Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
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Neujahrssonntag. Der erste Januar 2017. De natura poeticae sonoris.


[Casa di >>>> Schulze
François Couperin, Sandrine Piaus Finsternislektionen]
Wobei dieser Tage von Finsternissen kaum gesprochen werden kann: Es ist frostkalt in Umbrien, aber hell, der Himmel strahlend blau, und der Sonnrich prallt auf die rosa Mauer, auf die ich aus meinem Arbeits- und Schlafzimmer schaue.
Es geht zur kleinen öffentlichen, vorwiegend zum Abstellen der ebenso kleinen Autos genutzten Piazza hinaus. Der >>>> Banditore di Amelia raint dort ebenso an wie der Pianeta Verde, das halbprivate Biolädchen, für das der Freund sogar einen Schlüssel besitzt. Ich sprach gestern davon, er habe seine Lebensmittelkammer ausgelagert. Was nicht ganz stimmt, nachdem wir nun mehrmals einkaufen waren – eine Tätigkeit, die, wie hierzulande immer, meine barocke Lust am Schwelgen entzündete. „Wenn ich wieder allein bin, kann ich zwei Wochen aus dem Kühlschrank leben“, so der Freund am Telefon. Wobei der „Kühlschrank“ arg eingeschränkt werden muß, weil ich die Neigung habe, Lebensmittels nicht frieren zu lassen. Zum seit nunmehr zwei Tage in der Beize liegenden Hirschbraten bemerkte der Freund, da kämen doch jetzt tausend Bakterien hinein. Abgesehen davon, daß einige auch durchaus erwünscht sind, entgegnete ich für die übrigen: „Nö, bei den Temperaturen sitzen sie tief in ihre Mäntel gemummt möglichst nahe an der Heizung und rühren sich nicht weg.“
Ich schreibe langsam am Ghostroman weiter, das erste ausgeführte sagen-wir-„Fantasy“-Kapitel. Das ein solches freilich nicht ist. Doch was es ist, darf ich >>>> bekanntlich nicht sagen. Mit Konstantin Wecker, der uns gestern abend – alternierend mit Pergolesi und abgeschlossen von Händel – durch den Abend rutschen half, kann ich immerhin sagen: „Du, ich lebe immer am Meer“ - wobei Sie recht haben, liebe Freundin, wenn Sie mein Du monieren. Es steht hier auch nur zitathalber; ich werde weiterhin unsere Distanz erhalten: die vielleicht einzige Vornahme, die ich für dieses Neue Jahr habe. Alles übrige liegt in den vorgeprägten Abläufen oder sei dem Zufall überlassen. Der mich im Alten ja nun wirklich überrascht hat.
Es ist nicht nur dahingesagt, wenn ich sage, daß das vergangene 2016 zu den härtesten Jahren meines ganzen Lebens gehört hat, namentlich seine erste Hälfte – und dann zu den märchenhaftesten. Die nach den zerbröselten Illusionen, die ich mir irrerweise mit dem >>>> Traumschiff gemacht hatte, sich zunehmend verfestigene Entschlossenheit, nicht mehr zu schreiben oder doch zumindest es nicht weiter auf Veröffentlichungen anzulegen, drehte sich seltsam ins einfache Weiterarbeiten hinein, wenn auch einem unter völlig anderen als den von mir gewöhnten Vorzeichen und auch Verbindlichkeiten. Das ist nun der Teppich, über den ich gehe; er erlaubt auch bare Füße über kaltem Stein. Und hier und da, schau nur!, kommt dann doch ein Pflänzchen wieder durch. Der Friedrichroman fängt an, leis in mir zu wachsen, auch an die Fortsetzung der Triestbriefe denke ich; und die Béartgedichte liegen allezeit am Schreibplatz; ich trage die ausgedruckten Seiten sogar ständig mit mir herum, bin zuversichtlich, daß irgendwann wieder ein Vers ersteht. Aber ohne daß ich ihn hinausgedrückt hätte. Und wenn nicht, nun, dann ist's auch gut. Mein Sohn wird erwachsen, das ist die vielleicht größte Freude. Wir haben ihm nicht mitgegeben, „etwas zu werden“, aber Seele. Er ist von großer innerer Schönheit; daß ihr eine äußere entspricht, eine der Erscheinung, ist sein, nicht unser Privileg.
Ich sah den sonnengelben Flur des Nachbarhauses wieder.
Ich hatte Tränen in den Augen, als ich mir gestern >>>> Brancaccio-Ciaculli ansah – ein Quartiere Palermos, den ich noch nicht kenne; ein Umstand, den ich werde ändern müssen.
Jeder Schritt, den wir tun, geht über Verwandlungen hin; nicht immer sind sie zum bessren. Und uns ist aufgegeben – aber man muß es annehmen und annehmen können –, eine persönliche Haltung zu entwickeln, die, wenn es gelingt, Charakterhaltung wird. Der Zeitstrahl geht auf die Person, die man schließlich vor dem Zerfall ist: Höhepunkt der Entwicklung, ständiges Zunehmen an Wissen und (Herzens)Bildung (o altes Wort meiner Großmutter), schließlich, irgendwann, vielleicht ein Ruhen in sich selbst. Dann fahren wir die Rutsche hinab, jede/r einzelne von uns. Wie die sehr alten Frauen hier, die bis ganz zuletzt den ganzen Berg hinab- und ihn dann, tütenbehängt, wieder hinaufsteigen, bis eines Tages das Knie es nicht mehr möchte. Dann setzen sie sich oben auf die Piazza, um zu warten. Sie halten die Bank für die nächsten warm, die sich setzen, wenn sie selbst gegangen.
So sehen sie den jungen Mädchen zu, wie sie Frauen werden, dann schon Mütter sind, die auf Enkelkinder warten. Das ist der Fluß. Nein, das ist das Fließen. Die vergangenen eintausend Jahre sind so lange nicht, wie wir anfangs denken. Nirgends spür ich es so wie in der Kleinstadt. Gesualdo, Fürst von Venosa.

Freunde riefen an, sogar der Profi rief wieder an. Mein Sohn rief an, लक्ष्मी rief an, die Löwin rief an, sogar die Elfe gab Antwort. Freund Broßmann rief an. Die Contessa schickte schon früh eine Nachricht. Wir sind nicht allein.
Ich tauche in die Romangeschehen. Die jetzige Szene koste ich aus, alleine für mich. Immer wieder geh ich durch den weiten Park. Ich schaue auf den See zur Insel hinüber. Ein kleines Mädchen bin ich grad, vielleicht acht Jahre alt. Es ist der Badia ausgebüxt. Ich geb ihm keinen Namen. Es taucht nur einmal auf und beobachtet eine Schlüsselszene. Dann verschwindet es in den Generationenfolgen. Und viele Jahre später, Jahrzehnte später, seh ich es als alte Frau oben auf der Piazza sitzen und sich an seine Kinderliebe erinnern. Die es ganz vergessen hatte. Obwohl es immer Mädchen blieb in einer Hälfte seines Herzens (die >>>> Marschallin: „Aber wie kann das wirklich sein, / daß ich die kleine Resi war / und daß ich auch einmal die alte Frau sein werd! . . / Die alte Frau, die alte Marschallin! / »Siegst es, da geht's, die alte Fürstin Resi!« / Wie kann denn das geschehen? / Wie macht denn das der liebe Gott? / Wo ich doch immer die gleiche bin. / Und wenn er's schon so machen muß, / warum lasst er mich denn zuschau'n dabei, / mit gar so klarem Sinn? Warum versteckt er's nicht vor mir? / Das alles ist geheim, so viel geheim. / Und man ist dazu da, daß man's ertragt. / Und, in dem »Wie« da liegt der ganze Unterschied –“) - - obwohl es also immer Mädchen blieb, hat es sich über die Jahre vergessen.
Wie ich selbst in einer Hälfte meines Herzens immer der Junge geblieben bin, der ich mal gewesen. >>>> Fichte erzählte davon. Ich muß es nicht wiederholen. Aber es ist gut, sich selbst daran bisweilen zu erinnern.

Ein Anschlag in Istanbul, mehrere Tote. Auch über die gehen die Jahre, wie nun bereits die Tage über den Berliner Anschlag und seine Toten hinweggegangen sind und werden schon jetzt als öffentliche Jahre empfunden. Private Zeiten sind andere. Trauer läßt sich nicht institutionalisieren. Wer es versucht, schafft Freizeit, also Divertimenti – ein übrigens viel besseres, menschlicheres Wort als „Entertainment“. Wären unsere Unterhaltungs-„Events“ Divertimenti, es stünde um die Menschheit besser. Drum sei's.
Gesualdos Motetten sind Trauer, aber eine divertimente; ein Entertainment sind sie nicht. Im guten Sinn erbauen sie: Auch das Wort „Erbauung“ meinte etwas anderes als das Entertainment will. Die Sänger sind keine Entertainer.
„Der süße Schmerz“ war ein Gedankenspiel-Titel für meinen neuen Gedichtband; ein Schmerz, der uns bildet und heilend neu zusammenfügt. Credo aller großen Kunst. Wir sprachen gestern über die Sinnlosigkeit, also Täuschung, durch populäre Unterhaltungsformen, auch (und gerade) der Musik. Es war ein Silvester ohne Remmidemmi, fast nüchtern vor dem Screen und den Lautsprechern, dann ergriffen durch sakrale Musik. Und daß jemand, Wecker nämlich, noch einmal >>>> zum Widerstand aufrief. Siebzig (!) ist er unterdessen und hat ein wenig zugelegt um die Hüften. Dennoch ist mehr Energie in ihm als in vielen Jungen, die ich kenne: Aufbruchsenergie, auch wenn er sie hie und da ein wenig zu sehr vom Beat statt von seiner Stimme tragen läßt.
Es ist ihm, find ich, nachzusehen.
Wir hörten auch kurz Hannes Wader. Er klang seltsam flach dagegen.
Die in Klang umgesetzten politischen Utopien klangen flach und wie Zitate aus vergangenen Zeiten, die wir wissend und ernüchtert überschauen. Wir haken sie ab. Von Bert Brecht – für den Freund, wie er erzählte, eine seiner Initiationen in die deutschsprachige Literatur – bleibt (erstaunlicherweise?) alleine der Baal. Und bleiben die Gedichte. Alles übrige ist eine Beschwörung geworden, der die Kraft der Beschwörung versiegt ist; sie hat drum keine Magie mehr.
Magie hat Magdalena Koženás „Lascia ch'io pianga“:




Händels Lied hat noch nach 310 Jahren überhaupt nichts von ihr eingebüßt, so wenig wie Grimmelshausens Simplizissimus, so wenig wie, nunmehr 240 Jahre später, >>>>> Goethes Harzreise im Winter:
Dem Geier gleich,
Der auf schweren Morgenwolken
Mit sanftem Fittich ruhend
Nach Beute schaut,
Schwebe mein Lied.
Mit den nahezu unfaßbaren, von Brahms vertonten Mittelzeilen:Ach, wer heilet die Schmerzen
Deß, dem Balsam zu Gift ward?






Ich hörte diese Musik zum ersten Mal mit siebzehn. Seither ist sie ein unverrückbarer Teil meines Selbst.

Zurück also wieder an den - unseren: der Contessa und meinen - Roman. Und an Hackbrett und Herd für den Hirschen und das Blaukraut.

(„Weitermachen“, sagte gestern nacht der Freund, „dem einfach weiter folgen, woran wir glaubten und glauben.“ Dennoch ist zu spüren, wie immer weniger ich der

Unhold

noch bleibe, geschweige denn der Ihre).

*

.



2017


____________________________________________________________

James Joyce, Chamber Music. In neuen Nachdichtungen von Helmut Schulze und ANH. Chamber Music (22): Das zweiundzwanzigste Gedicht. (Entwürfe).


XXII.

Of that so sweet imprisonment
My soul, dearest, is fain -- -
Soft arms that woo me to relent
And woo me to detain.
Ah, could they ever hold me there
Gladly were I a prisoner!

Dearest, through interwoven arms
By love made tremulous,
That night allures me where alarms
Nowise may trouble us;
But l sleep to dreamier sleep be wed
Where soul with soul lies prisoned.




Chamber Music 21 <<<<

James Joyce, Chamber Music. In neuen Nachdichtungen von Helmut Schulze und ANH. Chamber Music (23): Das dreiundzwanzigste Gedicht. (Entwürfe).


XXIII.

This heart that flutters near my heart
My hope and all my riches is,
Unhappy when we draw apart
And happy between kiss and kiss:
My hope and all my riches -- - yes! -- -
And all my happiness.

For there, as in some mossy nest
The wrens will divers treasures keep,
I laid those treasures I possessed
Ere that mine eyes had learned to weep.
Shall we not be as wise as they
Though love live but a day?




Chamber Music 22 <<<<

Wär' natürlich eine Lösung.



Wen interessierte das Schicksal von Flüchtenden noch, wenn wir auch selber fliehen müßten, es aber kein Wohin gibt?



III, 244 - Die verlorene Hasenpfote

Seit Tagen schon wunderte ich mich, daß im wild vermauerten Türbogen neben der jetzigen, brav rechteckigen Tür mit seinen viele Nischen, der Platz, an dem ich eine Hasenpfote aufrecht hingestellt, die ich seit nunmehr ungefähr vierzig Jahren besitze, gar nicht mehr das Volumen einer Hasenpfote erscheinen will. Ich nahm mir ein Herz (so als könnte man auch zwei nehmen, oder drei) und stieg das Treppchen um des Augenscheins willen hinauf: Nur noch der Knochen, das Fell vollständig abgebröselt.
Vor einem Jahr vielleicht legte ich sie noch stolz jemandem in die Hand. Vielleicht sollte ich weniger Geschichten lesen, die davon handeln, daß Treibholz manchmal so am Strand sich finden läßt, als hinge an ihm ein knöcherner Finger, während sich der knöcherne Hasenfinger die Löffel reinigt, um wie Jean Paul in ‘Meine lebendige Begrabung’ nach dem eigenen Tode besser hören zu können, denn: meine Natur und meine Ohren richteten sich ganz nach dem 112[.] Stücke des Arztes, worin Unzer Gründe und Beispiele genug vorbringt, daß Ohnmächtige und Todte noch aufhorchen.
Es ist auch vergeblich, ermitteln zu wollen, ob diese nunmehr zum Knochen gewordene Hasenpfote mir in den letzten vierzig Jahren (nehmen wir einmal diese runde Zahl) Glück gebracht hat. Möglich indes, daß ich viel Schwein gehabt. Die tägliche Nahrung beweist es zur Genüge.

Hasenknochen

Was mich aber nicht davon abhielt, ein Los der Lotteria Italiana zu kaufen, die am Tag der Epiphanie wahrscheinlich den Nordwind ausgelöst wegen der vielen stummen bis lauten Verwünschungen, weil einen das große Los wieder nicht erwischt. Das wäre aber nicht logisch, weil sich hier die Orte häufen, die als Centrum Italiae gelten wollen, als ließe sich der geographische Mittelpunkt Italiens wie die Knöchelchen eines Heiligen auf Orte verteilen, die dutzende Kilometer auseinanderliegen. Womit ich sagen wollte, daß ich zu >>>> dem Winde wahrscheinlich beigetragen, der dann diese Kälte brachte und nur scheinbar aus dem Norden, tatsächlich aus allen Weltgegenden sich hier zusammenblies, wobei alle Winde sich ihre kalten Schultern wiesen. Am meisten aber liebe ich es, wenn mir eine Taube die kalte Schulter weist. Trotz der liebevolleren Beispiele, die gestern noch am Feuer erzählt wurden.
Wobei wohl auch die Hasenpfote ihren Mut bzw. ihre Bepelzung verloren. Ein allerdings herber Verlust.
Und der ganze Trost, den ich Gemüse putzend nach der Arbeit “in compagnia” und in einer gewissen Gedankendissolvenz fand, geht am Postleporalen zugrunde. Es auf plattdeutsch zu sagen wäre noch besser. Denn vor ein paar Tagen starb der Freund meiner über 80jährigen Tante (der letzten Überlebenden der Generation, die unsereinen gezeugt). Saß mit den beiden noch beim Schützenfest zusammen. Er einer von denen, die nur plattdeutsch sprachen. Gibt’s auch nicht mehr.
Mein einstiger Schwager aus Rieti berichtete mal von einem, der bildlich oft und gern zwei selbsterfundene Verben gebrauchte: “s’allepora”, er entläuft gleich einem Hasen, “s’accornacchia”, er entfleucht gleich einer Krähe.
À propos Gemüseputzen:

sminzo verdurame pol
pastrelli immischiando
quel che sale al pepe
verifico con olio ver
la poltiglia
assaggio e mi
commuovo
non perché
ma
perché vivo qui
ma tanta è
la collina
e quel che
immischiar
si vuole e penso
come anche la rondine
colla saliva sua
il nido fa


(kein Link, steht nur auf Papier (digitallose (fingerlose) Zeiten).

III,243 <<<<

Noch gestern im Riad (رياض).



Gestern im Riad


Schon heute in der Arbeitswohnung.

Berlin, 10. Januar 2017
8.01 Uhr
Lars Danielsson, New Quartet
(live)


III, 246 - Aufwartungen

Gestern war Zwischenreich, heut’ nach zehn Stunden Kandare fand ich mich wieder im Kopfsenat, beleibt das Belieben, die Beliebtheit (die ich nicht wirklich befürchte), die Beliebigkeit zu perhorreszieren. Eine Toga trug ich nicht. Auch nicht im Kopfsenat (Kopfsalat). Und gewisse akademische Körperhaltungen sind mir nicht eigen. Viel zu gymnastisch. Obwohl ich denke, kein schlechter Turner gewesen zu sein, bis der eine Knochen des linken Unterarms beim Aufstützen aufs Pferd aus dem Sprung heraus (in der Pubertät) zerbrach. Das Krankenhaus lag gleich neben der Schule. Und ich kam heim mit einem Gipsarm.
Es war eine Art textiles Vertrauen (Geprüft auf Schadstoffe nach pipapo (Warenanhängsel, die liegen geblieben waren und plötzlich unter irgendwelchen Papieren hervorlugten (wahrscheinlich das eine Handtuch damals im Juli))), das der inneren Ansprechperson widerfuhr, die auch nicht antworten durfte. Ich hatte die Antworten schon parat. Ich sagte immer nur “drei neunundneunzig”, und so konnte ich ungestört fortfahren. Denn gegen “drei neunundneunzig” ist kaum etwas einzuwenden.
Hierauf sprachen die Augen mit den schwarzen Rändern oben an den roten Blüten der Rosen, die immer noch vorgeben lebendig zu sein, wie ich. Während in all dieser Zeit sich die Wärmeblase bildete. Die Rede ist natürlich vom Stampfer. Wie er, der Ofen, nun endgültig heißen soll.
So einen kleinen schwarzen Rand bereitete mir auch Montaigne, als er davon sprach, daß Cato Hasenfleisch quasi als Arznei benutzte für seine Familie und besonders zur Erhaltung der Gesundheit seiner Frau. Indes gebärdete sich der Landstreicher, der sich auf dem Weg des Malers bei Bernhard in seinem ‘Frost’ (der nach wie vor fortdauert (links neben dem Hofeingang ein Wasseranschluss samt Zähler, aus dem Wasser heraus sickert: kaputtgefroren)) auf den Weg legt und sich tot stellt als sozusagen Hasenretter. Er erklärte zunächst, er habe das absichtlich getan. Er habe wissen wollen, daß das, was er sich vorgestellt, tatsächlich eintrete. Daß man nämlich ihn, den Toten, tatsächlich mit einem Stock umzudrehen versuchen würde, um sein Gesicht zu sehen. Dennoch sei ihm bei der Wahrnehmung der Schritte des Malers, dessentwegen er das ganze Spektakel vorgenommen, vorgekommen, als ginge er, der Maler, wie ein Hirsch, und diese Vorstellung sei ihm sehr angenehm gewesen, nämlich diese: ”Ein Hirsch macht mir seine Aufwartung”, hat er gesagt, und: “Das sei ganz als Poesie aufzufassen, als nichts sonst.”

III,245 <<<<

III, 247 - Kopfgerüche

Es kostete einige Überwindung, in den Wind hinauszutreten, um dann festzustellen, daß er, von drinnen her wahrgenommen, sich eher durch seine Geräusche wild gebärdete. Draußen widerfuhr mir von ihm nichts. Denn ich hatte doch hinausgehen müssen: Tabaccaio, ein paar Fressalien und Getränke aus dem Bioladen. Mehr traute ich mich nicht. Seit gestern ist mir irgendwie kalt. Lange Stunden sitze ich mit einem Mantel am Schreibtisch oder Küchentisch trotz Stampfer bzw. Gasofen. Schwindelgefühle im Kopf. Leichtes Fieber.
Von der Arzneikunst halte ich wie Montaigne nichts (gestern und vorgestern darüber gelesen, sein stoischer Umgang mit seinen Koliken). Die Neffenmutter erkundigte sich zweimal. Sie meinte, ich müsse ein fiebersenkendes Mittel nehmen. Ich winkte ab. Ich denke, ich werde eine rohe Knoblauchzehe essen. Und ein bißchen schwitzen wie in der letzten Nacht.
Dann werde ich eben morgen nach Knoblauch riechen. Immerhin ein patentes Rezept, einen Vorwand dafür zu haben, die Gesellschaft zu meiden.
Die Mütze, die ich auch noch auf dem Kopf trug, eliminiert den Kopf. Es bleibt das Gefühl lediglich der Mütze. Darunter die übliche Routine. Ich habe sie jetzt abgenommen. Ich würde gern an den Rosen riechen, aber dafür müßte ich aufstehen. Einfach aus Neugierde. Sofern die Nerven nicht allzu verstopft sind. Ich werde auf einen anderen Vorwand warten müssen.
Von Weitem kann ich mir einen leichten Geruch jedoch einbilden, der nicht hergeweht wird, sondern sich verströmt. Ich fange auch gleich an, tiefer zu atmen. Obwohl wahrscheinlich alles nur Einbildung ist, weil etwas vorausgesetzt wird, was wahrscheinlich eine Erinnerung an die Gärtnerei im Dorf ist, die immer voller Blumen war, wenn es Beerdigungen gab. Ich glaube, das ist eher dieser schwere Geruch, der mich beim Anblick der Rosen unfreiwillig daran denken läßt.
Wie der Schwindel im Kopf, der vom Fieberthermometer abhängt bzw. umgekehrt.
Ich hab’ mich drübergebeugt: es war tatsächlich ein Kopfgeruch.

fioriscono tre rose rosse
lungo il cemento
sono rosse da
memento
fioriscono tre rose rosse
in mezzo all’erbaccia
come se
il rosso delle rose
non avesse - senza -
veemenza


So weit so gut so schlecht.

III,246 <<<<

III, 250 - Dunkelelegie

”Sie haben einen Elephanten bearbeitet!” Es hätte auch “Elend” heißen können. So viele Wörter gibt es nicht, die mit “Ele-” anfangen. Nein, es gibt mehr, als ich zunächst wahrzunehmen bereit war. “Electrocuted”. Aber mit “Elend” bin ich weniger einverstanden, auch wenn das derzeitige Gehuste mich zuweilen in einen elenden Zustand versetzt. Das Rauchen, der Winter, der Stampfer, der Feinstaub, den auch die Haut selbst erzeugt, während sie von einem abfällt. Dabei stand da nur “Element”.
Vielleicht braucht es eines Hierophanten. Jetzt. mich vom Gestern zu lösen, als der Absatz entstand, und ich nicht weiter mochte.
Und so stolpere ich recht unelegant in diesen Tag, der auch schon seine Dunkelelegie angestimmt, während ich noch weiterblättere nach Worten, die mit “eleu-” beginnen. Aber was mach’ ich damit? Der Kalauer mit dem Elephanten ist verzapft.
Tatsächlich hatte ich eine Phantasie heute. Es ging um eine Würgeschlange, die ihre Beute mit sich selbst umgibt. In der Phantasie war’s ein Schwein (irgendein gesehener Film). Ein schwarzes Schwein, weißen Schweinen passiert sowas nicht. Die werden anders verdaut. Wenn überhaupt. Muß man aber nicht glauben.
Und die Frage, wie man sich da wohl fühlen mag, wäre man selbst von solch einer Würgeschlange umgeben? Wahrscheinlich wie der Vestalin, nachdem sie den Besuch des Kaisers Caracalla empfangen. Laeta? Aber da war’s Erde. Da sieht man’s nicht.
Und so kommt man recht unwillkürlich zum Incipit des Kleinen Prinzen. Der gestern noch himmelweit entfernt war.
Auch wenn ich (oder meinetwegen auch: tout le monde) sagen müßte: j’ai mal reussi…
Dennoch ist eine Anstrengung notwendig, sich nicht einfach nur als Verdauungsmaterial zu begreifen.

III,249 <<<<

VOULIAGMENI

... und dann sehe ich ein Gesicht in den Straßen,
einen Traum aus dem Museum der vergessenen Träume.
Ein Gesicht, das außerhalb der Phantasie existiert,
ein Gesicht das nicht vorkommt in den Falten der Fächer entferntester Gefühle.

Rückwirkend - das zumindest weiß ich - war es schon immer da.
Und jetzt, im Augenblick seines Da-Seins löst es sich auf wie Rauch im Nebel:
Dieses andere Leben, das nie der Fall war und nie sein wird,
und nur deswegen IST.

Der Lebende hat gegenüber dem Toten den Vorteil
In zukünftiger Vergangenheit zu sein, in längst historisch gewordener Zeit.
Wie der Regen über offenem Meer.

James Joyce, Chamber Music. In neuen Nachdichtungen von Helmut Schulze und ANH. Chamber Music (25): Das fünfundzwanzigste Gedicht. (Entwürfe).


XXV.

Lightly come or lightly go:
Though thy heart presage thee woe,
Vales and many a wasted sun,
Oread let thy laughter run,
Till the irreverent mountain air
Ripple all thy flying hair.

Lightly, lightly -- - ever so:
Clouds that wrap the vales below
At the hour of evenstar
Lowliest attendants are;
Love and laughter song-confessed
When the heart is heaviest.




Chamber Music 24 <<<<

Barack Obama in „Dirty Wars“. Als Arbeitsverfassungsnotat am Morgen des Montags, dem 23. Januar 2017.


[Roter Tisch, 6.53 Uhr
Latte macchiato, Morgencigarillo]
Wer >>>> diesen Film gesehen und über ihn nur ein wenig recherchiert hat, dem kommt die gesamte moralische Aufregung über Donald Trump nur noch bigott vor, ebenso wie die häufigen Sätze, die wir in Zeitungen über Obama lasen: „Das war es, was wir an ihm geliebt haben.“
Dieses „wir“ ist es, was mir schlechtwerden läßt, dieses >>>> unreflektierte Beharren auf „wir“, das unerschütterbare Vertrauen in einen guten Gemeinsinn (common sense), das nichts ist als die Abhängigkeit von ihm: „Quote“ spreche wahr.


Ich entsinne mich noch sehr genau, wie erschreckt ich nach seinerzeit Obamas Rede auf dem Großen Stern Berlins gewesen bin - nicht über ihn direkt (ich war schon skeptisch), vielmehr über das jubelnde Volk. Und wie mir ausgerechnet >>>> eine von mir als Kollegin sehr geschätzte Freundin entgegnete: „Das ist er doch: u n s e r Präsident.“ Denn die Hoffnung stirbt zuletzt – sei's auch als gewollte, selbstgewollte Täuschung auf einem Teppich aus Leichen.

Richard Rowley/Jeremy Scahill
D I R T Y  W A R S

Drehbuch David Riker & Jeremy Scahill
Musik David Harrington
Kamera Rick Rowley
Schnitt Rick Rowley & David Riker
Produktion Anthony Arnove & Brenda Coughlin
87 Minuten, USA 2013
NOTA
Der gesamte Film ist im Handumdrehen über
die bekannten Streamingsites zu bekommen,
etwa bei >>>> kinox.to.
(In diesem Fall wird den Autoren ihr Urheber-
recht vergleichsweise egal sein.)
P.S.: „Fall“ ist auch völkerrechtlich zu lesen.


S i e b z e h n. Anstelle eines Arbeitsjournals. Am 30. Januar 2017.


[Arbeitswohnung, 11.25 Uhr
Verdi, Simon Boccanegra]


Brot 300117 Adrian

(Heute nur nebenbei: Ghostroman.
Links von mir die >>>> Béart-Gedichte. Von meinen liegengebliebenen, weiter liegenbleibenden eigenen Projekten sind s i e es, an die ich am meisten denke. Immer wieder möchte ich ansetzen, immer wieder lasse ich es bleiben.
Außerdem stehe ich fürs nächste Jahr einem Verlag mit einem neuen Roman im Wort. Die Triestbriefe böten sich an. Immerhin hatte ich aber für den „Friedrich“ eine Idee: Friedrich.Anderswelt. Das stellte den „historischen“ Roman auf die Füße der Gegenwart, doch wäre neuliterarisch abermals völlig unzeitgenmäß. Die Zeit wünscht sich Simplifizierung; Bildung ist ihr das gröbste Hindernis. Gefragt, seit schon einigen Jahren, fast zwei Jahrzehnten, ist der bedingungslose Konsens.
Auch darüber könnte ich mal schreiben, schriebe ich denn Eigenes wieder einmal.]

[Aufbruch zur Familie.]

 



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