Austria is just a small country. That may be an advantage in the political arena because domestic politics can always invoke constraints imposed from the outside; moreover, in foreign policy terms, there is no pressure to create a high profile. In the cultural arena, however, being small implies substantial problems. Cultural policy puts a lot of energy into managing the historical heritage. The lost grandeur of the Imperial past influenced the cultural self-understanding of the First Republic from 1918 to 1938, and even after 1945 anything new was always under the general suspicion of abandoning the country and its traditions to ridicule or being despised. Members of the avant-garde – be it in literature or the fine arts – had a hard time until the 1970s defending themselves against the pathologization, criminalization or at least marginalization of that public sphere that the politically correct elite claimed for themselves, though without asking what culture actually was. This led to different perceptual levels of art that persist to this day, although the former ideologically defined demarcation lines now play a minor role. The middle-class and left-wing have not stood in opposition to each other for a long time, since no clearly defined political awareness can be discerned either among the cultural producers or the recipients. For at least three decades aesthetic discourses are no longer associated with the question of political location, since the political dimension is outsourced to social networks where it tends to have a more therapeutic function.
That has its effects on criticism because here in Austria we continue to make a virtue out of our small size, as well as our abstention from adopting any stance. The literary scene is a sort of protected community, not least due to its complete dependence on public funds without any alternatives. The few critics in the country, who enjoy some sort of regular employment, are simultaneously jury members, curators and moderators. Hence, their relationship to writers and publishing houses is anything but distanced. Their capacity to produce criticism is therefore rather restricted – however, they see this less as a problem than as a mark of quality. The critic has mutated to being a promoter whose goodwill compensates for the shortcoming of the scarcity of Austrian writers in the German media. However, if he writes for the German Feuilleton, he often stylizes himself as an apologist of the Austrian cause. He regards his task as slightly alleviating German complacency and self-referentiality with the obstinacy of a younger brother, and grants Austrian writers a favourable position in the media. In terms of marketing strategy, creating a cluster of critic/writer/publisher is not that clumsy. Yet, this degrades literary criticism to an instrument of national cultural marketing, as though the focus were Burgenland wine or holidays in Ausseerland. It’s a free choice. It’s not to order. In our corner of the world, we enjoy smiling about the chauvinism of sports reporters. Literary criticism is not too far from abolishing itself as an intellectual discipline in the shadow of the red-white-red flag.
Translated by Suzanne Kirkbright
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In Österreich, habe ich im ersten Teil ausgeführt, existiert eine professionelle Literaturkritik, mag sie nun gut oder schlecht sein, praktisch nicht. Es gibt eine Handvoll Verwalter von Literaturseiten oder Literatursendungen. Und es gibt eine größere Anzahl von Nebenerwerbskritikern, die neben vielerlei Feldern eben auch jenes der Literatur bearbeiten. In Deutschland ist das zwar auch so, aber die Größe des Landes und die Vielzahl von Publikationsmöglichkeiten verhindern, dass Literaturkritiker bzw. jene, die über Literatur schreiben, eine homogene Gruppe bilden. In Österreichs überschaubarer Medienlandschaft gibt es seit jeher keine große Literaturaffinität. Abgesehen vom öffentlich-rechtlichen ORF, sowie einer Handvoll überregionaler Tageszeitungen und Wochenmagazinen, gibt es nicht einmal ansatzweise ein Feuilleton, in dessen Rahmen literaturkritische Texte erscheinen würden. Es denkt übrigens auch niemand darüber nach, was ein Feuilleton sein soll. Die erweiterte Kulturseite? Eine von Herausgeberseite geduldete Insel mehr oder weniger intellektueller Libertinäre?
Österreich ist nun einmal klein. Das mag auf dem politischen Feld von Vorteil sein, weil man sich innenpolitisch immer auf die Zwänge von außen berufen kann und außenpolitisch unter keinem Profilierungsdruck steht. Auf dem kulturellen Feld birgt die Kleinheit allerdings erhebliche Probleme. Die Kulturpolitik verwendet viel Energie darauf, das historische Erbe zu verwalten. Die verlorene imperiale Größe prägte das kulturelle Verständnis der Ersten Republik von 1918 bis 1938, und selbst nach 1945 stand das Neue stets unter dem Generalverdacht, das Land und seine Traditionen der Lächerlichkeit oder Verachtungswürdigkeit preiszugeben. Die Avantgarden, ob in der Literatur oder der bildenden Kunst, hatten es bis in die siebziger Jahre schwer, sich gegen Pathologisierung, Kriminalisierung oder zumindest Marginalisierung jener Öffentlichkeit zur Wehr zu setzen, die die kulturelle Deutungshoheit für sich in Anspruch nahm, ohne sich je zu fragen, was denn Kultur überhaupt sei. Das führte zu unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen der Kunst, die bis heute bestehen, wenngleich die ehemals ideologisch markierten Grenzen gegenwärtig eine geringe Rolle spielen. Bürgerliche und Linke stehen einander schon lange nicht mehr gegenüber, weil weder bei Kulturproduzenten noch bei Rezipienten ein klar definierbares politisches Bewusstsein auszumachen ist. Ästhetische Diskurse werden seit mindesten drei Jahrzehnten nicht mehr mit der politischen Standortfrage verknüpft, weil das Politische in die sozialen Netzwerke ausgelagert ist und dort eher therapeutische Funktion hat.
Das hat Auswirkungen auf die Kritik, da hier, in Österreich, ungebrochen die Kleinheit wie auch die Haltungslosigkeit zur Tugend gemacht wird. Der Literaturbetrieb ist eine Art Schutzgemeinschaft, nicht zuletzt durch seine völlige und alternativlose Abhängigkeit von der öffentlichen Hand. Die wenigen einigermaßen regelmäßig beschäftigten Kritiker des Landes sind zugleich Juroren, Kuratoren und Moderatoren, stehen also in einem alles andere als distanzierten Verhältnis zu Autoren und Verlagen. Ihre Kritikfähigkeit ist dadurch einigermaßen eingeschränkt – was allerdings von ihnen selbst weniger als Problem, sondern vielmehr als Qualität gedeutet wird. Der Kritiker ist zum Förderer mutiert, der das Manko der Nichtpräsenz österreichischer Autorinnen und Autoren in deutschen Medien durch sein Wohlwollen wettmacht. Wenn er aber für deutsche Feuilletons schreibt, stilisiert er sich selbst häufig zum Apologeten der österreichischen Sache. Seine Aufgabe sieht er darin, die deutsche Selbstgefälligkeit und Selbstbezüglichkeit mit dem Eigensinn des kleinen Bruders ein wenig aufzubrechen und österreichische Autorinnen und Autoren medial günstig zu positionieren. Marktstrategisch ist die Verclusterung von Kritiker/Autor/Verlag nicht ungeschickt, die Literaturkritik jedoch wird damit zum nationalen Kulturmarketinginstrument degradiert, als ginge es um burgenländischen Wein oder Urlaub im Ausseerland. Freiwillig. Ohne Auftrag. Man schmunzelt hierzulande gern über den Chauvinismus der Sportreporter. Die Literaturkritik ist nicht weit davon entfernt, sich selbst im Schatten der rotweißroten Fahne als intellektuelle Disziplin abzuschaffen.