I should be more precise: since the origins of the interplay of literary output and the public discourse about it. So, since Lessing’s stand against the critics from the Regelpoetik or normative poetics faction and his proclamation that criticism is a history of relations between the reader and the text. Of course, this was a major step from an Enlightenment standpoint, since it granted the individual the right to make judgements concerning artistic matters, instead of allowing the seemingly infallible institutes and academies to prevail with their enquiries into deviations from the norm.
And ever since the debate has followed its natural course, and this is the central problem. The nature of criticism (non-academic, thus mainly publicized in the media) is that it rarely makes itself the focus of closer scrutiny, let alone defining any understandable criteria for action. The essence of literary criticism involves random argument, the confusion of objectivity and subjectivity, of aesthetic and pretentious judgement, yet also the critic’s hubris in exaggerating the linguistic evasion of ignorance, lack of knowledge or plain idleness as elements of style. That may be quite a sweeping analysis, as naturally criticism – as formulated in “Literatur und Kritik” or “Sprache im technischen Zeitalter” – is differentiated from what is contained in the cultural branches of the media and in the daily press Feuilleton section, journals and magazines as well as on the television and radio. One could say that the higher the circulation, the more important the “style”. Style is the critic’s crème de la crème – it ranges from Alfred Kerr and Alfred Polgar to Friedrich Sieburg, Marcel Reich-Ranicki and Fritz J. Raddatz and to Volker Weidermann. Criticism could be defined as an artistic genre in its own right thanks to style – it only needed an object of criticism as a catalyst (“A catalyst is any substance which changes the velocity of a reaction without appearing in its end products”, Wilhelm Ostwald 1895). Style is an exercise in writing, not thinking. According to the art historian, Boris Groys, “Criticism appears both as indispensible and superfluous. You don’t actually know what is to be expected and demanded of it – except its sheer material presence.”
Things are similar in Austria, and yet they are also slightly different. Here, we practically have no professional literary criticism, whether it’s good or bad. There are a handful of managers of literary journals or literary shows. Everybody knows each other, and if we had all gone to the same school together, we would not be in sufficient numbers to form a class. And we have a larger number of part-time critics working as a sideline in many fields, and they also dabble in literature. They are not well paid, or else receive no fee at all, and depending on the pay rates they exert more or less energy thinking about a literary text and writing these thoughts down. Generally, you become a literary editor and literary critic by chance. Among the very few people, who write about literature, there are some who would know how to define the basic elements of what they do. And what is more, I still haven’t experienced any cultural editorial office where there was anything like a rudimentary debate about the concept of culture going on. Nor can anyone give a coherent explanation of what defines the quality of a qualitative medium. This is an order of merit that people award themselves.
Translated by Suzanne Kirkbright
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Der Zustand der deutschsprachigen Literaturkritik wird in zumeist von Schriftstellerinnen und Schriftstellern angeregten Feuilletondiskursen als kraftlos bis verkommen bezeichnet. Die Kritikerbeschimpfung hat Tradition, sie durchzieht den deutschen Literaturbetrieb, seit es einen solchen gibt, also seit dem späten 18. Jahrhundert. Ich muss präzisieren: seit es das Wechselspiel von literarischer Produktion und öffentlichem Diskurs darüber gibt. Seit Lessing den Rosinenklaubern von der Regelpoetikfraktion den Marsch geblasen und Kritik als Beziehungsgeschichte zwischen Leser und Text proklamiert hat. Das war natürlich aus aufklärerischer Sicht ein großer Schritt, setzte er doch das Individuum ins Recht, über künstlerische Belange zu urteilen, anstatt scheinbar unfehlbare Akademien in ihrer Normabweichungskunde walten zu lassen.
Seither – und das ist das Problem – rennt der Gaul, wohin er will. Es gehört zum Wesen der (außerakademischen, also vor allem medial verbreiteten) Kritik, dass sie sich selbst als Gegenstand kaum einmal einer näheren Betrachtung unterzieht, geschweige denn nachvollziehbare Handlungskriterien definiert. Zum Wesen der Literaturkritik gehört die Beliebigkeit der Argumentation, die Verwechslung von Objektivität und Subjektivität, von ästhetischem und geschmäcklerischem Urteil, aber auch die Hybris des Kritikers, sprachliche Umgehungen von Unwissenheit, Uninformiertheit oder schlichtweg Faulheit zum Stil aufzuwerten. Das ist jetzt recht pauschal formuliert, denn natürlich unterscheidet sich die Kritik, wie sie in „Literatur und Kritik“ oder „Sprache im technischen Zeitalter“ formuliert wird von jener im Kulturteil und in den Feuilletons der Zeitungen und Zeitschriften, Magazinen, in Fernsehen und Radio. Man kann sagen: je höher der Verbreitungsgrad, desto wichtiger ist der „Stil“. Der Stil ist das Adelsprädikat des Kritikers, das reicht von Alfred Kerr und Alfred Polgar über Friedrich Sieburg, Marcel Reich-Ranicki und Fritz J. Raddatz bis zu Volker Weidermann. Über den Stil konnte die Kritik als eigene Kunstgattung definiert werden, die eines kritisierten Objekts nur mehr als Katalysator bedarf („Ein Katalysator ist eine Substanz, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion verändert, ohne selbst in den Produkten zu erscheinen“, Wilhelm Ostwald 1895). Stil ist eine Sache der Einübung ins Schreiben, nicht des Denkens. „Die Kritik scheint gleichzeitig unentbehrlich und überflüssig zu sein“, schreibt der Kunsthistoriker Boris Groys. „Man weiß eigentlich nicht, was von ihr zu erwarten und zu verlangen ist – außer ihrer bloßen, materiellen Präsenz“.
In Österreich liegen die Dinge ähnlich und doch ein wenig anders. Hier existiert eine professionelle Literaturkritik, mag sie nun gut oder schlecht sein, praktisch nicht. Es gibt eine Handvoll Verwalter von Literaturseiten oder Literatursendungen. Man kennt einander und wären wir alle gemeinsam zur Schule gegangen, wären wir zu wenige gewesen, um eine Klasse zu bilden. Und es gibt eine größere Anzahl von Nebenerwerbskritikern, die neben vielerlei Feldern eben auch jenes der Literatur bearbeiten. Sie werden schlecht oder gar nicht honoriert und wenden der Bezahlung entsprechend mehr oder weniger Energie dafür auf, sich Gedanken über einen literarischen Text zu machen und diese Gedanken niederzuschreiben. Literaturredakteur und Literaturkritiker wird man in der Regel aus Zufall und die wenigsten, die über Literatur schreiben, wüssten die Grundlagen ihres Tuns zu benennen. Dazu kommt, dass ich noch keine Kulturredaktion erlebt habe, in der man auch nur ansatzweise den Kulturbegriff debattiert hätte. Es kann auch niemand schlüssig erklären, was die Qualität eines Qualitätsmediums ausmacht. Es ist der Verdienstorden, den man sich selbst verleiht.