Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
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Sommerbad Pankow. (2).

Und einige sind wie junge Stiere: sehr bereit, sich fortzupflanzen; sehr bereit, den genetischen Verdrängungskampf zu führen, und auch fähig, ihn zu gewinnen. Ein reiner Genuß, sie sich anzuschauen – sie und ihre Beute.

(Und dennoch weiß man bereits, es ist nur eine kurze Phase. Schon bald siegt über diese jungen Männer und Frauen, wie fast über jeden, die Unförmigkeit.)


[Aus dem Notizbücherl.]

Globale Stadt. Das Ende des Privaten. ARGO. ANDERSWELT. (113).

Den äußeren urbanen Stadtlandschaften addieren sich die inneren Räume, die nicht nur psychischer (also individueller), sondern auch objektiver (nämlich kybernetischer) Natur sind und auf die äußeren, sie damit erweiternd, d i r e k t zurückwirken: Es findet sozusagen eine Materialisierung der Ideenwelt statt, bzw. ist die Idee ihrerseits bereits immer aufs Materielle rückgebunden. Das findet seinen Ausdruck unter anderem in der Veröffentlichung des Privaten (hier schließen sich Weblog-Theorie und Ästhetik zusammen), in reality-Shows, die das Private gleich vorab inszenieren (oder - so kann man es a u c h sehen - den inszenierten Charakter des Privaten offenbaren) sowie in den Chatrooms, vornehmlich denen erotischen Charakters, worin sich (“Netzfrauen”) der reale Mensch ganz bewußt zu einem Avatar macht. Der dann sein Privatestes “verrät”, nämlich verraten d a r f. Der Gedankenraum (das Zimmer, in dem man ein Buch l i e s t, und das, in dem es s p i el t) wird unterdessen kommunikativ g e t e i l t; er ist - wie bei der Harry-Potter-Mode völlig offensichtlich - S o z i a l r a u m und wird, damit er sich bloß nicht weiter unterscheidet, nahezu umgehend, sich selber stanzend (klischierend), verfilmt.
Es ist - jedenfalls in den westlichen Kulturen - nicht mehr zu sagen, welcher Bereich (sofern man da überhaupt noch sauber auseinanderhalten kann) “bedeutsamer” sei: der Imaginäre (kybernetische, technologische) oder der Materielle (reale) Raum. Es scheint sich in der Psyche beides aufeinanderzulegen – oder l i e g t schon längst aufeinander. Der Begriff der Person kehrt zu ihrem etymologischen Ursprung zurück und ist zugleich doch sehr viel weitergekommen: meint etwas sehr Zukünftiges, das indes bereits da ist. Davon erzählt das Romanprojekt. Nein, falsch: D a s erzählt die ANDERSWELT. Das i s t sie.

Der a n d e r e Realismus.*.


ARGO 112 <<<<


*[Als künstlerische – ästhetische – Kategorie.]

"Wutvögeln".


Mancher Ausdruck ist, schrieb der leider vergessene Günter Steffens, schon bei seiner Erfindung Zitat.


(Und um seines großen Buches zu gedenken, hier n o c h ein versteckter Link.)

Im Armenviertel.

Um >>>> 15.34 Uhr.

Eros, desparat.

”Ich bräuchte ein wenig Gesellschaft.”
“Ob ich dazu tauge? (Heute wahrscheinlich eher nicht. Meine Stimmung ist ziemlich mies. Das einzige, was mir in solchen Momenten heraushilft, ist Sex. Und das wäre für ein Blinddate vielleicht doch etwas v i e l machismo, oder? Lacht. Kennen Sie d a s: "Wutvögeln"?)”


[Nun werden Die Dschungel schon selber zur >>>> "Netzfrau".)

Der kybernetischen Eifersucht, profilaktisch.

Wenn ich Michaela begegnen werde, begegne ich einer F i g u r. (Das könnte auch für andere gelten, nicht nur für sie.)


[Anmerkung einer privaten Besorgnis.]

Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (45).


Eine Poetik zugleich verfassen und s e i n. Unterhalb dieses Anspruchs ist nach Moderne und Postmoderne keine ernstzunehmende ästhetische Theorie mehr akzeptabel.


44 <<<<

Wolpertinger. Geister & Städte. ANDERSWELT. Poetologie.



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But secondly, they may also contain clues about a new, higher order of organization in the city. They are all about the paradoxical experience of both isolation, intimacy - the individual alone in his room, while everyone is asleep, in a house surrounded by a vast darkness - and the awareness of the continuous presence of “them”, “the others”, far or-not-so-far away, trying to make contact, desperately trying to unveil their identity, to get in touch.Bart Lootsma, The New Landscape.

Er spricht über die Präsenz der Neuen Medien. Buenos Aires ist a u c h imaginär (nicht “n u r imaginär”, wie noch Borges meinte). Schon heute leben wir unter lauter Leuten, die ins Nichts sprechen, wenn sie die Freisprechanlage ihrer Handys benutzen. Sie sprechen mit Geistern. Sie hören Stimmen. Und wer an einem Chat teilnimmt, betritt einen Raum. Bereits die Stimmen aus dem selbstgebastelten RadioEmpfänger waren die von Gespenstern, heutzutage sind sie chorisch und chronisch geworden. Das verändert die Wahrnehmungsweisen, auch das schon schafft eine neue Realität. Dem muß, wenn sie noch angemessen sein möchte, die erzählende Literatur Ausdruck verleihen, dem muß sie sich stellen. Weicht sie davor aus, dann mag sie zwar ökonomische Erfolge feiern, doch ihre kulturelle Bedeutung verliert sie. Nämlich völlig zu Recht.

P.S.: Sie h a t sie deshalb schon verloren.

Mit dem Unrecht leben.

Wir müssen mit dem Unrecht leben, das wir anderen antun, weil es i h n e n angetan worden ist, - dem Kindsmörder etwa, den ein Trauma beherrscht, das er wahrscheinlich nicht einmal zu benennen vermag; wenn er denn überhaupt darum weiß. Wir müssen damit leben, daß wir ihn aus der Gemeinschaft entfernen, obwohl er für das, was er ist, nichts kann. Unsere Behauptung nämlich, er k ö n n e dafür, denn jeder Mensch sei frei, ist eine Ausrede, die sich um die Schuld ihrer e i g e n e n Verantwortung drückt.)

Dies zu erkennen, ist vielleicht der eigentliche Sinn des religiösen Imperativs: “Laßt uns barmherzig zueinander sein.”




(CCCVIII).

Oder im Gedicht. Daher haben Die Dschungel nach so vielen Jahren diesen Einfall. (Der sehr alte und der naive junge Dichter auf der Terrasse in Bremen-Blumenthal mit dem Blick hinab auf die Weser. Das Haus war sehr weiß, von den farbigen Flecken Becker-Modersohns einmal abgesehen.)

Die Ferne ist es nicht und nicht die Nähe.
Ach, immer lebt das Innigste allein.
Laß uns, wie gut es auch, wie schlimm es um uns stehe,
laß uns barmherzig zueinander sein!
(Manfred Hausmann)

Agra.

Was an Häusern Menschen Gerät
An Mopeds Rikschen Liegen
Fahnen Bannern schiefen Mästen voller Draht
Gewickelt gespult ineinandergedrückt
umeinandergedreht
An halbtoten Hunden Schaben Moskitos
An Katzen Räuden Schönheit an Blicken
Welche Gebrechen auch immer
An stolzer Kleidung was
An Ehrfurcht
An Frauen
An TShirtFlecken
An Innigkeit an Schlitzohr und Gauner und heilig
Eisenzeug und Besen
Was an verwest und Gestank an Scheiße an Kuchen
An Gewürzen Bethel an Tee
An Ringen Fleisch voller Fliegen denn nichts
Ist so süß wie der Orient
Mandelpaste Räucherstäbchen
An Mädchenhandel, und in Eintracht,
Gerät die Mitgift zu klein,
Verbrennen Mutter und Sohn eine Frau,
Ist keine Witwenverbrennung, das stimmt,

Was an Gebeten und Singsang und stillen Glocken der Einkehr
Was an Verboten und Liebe und Rotz
Und wohin mit der Notdurft? hinter
Dem Umgang an die Wände gespritzt,
Scharfer Kotstrahl wie von Falken
(links hocken Frauen, rechts hocken Männer,
Sie halten in der reinen Hand
Das Blechgefäß mit dem Wasser).

Was an Gelehrsamkeit und an Tod
Und was immer auch an Wiederkehr
Geschaffen wurde: Hier schiebt‘s sich durch die Gasse
Und unter der Sonne davon und sucht Schatten.

Poetik der Verhüllung.

Wo die Substanzen aufgelöst werden, wird das Röhrchen wichtig, das sie umgibt. Und deshalb – h ä l t. Rituale zum Beispiel. Denn diese sind nichts anderes als die vergesellschaftete Form, in der fiktionale Inhalte begangen werden, also solche, von denen wir sagen müßten: Wir haben sie als Übereinkunft getroffen, ganz unabhängig davon, ob es ihn gibt.

(Diesen Gedanken aber zu haben, bedeutet bereits: seine Substanz auflösen. Das Tabu weiß darum und stellt folgerichtig schon den Gedanken unter Strafe. Er darf gar nicht erst aufkommen, denn geschieht das, kann nur noch ausgelöscht, nicht aber mehr angehalten werden.)

Schon komisch: “Überfrachtet”.

Das Gleiche, was an ausländischer Literatur bejubelt wird – etwa bei Eco, Lobo Antunes, Pynchon, de Lillo, Borges, Cortázar, García Marquez, Lezama Lima, aber auch Melville -, erhält, wird es von einem Deutschen geschrieben, nahezu sofort die Plakette “manieriert” und wird ausgesondert. Was man an Ausländern nämlich nicht mehr vollstrecken darf, vollstreckt man nun am eigenen Fremden. Selbstbestrafung ist dabei nicht nur erlaubt, sondern geradezu gefordert: Perfide erhöht sie den eigenen Wert.


Historischer Masochismus*, poetologisch.
CCCVIX.

[* Der Masochismus verkehrt erfahrenes Leid in Lust. Immer. Auch historisch.]

Der Sanfte (16). Vergessen & Erinnern.

der sanfte 28  070605
"Weshalb fotografieren Sie hier?" fragt der Arbeiter.
"Ich möchte an jemanden erinnern", antworte ich und erzähle von den alten Garagen und dem Sanften, der darin wohnte. Von seinem Blumentopf im Fenster, den alten Sesseln, dem Gebüsch, den wuchernden Blumen.
"Ja", sagt der Arbeiter," das ist gut, daß Sie das tun. Wissen Sie, wenn wir hier fertig sind, dann sehen Sie zu 90 % auf Beton. Das, wovon S i e erzählen, schuf überhaupt erst das Wesen dieses Kiezes." der sanfte 27  070605
"Das", sagte er, "machen wir fort." Etwas fortmachen. Kein anderer Ausdruck wäre ähnlich exakt.

[Der Sanfte lebt s o nun noch in ARGO weiter. Die Gründe zusammennehmen. Sie raffen. Dann nicht mehr anders können. Erzählen m ü s s e n. Ganz so, wie >>>> Brem ihn beschützt.]

>>>> 17
15 <<<<

Nullgrund. Argo. Anderswelt. (114).

Jetzt hatte der Osten zu sprechen begonnen. Und er sprach laut.

>>>> ARGO 115
ARGO 113 <<<<

Janáček hörend.

Der strömende Gesang. Die Seele auf der Zunge und von tiefstem Inneren bis ins hörbar Äußerste die Welt erfüllend.

[Was Seele schafft.]

Zusammenhänge. Ein alter Mann und das Meer.

"Hätte jemand anderes meine Höllenpaläste geschaffen, wäre der Kunstbetrieb", hat der Maler Fichte gesagt, "begeistert. Er nimmt ihnen übel, daß i c h sie schuf."

Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. (46).

Besonders jedes Weblog trägt die Vektorialisierung von Welt in den Zeichen. Nicht nur das literarische. Dieses allerdings macht den Vorgang bewußt. Es k a r t o g r a p h i e r t die vektoriale Stadt.


45 <<<<

Disneyfication des Geldes. Frankfurt am Main.

eurokitsch
Kapitalismus als Comic & Bunny.

Die vektoriale Stadt. Argo. Anderswelt. (115).

There is only the possibility of relation. Technology is matter and movement. Technology is not framing and cutting, it is mapping and connecting. Or at least, this is the characteristic of the technologies that have prevailed. (…) What has been slowly changing is that it became harder and harder to subordinate vectoral power to the power of enclosure. (…) The enclosures of architecture still keep the rain out, keep our property safe inside, but that’s about it. In every other respect, the communication engineers have become the architects. And what they have designed is a reversal of the roles of vector and enclosure. The enclosure is now subordinated to the vector. (…) This is not the era of liberalization, but of vectoralization. (…)
Under the corrosive force of the vector, architecture becomes liquid. Architecture becomes a form of movement too. (…) Communication technoloy creates vectors that move information across space. Architecture creates vectors that move information across time.
McKenzie Ward


Dabei verlagert sich eben auch ein Teil dessen, was wir Stadt zu nennen gewohnt sind, in den imaginären Raum, sei es des träumenden Inneren (er wird Kunst), sei es des kommunikativen Äußeren (er wird Cyberspace). Aus diesem Grund kann Europas Osten, der die Durchdringung seiner Identität mit derjenigen anderer abwehren will, ebenso weiter verelenden, wie Buenos Aires erstarrt. Nirgends, Geliebte, wird Welt sein als innen teilrealisiert sich auf eine völlig unerwartete, wenn auch vorhersehbare Weise. In der Realität jetzt aber soll sie nicht wahrgehabt werden, und der Dichtung wird angekreidet, daß sie recht hat. Insofern ist das Schreckenbringende an der Globalisierung die Scheuklappe.

>>>> 116
ARGO 114 <<<<

Das Tier.

Durch die frühmorgenhellen Straßen Frankfurts zum Bahnhof gehen, Sonne über dem Main, den du von der schmalen gebogenen Holbeinbrücke überschaust. Sonne auch jenseits des Mains und im ethnisch bunten Viertel, das noch schläft – da schreitet mir eine junge schmale Asiatin entgegen, ihr Haar wippt, wo es die Schultern berührt, fliegt nicht, nein, ist zu schwer, es wippt. Als wir aneinander vorbeigehen, sauge ich tief die Luft in die Nase, um ihr Parfum oder ihren Hautduft aufzunehmen. Sehr oft, begegnet mir eine so reizvolle Frau, habe ich ganz instinktiv diesen Impuls. Und geb ihm immer nach. Es ist eine Spur Archaik, die mich da leitet: als nähme ich Witterung auf.

Verhältnisse.

Manchmal sind unsere Gemeinheiten die Kehrseite unserer Leidenschaften. Und wie diese treiben sie uns. Eigentlich, doch negativ, zum selben.


(CCCX).

[In einen Chat gesprochen.]

Netzfrauen. § 17. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. (47).

Es ist deutlich, daß sich die Netzfrauen in d i e s e n Zusammenhang ganz besonders fügen. Sie sind Bewohner eines Teils der vektorialen Stadt, die rein imaginär, aber eben doch insoweit Stadt ist, als ihre Gegenwart und Fantasien nicht Fantasien b l e i b e n (eine verschwiegene Fantasie – heimlich, aber erregend), sondern sich dadurch objektivieren, daß sie A n t w o r t erhalten. In diesem Stadtteil von Buenos Aires wird das Verschwiegene kommunikativ. Insofern ist der Hohn Der Dschungel auf sie, zumindest im neuen Stadtraum, unangebracht, weil er eine qualitativ und eben auch quantitativ neue Art des Wohnens, weil er die anthropologische Kehre übersieht, von der doch zugleich hier ständig gesprochen wird.
Doch nicht nur Die Dschungel übersehen das, sondern den Netzfrauen selbst scheint kaum bewußt zu sein, daß sie umgezogen sind. Jedenfalls melden sie den zweiten Wohnsitz nicht an, sondern mieten den anderen Ort unter falschem Namen. Und ahnen nicht, daß der ‘richtige’ Name nachziehen wird. Sie bringen nicht etwas in Gang, aber werfen sich mit in den Fluß, den die Tatsache ihrer Verstellung gerade aufhalten, den die Netzfrau eigentlich stauen will. Damit er eben n i c h t in die Wirklichkeit strömt. Wozu sie ihn nun, da sie ihn zugleich mit sich füllen, so daß der Wasserstand immer höher wird, erst so richtig befähigen. Man h ö r t den Staudamm bereits knacken.

[An vielen Stellen b r a c h er bereits. Die aufgrund ihrer so häufigen Offenbarung in einigen Stadtteilen ‘wirklich’ realisierten Szenen, etwa und gerade bezüglich BDSM, sind von dem Fluß bereits überschwemmt, und zwar einzig deshalb, weil sich die Imagination kommunizierte.]

§ 16 <<<<
>>>> 48
46 <<<<

“Kinderficker!” Isabella Maria Vergana. (12). Reaktionen.

Michael hatte es hi e r schon vorausgesagt, auch wenn er sich täuschte. Wutschnaubend sei nämlich nach der Lesung ein Kritiker aus der Frankfurter Veranstaltung gerannt und habe gerufen: “Herbst bekennt sich als Kinderficker!”

So eingedünnt wird gelesen und gehört, so unmittelbar und unliterarisch und so darauf bedacht, bloß kein Tabu zu berühren. So sicher schwimmen die Leute in ihrer Moral. Und sind nicht bereit, die eigene Pespektive zu verlassen. Und auf die junge Frau zu hören, deren Klage gerade d i e s e Erzählung singt. Denn daß der Erzähler, der “es" nachweislich nicht war, sich dennoch zur Handlung bekennt, gibt dieser Klage überhaupt erst ihren mythischen, immer und immer wiederholten Grund. Der Kritiker indessen hört nur “Ich gestehe.” Und hält das gestehende Ich, das sich Herbst nennt, tatsächlich für Herbst.

>>>> Vergana 13
Vergana 11 <<<<

[Die Niedertracht der Musik.]

Opernkritik. "Katya Kabanowa" und "The Turn of the Screw".

Hingerissen und wütend.

Archaik.

Wir standen auf der dunklen Straße unter einer Laterne, ich drückte die Frau (die mir bekannt ist, von der ich aber seit dem Aufwachen nicht mehr wußte, wer es war) gegen den Mast und versuchte - sie hatte das rechte Bein um meine unteren Oberschenkel geschlungen - in sie einzudringen. Wir liebten uns nicht, wir arbeiteten: derart trocken war sie. Dennoch w o l l t e sie, stöhnte, feuerte mich ungeduldig, zunehmend wütend an: “Mach! Mach!” Und ich versuchte es weiter, immer weiter, das hatte schon etwas Verzweifeltes, aber die Lippen nahmen mich nicht auf, es war, als kniffen sie sich zusammen. Das tat schon an der Eichel weh. Enttäuscht, ja verärgert stieß die Frau - es war meine Lebenspartnerin, irgend eine meiner realen ehemaligen Lebenspartnerinnen oder Geliebten - mich von sich weg. Es fehlte nur noch, daß sie ausgespuckt hätte, derart verachtungsvoll wandte sie sich um und schritt fort und betrat einige zehn Meter entfernt eines der Häuser. Hilflos sah ich ihr nach. Das war jetzt das Ende, fühlte ich, wollte aber ein solches Ende nicht, wollte überhaupt kein Ende. Und ging ihr hinterher. Wartete vor der Tür.
Nach einiger Zeit kam die Frau, einigermaßen gelöst, wieder heraus. Ich sprach sie an: “Was soll ich denn tun? Was soll ich denn tun?” Ich war wirklich verzweifelt. Worauf sie nüchtern erwiderte: “Wenn du dir nicht n e h m e n kannst, was du willst, bist du kein Mann für mich.” “Aber dein Körper war überhaupt nicht bereit.” “Genau das meine ich”, sagte sie, “es kommt darauf nicht an. Du nimmst mir zuviel Rücksicht.”
Damit ging sie und ließ mich stehen

(Nacht vom 12. auf 13. Juni 2005)

Clara Grosz. Heute morgen noch “Jubelkind”. (3).

Es war ganz eigenartig. Trost fand sie, wenn sie Jochens Cello spielte; sie spielte es nicht so gut wie die Bratsche, aber in dieser Zeit gelangen ihr seltsame Klänge. Sie fragte sich: Was ist das, Trost? Und gab sich die Antwort, als sie Zimmermann spielte. Jochen hatte dessen Suite zuletzt geübt. Und Dallapiccolas Ciacconna, das eines seiner Lieblingsstücke war. Dabei geriet ihr in die ersten Takte immer ein wenig Wut von sich selbst. Dennoch, dachte sie, spreche so, obwohl er nicht da war, der Vater allezeit weiter zu seinem ungeborenen Kind, ganz nah der Klangkörper am Bauch: Du bist nicht verlassen. Sie merkte gar nicht, wie männlich ihr Griff dabei wurde.

Seufzer.


“Ist Ihnen bewußt,daß Sie dasselbe Thema zum dritten Mal spielen?”
“Leider.”


[Dialogpartikel auf der Probe des Ensembles Modern am 3. Mai 2005. Aus dem Notizbuch.]

Jubelkind. (2).

Müde sah sie auf, sehr müde und sehr konzentriert. Sie hatte einen langen Weg hinter sich. Es waren immer die Celli, die sie geliebt hatte, die schweren samtenen wellenartigen Tonböen. Und ein Cello hörte sie jetzt. Als ob die Mutter riefe. Da sie nun selber Mutter wurde. Das Leben weitergeben, dachte sie. Es war sein Cello, das sie geliebt hatte, die schweren samtenen wellenartigen Tonböen. Und ein Cello h ö r t e sie jetzt. Als ob er riefe. Da sie nun Mutter wurde. Dennoch dachte sie: ihn weitergeben, uns weitergeben. Sie war sehr entschlossen.

Sie saß auf der Bank und sah in den immer wieder vom Boden hochgeblasenen späten Frühling. Ihr Bauch war sehr schwer geworden, der Rücken tat weh. Doch war das ein guter Schmerz. Es war später Mai, deshalb umschwärmte sie ein Schnee aus ganz lose samenflockiger Watte, der bisweilen die Nase reizte. Jochen war schon seit Monaten fort. Ich schaffe es nicht, hatte er ihr geschrieben, sie hatte vor lauter Schrecken ganz gleichmütig reagiert. Ich schaffe es nicht, verzeih, hörte sie, hörte seine Stimme, ein wenig rauh, mit dieser Spur Verzweiflung darin, die sich nicht zeigen ließ, sondern wie eine Resonanzsaite mitschwang. Und nun Handlung geworden war. Sie nahm ihm diese Flucht nicht einmal übel, liebte ihn einfach weiter. Die Leute verstanden nicht. Ihn nicht. Sie nicht.

Avant.Garde.

Ist ein militärischer Begriff. Insoweit Die Dschungel und auch die ANDERSWELT-Romane Avantgarde s i n d, stehen sie im Krieg. D a s (u.a.) ist es, was die Leute an ihnen nicht mögen, vor allem in dieser partisanigen (synkretistischen) Form, vor der man sich seit Baader-Meinhoff so sehr fürchtet und die sich nach einer Zeit verhältnismäßiger Ruhe abermals nicht wieder nur noch in Nahost abspielt, sondern zurückgekehrt ist. In Den Dschungeln und in ANDERSWELT geht die moralische Bewegung nun nämlich in die Ästhetik über. Nichts ist einer restaurativen Zeit unangenehmer, wenn sie zugleich davon wegdenken will und zuliebe herkömmlicher Identitätsmuster auch m u ß, daß sie tatsächlich (technologisch und seelisch) eine revolutionäre ist. Man will, daß sich diese Revolution vollzieht, ohne daß man sie merkt. Man will sich bewahren und ist doch - und zwar eben damit - zugleich das Gefäß dieser Revolution.

[Hier wird sie anthropologische Kehre genannt, wiewohl sie bekannter als Globalisierung daherkommt: Es ist eine Globalisierung sowohl der äußeren als eben auch der inneren Räume.

Die Bewegung Der Dschungel.

Verhüllen. Enthüllen. Das Enthüllte schützend wiederverhüllen,darunter aber weitergraben. Und oben beiseiteschlagen. Und das Ausgegrabene Beiseitegeschlagene darunter Verborgene verhüllen (damit es dem Regen standhält, es war ja nicht grundlos versteckt). Weitergraben. Neuerlich verhüllen. Aber bewußt jetzt. Neuerlich beiseiteschlagen. Und neuerlich graben, neuerlich entblößen. Schicht für Schicht. Und wenn man g a n z unten angekommen ist, die Welt nicht ordnen, sondern konstellieren: So, daß durch die Hülle das Enthüllte immer s c he i n t, ja zu einem notwendigen Teil des Enthüllten wird: zu dem Teil, der es überleben ließ. Nun aber steht es - egal, wie tief unten es sich im Dunklen verbarg - im Hellen. Und darf die Sonne genießen.

[Poetologie. Ohne Verhüllung wäre es umgekommen, mit der Verhüllung blieb es fast ohne Atem. “Sie wollen das Unvereinbare.” Ja.]

Das Private ist politisch. Psychoanalyse.

Die Trennung von öffentlicher und privater Sphäre verkennt die besonders in der medial zubereiteten Welt eben auch gesellschaftliche Konstruktion des Ichs. Das Private will etwas objektiv von der übrigen Welt trennen, das über diese ‘übrige’ Welt, die ja nun m e h r ist, geschaffen wurde: sei es genetisch, sei es sozial per Normwert (also Moral). Mit Beginn und in dem sich jetzt geradezu sturmflutartig sein Recht verschaffenden medialen Netz, das sich, etwa im Internet, nahezu nahtlos mit dem Ganglion zu verschalten scheint, ist eine Konstitution des Privaten ebenso unmöglich, wie sie zugleich fetischisiert wird. Der Tabuierung des Privaten im Öffentlichen (die man aus Prozessen wie dem um mein verbotenes Buch ablesen kann) geht eine radikale Vergesellschaftung des Privaten parallel (Container, Weblogs), die sehr viel genauer der Wirklichkeit folgt. Ja, die sie i s t. Wie in der Architektur, so ist auch in der Ich-Konstitution proliferation das Leitwort. Nationen lösen sich ebenso auf wie Familienverbände und gehen in ein flüssiges Miteinander über, gegen das sich freilich einerseits das ökonomische Interesse der führenden Wirtschaftsstaaten richtet wie andererseits die moralische Identität der interessanterweise so genannten ‘Schwellen’länder. Deshalb grenzt sich der Westen gegen den Osten in gleicher Weise ab, wie er den Osten wirtschaftlich übernimmt. Daß der Osten hiergegen – wenn auch aus falschen, weil ‘identischen’ Gründen - aufsteht, ist für den Westen der eigentliche Skandal an 9/11. Er ist für den Westen schon insofern ein Trauma, weil es keinen (zum Beispiel staatlich) fest definierten Gegner mehr gibt, allenfalls Gegnerverbände, die sich immer schon entziehen, wenn man sie zu treffen meint. (I s t Afghanistan ein Gegner? Sind es die Taliban? Bezogen auf 9/11 sind sie es gerade n i c h t, ganz unabhängig von ihrer innerreligiösen Mordtyrannei.)
Diese Bewegung spiegelt sich auch in der Privatsphäre. Insoweit Kohut u.a. also am Privaten als Bedingung der Möglichkeit einer erfolgreichen Psychoanalyse festhalten, verdinglichen sie sie und müssen deshalb auch therapeutisch gegen die sich verflüssigende “Welt” verlieren. Sie stellen eine Einheit wieder her, die zumindest in Teilbereichen monadisch gedacht wird, wo doch gerade die Monade längst ersetzt, nämlich durchlässig ist. Darauf spielt in ARGO die >>>> N e b e l k a m m e r nicht nur a n. Wäre nun dieses Ich das Ziel einer psychoanalytischen Therapie, setzte sie ihre Patienten gerade in d e r Fiktion ab, die doch durch einen ‘wahren’ Zugang zu sich selbst ersetzt werden soll.


[Daß das Private politisch sei, womit ‘gesellschaftlich’ gemeint war, ist ein verdächtig schnell untergegangener Leitsatz der insoweit faglos emanzipativen 68er gewesen. Heute gehen die 68er ja gern als identische (abgeschlossene) Persönlichkeiten beim Bundeskanzler Häppchen essen.]
 



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