Meditation über ein Engelsgesäß. Das Arbeitsjournal des 7. Julis 2010 -: eines Mittwochs, der staufisch begann und, nachmittags dann, den Autor v e r s u c h t. Sowie mit dem Fußball im Libanon, jüdisch.
8.38 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Mein Rhythmus ist ziemlich durcheinander; abermals erst gegen zwei Uhr im Bett gewesen, dann erst gegen sieben aufgestanden. So komm ich kaum auf grüne Zweige, mag sie auch, nach der gestrigen Abkühlung, wieder die Sonne liebkosen. Immerhin mit den >>>> Kulturmaschinen die Reihenfolge der nächsten Bücher besprochen; auf jeden Fall werden >>>> DIE FENSTER VON SAINTE CHAPELLE ziemlich kurz nach AZREDS BUCH herauskommen; wir sind uns „nur” noch uneins, ob ebenfalls vor der Buchmesse Frankfurt oder erst danach. Im Winter dann, bei >>>> etk-books, sowohl als e-Buch wie in einer kleinen Druckauflage, die >>>> „Kleine Theorie des Literarischen Bloggens” und zur Leipziger Buchmesse einzwei Monate später eine Neuauflage, wieder von den Kulturmaschinen, der NIEDERTRACHT DER MUSIK. Gleichzeitig werden die BAMBERGER ELEGIEN bei >>>> Elfenbein erscheinen. Schließlich folgt im Herbst 2011 der Essayband. Das sind fünf Bücher in kaum einem Jahr; ich muß aufpassen, den Bogen nicht zu überspannen; dennoch hätte ich gern all diese Texte gleichzeitig auch als e-books lieferbar.
Der Universitätsverlag Winter hat mir den ziemlich umfangreichen Band >>>> „Umstrittene Postmoderne” geschickt, worin mein Aufsatz „Das Flirren im Sprachraum” in der Form enthalten ist, in die ich ihn, nachdem der Text in >>>> Wehrs Schreibheft erstpubliziert war, für einen Vortrag an der Uni Braunschweig umgearbeitet hatte. Sehr nobel ist, daß mir der Verlag tatsächlich einundzwanzig Sonderdrucke meines Vortrags dazugelegt hat: das sind allemal feine Geschenkchen.
Jedenfalls, Salon Noir, aufgestellter Fernseher, Fußball, ich wurde erst etwas aggressiv, aber das legte sich, als ich mit den Verlegern die kommenden Bücher besprach; außerdem merkte ich, daß ich „für Uruguay” war, aus welchen Gründen auch immer; außerdem gebe ich zu, daß die letzten zehn Minuten spannend wurden. Wiederum wäre mir ein Endspiel Deutschland ./. Niederlande, bei dem dann auch noch Deutschland gewänne, historisch unangenehm, während ein Endspiel Niederlande ./. Spanien etwas von einem historischen Roman hätte, dessen metaphorische Spielzeit so weit zurückliegt (Don Karlos, Infant von Spanien; etwa), daß sowohl ein Sieg „der Protestanten” wie der „der Katholiken” mitsamt ihrer Inquisition nicht unvergnüglich wäre.
Dann waren wir noch in der Bar, bei uns die junge Dottoressa F., welche die Zierde des schönsten Frauengesäßes gesegnet, das sich jemals in meine Hände geschmiegt. Wir gerieten aneinander, weil sie für Holland war, ich aber entschieden für den Katholizismus – was sie an sich hätte verstehen können müssen, da sie sich ihr Studium als Stripperin verdient hat, wie übrigens einige intellektuelle Frauen, die ich kenne und achte; selbst bekannte Autorinnen sind darunter. Nein, ich nenne keine Namen, lieber zieh ich die Häme auf mich. Jedenfalls wäre der F. Gesäß einen ganzen Gedichtband wert, Huldigungen der Anatomie aus der Perspektive des Lebens, nicht, wie bei von Hagens, der plastifizierten Morbidität. Die ich bekanntlich ekelhaft finde in ihrer ausgespritzten Cleanness. Wie komm ich darauf? Weil mir immer, wenn ich einen Körper bewundere, Der Tod und das Mädchen einfällt. Man müßte eine Geschichte erzählen, in der e r dem Mädchen erliegt... - schöne Idee. Besser aber „Frau” statt „Mädchen”. Übrigens. Dottoressa, worauf Sie mich bringen! Zu späterer, die schon eine frühe war, Stunde steckte sie mir ihren Slip in die Außentasche meines Jackett nebens Revers, aber in einer Zigarettenschachtel versteckt. Was mich verstimmte. Sie monierte das Spiel, das ich trieb. „Wärest du so einfallslos in deiner Literatur, ich läse dich nicht”, sagte sie dazu. Der Profi beobachtete uns. Als hätte er etwas bemerkt, zog er den Saum ihres Kleides glatt. Ich sagte ihr ins Ohr: „Ich bring es dir noch bei.” Erzählte ich schon, daß sie Philosophin ist? Eine Kant-Expertin, da braucht man den Ausgleich. Ich schätze solche Widersprüche, angebliche, da sie doch nur Ergänzungen, lüsterne, der Lebenslust sind. „Was bringst du mir bei?” „Mir deinen Slip ganz offen zu geben. In einem Restaurant vor aller Augen, aber elegant und voll der Distanz.” Sie spottete: „Dann sollte es nicht gerade ein türkisches Restaurant sein.” Welch ein reizvoller Einfall! Aber heut war sie müde. „Ich muß einfach schlafen, will n u r schlafen. Das kannst du mir nicht geben.” Ihre Hand spielte in meinem Nacken. „Nicht jetzt.” „Dann bring ich dich zum Taxi.” Derweil hatte sich PG zu uns in die tiefschwarzen Fauteuils gesetzt, hatte mit ihr zu flirten begonnen - nein, nicht mit ihr, eigentlich, sondern mit ihren B e i n e n; Sie hätten Ihre Schuhe sehen müssen! -, wozu er sich mit ihr und dem Profi über den Fußball austauschte. Seit ich vorhin meine historisch-metaphorische Perspektive auf die Weltmeisterschaft entdeckt hatte, machte mir das wenig aus. „Ich bin für Spanien”, warf ich ein, schon weil ich es nach wie vor für eine große Leistung halte, nach dem Attentat auf den Bahnhof Atocha die Truppen aus Afghanistan abziehn zu lassen. „Verräter!” sagte die F., erhob sich, warf den Kopf in den Nacken und stolzierte davon. Ich sah ihr nach, anstatt sie zum Taxi zu bringen. „Wie?” rief der Profi. „Du gehst nicht mit ihr?” „Es muß sich nicht immer alles erfüllen”, antwortete ich, aber dachte: schon gar nicht sofort.
Wir sprachen noch etwas weiter, sprachen über einen widerlichen Fall, der sich soeben im Literaturbetrieb ereignet hat; ich bin an dergleichen gewöhnt, aber die Freunde, wenn sie so etwas mitbekommen, sind alle erst einmal schockiert. Nein, es geht nicht um mich. Auch hier aber werde ich Näheres verschweigen. Der Profi kam gar nicht drüber weg, wechselte endlich das Thema: „Du solltest mit dem Friedrich-Roman sofort beginnen”, sagte er, aufschauend, entschieden. Ich schüttelte den Kopf. „In zehn Jahren vielleicht, eher in zwanzig. Da muß ich vorher viel reisen, da muß ich vorher perfekt Latein lesen können, da muß ich mich durch Originalquellen durchgearbeitet haben – um dann alles umzuerfinden, wie es meinem Roman in den Kram paßt. Es ist ja kein unheikles Thema, wenn du dir die Staufer-Rezeption anschaust und die Rolle verstehst, die sie eben auch für Hitlerdeutschland gespielt hat, auf der Verschiebung zu Barbarossa, klar, aber ich will eben keinen deutschen Roman, sondern einen Roman Europas schreiben, der Abend- und Morgenland wieder zusammenrückt; ich würde gern, nur auf der F o l i e des historischen Romans, die Projektion eines wirklich Vereinten Europas fantasieren, dessen kulturelles Zentrum das Mittelmeer ist mit sämtlichen Anrainerkulturen – als westliche Gegenkraft zu den USA. Es ist die Idee einer kulturellen Identität des Unvereinbaren, ohne daß man die Tiefen wegschneidet, sondern indem man sie nicht nur beläßt, sondern geradezu zum Motor der Vereinigung macht. Ich muß älter sein, als ich jetzt bin, um das hinzubekommen, ich muß abgeklärt sein, sozusagen interesselos” - womit wir dann wieder, Dottoressa, bei Ihrem Herrn Kant gelandet wären. Was mich jetzt so reizt, muß dann, wenn ich es ausführe, abgehangen sein, weil dieser Roman auch die Freiheit haben muß, aus seiner eigenen Bewegung heraus vielleicht sogar das Gegenteil dessen zu werden, was ich beabsichtige und an was ich jetzt glaube. Ansonsten würde er, so oder so, Agit-Prop. Verzeihen Sie mir, daß meine Skizzen so wirr sind; ich habe bisher nur den Geschmack dieses Buches. Man kann auch sagen: Ich folge einem Klang. Konkreteres, noch, gibt es da nicht. Aber prompt, heute morgen, entdeckte ich >>>> d a s. Da soll noch wer an Zufall glauben!
Ich werde heute früh lesen, möchte >>>> Steins Buch auslesen und dann den Kopf für die Überarbeitung der Paris-Erzählung freihaben. Nachmittags treff ich >>>> Eisenhauer.
14.50 Uhr:
Nur gelesen, nichts gearbeitet. Gut, telefoniert hab ich noch: einiges telefoniert, läßt sich sagen. Immerhin ist mir der Kern von Steins Roman jetzt deutlich: diejenige Nabe, um die sich die gesamte Konstruktion dreht. Es ist eine religiöse. Der Löwin gegenüber sprach ich vorhin davon, daß das Buch die Kraft des Bekehrens habe; ich sei seltsam weise in den letzten Tagen – seit ich das Buch zu lesen begann. Wenn mich etwas erfaßt, habe ich die starke Tendenz, seine Farbe anzunehmen, mich in es hineinzuversenken, auch wenn ich genau weiß, daß da eine Differenz ist und bleiben wird.
Dann eine Stunde geschlafen, wieder einmal sehr tief. Aus dem Schlaf holte mich nicht etwa der Ifönchen-Wecker, sondern ein Anruf der Dottoressa: sie trete heute nacht auf... ob ich nicht vorbeischauen wolle. Ich möge ihr dann aber bitte ihren Slip wieder mitbringen, sie hänge an ihm. Was ich dafür wolle? Sie habe mit einer Kollegin über mich gesprochen - sie sagte wirklich „Kollegin” -; auch die trete auf; sie habe Interesse an mir signalisiert. Als F. das sagte, bekam ich einen plötzlichen Schrecken, ich weiß nicht, warum. Weshalb ich das Gefühl hatte, mich zu... ja: drücken, wenn ich absagen sollte. „Ich überleg’s mir”, sagte ich ausweichend.
Es ist nicht völlig von der Hand zu weisen, daß dieses Geschehen jetzt, dachte ich, mit meiner Lektüre zusammenhängt. Es ist, dachte ich, eine Versuchung.17.24 Uhr:
Zurück vom Treffen mit Eisenhauer. Apfelsaftschorle, Espresso. Ein Mann ging vorbei, der uns ziemlich scharf ansah; ich habe ins Schaufenster fotografiert, damit er nichts merkte. Eisenhauer sagte: „Hast du den bemerkt?” Dann sprachen wir über Literatur und die Zukunft des Netzes weiter... na ja, eigentlich umgekehrt. Ich muß eben an Ulrich Schreiber schreiben, den Leiter des >>>> Internationalen Literaturfestivals Berlin; allerdings dürfte es für unsere, Eisenhauers und meine Idee, schon zu spät sein. Moment -
20.40 Uhr:
Mit >>>> Benjamin Stein bei meinem Lieblingslibanesen, Daye, zum Abendessen gewesen; ich fand das eine schöne „Passung”: Moses in einem islamischen Land. Es ist auch dort ein Fernseher aufgestellt, und Leute, wenn auch nicht viele, saßen davor. So daß ich mit Stein in Israel, nämlich auf dem Flughafen Ben Gurion in einer Vernehmung war, zugleich im Libanon, sowie in Deutschland in Südafrika. Ich las, bekam aber doch die Stimmen um mich her mit, teils der Kommentatoren, teils des Publikums; dazu das unentwegte Tröten der Stadionsbesucher sowie einiger, die die Dimitrov langzogen, also die Gdansker, ich meine Danziger Straße. Auf der Straße des 17. Junis seien 350.000, erzählte begeistert der Kommentator, Menschen versammelt vor dem riesigen Bildschirm. So viel Gruppenlust, Gruppenbegehren, Eingehn in die Große Verbindung, der Schoß ist fruchtbar noch – nein, will nichts verderben, ich bin ja gut drauf heute und hielt dann sogar das Deutschlandlied aus, das „Schlandlied”, wie Sukov gestern abend sagte: „Ich bin sehr gerne ein Bürger von Schland”. Vaterschland, dachte ich. Das Lied
ist jedenfalls furchtbar in dieser aufgemotzten Flachheit von Melodie mit Tschingderassa und Massenchor. Was mich freundlich stimmte: nicht jeder Nationalelfer sang mit, nur einen sah ich, einen ganz Blonden. Ich bin ein Schländler. Daß man bei Vaterschland klatscht und nicht auflacht, bleibt mir fremd. Aber ich hatte auch fertig gegessen.
Wieder hier, öffnete ich das Päckchen, das heute gekommen: Die wirklich herrlichen >>>> Neuausgaben von Niebelschütz’ „Der blaue Kammerherr” und >>>> „Die Kinder der Finsternis” lagen darin; beide Bücher nehme ich zum Anlaß, einen Artikel über diesen deutschen – jajaja! - D i c h t e r für >>>> Volltext zu schreiben. Wie >>>> Kein & Aber es hinbekommen hat, solche Preziosen für so wenig Geld anbieten zu können, ist mir schleierhaft.


Ich lese jetzt >>>> Die Leinwand weiter; soeben ist in Wechslers Erzählung erstmals Zichroni genannt worden, woraufhin ich das Buch wieder gewendet habe. Es ist frappierend, wie Stein es hinbekommt, daß eine mir an sich sehr fremde, nämlich nahezu orthodox gläubige Lebenswelt so nah in mich hineindringt. Wein steht bei mir. Gegen 22 Uhr werde ich M. auf ein Tagesabschlußbier treffen, er wird von Klagenfurt berichten. Den Besuch bei der strippenden Dottoressa möchte ich eigentlich aufschieben. Aber vielleicht packt’s mich ja noch. Bis drei Uhr nachts, erzählte sie, habe der Schuppen geöffnet. „Es gibt auch Hinterzimmer”: was sie durchaus formulierte wie ein Bedürfnis. Das auch meines Gliedes wäre.
Trackback URL:
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/meditation-ueber-ein-engelsgesaess-das-arbeitsjournal-des-7-julis-2010/modTrackback