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Marion Poschmann
latenter Ort
hier hast du Schachteln für Pappeln, für Birken, Kastanien, Suchbilder waren es, hellblaue Wiesen, auch ich bin bestickt mit Bäumen, mit schleppenden Nachmittagen, gefühlter Temperatur, ich bin ihnen schuldig geblieben. hier, nimm. nimm noch mehr. nimm den Rest. aus: Grund zu Schafen © Frankfurter Verlagsanstalt
Michael Braun Vielleicht kann sich ein Gedicht nur dann entfalten, wenn etwas im Verborgenen bleibt. Es, das Gedicht, will ja nichts auf den Punkt bringen, durch begriffliche Umklammerung unverrückbar fixieren oder etwas im dröhnend Expliziten entblößen, sondern es will eine punktuelle Luzidität, es will eine Spur legen und die Büchse der Pandora öffnen, aus der dann alle Bedeutungen eines Wortes auffliegen können. Diese lyrische Verhaltenheit und Verborgenheit charakterisiert auch den „latenten Ort“ Marion Poschmanns. Die Naturphänomene sind an diesem verborgenen Ort nicht in ihrer sinnlichen Phänomenalität zu greifen, sondern sind in Ordnungssystemen sortiert, in „Schachteln“ deponiert. Vielleicht geht es um eine Welt im Kleinen, um endlose Nachmittage mit kostbarem Spielzeug. Wir werden jedenfalls durch eine dialogische Konstellation geführt: Ein Ich adressiert etwas an ein Du: nicht nur Schachteln oder Suchbilder, sondern auch Erfahrungen und Erinnerungen – und Zeit. Die Naturdinge werden hier in eine zeitliche Ferne gerückt, die etwas Märchenhaftes hat: Denn „hellblaue Wiesen“ sind in ihr angesiedelt, eher ein romantisches „Suchbild“ denn eine reale Wahrnehmung. Dem Ich, das hier seine ordnenden Kategorien („Schachteln“) an das Du weiterreicht, ist selbst eine eigentümliche Verwandlung durch ein Naturding und durch das Empfinden von Zeit widerfahren: „auch ich / bin bestickt mit Bäumen, / mit schleppenden Nachmittagen, gefühlter Temperatur“. Das Ich erscheint also handwerklich präpariert, kunstvoll zugerichtet mit dem Naturobjekt „Bäume“. In der Lyrik Marion Poschmanns werden die vertrauten Positionen von Subjekt und Objekt, die Verhältnisse zwischen Ich und Natur immer wieder ins Wanken gebracht – durch Vertauschungen und Anthropomorphisierungen. In ihrem Gedichtbuch „Grund zu Schafen“ (2004), das sie innerhalb der Lyrikszene bekannt machte, hat die Dichterin einen Typus des Naturgedichts entwickelt – eine Naturpoesie, die abrückt von der romantischen Idee einer unmittelbaren Korrespondenz zwischen Naturphänomen und Dichterwort und stattdessen das Sehen der Dinge selbst auslotet. Der „latente Ort“ ist nun offenbar in der der Erinnerung an eine Ferne angesiedelt, die der Gegenwart immer näher kommt. In der Vergangenheit aber liegt etwas Unabgegoltenes, etwas Uneingelöstes. Denn das Ich spricht ja von einer nicht eingelösten Verpflichtung, es erstellt den Befund, jemandem (einer Person? der Natur? bestimmten Naturobjekten?) etwas „schuldig geblieben“ zu sein. Um dann, in einer schönen Geste des Zuspruchs, in einer unmittelbaren Zuwendung an das Du, wird die Zuteilung von etwas versprochen – aber von was? Es ist der alte Ton der metaphysisch aufgeladenen Dichtung, mit dem hier eine nicht näher spezifizierte Verkündung ausgesprochen wird: „hier, nimm. / nimm noch mehr, nimm den Rest.“ Marion Poschmanns Dichtung ist eine hoch artifizielle Wahrnehmungskunst: Sie bevorzugt Bild-Kombinationen, die manchmal ins Alogische und Rätselhafte gehen, gleichwohl etwas Suggestives haben. Hier entsteht eine Dichtung „nach der Natur“, wie es eine Kapitelüberschrift in „Grund zu Schafen“ andeutet, eine Dichtung, die nicht mimetisch Natur abbilden will, sondern aus einer Perspektive des Posthumen geschrieben ist, aus der dichterischen Rückwendung auf das unwiderruflich Vergangene. Marion Poschmann, geboren 1969 in Essen, studierte Germanistik, Philosophie und Slawistik und lebt heute in Berlin. Das Gedicht latenter Ort ist dem Band Grund zu Schafen (Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2004) entnommen. Wir danken dem Verlag für die Genehmigung zur Wiedergabe. 20.01.2012 |
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