Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
________________________________


 

Heiligend leben. Haltungen. Von Dauthendey (ff).

Das Leben tötet, reißt Lebende auseinander, raubt Eltern die Kinder, Kindern die Ernährer, vernichtet im Kriege und beim Erdbeben mit jedem Tag Tausende von Gefühlsbanden und fügt oft zusammen nach Laune und Lust, was ihm nicht einmal gut dünkt. Das Leben ist grenzenlos leichtsinnig. Nur der Lebende hat zu alle dem Leichtsinn kein Recht. Er muß gefühlsecht, logisch, scharfsinnig und fromm auf das Leben sehen, wenn ihn auch das Leben gefühlswidrig, unlogisch, leichtsinnig und unfromm behandelt. Das Ganze ist ein Versteckspiel des Lebens mit dem Lebenden; und dieses Spiel soll beiden eine Freude sein, wie jedes Spiel.
Man muß erst älter werden, bis man versteht, daß das Leben als Riese mit uns spielen will, wie die Katze mit der Maus, ehe sie sie frißt. Als ich jung und ein Kind war, fühlte ich das Leben schon spielend und anfeuernd: und dies Gefühl soll einem nie abhanden kommen. Sonst muß man lange warten, bis einem das Leben wieder als Gefühl angewöhnt wird, bis es ein Fest, ein Spiel, zwecklose Belebung sein will, die aber der Mitspielende, wie jedes Spiel, wie jedes Fest, ernst zu nehmen hat. "Denn Belebung will ich," sagt das Leben, "belebendes Unglück, belebendes Glück – beide sind des Lebens Mittel, und das Ganze sei ein Wunderwerk –, keine Logik." Und die Liebesleidenschaft, die tiefer als der Hunger greift, belebt mit Unglück und Glück den Lebenden am stärksten. Sie ist des Lebens höchstes Mittel zur Belebung. Wer dieses verkennt und den Magenhunger stärker fühlen kann als den Hunger seines Blutes, der ist noch nicht belebt genug und ist erst in den Vorhof zum Unheiligtum des Lebens eingetreten.
Max Dauthendey, Raubmenschen (1911, S. 194/195)

[1911 starb Gustav Mahler.
(Bei Hindemith: Sinfonie "Die Harmonie der Welt" (1951).
2008.]

Dauthendey-Raubmenschen3

Un solo bacio. Toti Scialoja nach Ibn At-Tûbî.

Nelle sua bocca spiccano perle
chiuse nel cerchio della corniola.
Acuminate lame di ciglia
sono una spada fine a due taglie.
Un solo bacio su quella bocca
apre il sentiero della paura.
In ihrem Mund erglänzen Perlen,
eingeschlossen in die Rundung der Kamee.
Die zugespitzten Klingen der Wimpern
sind ein scharfes Schwert mit zwei Schneiden.
Ein einziger Kuß auf jenen Mund
öffnet den Weg der Angst.
Dtsch. von Sabine Witt.
>>>> Etta Scollo, Il Fiore Splendente. Scollo-Fiore-splendente

An das Bundesverwaltungsamt 50728 Köln.

Berlin, den 8. September 2008

IV 06 – 01 1 73 182 6/19
BAFÖG-Rückzahlung


Sehr geehrte Frau ***,

ich beziehe mich auf Ihr Schreiben vom 25. August und darf Ihnen wie folgt antworten.

(...) Aus der Höhe der Beträge ersehen Sie leicht, daß mein Einkommen auch unter Mühen den Sozialsatz nicht erreicht. (...) Insgesamt ist zu sagen, daß ich, auch wenn das in der Gegenwart keinem profanen Selbstbewußtsein mehr entspricht, in einigem Vielen genau das repräsentiere, was man einen genialischen und genau deshalb in unangemessenen Verhältnissen darbenden Künstler genannt hat. Ich mag auch gerne zugestehen, daß ich das kultiviere. Denn das erspart mir manche Scham. Ich kann mir das leisten, weil sie ganz unberechtigt wäre; nämlich stehen meine Arbeitdisziplin und >>>> das aus ihr erwachsene, unterdessen bereits sehr umfangreiche Werk dafür ein. Dieses setzt an die bürgerliche Stelle ökonomischer Scham das arrogante Daseinsrecht der radikalen Produktivität.

Im übrigen lassen die leider fortschreitenden Tatsachen, daß die Öffentliche Hand harte Schnitte in die Kulturförderung gemacht hat und daß die ökonomische Entwicklung insgesamt nicht die Künste, sondern den Mainstream favorisiert, eine Änderung meiner finanziellen Situation auch für die Zukunft nicht erwarten. So muß ich denn darauf aufmerksam machen, daß ich eine Eidesstattliche Versicherung zwecks Offenbarung des Verrmögens bereits abgegeben habe.

Unterm Strich verbleibe ich dennoch höchst zuversichtlich und mit den besten Grüßen:

Ihr
ANH
>>>> Herbst & Deters Fiktionäre

[Hübsch ist auch der Passus, der mir bei der Aufstellung meiner laufenden Kosten eingefallen ist und zudem noch den Vorzug unbedingter Wahrheit hat: " Wie hoch exakt meine Stromrechnung ist, weiß ich gar nicht, auch nicht, wann ich zuletzt bezahlt habe. Da ich kein eigenes Konto mehr besitze, bitte ich bisweilen Freunde um Ausgleich und gebe denen dann die Rechnung. Welchen es diesmal „getroffen“ hat, weiß ich nicht mehr. Es könnte auch sein, daß hier bald mal wieder der Strom abgestellt wird. Ich sehe dem mit Grundvertrauen entgegen."]

Der Circus Ah'raim. (1).

„Ah'raim! Ah'raim!“ klang es die Nacht hindurch, in der die kleinen Kinder in dieser Bettwäsche schliefen, die sie nicht schlafen ließ. Sie erfanden Lieder stattdessen, fanden die Melodien zu Liedern, scharfe, rissige Melodien zu Texten, die erhoben in der Bettwäsche standen; wir fühlten sie, denn es war dunkel, so daß wir nicht eigentlich lesen konnten, aber tastend wie Blinde verstanden, deren Fingerkuppen über gestanzte Punkte gleiten wie Augen über schwarze Sternhaufen.

Ah'raim, Ah'raim,
wir ziehen heim
in unsrer Karawane

Ah'raim, Ah'raim
beim fahlen Schein
unter der weiten Sternenplane

gehen wir ein
in Sand allein
allein

Er wußte erst nicht, daß es die Wäsche war, er wußte nicht, daß sie Besitz von den Kindern ergriff, sie hypnotisierte und übernahm und sie an sich, in sich hineinzog, in ihre andere, eine untergegangene Welt, dachte ich, vermeintlich untergegangen, denn in Wirklichkeit zog der Circus weiter aus dem Ursprung in die Ewigkeit, die verdammten Akrobaten aller Zeiten aus ihrer Unerlöstheit aufsammelnd, hereinspaziert, hereinspaziert – die Magiere und Märchenweber, Ohrenschlucker und Seelen-Equilibristen, Priester mit auf die Geschlechtsteile tätowierten Gekreuzigten, die sich bei Erregung reckten und zu rufen begannen und ausspien schließlich; Lehrerinnen, die wie Vogelfutter Schokoladestückchen rieben und ihre Schüler gleich Hühnern lockten, in die sie sich verwandeln, wenn sie die Brösel picken; Antiquaristen mit atmenden Büchern; Rennfahrer, deren Autos statt Rädern Frauenhände haben, die auf den lackierten Nägeln laufen; all dies und sie geladen auf 144000 Kamele, deren jedes den weisen lächelnden Blick eines Dalai Lamas wirft, indes sie, wenn sie sich schreitend wiegen, wie Großmütter seufzen, die ihre Kindheit verklären - so zogen sie turmhoch beladen über den ewigen Zeitsand dahin und eine Musik sich nach, über die sich der Sand lange nicht schloß. Nirgends hielt die Karavane an. An wem sie vorbeiging, der drückte besser die Handflächen auf seine Ohren, sonst nahm ihn der Sog in das Tau, der schloß die Augen besser, sonst füllten die süßen warmen Flanken der Kamele jeden künftigen Traum, und wer gesund war, lief davon und schrie und wachte auf: erlöst, weil er merkt, es ist nur ein Traum. Und er macht Licht. Da liegt die Hose über dem Stuhl, zerknittert das T-Shirt am Boden, und die beiden Kinder, neben ihm, schlafen wie große flache Steine am grasbewachsenen Rand eines Bachs, der mitten durch das Bett fließt.

[>>>> Der Circus Ah'raim 2.]

Der Circus Ah'raim. (2).

[>>>> Der Circus Ah'raim 1]

Noch besinnt er sich, das Wildwasser spritzt, er hält das noch immer für einen Traum und folgt mit den Augen, wie es den Wasserfall der Bettkante hinunternimmt, aber Sand wird im Stürzen, man hört es furchtbar rieseln in dieser Uhr, zu der das ganze Zimmer, indem es die Lebenszeit abnimmt, geworden ist. Der Sand läuft diagonal über den Boden unter dem Wickeltisch hindurch auf das Balkonchen und stürzt zur Schönhauser Allee ganz hinab in den Morgenwind, vom Morgenwind verweht, vom Morgen in die Augen aller erwachenden Schläfer geweht. Die Kinder werfen sich herum, sie weinen leise. „Es ist gut“, sage ich, streichle ihre glatten Rücken, sie seufzen, ich ziehe die Decke hinauf. Der Bach ist davongelaufen, weggeronnen, ist durch das Zimmer hinweggeronnen, aber hat Spuren auf der Decke hinterlassen, Schriftzeichen, erhoben wie Blindenschrift; wie Adern sehen die Verszeilen aus, doch ihre Schrift ist nicht lesbar. Ich kann kein Arabisch. „Wo hast du diese Decke gekauft? Wo um Gotteswillen hast du dieses entsetzliche Bettzeug her?“ Bisweilen flammen die Schriftzeichen auf, dann kann man sie wegpusten, als wären auch sie aus Sand. Aber sie erscheinen nach kurzem neu, sie erheben sich aus dem Gewebe, man spürt sie an den Fingerkuppen, man liest sie, wenn man sie nur ahnt. Und niemand, niemand versteht diese Sprache.

Ah'raim, Ah'raim
wir ziehen heim
in unsrer Karawane

Gib uns die Hand, Kind
Wind ist unsre Fahne
Sie weht vom Land herab

ins Grab ertrunkener Vulkane

„Wo hast du diesen Bezug gekauft?“ „Es stand auf dem Flohmarkt Mauerpark ein Mann in Beduinenkleidung, er hatte Unmengen Stoffes ausgebreitet und war die Attraktion. Denn er hatte neben dem Stand ein lebendes Kamel stehen, das einen mit ganz großen traurigen Augen ansah. Es war der längste Stand von allen, und der Mann hatte großen Zulauf. 'Herbei!' rief er, 'Herbei!', ich erinnere mich, daß es nach einem Zirkusausrufer klang. Die Stimme war nicht laut, sie war sogar leise, aber hatte etwas so Eindringliches, daß jeder, der vorbeiging, stehenbleiben und sich dem Ausrufer zuwenden mußte. Erst dann, glaube ich, sah man das Kamel... also realisierte, daß es eines war – so unwahrscheinlich kam einem dieser Umstand erst vor.“ „Und dann hast du etwas gekauft?“ „Jeder, ich glaube wirklich jeder hat etwas gekauft. Man mußte die Stoff nur berühren, und man war glücklich.“ „Wie? Glücklich?“ „Glücklich. Ja. Es strömte eine solche Wärme durch mich, eine solche Ruhe, eine solche... Zuversicht. Ich mochte meine Hände gar nicht mehr herunternehmen.“ „Und dann hast du gekauft?“ „Alle haben gekauft.“ „Ihr habt nicht gesehen, wohin der Händler nach dem Abbau verschwand?“ „Auf was für Ideen du kommst!“
Ich brauchte jemanden, der sich mit alten Schriften auskannte; auf die Idee, daß es jemand sein müsse, der sich mit kommenden auskenne, kam ich nicht. Jedenfalls rief ich erst einmal Wilhelm Kühlmann in Heidelberg an und nahm zu meinem folgenden Seminar im Oktober diese Bettwäsche mit, um sie ihm zu zeigen. „Das ist“, sagte er, „keine mir bekannte Schrift. Ich würde es für Arabisch halten, aber schauen Sie: hier... da... und dort... das sind meines Erachtens keine semitischen Schriftzeichen, sondern sie erinnern fast ein bißchen an Sanskrit. Es sieht so aus, als wären verschiedene orientalische Schriften kombiniert worden, so, wie man das in Japan mit Kanji, Hiragana und Katakana tut - und... erlauben Sie bitte den Vergleich... statt unserer Lettern als Rōmaji scheinen auch kyrillische Elemente dazugenommen worden zu sein. Sehen Sie? Hier... und da auch.“ Er strich sich über die Stirn, er schwitzte. „Je länger man sich konzentriert“, sagte er, „um so seltsamer wird einem zumute.“ „Sie können das nicht lesen?“ „Nein.“ „Aber bekommen Sie Bilder, wenn Sie das ansehen?“
Er hob den Kopf. Etwas Schwindelerregendes glomm in seinen Augen. „Bringen Sie das“, sagte er, „zurück. Bringen Sie es zurück oder vernichten Sie es.“

[>>>> Der Circus Ah'raim 1]

Max Dauthendey (ff). Der Samurai als Fischerjunge. Regen.

Folgt man >>>> Cellinis heutiger Fährte und gibt Google den wunderbaren Satz zu lesenden nachtregen regnen hören in karasakidann gelangt man bereits an dritter Stelle an etwas, das für uns Autoren eine Katastrophe, für uns Leser aber ein Wunder ist, woraus sich unmittelbar erfahren läßt, weshalb Katastrophen in der Poesie immer wieder Wunder w e r d e n.

[Beethoven, Streichquartett Nr. 13 op. 130, Vermeer (Cass.-„Projekt“, Nr. 32). ]

Grabmal

gestern war ich auf dem dorotheenstädtischen friedhof an der chausseestraße. da war ein grabmal, eine kleine steinerne hütte mit 2 schiessscharten. das ganze ding war mit maschinengewehrgarben übersäht. da war einer drin, der sein ganzes magazin leergeschossen hat, bevor sie ihn erledigt haben. in diesem verdammten grabmal.

„Amerika“. Fred Licht, Villa Ginestra (2).

Die Serviererin kam herbei und fragte: „Was darf's denn heute sein, Dear?“, als wären wir seit Jahren miteinander bekannt, aber mit einem starren Blick, der klarmachte, daß ihr völlig gleichgültig war, ob sie Hamlet oder Jack the Ripper vor sich hatte, und genau in diesem Augenblick offenbarte sich mir Amerika.
S. 137, deutsch von Angela Praesent.

Der Nervensysteme Heiliger Geist ist die Leere. Fred Licht, Villa Ginestra (1).

Mit keiner Psychologie, Philosophie und Wissenschaft lassen sich die Kaprizen und Abnormitäten erklären oder vorhersehen, zu denen – der menschliche Geist fähig ist, wollte ich schreiben; da ich aber nicht mehr glaube, daß so etwas existiert, sagen wir: zu denen das Nervensystem des Menschen fähig ist.
S. 366, deutsch von Angela Praesent.

(Wahrheit ist noch vorrätig.)

Es-gibt-noch-Wahrheit
[An der Kasse des Pergamon-Museums Berlin im September 2008.]

Verwundung.

Du duftetest, Tier, nach der Schamlosigkeit, die sich wölbt.
Du hieltest dein Gesicht in den Händen und spürtest
(den Rücken als Kufe aus hunderten Sensen schmalster Rundholzkanten erhoben gedrängt)
den Rücken als Kufe die Rückenkufe aus hunderten Sensen erhoben

unter der Fingervermessung, die Wirbel für Wirbel den Grat schritt ODER vom Grat schnitt.
Vor dem Haar war dem Nacken ein Leuchten aus unterird'schem Silber,
das zu berühren die fremden grausamen Hände ehrfürchtig noch scheuten.

Sie wichen. Sie schritten, rückwärts; sie rutschten in Waide und Wunde
und nahmen vom Naß auf die Kuppen, um von dem Wunder vorzukosten,
bevor sie dieses Wimmern d r e h t e n und, ihm das ganze Fleisch entzündend,

es garten.

Dann trank ich deinen Nabel leer.
[>>>> Letzte Version (28.9.2008).]

„Er glaubt, man könne die Triebe beherrschen.“

In ihrer Stimme Stolz und Verachtung des Matriachats.

Bäckereien, ewig.

Der Duft aus den Backstuben, weltweit
ein immerselbes Süß aus karibischem Morgen
inmitten, glaubt man, der Nacht.

Brot
O Erfindung des Zuckers
Mensch, wie kurz lebst denn du

Wünsche ohne Erfüllung. Leserinnenpost.

>>>> Formmailer an fiktionaere.
Name: B*** S***
Email: bs***@freenet.de
Betreff: Alban Nikolai Herbst. AEOLIA. GESANG. Harald R. Gratz.
STROMBOLI.

Nachricht: Hallo Herr Herbst, ich wünsche mir ein Exemplar der >>>> Stromboli-Gedichte mit Autograph; ich bin ehrlich und gebe zu, dass ich nicht vorhabe, Ihre Miete zu überweisen. Nicht aus Geiz und nicht aus Bosheit.
Herzliche Grüße und gutes weiteres Gelingen bei allen Ihren Vorhaben. Ich bestaune Ihren unermüdlichen Schaffensdrang, freue mich immer, Sie zu lesen, kommentieren zu hören. Ich liebe Catania und Meere. Alles fremd und vertraut.

ANH an bs***@freenet.de.
Sehr geehrte Frau S***,
Ihre Ehrlichkeit ziert Sie, und ich verstehe auch gut, daß Sie sich solch ein Exemplar wünschen. Ich mag Ihnen Ihren Wunsch aber nicht erfüllen, zum einen, weil es anderen gegenüber sehr unfair wäre, zum weiteren, weil Sie normale Exemplare ja sehr einfach >>>> über die Galerie Jesse bestellen können, und sollten wir uns einmal persönlich begegnen, würde ich es Ihnen auch signieren. Die Autographen sind etwas anderes, sie verändern das Buch und sind als eigene kleine Kunstwerke zu betrachten. Dem gibt die Geste entsprechenden Ausdruck, eine meiner Monatsmieten >>>> direkt an meinen Vermieter zu überweisen, die sich seit August übrigens um 5 Euro auf 170,35 Euro erhöht haben. Der genannte Betrag ist für den Gegenstand, das Verfahren einmal als Tausch betrachtet, immer noch nicht hoch. Und mir hilft es schlicht, über die Runden zu kommen, da ich nahe der finanziellen Existenzgrenze leben muß. Abgesehen hiervon, wenn Sie in irgend ein Geschäft gehen, tun Sie das wohl auch nicht mit dem Anliegen, der Verkäufer oder Inhaber des Ladens möge Ihnen den Gegenstand Ihres Begehrens unentgeltlich, bzw. ohne irgend einen anderen Ausgleich überlassen.
Mit bestem Gruß
ANH

Günter Grass und die Deutschen.

Eine Einladung, >>>> mitzudiskutieren.

Gerd-Peter Eigner. Die italienische Begeisterung. Erste Rezension.

Jetzt >>>> dort.

Gelöschtheiten. Paläste der Republik: Kommentare als Leerstellen. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (101).

Das lebendige Weblog geht in die Seele: es wühlt. Ein Literarisches Weblog, worin Avatare und andere Verschriftlichungen realer Personen tatsächlich interagieren, stellt einen sozialen Raum in das Netz, worin die Dynamik eine der gegenseitigen Zuneigungsversicherung nicht mehr sein kann; genau das unterscheidet ein lebendiges Weblog von den Plauderblogs, deren Kommentatoren dem Autor und sich selbst permanent auf die Schultern schlagen und familienähnliche Solidaritäten bekundet werden: das literarische Weblog erweist deren Brüchigkeit, indem es sie provoziert. Es ist ein agent provocateur der guten Gemeintheiten.
Das hat Konsequenzen (oder wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit haben): da die Kommentare hier nicht über Unverbindlichkeiten funktionieren, bzw. sich unverbindlich nicht lange hielten, sind sie in der ständigen Gefahr sowohl, als Machtinstrumente (mißverstanden und) benutzt zu werden, wie zugleich ihre Urheber zu „verraten“ - das wiederum macht sie anfällig für Löschaktionen – so, wie jemand, der nicht nur geschichtliches Unrecht getilgt, sondern überhaupt Geschichte vergessen haben will, Paläste der Republik niederreißt und statt dessen Stadtschlösser errichtet, und zwar egal, wie potthäßlich die Architektur ist***. Schießen die Gefühle in Kommentatoren quer, werden sie versuchen, ihre eigene Geschichte – das ist eben auch die ihrer Gefühle – zu verfälschen; letztlich ist es ein Prozeß der Verleugnung, also der Abwehr von Schmerz. Es bleiben aber Spuren, vor allem dann, wenn nächste Kommentatoren, die sich auf die jetzt gelöschten Texte beziehen, nicht mitgelöscht werden können, weil sie eigene Kommentarlinien gelegt haben. W e r d e n sie hingegen mitgelöscht, wirkt sich die Löschung als direkte Aggression auf die Gedankenwelten Nächster aus und wird von diesen Nächsten womöglich auch so empfunden. Sie s o l l auch so empfunden werden. Denn die Löschung ist nicht nur eine Form der Aggression gegen eine eigene Dynamik, sondern allem voran eine Aggression gegenüber denen, die Schlüsse aus den nun gelöschten Kommentaren gezogen haben könnten.
Ästhetisch interessant sind aber die Spuren der Leerstellen, sind die Brachen in den Städten, und dort sind es die Schnittstellen, denn an ihnen setzt die Imagination der Leser ein, um die Brachen wieder zu füllen: mit einer Erinnerung, die eventuell völlig abgelöst von dem gelöschten Kommentar ist. Das Lesen solcher Passagen erinnert an die Rekonstruktionstätigkeit von Paläontologen; es ist ein phantastischer Prozeß, der es mit >>>> Donnerechsen zu tun hat. So ginge es dem Dichter eines Literarischen Weblogs schließlich darum, solche Spuren bereits v o r einer Löschung zu legen: so, als ob dort einmal etwas gestanden hätte, das ein Kommentator gelöscht hat – und die im Netz erzählte Geschichte wird dann eine, die sich aus der nie stattgefundenen Löschung ergibt, weil kein Text vorher dagewesen: ein umgekehrter Rückbau. Was etwas anderes ist, als wird ein neues Gebäude errichtet. Hier würde eines wiedererrichtet, wiewohl es das vorher nicht gab.

[***: Die des Berliner Stadtschlosses ist ja nicht schöner als die des Republikpalastes war – eher noch häßlicher, weil im Fall des Stadtschlosses noch die Lüge des versuchten Schönscheins hinzukommt, indes dem DDR-Palast doch immerhin der Adel einer Wahrheit totalitäter Systeme eingeschrieben war.]

>>>> 102
100 <<<<

Bamberger Elegien (111). Die Dritte Elegie, Vierte Fassung ff. Auf Max Klingers Amphitrite (2).

Klinger-Amphitrite
Traurig die Schönheit, wenn sie verachtet und leckt am Geschmack
bleibender Blutungen; wie dir mein Kuß diesen schmerzhaften Herpes
in deine Unterlippe gestanzt hat – des bleibenden Tieres,
sicher, das Zeichen: unschön und schmerzhaft, indem du's, verwundet,
scheutest, Geliebte, obwohl wir es, daß es uns beispringt, gebraucht
hätten, den hastenden Atem, begehrenden, der uns zur Ruhe
weht
und wir liegen und weinen
nach so vielen Jahren
steht
in den Augen Vergessen
öffnet die Tür in den Schlaf, schlüpft in das Schwarze und schließt sie,
dreht sich nicht um: und vergeht – so sehr wir's verehren. Den Schmerz,
den, Amphitrite, lassen wir d i r. Unantastbarkeit, deine,
sperrn wir in Form. Haltung erträgt das, rührt d aher, doch quält sie's:
Fülle, nicht Leere, die zu große Schönheit, behaupten die Neider,
habe – ein Vorhalt, der minderes Aussehn mit innerem Glanz
glorifiziert und nicht erfaßt, was Schönheit trägt.
Wie nämlich s i e visionär von dem Steinmetz in Formen gebannt wird,
bannen die Formen der Schönheit den Schmerz, - ihn hält sie ein.
Wie, Amphitrite, das wütet in Dir! Arrogant aus Vollendung
lächelst du z u voller Frauenstolz, als daß du Wollust erbätest -
kühl bleibt die Schulter, so meerhaft und ferne der Blick nach dem Mann:
einem, Vergessenheit wert. Brauchst sie, ersehnst sie nicht doch?
Aber der Schrecken! Denn du | sahst es mit an: sahst, als
eigenen Ursprunges Zeugin, den blutigen Schaum aus des Vaters
Zeugungszeugsstücken heraus|spritzen und salzig im Gischtmaul
umgerührt auf der siebenen Mütterzungen, den Meeren,
die sich einrollten,
spitzten,
bevor sie dich in die Brecher spuckten,
spannten - es war
keine Sonne, als du erwachtest: S t u r m war.Concordia-Letztblick-111
Kein Himmel war blau, es war keine Muschel,
nur Frau, die es, angespült, trieb.
Niemand empfing sie, kein Engel, kein Herold:
starr stehn die siebenen steinernen Bamberger Allegorien
auf ihrer Mauer und schauen zur Regnitz um Heil.

>>>> BE 112
BE 110 <<<<

 



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