European Literature Days 2016: Review of Najem Wali
Beat Mazenauer
War Knows No Innocence
In “The Invisible Cities” (“Le Città invisibili”), Italo Calvino wrote, “The hell of the living is not something that will be”. It is already here; it takes on real contours during times of war. Scarcely any other book in recent years has described war in such a nightmarish and intensive way as Najem Wali in his incredible novel “Baghdad Marlboro”. He describes a country torn apart in fear and shock: Iraq. And he narrates in a touching way how an individual person becomes guilty in war, even if he resists this with all his might.
The American black soldier, Daniel Brooks, is the lamentable victim. He is called up to the Middle East and serves his duty far from the front by setting up supply depots as a competent organizer. But a sadistic army major sets a trap for him. He forces him to kill Iraqi soldiers in a mass grave with a bulldozer. Daniel Brooks is one of the tragic heroes in this book; he is a counter-example for the idealistic viewpoint that all soldiers are murderers because there is always a way to refuse orders. During war-time there is no mercy either on the enemy’s side or from your own side.
Alongside Brooks the American lieutenant, David Barbiero, on the one side, while on the other the Iraqi poet, Salmân Mâdi, and his friend, the first-person narrator get caught in the crossfire of conflict. While the narrator survives the gulf wars (like Daniel Brooks) behind the lines, his friend Salmân is sent to the front. Here, in 1990, he meets Barbiero who was taken prisoner by the Iraqis. They share cigarettes and swap stories until the madness of war detonates their brief respite of peace. Barbiero is killed – because of Salmân’s complicity? In the chaos, Salmân loses a notebook in which he had written down the dreams of his fellow soldiers. By chance it falls into the hands of Daniel Brooks, who back home and plagued by nightmares, remembers it. The two narrative plots intertwine. Spurred on by an indication about the narrator, which is contained in the notebook, he intends to hand it back to its rightful owner. But the return to Iraq is dangerous both for the American, Brooks, and his contact man, the narrator.
To kill or be killed, that is the question posed by Najem Wali in his novel, which is powerful in so many respects, and yet still just 350 pages long. There is no escape from the ever-changing fronts. The narrator is given an ultimatum by the Islamists: he should single-handedly murder his “friend”, Daniel Brooks. That is the meaning of war, as Wali demonstrates: to load guilt onto those who do not want any of it. War destroys people, regardless of whether they perish or survive, like Salmân, a plausible and impressive character.
“Reality put every fantasy in the shade”, is one observation. And the narrator continues by asking how he should approach his task with a love of recounting a story because for him “all the stories, disasters and events, the murdering and destruction happening right in front of me” takes away any desire to tell anything. Nevertheless, he still does so with oscillating precision, with an alarming graphic quality and evidently with the keenest insights. At least for him, ultimately, there is a moderately happy ending. From the safety of exile, he writes his book with the subtitle, “A Novel for Bradley Manning”. In other words, it is dedicated to the soldier, whose betrayal of secrets to WikiLeaks exposed American war crimes in Iraq and, in 2013, was sentenced to 35 years in prison. The narrator has written this book for him, “so he learns that he is not a traitor.”
Najem Wali was born in 1956 in the southern Iraqi city of Basra. To escape being called up for the First Gulf War, he fled to Germany in 1980, where he has since lived and worked as a writer. His essay about killing, “Im Kopf des Terrors”, has been published recently.
Translated by Suzanne Kirkbright
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Krieg kennt keine Unschuld
In „Die unsichtbaren Städte“ schrieb Italo Calvino: „Die Hölle der Lebenden ist nicht etwas, das erst noch kommen wird“. Sie ist längst da, im Krieg nimmt sie reale Gestalt an. Kaum ein Buch der letzten Jahre hat den Krieg derart beklemmend und intensiv beschrieben wie Najem Wali in seinem grandiosen Roman „Bagdad Marlboro“. Er beschreibt ein zerrissenes Land in Angst und Schrecken: den Irak. Und er erzählt auf berührende Weise, wie der Mensch im Krieg schuldig wird, auch wenn er sich mit aller Macht dagegen wehrt.
Der amerikanische Soldat Daniel Brooks, ein Schwarzer, ist das beklagenswerte Opfer. Er wird in den Mittleren Osten einberufen und verrichtet seinen Dienst fernab der Front, indem er als tüchtiger Organisator Versorgungsdepots einrichtet. Ein sadistischer Major stellt ihm jedoch eine Falle. Er zwingt ihn, mit einem Bulldozer irakische Soldaten in einem Massengrab zu töten. Daniel Brooks ist einer der tragischen Helden in diesem Buch, er ist ein Exempel gegen die idealistische Auffassung, dass alle Soldaten Mörder seien, weil es immer einen Weg der Verweigerung gebe. Im Krieg gibt es keine Gnade, weder von Seiten der Feinde noch der eigenen Truppe.
Nebst Brooks geraten auch der amerikanische Leutnant David Barbiero auf der einen Seite, auf der anderen der irakische Poet Salmân Mâdi und sein Freund, der Ich-Erzähler, ins Kreuzfeuer des Krieges. Während der Erzähler die Golfkriege (wie Daniel Brooks) in hinteren Linien übersteht, wird sein Freund Salmân an die Front geschickt. Hier trifft er 1990 auf Barbiero, der von den Irakern gefangen genommen wurde. Sie teilen sich die Zigaretten und tauschen Gedichte aus, bis der Wahnsinn des Krieges ihren kurzen Frieden detonieren lässt. Barbiero wird getötet – durch Salmâns Mitschuld? Im Durcheinander verliert dieser ein Notizbuch, worin er die Träume seiner Kameraden festgehalten hat. Es fällt durch Zufall in die Hände von Daniel Brooks, der sich, wieder zuhause und von Alpträumen geplagt, daran erinnert. So verbinden sich die beiden Erzählstränge. Angestachelt durch einen Hinweis auf den Erzähler, der sich in dem Notizbuch findet, will er es dem rechtmässigen Besitzer zurück eben. Doch die Rückkehr in den Irak ist gefährlich, für den Amerikaner Brooks wie für seinen Kontaktmann, den Erzähler.
Tot schlagen oder tot geschlagen, das ist die Frage, die Najem Walis in seinem in vielerlei Hinsicht gewaltigen Roman stellt, der trotzdem nur 350 Seiten umfasst. Bei ständig wechselnden Fronten gibt es kein Entrinnen. Der Erzähler erhält von den Islamisten ein Ultimatum: er soll seinen „Freund“ Daniel Brooks eigenhändig umbringen. Das ist der Sinn des Krieges, demonstriert Wali: Schuld laden auch die auf sich, die es gar nicht wollen. Der Krieg macht die Menschen kaputt, egal ob sie umgebracht werden oder ob sie überleben, wie Salmân, einer bestechend eindrücklichen Figur.
„Die Wirklichkeit stellte jede Phantasie in den Schatten“, heisst es einmal. Wie sollte er, fährt der Erzähler fort, mit Fabulierlust an seine Aufgabe herangehen, wenn ihm „all die Geschichten, Katastrophen und Ereignisse, das Morden und die Zerstörung, die sich vor mir abspielen“, jede Lust nehmen, überhaupt darüber zu berichten. Trotzdem tut er es, mit irrlichternder Präzision, mit erschreckender Anschaulichkeit und mit offenkundig besten Kenntnissen. Wenigstens ihm ist am Ende ein bescheidenes Happyend beschieden. Aus der Sicherheit des Exils schreibt er sein Buch, das im Untertitel „Ein Roman für Bradley Manning“ heisst: also jenem Soldaten gewidmet ist, der mit seinem Geheimnisverrat an Wikileaks die amerikanischen Kriegsverbrechen im Irak an den Tag brachte und 2013 dafür zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Für ihn hat der Erzähler dieses Buch geschrieben: „Damit er erfährt, dass er kein Verräter ist.“
Najem Wali wurde 1956 im südirakischen Basra geboren. Um der Einberufung in den 1. Golfkrieg zu entkommen, floh er 1980 nach Deutschland, wo er seither lebt und schreibt. Gerade eben ist sein Essay übers Töten: „Im Kopf des Terrors“, erschienen.
Najem Wali: Bagdad Marlboro. Roman. Übersetzt aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich.
Carl Hanser Verlag, München 2014.
European Literature Days 2016: Review of Najem Wali
In “The Invisible Cities” (“Le Città invisibili”), Italo Calvino wrote, “The hell of the living is not something that will be”. It is already here; it takes on real contours...
Beat Mazenauer
Beat Mazenauer, born 1958, Swiss literary critic and networker. He is director of SwissLiterature (http://www.swissliterature.ch).
Beat Mazenauer, geboren 1958, Schweizer Literaturkritiker und -netzwerker. Er ist Leiter des Webportals LiteraturSchweiz (http://www.literaturschweiz.ch).