Metamorphosen. Kleine Theorie des literarischen Bloggens (10)
[bei Jenufa]
Die Moderne, die antrat, es auszulöschen, holt nun das Original ausgerechnet da, wo das Cloning täglicher Umgang ist, in die Wirklichkeit zurück: nämlich im Netz. (Ob auch in die Wirksamkeit, wäre zu sehen.) Denn es ist Sites und Weblogs eigen, daß sie sich ständig verändern. Das ist nicht nur Reflex, sondern tatsächlich ein Spiegel der materialen, zeitlichen Wirklichkeit, wenn auch dort (bislang und soweit wir wissen) nur in e i n e Richtung: Voran. Auch das wandelt sich im Netz. Das Weblog nimmt für die Konstruktion die Irreversibilität zurück und ist prinzipiell unabgeschlossen: Wie in einem Kunstwerk, das ja nur den Anschein der Sukzession herstellen kann, sind frühere (erzählte) Ereignisse von späteren determiniert. Kunst will Irreversibilitäten aufheben; diese potentielle Kraft hat (als Erzählung) das Weblog auch. Frühere Einträge können ständig umgeschrieben und neu verlinkt werden, wodurch sie je andere semantische Höfe („Bedeutungen“) erhalten, ja manche fallen weg oder behaupten ihr Gegenteil, und zwar so g u t, daß es das Gewebe nicht aufribbelt. Also verändert sich wiederum auch dieses. Der Erzählrahmen (frame) flimmert und flirrt, das unbeliebte „framing“ ist nur ein, wenn auch schlagendes Indiz. „Die mythische Welt befindet sich in einem gleichsam flüssigeren, wandlungsfähigeren Zustand als unsere theoretische Welt der Dinge und Eigenschaften“, schreibt Ernst Cassirer. Ich habe an anderer Stelle schon angemerkt, daß die Gegenwart (das bedeutet: ihre Wahrnehmung... also Vorsicht!) ihre materiale Sicherheit verliert. Zugleich aber entsteht - in M o m e n t e n, im N u – das Original genau deshalb wieder, weil jede Vor-Lage im Nachinein variiert werden kann und wird. Lädt sich jemand, sagen wir, heute um 20 Uhr diesen Eintrag herunter, dann kann der sich eine Stunde später bereits gewandelt haben, so daß der ausgedruckte Text zum Original wird, von dem sich das „ursprüngliche Original“, welcher Ableitung oder Ordnung auch immer, entfernt. Der Ausdruck wird zum Unikat und brauchte eigentlich nur noch eine legitimierende Signatur (einmal angenommen, nicht x andere Blogg-Spieler sind auf denselben Gedanken verfallen, was demokratisch-wertmindernd wäre). Das ist der Übergang eines literarisches Textes in die, sagen wir, Lithografie
Der literarische Blogger wird genau deshalb für die Veränderung auch älterer Einträge sorgen, sie möglichst immer präsent halten, vielleicht sogar Metamorphosen-Programme schreiben oder schreiben lassen, da irgendwann das Einsichts-Feld zu kompliziert sein wird, um natural damit umgehen, es „handeln“ zu können. Der Vorteil ist zudem, daß sich auf diese Weise die alten Einträge immer wieder vergegenwärtigen und neue Leser finden, vielleicht auch Wieder-Leser, so daß sie in günstigen Fällen noch einmal und wiederneu verlinkt werden. Das Gewebe gärt. Es teilt sich. Vielfach.
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[BWV 593; 25.10.]
herbst & deters fiktionäre
Die Moderne, die antrat, es auszulöschen, holt nun das Original ausgerechnet da, wo das Cloning täglicher Umgang ist, in die Wirklichkeit zurück: nämlich im Netz. (Ob auch in die Wirksamkeit, wäre zu sehen.) Denn es ist Sites und Weblogs eigen, daß sie sich ständig verändern. Das ist nicht nur Reflex, sondern tatsächlich ein Spiegel der materialen, zeitlichen Wirklichkeit, wenn auch dort (bislang und soweit wir wissen) nur in e i n e Richtung: Voran. Auch das wandelt sich im Netz. Das Weblog nimmt für die Konstruktion die Irreversibilität zurück und ist prinzipiell unabgeschlossen: Wie in einem Kunstwerk, das ja nur den Anschein der Sukzession herstellen kann, sind frühere (erzählte) Ereignisse von späteren determiniert. Kunst will Irreversibilitäten aufheben; diese potentielle Kraft hat (als Erzählung) das Weblog auch. Frühere Einträge können ständig umgeschrieben und neu verlinkt werden, wodurch sie je andere semantische Höfe („Bedeutungen“) erhalten, ja manche fallen weg oder behaupten ihr Gegenteil, und zwar so g u t, daß es das Gewebe nicht aufribbelt. Also verändert sich wiederum auch dieses. Der Erzählrahmen (frame) flimmert und flirrt, das unbeliebte „framing“ ist nur ein, wenn auch schlagendes Indiz. „Die mythische Welt befindet sich in einem gleichsam flüssigeren, wandlungsfähigeren Zustand als unsere theoretische Welt der Dinge und Eigenschaften“, schreibt Ernst Cassirer. Ich habe an anderer Stelle schon angemerkt, daß die Gegenwart (das bedeutet: ihre Wahrnehmung... also Vorsicht!) ihre materiale Sicherheit verliert. Zugleich aber entsteht - in M o m e n t e n, im N u – das Original genau deshalb wieder, weil jede Vor-Lage im Nachinein variiert werden kann und wird. Lädt sich jemand, sagen wir, heute um 20 Uhr diesen Eintrag herunter, dann kann der sich eine Stunde später bereits gewandelt haben, so daß der ausgedruckte Text zum Original wird, von dem sich das „ursprüngliche Original“, welcher Ableitung oder Ordnung auch immer, entfernt. Der Ausdruck wird zum Unikat und brauchte eigentlich nur noch eine legitimierende Signatur (einmal angenommen, nicht x andere Blogg-Spieler sind auf denselben Gedanken verfallen, was demokratisch-wertmindernd wäre). Das ist der Übergang eines literarisches Textes in die, sagen wir, Lithografie
Der literarische Blogger wird genau deshalb für die Veränderung auch älterer Einträge sorgen, sie möglichst immer präsent halten, vielleicht sogar Metamorphosen-Programme schreiben oder schreiben lassen, da irgendwann das Einsichts-Feld zu kompliziert sein wird, um natural damit umgehen, es „handeln“ zu können. Der Vorteil ist zudem, daß sich auf diese Weise die alten Einträge immer wieder vergegenwärtigen und neue Leser finden, vielleicht auch Wieder-Leser, so daß sie in günstigen Fällen noch einmal und wiederneu verlinkt werden. Das Gewebe gärt. Es teilt sich. Vielfach.
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[BWV 593; 25.10.]
herbst & deters fiktionäre
albannikolaiherbst - Mittwoch, 30. Juni 2004, 18:28- Rubrik: Litblog-THEORIE
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