![]() |
![]() |
poeten | ![]() |
loslesen | ![]() |
gegenlesen | ![]() |
kritik | ![]() |
tendenz | ![]() |
news | ![]() |
links | ![]() |
info | ![]() |
verlag | ![]() |
poet | ![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Michael Donhauser
Lass rauschen Lied, lass rauschen
Und hörte leise rauschen, wie rauscht es durch das Korn, ich hörte wehen, sagen, es ist und ist verlorn Lass sinken, lass und rauschen, ich acht nicht, wie es geht, würd Wort und Sinn vertauschen, wo Veilchen wuchs und Klee Im Klee hab ich gegeben hingegeben, was vergeht was ich hörte rauschen, dem Herz, ihm tut es weh Es war als ein Erzittern, ich hörte es im Wald, und war dann ein Verzagen, und klagte, ging so bald Lass rauschen, lass das Klagen, es weiss nicht, wie mir wird, da all die Bächlein rauschen, da keines sich verirrt
Michael Buselmeier Dieses Gedicht ist ohne Kenntnis seiner (verschwiegenen) Vorlage, des Substrats, von dem es sich abhebt, nicht recht verständlich. Es ist zugleich ein Beleg für die andauernde Lebendigkeit der lyrischen Tradition, in unserem Fall der Sammlung Des Knaben Wunderhorn, in drei Bänden herausgegeben von Achim von Arnim und Clemens Brentano zwischen 1806 und 1808. Dort findet man, im zweiten Band, unter dem Titel Laß rauschen, Lieb, laß rauschen!, ein angeblich mündlich überliefertes Gedicht in fünf Strophen, deren erste so lautet: „Ich hört ein Sichlein rauschen, / Wohl rauschen durch das Korn, / Ich hört ein Mägdlein klagen, / Sie hätt ihr Lieb verlorn.“ Das Metrum des Volkslieds ist dreihebig jambisch, die Verse sind durch Kreuzreime verbunden. Das Gedicht erzählt in anrührendem Ton von einem Mädchen, das seine „Lieb“, also den Geliebten verloren hat, während das lyrische Ich sich bemüht, die Unglückliche ein wenig zu trösten. Das rauschende Sichlein wie das rauschende Bächlein deuten auf die Vergänglichkeit der Liebe und des Lebens hin. Wie rasch sind „Veilchen und Klee“ doch verblüht! Michael Donhauser hat in seiner Version das Titelwort „Lieb“ durch das verwirrend ähnlich klingende Wort „Lied“ ersetzt und auch sonst das Liebesmoment entschieden zurückgenommen. Kein „Sichlein“, erst recht kein liebestrunkenes „Hirschlein“ rauscht mehr durch den Wald, statt dessen wird ein „Wort und Sinn“ vertauschendes „Erzittern“ oder auch „Verzagen“ beschworen, das in der Brust des Hörers aufscheinen mag, wenn er im Freien der Melodie des Liedes lauscht. Dabei hat Donhauser, ein behutsamer Poet und später Romantiker, dessen häufig in der Landschaft angesiedelte Gedichte und Prosatexte ein feierliches Rauschen durchzieht, die Form des Volkslieds kaum verändert, sogar dessen Ton und die Reime hat er weitgehend erhalten. Nur hat ihn weniger das Inhaltliche interessiert (die Liebesvorstellung der Romantik, das Motiv der Einsamkeit oder der Zukunftsskepsis, ein idyllisch verklärtes Mittelalter); er sah den überlieferten Text wohl eher als eine Art „Sprachspeicher“ (Thomas Kling) an. Das Sprachmaterial des alten Wunderhorn-Lieds wird auf avanciertem Niveau reflektiert, spielerisch variiert, amalgamiert, ins Phantastische weitergetrieben und dadurch in seiner Aktualität bestätigt. Es changiert nun wieder vieldeutig, noch verstärkt durch die schroffen Zeilenbrüche, die den Reim und den dreihebigen Jambus verwischen und so das Aufkommen falscher Harmonie unterbinden sollen. Ähnlich willkürlich haben schon Arnim und Brentano – sehr zum Ärger von Johann Heinrich Voß und der Brüder Grimm – in die ihnen von allen Seiten zugesandten Volkslieder eingegriffen und sie ihrem ästhetischen Anspruch unterworfen. Michael Donhauser wurde 1956 in Vaduz / Liechtenstein geboren, er lebt in Maienfeld / Schweiz. Das vorgestellte Gedicht wurde der Anthologie Der Knabe singts im Wunderhorn. Romantik heute entnommen, die 2006 in Heidelberg erschien. 05.08.2011 |
![]() |
Gedichte, kommentiert
|
|
poetenladen | Blumenstraße 25 | 04155 Leipzig | Germany
|
virtueller raum für dichtung
|
![]() |