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Friedrich Ani
Versehrte Verse
Einmal im Wald, begegnete ich Adelheid Duvanel, sie ging sehr schnell, als flitzte sie ihrem Schatten davon, ihrem Gatten, ihrem Land. Und sie ritzte, während sie zwischen Bäumen verschwand und an Ästen Fetzen ihrer Träume wehten, versehrte Verse in den Wind. Zum Beten vielleicht fürs Kind, das ihren Schoß nie fand.
Michael Buselmeier Die 1936 in Basel geborene Poetin Adelheid Duvanel, an die das vorgestellte Gedicht erinnert, hat ihr Leben lang von nichts anderem als der Einsamkeit geschrieben. Die Frauen, Männer und Kinder, von denen sie erzählt, wohnen vorwiegend allein in lautlosen Räumen, sie treiben auf Eisschollen, und sie leiden am Dasein. Manche geraten in Wahnsinn und landen in der Psychiatrie. Alle wirken „versehrt“ oder „verstört“, sind Seelenkrüppel, Unglückswürmer, Säufer. Doch diese Beschädigten erweisen sich auch als starrköpfig und geben sich nicht leicht geschlagen. Im finsteren Wald singen sie, um sich Mut zu machen, laut: „Wir kommen aus dem Mohrenland und haben schwarze Ohren.“ Die vielen Prosastücke und wenigen Gedichte, die Adelheid Duvanel aufgezeichnet hat, sind von dunkler poetischer Kraft, doch zugleich auch „versehrt“ wie die Alltagsleute selbst, sie zerfallen in Teile, wobei tendenziell jeder Satz „einsam“ für sich steht, fremd neben seinen Mit-Sätzen: „Die schwarzen Lederhandschuhe lagen neben dem halbvollen Glas kreuzweise übereinander wie die Hände eines Menschen.“ Ein wenig erinnern Duvanels Miniaturen an die ihres Landsmannes Robert Walser, der freilich über eine Vielzahl von Formen und Masken verfügte, während sie nur einen einzigen, grandiosen (Kinder-)Ton anzuschlagen vermag, der das Schluchzen mühsam verbirgt. Friedrich Anis Gedicht erzählt von einer verstörenden Begegnung mit Adelheid Duvanel in einem geheimnisvollen (Märchen-)Wald: Sie hetzte oder „flitzte“ wie ein Gespenst auf der Flucht am Beobachter vorüber und „ritzte“ dabei ihre „versehrten / Verse in den Wind.“ Der Binnenreim „flitzte“ / „ritzte“ wirkt gefährlich zugespitzt, fast aggressiv, auch der dunkle Reim „Schatten“ / „Gatten“ verheißt nichts Gutes. (Weitere Reimketten wie „Land“ / „verschwand“ / „fand“ oder „Wind“ / „Kind“ strukturieren das eher kurze Gedicht.) Ob ein solches oder ähnliches Zusammentreffen wirklich stattfand, muss offen bleiben. Seltsamerweise spart Ani aber den tödlichen Höhepunkt einer möglichen Waldbegegnung aus, eine haarsträubende, kaum zu überbietende Groteske: Am 11. Juli 1996 ist Adelheid Duvanel in einem ihr vertrauten Wald bei Basel in einer „bitterkalten Sommernacht“, unter Schlafmitteln stehend, erfroren – ein halber Suizid, der in einigen ihrer Texte vorweggenommen wird. Auch die harte Schlusszeile von Friedrich Anis Gedicht, die von einem „Kind, das ihren Schoß nie fand“, spricht, sollte nicht unkommentiert stehen bleiben. Adelheid Duvanel ist, wie ihrem wohl kaum erfundenen Text „Meine Enkelin Blanca Adela“ (aus dem Erzählungsband „Der letzte Frühlingstag“, 1997) entnommen werden kann, mit einem Maler namens Joseph verheiratet gewesen, sie hatte eine in Spanien lebende Tochter, die ebenfalls Adelheid hieß, und eine Enkelin namens Blanca Adela, was auch soviel wie Adelheid bedeutet. Sie war also selbdritt vorhanden, war keineswegs unfruchtbar und nicht gänzlich „allein“, sondern in eine wie immer verfasste Familie emotional eingebunden, was die Selbsttötung in der Julinacht ziemlich erschwert haben dürfte. Friedrich Ani, von dem hin und wieder Gedichte im „Jahrbuch der Lyrik“ zu lesen sind, ist im Hauptberuf ein höchst erfolgreicher und vielfach preisgekrönter Autor von Kriminalromanen um einen Ermittler namens Tabor Süden. Er schreibt auch Drehbücher für Fernsehspiele und Serien wie „Tatort“, „Stahlnetz“ und „Rosa Roth“, wird sogar als „Simenon von München“ apostrophiert. Dass er daneben noch Kraft und Muße findet für eine so abseitige Tätigkeit wie das Schreiben von avancierten, dunkel gefärbten Gedichten, in denen es gerade nicht „zur Sache“ geht wie im Krimi, sondern um die kleinen, nebensächlichen Dinge und Töne am Wegrand, die kaum einer beachtet, um Rhythmus und Reim, ist bewundernswert. Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren und lebt heute als Schriftsteller und Drehbuchautor in München. Er schreibt neben Erzählungen, Kriminal- und Jugendromanen auch Gedichte. 2009 erschien im Zsolnay Verlag der Gedichtband „Mitschnitt“. Das vorgestellte Poem stammt aus dem „Jahrbuch der Lyrik“, DVA 2013. Wir danken für die Wiedergabe im Rahmen dieses Gedichtkommentars. Druckansicht
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