![]() |
![]() |
poeten | ![]() |
loslesen | ![]() |
gegenlesen | ![]() |
kritik | ![]() |
tendenz | ![]() |
news | ![]() |
links | ![]() |
info | ![]() |
verlag | ![]() |
poet | ![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
|
Elke Erb
»Ursprüngliche Akkumulation«
Ameisenstaat: Unterbringung. People-Verkehr. Unds stiefelt. Verfrachtet. Nachtdunkle, nachtleere Arbeiterviertel. Abträglichkeit, schartig, in allem. Augen: Mary vom Lande weiß durch Jahrhunderte nicht, daß sie vom Land ist. Kein Auf-Bau, kein Über-. Das Heimchen die Geige. Wolke, wohin du gewolkt bist. Ein herrlicher Maitag – mir im Gemüte. Augen: Robin von der Plantage ist nicht mehr Unter- doch auch kein Einbau. Wies so geht macht sichs. Worte Architekturinfektion sieche Strukturelemente. Zivilisation blank – das »Wesen des Gartens«. Die Absicht, den Moloch zu modeln (Problemannahme und –knete) verloren. Disteln geköpft.
Michael Braun „In zwanzig Jahren“, so notierte Elke Erb am 17. Oktober 1995, „werde ich altgeworden sein, oder? Nämlich gebrechlich / geschwächt, habe mehr als gelegentlich dann, / ja gewissermaßen systematisch / Ausfälle des Gedächtnisses, des Wahrnehmens.“ An ihr antizipierendes Bulletin hat sich die schreibbesessene Dichterin nicht gehalten, denn auch heute noch, mit 76 Jahren, beeindruckt sie mit einer großen poetischen Präsenz. Auf die Drohungen der Biologie antwortet sie mit der Produktion neuer Gedichte und immer weiter verfeinerten Reflexionen zum Hand- und Kopfwerk des Schreibens. In ihren „Poetologischen Bemerkungen“, die sie kürzlich in der „Neuen Rundschau“ (H. 1/2015) veröffentlichte, hat Erb ihre Poetik des prozessualen Schreibens, die auf der Vorläufigkeit der Textgestalt, auf Offenheit und Revidierbarkeit der Form beharrt, noch einmal bekräftigt: „Mir wurde klar, dass die lineare Schreibweise den realen Zusammenhang im Bewusstsein nicht wiedergibt.“ Statt einer Pseudo-Kohärenz favorisiert Elke Erb lieber das Sprechen eines „unterschwelligen Ich“: „Es spricht sozusagen von selbst, automatisch, und es gilt, es bringt Sichten ein, von denen du nichts ahntest.“ Es ist eine Poesie, die auf „freigesetzte Intelligenz“ und auf „Energiesteigerung“ zielt. In unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem Text „In zwanzig Jahren. ..“, der die Erwartung des Alterns formuliert, entstand damals, im November 1995, das Gedicht „Ursprüngliche Akkumulation“, das dann in den Band „Mensch sein, nicht“ (1998) aufgenommen wurde. Mein Kommentar dazu erschien 1997 oder 1998 in der Wochenzeitung „Freitag“, ist aber danach verlorengegangen und seither verschollen. Das erscheint mir als hinreichender Grund, nach siebzehn Jahren das Gedicht noch einmal genauer zu betrachten und den Kommentar zu rekonstruieren. Und wie damals ist es der marxistische Topos von der „ursprünglichen Akkumulation“, der zuerst meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. „Die ursprüngliche Akkumulation“, heißt es im „Kapital“, spielt in der politischen Ökonomie ungefähr dieselbe Rolle wie der Sündenfall in der Theologie.“ Bei Elke Erb wird der Schlüsselbegriff von Marx als Zitat aufgerufen und dann folgt eine assoziative Verschränkung von Wörtern und Bildern, wobei die Geschichte des Kapitalismus aufgerufen und mit unterschiedlichsten Sprachgesten verbunden wird. Es dominieren dabei Substantive mit dem Vokal „A“. So entsteht auch phonetisch eine „Akkumulation“ von semantisch vieldeutigen Wörtern, die von „Ameisenstaat“ und den „Arbeitervierteln“ über „Abträglichkeit“ hin zu „Augen“, „Auf-Bau“, „Architekturinfektion“ und „Absicht“ führt. Die kleine Kulturgeschichte des Kapitalismus, die hier in den lose verbundenen Substantiven gebündelt erscheint, wird konterkariert durch gegenläufige poetische Tonlagen, etwa der romantisierenden Zeile „Ein herrlicher Maitag – mir im Gemüte“. Motive einer agrarischen und ländlichen Welt prallen mit Topoi des Frühkapitalismus zusammen. Das „Heimchen“, die Grille, der herrliche Maitag – all die Ingredienzen einer Idylle kollidieren mit der kapitalistisch strukturierten „Zivilisation blank“. Die überschaubare Ordnung des Landlebens, verkörpert in der Figuration „Mary vom Lande“, trifft auf die assoziativ herbeizitierte Welt der Sklavenarbeit in den Plantagen („Robin von der Plantage“). Der „Moloch“ der kapitalistischen Produktionsweise – er ist nicht domestizierbar. So endet das Gedicht auch mit einem Gewaltakt, der die Naturidyllik eskamotiert: „Disteln geköpft.“ Elke Erb hat einen durch und durch assoziativ strukturierten Text geschrieben, in dem durch die offene Kombinatorik der fragmentarisch bleibenden Gedichtelemente eine große poetische Reibungshitze erzeugt wird. Aus: Der gelbe Akrobat, Band 3 Elke Erb, geboren 1938 in Scherbach/Eifel, aufgewachsen in Halle an der Saale, lebt in Berlin. Sie veröffentlicht Lyrik, Prosa, prozessuale Texte, Übersetzungen und Nachdichtungen. Sie wurde u.a. mit dem Peter-Huchel-Preis (1988) und dem Ernst-Jandl-Preis (2013) ausgezeichnet. Zuletzt erschien „Sonnenklar“ (Engeler Verlag, 2015) ein Auswahlband mit Gedichten aus viereinhalb Jahrzehnten. Das vorliegende Gedicht ist dem Band „Mensch sein, nicht“ (Urs Engeler Editor, Basel(Weil am Rhein 1998) entnommen. Druckansicht
|
![]() |
Gedichte, kommentiert
|
|
poetenladen | Blumenstraße 25 | 04155 Leipzig | Germany
|
virtueller raum für dichtung
|
![]() |