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Ulrike Draesner
feld elternlos
dass sie ihn schlügen – zwei adler dass er gecrosst gekreuzt dass sie ihn niemals wäre er gesund schlügen ohne makel dass sie ihn sich zog wer war sie da falknerin in einem traum: GESTELLT als jahre später das schwert sie blendete mit seinem augenfalkenlicht grünrot auf hagens fremdem knie gebrochen wohl war wer als sie da stickte einst die stelle ihm und nähte noch das zeichen auf so klein wie ihresseines kindes kopf das falkengleich nun beute macht kriechend im feld elternlos sich hasen mäusen nähert von ernährt dass sie wer wär sie da rollt ihren ungarkopf in ihrem letzten traum zu ihrem kind das in xantens hag mit der pump gun spielt
Michael Buselmeier Das um 1200 in Österreich aufgeschriebene „Nibelungenlied“ beginnt mit einem Symbol – Kriemhilds Falkentraum – und es endet mit einem archaischen Bild: Kriemhild schlägt dem gefesselten Hagen, der ihr soviel Schmerz zugefügt hat, mit Siegfrieds Zauberschwert Balmung den Kopf ab. Zu Anfang lebt die Königstochter behütet am Wormser Hof, träumend, sie zöge einen Falken auf, den ihr zwei Adler zerfleischten. Der Falke ist im Minnesang ein Symbol des Geliebten, und der Traum verweist auf künftiges Liebesleid. Im Verlauf des Epos ermorden dann auch die „adler“ Hagen und Gunther den „falken“ Siegfried, der an einem „makel“ krankt – an seiner schwachen Stelle zwischen den Schultern, wo einst ein Lindenblatt das Drachenblut von der Haut fernhielt. Von all dem berichtet Ulrike Draesners Gedicht „feld elternlos“ in hoch komprimierter und schroff verkürzter Form, die nach einer (auch mediävistischen) Kommentierung verlangt. Obwohl die Autorin einer avancierten Poetik verpflichtet ist, erhebt sie sich nicht über das 800 Jahre alte Heldenepos; sie nimmt es ganz und gar ernst. Ihr Gedicht setzt ein mit der Vorausdeutung des Falkentraums sowie der Einsicht, dass die falschen Freunde Siegfried „niemals“ erschlagen hätten, „wäre er gesund“ gewesen, also ohne das von Kriemhild seinem Gewand aufgestickte „zeichen“ („gecrosst gekreuzt“) zwischen den Schulterblättern vor Augen zu haben. „wer war sie da“ lautet die Frage: Ein sehr naives Mädchen, unter höfische Regeln „gestellt“, noch ohne besondere Eigenschaften, kaum Anflüge einer Identität. Mehr als dreißig Jahre später ist Kriemhild, nun mit dem mächtigen Hunnenkönig Etzel verheiratet, entschlossen, den mittelalterlichen Regelkodex zu durchbrechen und sich an ihren Wormser Verwandten zu rächen. Von einer Schar Bewaffneter umgeben, tritt sie (im vorliegenden Gedicht Vers 6-8) auf Hagen zu, der provozierend sitzen bleibt, sie sogar mit Siegfrieds Schwert, das auf seinem „knie“ liegt, „blendet“. Wenig später schlägt er Kriemhilds und Etzels Sohn, dem Prinzen Ortlieb, den „ungarkopf“ ab, der seiner Mutter in den Schoß „rollt“. Auch an Kriemhilds ersten Sohn Gunther, den sie mit Siegfried gezeugt hat, erinnert Draesners Gedicht, widmet ihm sogar die letzten acht von insgesamt achtzehn Versen. Kriemhild ließ den etwa Zehnjährigen, als sie und Siegfried der fatalen Einladung zum Fest nach Worms folgten, im niederländischen Xanten zurück. Wie sich aus Strophe 780 des „Nibelungenlieds“ ergibt, hat sie ihn nie wiedergesehen, er taucht im Epos jedenfalls nicht mehr auf, wird schlichtweg vergessen. Bei Draesner jedoch bewegt der Sohn sich „falkengleich“ und „elternlos“ im Feld und macht „mit der pump gun“ Jagd auf Hasen und Mäuse, von denen er sich „ernährt“ – ein krasses Bild der Verwahrlosung und Auslöschung des Heldengeschlechts der Burgunder. Ulrike Draesner variiert das Sprachmaterial des „Nibelungenlieds“, sie montiert es um, schneidet es hart zusammen, so dass Ereignisse und Personen oft nur schattenhaft wiedererkennbar sind. Doch ist die promovierte Mediävistin, wie auch ihr brillanter Essay über das „Nibelungenlied“ und dessen aus dem Ruder laufende Helden in der Zeitschrift „Volltext“ (Nr. 3, 2012) belegt, eine exzellente Kennerin des Werkes, die es versteht, zupackend, ja drastisch und ganz von heute aus über die verschütteten Bruchstücke deutscher Tradition zu sprechen. Ulrike Draesner wurde 1962 in München geboren. Sie studierte Jura, Anglistik, Germanistik und Philosophie. Heute lebt sie in Berlin. Zuletzt erschien der Essayband „Heimliche Helden“ (Luchterhand 2013) und ihr Roman „Sieben Sprünge vom Rand der Welt“ (Luchterhand 2014). Das vorgestellte Gedicht fand sich in der Zeitschrift „die horen“ (Nr. 252, 2013). 02.04.2014
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