat er eh genug, Berühmtheit auch, das braucht er alles nicht noch nobelitiert. Und ließe nun die Jury wissen, es falle ihm zu ihr nichts ein - nichts, außer diesen Wertspruch abzulehnen.
Zu Hitler falle ihm nichts mehr ein, schrieb Karl Kraus 1934 und dann die monumentale >>>> Dritte Walpurgisnacht, die erst an die zwei Jahrzehnte später, posthum nämlich, erschien; 1936 aber zitierte er in >>>> Der Fackel daraus; er wollte klarmachen, weshalb weiterzuschreiben keinen Sinn mehr für ihn hatte. Wiewohl er es ja tat. Im selben Jahr wurde er niedergestochen.
Mir nun fällt zu Dylan nichts mehr ein. Aber ich werde keine dreihundert Seiten daraus machen, zum einen, weil der Anlaß nicht wirklich vergleichbar ist; Bob Dylan rief nie zum Völkermord auf, im Gegenteil. Doch mit seinen Liedern auf der Zunge wurden in My Lay Frauen von Handgranaten penetriert, die man dann hochgehen ließ. Es waren ziemlich sentimentale GIs, die es taten. Der von Adorno formulierte Anspruch an Kunst war da schon hoch, an Kunst wohlgemerkt: nämlich so gestaltet zu sein, daß sich nicht abermals ein Mißbrauch mit ihr treiben lasse: Schubert am Abend in Auschwitz. Der Anspruch an Kunst hatte sich gewandelt; sie ward fortan an Verantwortung geknüpft – eine aber nicht nur der Inhalte, die man vermitteln wollte, sondern vor allem der Form, psychologisch gesprochen: der von ihr vertretenen Strukturen und Muster.
Das Bedürfnis nach „Großer Verbindung“ aber blieb bestehen, in welche Katastrophen auch immer die letzte deutsche geführt hatte. Da gemeinschaftliches Aufgehobensein in Deutschland nicht mehr ging, suchten die jungen Deutschen sie nun im verhältnismäßig schuldlosen Ausland, was, daß es schuldlos sei, freilich gar nicht stimmt. Doch der Pop war geboren, man wiegte sich, und wiegt sich noch, in einem Gemeinschaftsgefühl, das schnell, rasend schnell, sämtliche Lebensbereiche erfaßte und alles auf >>>> die Warenform herunterbrach: Pop ist ja nicht nur Musik, sondern auch Mode und vor allem Verhalten, kurz: ein Lebensstil, an dem sich‘s gut verdienen läßt, wenn a l l e ihn pflegen. Der Außenseiter wird zur Unperson, damit jeder Widerstand obsolet. So daß selbst Dylan, wo er sich anfangs widerständig gab, schließlich zum Mainstream wurde, der wiederum nun | den Widerstand gefühlig-rückschau‘nd integriert: „retro“ ward „in“ und jeder Stachel weggeschliffen. Der >>>> von Stromberg zitierte Irvin Welsh hat völlig recht: Der Preis prämiert die Selbstnostalgie der Verleiher, für die Dylan eine Identifkationsfigur ihrer Jugend ist; ich spreche, wohlgemerkt, nicht von Dylan Thomas, sondern von einem, der – um einen seiner berühmtesten Texte zu nehmen - Verse wie die folgenden schrieb:
Threw the bums a dime in your prime, didn't you?
People call, say, "Beware doll, you're bound to fall"
You thought they were all kiddin' you
You used to laugh about
Everybody that was a-hangin' out
Now you don't talk so loud
Now you don't seem so proud
About having to be scrounging your next meal
How does it feel
How does it feel
To be without a home
Like a complete unknown
Like a rolling stone?
>>>> Dylan Thomas dagegen:
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.
Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.
Good men, the last wave by, crying how bright
Their frail deeds might have danced in a green bay,
Rage, rage against the dying of the light.
die männer verheert vom zuhaus der häuser
und ich erinnere mich
des sands der strand bis an die sterne das lager
aufwärts die see die fichten hinter der düne
mager in den nächtlichen wind gerettet
vor der sonne
ein bündel roter trauben eine schale toter augen
die schale ist ein tal. den augen wachsen blicke
sie staksen drauf bestürzt durchs gras
All diese Fragen verfehlen das Eigentliche. Die Jury begeistert nicht die Kunst, sondern Marktrelevanz, und nur, weil man sentimental ist und das Feigenblättchen der rechten - was „linken“ bedeutet (worunter in Schweden sinnigerweise die Sozialdemokratie verstanden wird) – Gesinnung trägt (schon, damit die Kameras nicht die nackten Geschlechtsteile sehen, die Hirn und Meinung genauso haben wie die Körper), --- nur darum ist es nicht zum fürchterlichsten gekommen, daß nämlich J. K. Rowling den Preis bekam. Dabei wäre das doch eine F r a u, immerhin, gewesen!
„Pop ist die Ästhetik des Kapitalismus“, wie ich es >>>> schon vor Jahren unter einer viel und kontrovers diskutierten Filmkritik formuliert habe: Am „Fall Dylan“ (an Dylans Fall) erweist sich die Wahrheit des Satzes geradezu ikonographisch. Auch deshalb ist ein „egal“, das sich Diadorim von mir gewünscht hat, in diesem Fall nicht am Platz, so wenig, wie daß Kraus zu Hitler nichts einfiel, dem ja viel zu ihm einfiel. - Nein, „Hitler“ meint nicht Hitler, sondern Strukturen. Ich meine, wenn ich argumentiere, i m m e r Strukturen, nie Einzelfälle, nie Personen. Deshalb mein Verweis, deshalb das Zitat. Der Preis an Dylan nobelitiert den Untergang der (westlichen) politischen Utopien und hebt die Warenform, in dem sie sie verklärt, in den Parnaß. Die Entscheidung ist in übelstem Sinn „modern“. Da liegt der Skandal dieser Preisvergabe, und sie i s t ein Skandal. Denn sie streicht jegliche künstlerische Anstrengung durch, streicht die tägliche Balance durch, die von künstlerischen Entscheidungen verlangt wird, streicht auch das Wagnis des Mißlingens durch und die Ungewißheit des Alleinebleibens, die Künstlerinnen und Künstler auf sich nehmen müssen, wenn sie sich nicht nach der Decke strecken.
Dem alten Herrn Dylan sei beinah jede Ehrung gegönnt: Hier wird er zeigen müssen, ob er, wie einst Sartre, begreift, zu was man ihn gern machte. Was er aber vielleicht schon ist: Verrat an sich selbst und an einer ganzen Generation, zweier, dreier Generationen, die sich auch selbst verraten möchten. Auf daß Geschichte | getilgt sei. Was bleibt, ist der totalitäre Konsens: handelbare Austauschbarkeit.
ANH, Oktober 2016
III, 189 - Vier Pommes und eine Kuh, die Heinz heißt
Es riecht wie in einer Pommesbude. Tiefgefrorenes bis zum Braunwerden gebracht. Hatte mir extra noch Heinz-Tomatenketchup dazu gekauft vorgestern. War im Sonderangebot. Klar, Ikone. Mit Coop- oder McDonalds-Ketchup wäre der eigentliche Reiz fortgewesen. Hatte es gestern schon machen wollen, aber dann kam mir das TB dazwischen, an dem stattdessen ich mich festgebissen, und danach war alle Lust danach vorüber, und ich aß lediglich das Stück Apfeltorte, das ich für einen Euro vom Pianeta Verde gegenüber auch noch mitgenommen. Musik dito wie in einer Pommesbude. Phil Collins. Der allerdings ganz recht kam nach dem Auslesen von ‘Ahnung und Gegenwart’. Wunderte mich auch hier, wie bei den Gedichten schon, wie da Burg, Wald, Kloster, Täler und Meer immer so dicht beieinander liegen. Alles immer nur zwei Schritte entfernt, auf denen man sich sogar verirrt. Fast wie bei Skakespeare, bei dem Böhmen auch am Meer liegt. Und dann vielleicht noch flugs im Kahn auf dem Rhein geschippert. Eine Art Punktwelt, die auf einen Atlanten hinabschaut.
Also lieber die Tür auf. Und Monteverdi. Da kann ich auch mal kurz in die Tür treten und auf dem weiten Meer herumschippern, als ginge ich mal eben von meiner Burg bergab zum Ufer.
Und langsam kommen nun auch die Okeaniden meinen Rücken hinaufgekrochen und der Geruch der Fischstäbchen, die auch dabeiwaren, erkämpft sich langsam die Nasenbahn. In der Vorstellung von Fischigem. Nichts anderes sind sie, die Fischstäbchen. Während rechts mich Gaswärme anstrahlt.
Hinzu kamen die vorfrittierten Kartoffelstücke aus der Tiefkühltruhe. Das alles aufzubraten, kam der Lust gleich, die alten Gedichte zusammenzustellen. Nur, daß das Essen heute das Hassen ersetzte. Teures Unterfangen. Grasspitzen, aufflammend in einer Brise aus Licht.
Der Mund verzog sich zusehends gestern beim Abtippen bzw. Kopieren.
So wie heute eingangs die Nase.
vorbei
als ich wieder
am fenster stand
drei wußt’ ich
die vierte saß
auf der bank
four is a crowd
and three is a crow
two is a row
and one is the cow
die da kam
die straß’ hinab
Also dahingehend pausieren. Die Freundin aus Rom kommt morgen für ein paar Tage, immobilienhalber. Morgen Abendessen zu Dritt mit einem US-Kollegen, der in Orte lebt, der dieserhalb über den Tiber, ihn aber deshalb nicht extra über-setzen muß.
III,188 <<<<
III, 190 - Winterreise mit chinesischen Untertiteln
Ofen an und Tür auf. Die Freundin hatte am Nachmittag herkommen wollen, um am Küchentisch zu arbeiten, denn da wo sie untergekommen, sei noch eine aus dem Süden dazugestoßen, die im Kindergarten arbeite und vom Zwang besessen sei, ständig von sich und ihren Familienverhältnissen zu erzählen, so daß unter solchen Umständen natürlich kein Arbeiten am Text möglich sei. Da ich aber nur ein Gasöfchen habe und im Arbeitszimmer damit hocke, mocht’ ich sie nicht ganz ohne Wärmequelle in der Küche sitzen lassen. So läuft nun der ganze Nachmittag der Holzofen. Da es dann aber doch nicht mehr pressierte, kam der Holzofen also recht früh schon zu mir bzw. ich zu ihm. Seit fünf erst sitzt sie hier mit mir am Küchentisch. Und arbeiten. Noch (sofern dies hier, meint das TB, Arbeit genannt werden kann). Aber die Pausen fangen langsam an, die Zeiträume, in denen Konzentration herrscht, zu zerbröseln.
Hab’ mir dann sowieso den Faden selbst zersponnnen. Mich an die Auberginen gemacht. Aber wenn und solange ein jedes seinen PC vor sich hat…
“Laß die Fledermäuse”, erwiderte Walter, “sie geraten uns sonst noch in die Haare.” Dichter und ihre Gesellen.
Also auch Eichendorff mit dieser Fledermäuse-Mär. Ich hätte vielleicht doch in der letzten Woche zum Friseur gehen sollen, denn wie gestern schon auf dem Weg zum ruralen Restaurant außerhalb Amelias insistierte sie wieder und fuhr mir auf diese Weise in die ungeschorenen Haare. Bohrte holzwurmig in den alten Ehebalken herum. So daß ich schließlich nachgab und eine Zusammenfassung meiner Winterreise gab. Entschuldbar. Ich kannte sie mal besser als gut. Die Freundin. Und sagte mehr, als ich wollte. Wobei das Subjekt durchaus offen gelassen werden kann.
Da konnten wir uns dann getrost der “Guten Nacht” zuwenden, mit der die Winterreise beginnt, die sie auf Deutsch zu singen einstudiert hatte. Ohne jedoch zu verstehen. Mir gelang es sogar, die ersten beiden Zeilen, italienisch singbar zu machen: “entrando fui estraneo / estraneo me ne vo’”. Funktioniert tatsächlich mit der Melodie dahinter.
Mais: obligés à manger, nourriture oblige.
Und machte mich dann daran, Vasen aus meiner Ming-Ära (d.i. die mit entsprechender Siegelschrift abgestempelten) hervorzukramen, die vergeblich ihrem ständigen Niesen und Naseschnauben standhielten. Morgen abend dann vielleicht zu Valda.
Alle Töne schweigen jetzt. Gestern Abend noch eine Grille auf dem Platz bei der Rückkunft vom Restaurant. In China, sagte der Kollege aus Orte gestern, hätten alle chinesischen Filme chinesische Untertitel.
III,189 <<<<
Sardegnuno: Schreibplatz 2. Als Arbeitsjournal des Dienstags, dem 25. Oktober 2016.
Sardagnatre: Der Schreibplatz 3. Als Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 27. Oktober 2016.
III, 192 - Alles andere als Roßbreiten
Die Heimat hat mich wieder: der Pommesbudengeruch. Mag sein, ich assoziiere das jetzt mit dem täglichen Frittieren von tiefgekühlten Fertigworten. Weil es allemal so hübsch in die Finger flutscht, wenn man noch relativ unkritisch überhaupt erst mal den Text vor sich haben will. Erst dann fängt die Sucherei an. Mag er, der Geruch, immerhin bleiben, denn draußen weht ein widriges Weh’n. Das soll mir nicht ins Haus. Es kommt eh’ schon aus dem E-Mail-Postkasten in Form von Deadlines mit angehängten Dateien.
>>>>Europäisches Sklavenleben, um diesen Hinweis führt nie ein Weg vorbei.
Dreimal nur sah mich das Draußen. Einmal, weil die Gasflasche leer war. Da stand sogar die Tür offen. Es pfiff in den Hof hinauf. Ich schaute. Da machte einer, den ich als Immobilienfritzen der Agentur wiedererkannte, die mir damals die Wohnung in Fornole vermittelt hatte, als es durchaus darum ging, flügge zu werden, Fotos von der Wohnung im Hof, die zum Verkauf steht. Dann eine andere Stimme, als ich wieder drinnen war, aber bei noch offener Tür: “Là abita un tedesco.” Als Antwort kam: “Sì, lo conosco, il signor Lampe.” Neuliches Schauen auf den Hof: der herr besitzer (mit Minuskeln). Klar. Tat, als ob er mich nicht sähe. Den ich immer im Verdacht habe, wenn etwas hier verquer läuft. Etwa vor ein paar Tagen, als ich Werbeprospekte und seit Monaten unabgeholte Briefe an mir unbekannte Adressaten, die hier scheinbar mal wohnten, im Müllbehälter fand, der für den Restmüll vorgesehen ist. Heute Nachmittag war indes der Biomüllbehälter verschwunden, den ich gestern abend rausgestellt hatte. Das war das zweite Draußen, das Schauen nach ihm. Spurlos verschwunden.
Düstere Verschwörungstheorien danach. Der finstere Kerl ist mir nicht geheuer. Vielleicht sollte ich der Freundin gerade die Wohnung dort nahelegen. Aber kaufen wollte sie eigentlich nicht. Dann wäre ich den Kerl nämlich endgültig los und wüßte, wer da wohnt. Gleichgesinnte unter sich.
Das dritte Draußen der übliche Tabaccaio.
Ein viertes wird es nicht geben. Zombie-Filme interessieren mich nun wirklich nicht (meine also den Cine-Club).
vorn alltag
metallglast
der allgast
abendhast
und hast
den mond
noch stille
doch
der deine
roßbreiten
(und deine
glieder auch)
Gecheckt: Windstille.
III,191 <<<<
III, 193 - Upupa
Stars a peepin’. Machte nur kurz die Tür auf, weil draußen Geräusche zu hören waren, war aber ein anderes Draußen, nicht meins hier. Kurzes Wiedererkennen. Augenzwinkern. Tür zu.
Sternbilder, wenn man sie sofort wiedererkennt, sind wie die Straßen im Kopf. Während man das eine SIEHT, entsteht mental schon das andere. Etwa so mochte es mir gegangen sein, als ich am Vormittag zur Post und zum Markt hinuntergehen mußte. Im Kopf ging ich schon die Panoramastraße hinab. Überraschte mich dann aber auf der anderen Straße, die durch den Häuserschlauch hinabführt.
Hübsch, die Bürgersteige in Amelia! habe jemand der Freundin in Rom gesagt. Gibt es natürlich nicht, nur Nischen und Winkel, in die man sich stellen kann, wenn ein Auto vorbeikommt. Werd’ mich wohl selbst ein bißchen umtun, damit ihr Herzug möglich wird. Was sie von mir weiß, wissen nur wenige. Und von den Bekannten hier eh’ keiner. Die in ihrem ‘How do you do?’ wohnen und mich dadurch einladen, über ihre Schwelle zu stolpern und danach zögerlich ein “Gut!” hervorzubringen, während sie nicht davon ablassen, mich dabei anzusehen. Und womöglich böse nachfragen, wenn sie mein Zögern bemerkt.
Will dich im Traum nicht stören,
Wär schad’ um deine Ruh’.
Andererseits bin ich entwaffnet, wenn auf meine Gegenfrage die Antwort kommt: C’ho l’asma. Sie also leide an Asthma (gleicher Jahrgang, gehört indes in die Kategorie, die nicht mit mir, sondern mit der Merkel eingeschult worden wäre (irgendwie muß man sich ja unterscheiden mit seiner ‘febrewery’-Gebiertichkeit)). Wie auf der Post geschehen. Obwohl nun wirklich nichts davon zu merken war.
Bei der Mondin-Mutter, die im Chiostro wieder Minibrote anbot, fiel als Gegenfrage glücklicherweise ein zu fragen, ob denn die Mondin schon angefangen habe zu sprechen. Oh ja, sie frage schon auf französisch nach dem Papa: “où papa?”. Dem ich Grüße bestellen ließ, um dann am Nebentisch Auberginen zu kaufen. ‘Upupa’, mußt’ ich später denken, Montales Leibvogel: >>>>non muore più il Febbraio.
Und es gab frisch gepreßtes Olivenöl! Hellgrün noch und leichter Grasgeschmack.
gras’ es und gras’ es und grase es ab
gras ist wo gras ist wo grab ist wo grab
grab’ nicht wo grab nicht wo halme im wind
winde die halme die finger dir um
geh’ nicht wo harm ist der plumpsack geht um
halme wie halma wie hamel to let
give me a duty to be let it be
humble a tune is when it tunes : me
es scheunen die tore to come to myself
heu ist was ist wo gras auch mal war
und lieget in scheunen frischen grüns bar
Sardegnaquattro: Schreibplätze 4 und 5. Als Arbeitsjournale des 28. und 29. Oktobers 2016.
Liebe Freundin,
Morgen allerdings werde ich wieder von Bord gehen und in den Flieger steigen müssen. Es wird ein nur kurzer Flug sein, der Regionale nach Orte braucht mehr als die doppelte Zeit. Doch abends dann mit dem Freund das erste Glas umbrischen Weines, indessen ich während Flug und Fahrt weitergetippt haben werde – eine heikle, pricklige Szene jetzt, von der ich selbstverständlich auch nichts erzählen darf.
Deshalb, um keine Fehler zu begehen, bin ich hier so still.
Nur in Badehose,
Ihr Unhold
P.S.: Abends ist es auf Deck empfindlich kalt, unterdecks aber warm. Tagsüber ist es umgekehrt; auf Toilette zu gehen, bedeutet zu frösteln, während es draußen ohne Sonnenöl nicht geht.
Und der der Mistral hat sich besänftigt.
P.P.S.: Was, um Herrgöttinswillen was, liebe Freundin, will ich noch im Norden? Wohl einzig meine Sprache wahren.