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Ulrich Koch
Danke
für die Notbeleuchtung der Sterne morgens, Innenhöfe, vom Dunkel ausgeleuchtet, und die Holzdose mit den Milchzähnen meiner Tochter, die ich mir ausschlug auf dem Nachhauseweg, das Sternbild eines Gesichts, LEBENDE TIERE auf dem Heck der Lkw, die zum Schlachthof fahren, das Vergessen, vom Gras geweckt, das Nachthemd auf der Wäscheleine, von Mücken zerstochen, den Gekreuzigten, der seine Wunder leckt.
Michael Braun Wenn ein Dichter heute die globale Zirkulationssphäre des Internet betritt, tut er das meist in der Erwartung, am fiebrigen Austausch der literarischen Netzwerke partizipieren zu können. Der Poet Ulrich Koch, ein stiller, verschlossener Typ, der den einschlägigen Lyrik-Communities sehr fern steht, betreibt dagegen eine Website, die ironisch jeden Selbstdarstellungs-Triumphalismus zu unterminieren scheint. Diese Website heißt nämlich www.milchmaedchenpresse.de, eine zunächst wenig vertrauenserweckende Bezeichnung. Wer seine Texte als Produkte einer „Milchmädchenpresse“ kennzeichnet, dem scheint es darum zu gehen, die eigenen Eintragungen als äußerst fragwürdige Notate, als der Naivität verdächtige Artikulationen kenntlich zu machen. Auf dieser Website finden wir jedoch Gedichte, die den literarischen Rang des Autors eindrucksvoll veranschaulichen und in einem emphatischen Sinne „einleuchtend“ (Arnold Stadler) sind. Ulrich Koch selbst hat in einem Gespräch mit einem Interviewer der „Zeit“ angemerkt, dass ein gutes Gedicht „auf unwiderstehlich sanfte Art und Weise traurig machen“ müsse. Es ist tatsächlich eine große Trauer in seinen Gedichten, formuliert von einem Beobachter der Alltäglichkeit, der die Schrecken des Ausgestoßenseins und der Verlorenheit gut kennt. Da ist zunächst nur eine alltägliche Szene, die in diesen Gedichten eingefangen wird: Jemand kehrt von der Nachtschicht zurück, ein „leeres Hemd“ hängt auf einem Kleiderbügel, jemand bricht auf zu einer „Radfahrt gegen Ende des Sommers“. Aber gleich beginnen die Fundamente der Alltäglichkeit zu schwanken, fast unmerklich verwandelt sich das unauffällige Alltagsbild zum metaphysischen Gleichnis. Und wenn dann das Ich dieser Gedichte nach Art eines stillen Gebets seine Dankbarkeit erweisen will für gewisse Herrlichkeiten der Schöpfung, dann verliert es unweigerlich den Boden unter den Füßen. Ein Dankgebet für die Sterne am Himmelszelt? Das ist offenbar kaum mehr möglich, denn dem schreibenden Ich erscheint in diesem Gedicht das Sternenlicht nur noch als „Notbeleuchtung“. Und wenn sich der Dichter erleichtert bedanken will für „LEBENDE TIERE“, dann zeigt sich rasch die unidyllische Wirklichkeit, dass diese Tiere todgeweiht und auf dem Weg zum Schlachthof sind. Und am Ende des Gedichts sehen wir dann den Schöpfer selber in einer misslichen Lage: Wir sehen den Gekreuzigten, der – ein verstörendes und letztlich obszönes Bild – nicht die eigenen „Wunden“ leckt, sondern seine eigenen „Wunder“. Durch eine semantische Verschiebung verschwindet hier der lautlich kleine, bedeutungsmäßig aber riesengroße Unterschied von „Wunde“ und „Wunder“. Wir haben es mit einem Danksagungs-Gedicht zu tun, das von Zeichen der Vergänglichkeit durchzogen ist, angenagt von Zweifel und schwarzer Vision,. Das große Einverstandensein mit der Schöpfung will hier nicht mehr gelingen. Die Zeichen einer Daseinszuversicht werden sofort angefochten in den Gedichten des Melancholikers. Das Licht, das auf die Gegenstände fällt, bleibt Zwielicht, es hat zu kämpfen mit der herandrängenden Dunkelheit. Wir haben es mit einer Poesie zu tun, in der sich unerwartet ein Riss auftut in der Welt und der Abgrund sichtbar wird, in dem uns die Aufklärung zurückgelassen hat. Man wird überall der Zeichen der Vergänglichkeit, der Verlassenheit und der Bedrohung des Gewöhnlichen gewahr und hält erschrocken inne. Diese Momente des jähen Erkennens, diese Augenblicke der Vergewisserung, dass die Einsamkeit des Menschen in der Welt nicht aufhebbar ist, haben sich in diese Texte eingeschrieben. Ulrich Koch, geboren 1966 in Winsen an der Luhe, lebt als Geschäftsführer einer Zeitarbeitsfirma, die Fachpersonal für die Altenpflege vermittelt, in Radenbeck bei Lüneburg. Zuletzt veröffentlichte er 2009 in der Lyrikedition 2000 den Band Lang ist ein kurzes Wort. 06.03.2011 |
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