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Konstantin Ames
dreißig lenze zähl ich wheel, das stehet
in einer urkundä, ich libee worte mit zween e
drin, konsumier wegen dehmel teein nur mit feen, zween
am besten teens, gestern z. beispiel war eine vielle
drunter, die mehr zaehe war als zart, waere, fragt' ich
waere's meeglich, dass de sterben gehest
und in sechzehn, siebzehn jahren wiederkommst
sie legte mich im aussermoralischen sinne ueber's knee

waehrendessen musste ich von commander keen
erzaehlen oder hölderlin und linné zitieren

jetzt kann ich vierzehn tage nicht mehr siezen, mieze
catleen, mein reh, was soll ich tun?


  (zaehl tee! « 30.8.2009)


  Der gelbe Akrobat – Neue Folge 17

Michael Braun
Vershohnepipelung



„Das dreißigste Jahr“ ist nicht erst seit Ingeborg Bachmanns Erzählung aus dem Jahr 1961 traditionell das Schlüsseljahr im Leben eines Künstlers. Es fordert unab­weisbar auch von einem Dichter, der alles Konventionelle dekonstruiert, einen Akt der Selbst­verge­wis­serung. So versucht auch der syste­matisch an der Sabo­tage der herr­schenden Grammatik arbei­tende Sprach­anar­chismus des Wahl-Ber­liners Konstantin Ames die Posi­tionie­rung eines Künstler-Ich mit „dreißig lenzen“. Sein Gedicht-Ich ist bereit zu allerlei sprach­spiele­rischen Über­raschungs­aktionen, zu linguis­tischem Noma­dentum und anti­grammatischen Ketze­reien.
  In schöner Mimesis repetiert und parodiert Ames hier den Tonfall des Barock. Das vanitas-Thema wird auf­genommen, aber auch hedo­nistisch trans­formiert; die Vergäng­lich­keits-Topoi („waere's meeglich, dass de ster­ben gehest“) werden nur vor­der­grün­dig in das ver­gnüg­liche Sprach­spiel mit der Dop­pelung des Vokals „e“ aufgelöst. Das kann in Grenz­bereiche zu engli­schen Lau­tungen und Seman­tiken führen („wheel“, „teens“, „keen“), zu ironisch funkeln­den Wortverdrehungen, Sinn-Ver­schlei­fungen und Bedeu­tungs-Oszil­lationen zwischen dem Mittel­hoch­deut­schen, dem Sächsi­schen, dem Engli­schen und dem Hoch­deutschen. Altes und neues Voka­bular wird kräftig gemischt, in oft paradoxer, aber durch­weg ironi­scher Kom­bina­torik. Die sprach­experi­mentelle Haupt­sache dabei ist wohl, dass alles in Bewe­gung bleibt, dass die seman­tischen Fixie­rungen ins Wackeln geraten, dass der Vokal-Lieb­haber des Gedichts seine „e“-Dop­pelungen plat­zieren kann, ohne auf eine kurz­atmige Pointe zuzu­steuern.
  Konstantin Ames praktiziert eine zwischen Alltags­witz, Kalauer, hohem Ton und Sprach­reste­ver­wer­tung balancierende Wort­akrobatik, die ihren Sprach­stoff unab­läs­sig gramma­tischen Zer­reiß­proben unter­zieht. „Wir beobach­ten hier das Ver­fahren der Anrei­che­rung neben for­cierter Flapsig­keit; Frag­men­tie­rung neben Vers­hohne­pipelung (...) und harte Zäsuren und weite Sprünge neben den zarten Zoten.“ Diese poeto­logische Notiz des Autors markiert seine Passion für den letzten Buch­staben des Alpha­bets – für alle voka­bulären Phäno­mene zwischen „Zäsu­ren“ und „Zoten“. Im Selbst­porträt des Dichters mit „dreißig lenzen“ ist es eine Folge von laut­ähn­lichen, aber bedeu­tungs­dif­feren­ten „Z“-Wörtern: das Verb „zählen“, das in anderer Schreib­weise auch als „zaehl tee“ auf­taucht, wird flankiert vom Adjektiv „zaehe“. Durch die unab­lässige Ver­wand­lung und Über­schrei­bung des Wort­bestands mit dem Doppel-„e“ entsteht über­haupt ein schöner seman­tischer Ent­gren­zungs­effekt: Im Gedicht, so scheint es, reden plötz­lich mehrere Sprachen und Dialekte durch­ein­ander, ohne dass sich Hier­archien bilden lassen.
  Im Selbstporträt des Dreißigjährigen steckt auch das Liebes­gedicht eines Unter­werfungs­berei­ten, der sich von der Geliebten „übers knee“ hat legen lassen und daher ganz zweideutig „nicht mehr siezen“ kann. Dabei werden sehr unter­schied­liche Dich­tungs­konzepte herbei­zitiert: das Er­haben­heits­ton Hölderlins, die konventionellen Liebes­dichtungen des Richard Dehmel oder ein Computer­spiel, in dem der Held, „Commander Keen“, die Erde oder gleich den ganzen Welt­raum vor der Zer­störung bewahrt. Ames-Poesie – das ist in jeder Zeile ein poly­glottes Sprach­vergnügen.

Konstantin Ames, geboren 1979 in Völklingen/Saar, lebt in Berlin. Nach Studien der Buch­wissen­schaft, Philosophie und Lite­ratur­wissen­schaften absolvierte er ein Studium am Deut­schen Lite­ratur­institut Leipzig. 2010 erschien sein Debütbuch Alsohäute (rough­books). Das vor­liegende Gedicht ist Heft 31 der Zeitschrift Zwischen den Zeilen (Holderbank SO, 2010) ent­nommen.





Band 1
 
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03.05.2012



 

Gedichte, kommentiert
von Michael Braun und
Michael Buselmeier

    Konstantin Ames
Liste
Gefördert vom
Deutschen Literaturfonds



  102   Brigitte Oleschinski
    
wie die Wörter auftauen
  101   Franz Josef Czernin
    
dunkel ortlos, hergezogen
  100   Johann P. Tammen
    
Ein Poet nimmt Platz
  99   Joseph Kopf
    
Ich liebe Schritte, die ins Leere gehn
  98   Oleg Jurjew
    
Zum Andenken an den Kater Nero
  97   Sandra Burkhardt
    
Die Bahn einer Meeresschildkröte
  96   Ernst Blass
    
An Gladys
  95   Michael Buselmeier
    
Holzpuppe
  94   Heiner Müller
    
Traumwald
  93   Thomas Böhme
    
Neunundzwanzigster Februar
  92   Katrine von Hutten
    
Beschreibung
  91   Dieter M. Gräf
    
Nach Mattheuer
  90   Arnfrid Astel
    
Leda
  89   Michael Krüger
    
Im Winter
  88   Ralph Dutli
    
Salzzauber
  87   Christiane Heidrich
    
Today I am functional (1)
  86   Wulf Kirsten
    
die rückkehr der wölfe
  85   Maren Kames
    
Im Siel
  84   Gregor Laschen
    
Drüben, im ›Winkel von Hardt‹
  83   Christoph Wenzel
    
ländlich, der mundraum
  82   Werner Lutz
    
Ja, bin unterwegs
  81   Kenah Cusanit
    
Gottesgedicht, unberuhigt
  80   Sascha Kokot
    
sobald die Stadt ...
  79   Ror Wolf
    
Dritter unvollständiger Versuch
  78   Horst Bingel
    
Felsenmeer
  77   Tristan Marquardt
    
nachts, ich laufe nach hause
  76   Harald Gerlach
    
Gründe, linkselbisch
  75   Birgit Kreipe
    
schienen stillgelegt
  74   Hanns Cibulka
    
Böhmischer Rebstock
  73   Karin Fellner
    
Eine Zeitfalte weiter
  72   David Krause
    
Wolken
  71   Jürgen Nendza
    
An manchen Tagen
  70   Harry Oberländer
    
kurz vor der revolution
  69   Mara-Daria Cojocaru
    
Ich bin
  68   Hilde Domin
    
Antwort
  67   Elisabeth Borchers
    
Zukünftiges
  66   Günter Herburger
    
Großjean, der aus einem ...
  65   Georg Leß
    
Kondorlied
  64   Thomas Kling
    
Tessiner beinhaus. wandbild
  63   Rainer René Mueller
    
Da ist es
  62   Ernst S. Steffen
    
Man sagt
  61   Henning Ziebritzki
    
Elster
  60   Jürgen Brôcan
    
Fremde ohne Souvenir
  59   Carolin Callies
    
wackersteine im wams
  58   Friedrich Ani
    
Versehrte Verse
  57   Elke Erb
    
»Ursprüngliche Akkumulation«
  56   Uwe Kolbe
    
Heidelberg, den 14ten August
  55   Sonja vom Brocke
    
Kunde
  54   Sünje Lewejohann
    
krähen
  53   Jan Wagner
    
im brunnen
  52   Susanne Stephan
    
Frontier
  51   Silke Scheuermann
    
Uraniafalter
  50   Mirko Bonné
    
Der Zischelwind
  49   Judith Zander
    
fürs erste leb im später
  48   Andreas Rasp
    
diese steine hier
  47   Marcus Roloff
    
hl. grab, eingang wahlkapelle
  46   Clemens J. Setz
    
Motte
  45   Martina Weber
    
jetzt, da die letzten bilder verschwunden sind
  44   Paul Zech
    
Der Nebel fällt
  43   Klaus Merz
    
Expedition
  42   Christian Lehnert
    
Du bist die Aussicht  ...
  41   Àxel Sanjosé
    
Zum Abschied hell ...
  40   Ulrike Draesner
    
feld elternlos
  39   Ursula Krechel
    
Weiß wie
  38   Heinrich Detering
    
Kilchberg
  37   Hendrik Rost
    
Requiem
  36   Walle Sayer
    
Vom Flüchtigschönen
  35   Nico Bleutge
    
grauwacke
  34   Rolf Haufs
    
Kinderjuni
  33   Thomas Rosenlöcher
    
Die Hoffnungsstufen
  32   Jan Koneffke
    
Dem toten Kind in einer Oktobernacht
  31   Arne Rautenberg
    
drei amseln
  30   Oskar Loerke
    
Ans Meer
  29   Jean Krier
    
„Alles ist in den besten Anfängen“
  28   Werner Laubscher
    
Winterreise. Wintersprache
  27   Wolfgang Schlenker
    
stichwort minimieren
  26   Christoph Meckel
    
Kind
  25   Günter Grass
    
Die Vorzüge der Windhühner
  24   Jürgen Theobaldy
    
Blume mit Geruch
  23   Ann Cotten
    
Rosa Meinung
  22   Horst Samson
    
Edoms Nacht
  21   Christian Steinbacher
    
Belegte Brotzeit
  20   Bianca Döring
    
Allein
  19   Simone Kornappel
    
muxmäuschen
  18   Jörg Burkhard
    
in gauguins alten basketballschuhen
  17   Konstantin Ames
    
dreißig lenze
  16   Wilhelm Lehmann
    
Auf sommerlichem Friedhof
  15   Joachim Zünder
    
Die Finnische Bibliothek
  14   Kathrin Schmidt
    
waage, vorm wasser
verchromt, gestählt
  13   Marion Poschmann
    
latenter Ort
  12   Rainer Malkowski
    
Bist du das noch?
  11   Gerhard Falkner
    
die roten schuhe
  10   Wolfgang Hilbig
    
Pro domo et mundo
  9   Katharina Schultens
    
die möglichkeit einer verwechslung ...
  8   Michael Donhauser
     Lass rauschen Lied ...
  7   Ulrich Zieger
     an den vater von sem,
  6   Elisabeth Langgässer
     Erster Adventssonntag
  5   Levin Westermann
     wie ein fresko
  4   Dirk von Petersdorff
     Raucherecke
  3   Ulrich Koch
     Danke
  2   Steffen Popp
     Fenster zur Weltnacht
  1   Adolf Endler
     Dies Sirren
     
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