![]() |
![]() |
poeten | ![]() |
loslesen | ![]() |
gegenlesen | ![]() |
kritik | ![]() |
tendenz | ![]() |
news | ![]() |
links | ![]() |
info | ![]() |
verlag | ![]() |
poet | ![]() |
|
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Adolf Endler
Dies Sirren
Und wieder dies Sirren am Abend. Es gilt ihnen scheint es für Singen Ich boxe den Fensterladen auf und rufe He laßt mich nicht raten Ihr seid es Liliputaner das greise Zwergenpaar van der Klompen Cui bono ihr lieben Alterchen mit der Zirpstimm im Dunkel cui bono
Michael Braun Seltsam zirpende Stimmen flüstern aus dem Dunkel, ein leises Kichern und Lispeln weht aus dem Verborgenen heran, ein Chor von unsichtbaren Kobolden oder Zwergen hebt an zu einem bedrohlichen Sirren und Singen. Es ist das Urgeräusch der phantasmagorischen Dichtung Adolf Endlers (1930-2009), ein „Sirren“ aus dem Untergrund, das, wie der Autor in einem Gespräch mit Renatus Deckert erläutert hat, aus den Landschaften seiner rheinländischen Kindheit stammt. „Dies Sirren“ ist seine Urvision aus den Trümmerbergen eines barbarischen Krieges, ein spätes poetisches Echo der Erfahrungen des Autors mit dem Schuttabladeplatz hinter seinem Elternhaus in Düsseldorf-Holthausen. „In diesem schwirrenden Müllberg, der unser bevorzugter Spielplatz gewesen ist“, so Endler, „mit alten, versumpften Matratzen, kaputten Blechkanistern, Schrauben, verrosteten Öfen.“ In dieser Ansammlung ausrangierter Gebrauchsgegenstände einer destruktiv ausufernden Zivilisation sammeln sich die Dämonen, hier in der Gestalt von Liliputanern, die mit ihren rätselhaften Gesinge und Gezirpe das Ich umkreisen. Das Gedicht „Dies Sirren“, 1971 entstanden, markiert in Endlers Werk die endgültige Verabschiedung seines pathetischen Frühwerks und den Eintritt des zeitlebens widerborstigen DDR-Poeten in eine surrealistisch eingefärbte, schwarzhumorige Dichtung, die einer nach sozialistischer Vernunft verlangenden Gesellschaft „immer wahnsinnigere Fratzen“ schneidet. Mit einer absurden Anklage wegen „Staatsgefährdung“ im Nacken hatte der glühende Jungkommunist Endler 1955 seine rheinische Heimat verlassen und war in jenes „bessere Land“ im Osten gegangen, das ihn unverzüglich zu zähmen versuchte. Dort ließ er sich zunächst von den Heilsversprechen des real existierenden Sozialismus narkotisieren und verfasste eine bieder-staatskonforme Aufbau-Lyrik, die ihm wegen ihres forcierten Optimismus bald peinlich war. Die Doktrin des „sozialistischen Realismus“ konnte er abschütteln und machte daraufhin die kunstvolle Fratzenschneiderei und einen schelmischen Anarchismus zu seinem Metier. Um 1963/64 wandelte sich der Dichter Endler, der im August 1961 noch für die „Befestigung der Staatsgrenzen“ agitiert hatte, zum subversiven Maskenkünstler, der die Selbstlegitimierungsversuche des SED-Staates ebenso ironisch aushebelte wie später den nationalen Kitsch des wiedervereinigten Deutschland. In den 1960er Jahren erklärte er Andre Brétons „Anthologie des schwarzen Humors“ zu seiner Bibel und entwickelte eine gewisse Vorliebe dafür, karnevaleskes Chaos in alle staatlichen und literarischen Ordnungssysteme zu schmuggeln. Im Gedicht schleudert das Ich den boshaften Zwergen die Frage nach dem Nutzen ihrer Aktivitäten entgegen: „Cui bono – wem nützt das?“ Eine seltsam deplatziert anmutende Rationalität geht auf Konfrontationskurs zu den Manifestationen des Irrationalen. Im Dickicht dieser poetischen Phantastik lässt sich nicht eindeutig bestimmen, ob sich denn für „die lieben Alterchen“ und „das greise Zwergenpaar van der Klompen“ nicht auch Entsprechungen in einer Realität jenseits der kindlichen Tagträume finden ließen. Sicher ist nur, dass „dies Sirren“ den Dichter Adolf Endler ein Leben lang begleitet hat, als ein Präludium für jene kunstvollen Subversionen, mit dem dieser Autor jedwede Autorität unterminiert hat. Adolf Endler, geboren am 20. September 1930 in Düsseldorf, starb am 2. August 2009 in Berlin. Sein Gedicht „Dies Sirren“ ist dem Band „Der Pudding der Apokalypse“ (Suhrkamp Verlag, 1998) entnommen. Für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe danken wir Brigitte Schreier-Endler. 18.01.2011 |
![]() |
Gedichte, kommentiert
|
|
poetenladen | Blumenstraße 25 | 04155 Leipzig | Germany
|
virtueller raum für dichtung
|
![]() |