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Ralph Dutli
Salzzauber
als seine Kerze erlosch schrieb ein portugiesischer Dichter sein Gedicht im Licht der Augen seiner Katze weiter ein liebliches und feines Licht (aber manche glauben's nicht!) salze die Kerze! salze die Katze! dann stehst du hundert Jahr im Licht!
Michael Buselmeier Das weiße Salz, das vielfach für Reinheit und Göttlichkeit steht, spielt in magischen Ritualen eine besondere Rolle. In der Formel „Brot und Salz“ verbinden sich konservierende und kraftspendende Stoffe. Sie dienen zugleich als leuchtende Abwehrmittel gegen das allgegenwärtige Dunkel, den Zauber des Bösen in der Welt. Kelten und Germanen etwa sollten durch sie vor Drachen und Hexen geschützt werden. Als Stefan George im Sommer 1909 zum ersten Mal das Stift Neuburg bei Heidelberg betrat, wo es angeblich spukte, bot ihm die Hausherrin Adelheid von Bernus auf der Schwelle auf einem Tablett Brot und Salz zur Begrüßung an. George, ganz Herr der Lage, tauchte das Brot in das Salz und führte es zum Mund – auch eine Art „Salzzauber“. Auch Christus vergleicht im Neuen Testament (Matthäus 5, Vers 13 bis 16) seine Jünger und Anhänger mit dem damals enorm wertvollen Mineral, wenn er predigt: „Ihr seid das Salz der Erde“, seid also in Gottes Aufrag in ihr wirksam, und im analogen Vergleich fortfährt: „Ihr seid das Licht der Welt. Also lasst euer Licht leuchten vor den Menschen.“ All dies (und noch viel mehr) scheint mir in dem hier vorgestellten Gedicht Ralph Dutlis auffindbar, selbst wenn es der strengen Sprache der Bibel und Georges Vers- und Reimkunst stilistisch eher fernsteht. Zumindest dürften dem hoch gebildeten und weltläufigen Dichter die mythischen Bezüge zwischen Salz und Licht vertraut gewesen sein, als er sich anschickte, einen größeren Salz-Zyklus zu schreiben. Eine Auswahl von dreizehn Gedichten wurde 2007 in Thomas Strässles Buch „Salz. Das weiße Gold“ aufgenommen, darunter auch das vorgestellte kleine Poem. „Poeten sind Salzsieder / sie brauchen nichts / als das üppige Holz der Phantasie“, heißt es in einem anderen Text aus Dutlis Zyklus. Dies ist unverkennbar seine Art, von mythologischen Dingen zu sprechen: souverän und locker, mit verspieltem Witz und mit Eleganz, als könnte man nur so noch über sie reden. „Salzzauber“ ist ein poetologisches Gedicht, von charmanter Leichtigkeit und Selbstironie geprägt und mit ein paar flüchtigen Reimwörtern, die sich wiederholen, durchsetzt (Licht / nicht / Gedicht). Der erwähnte portugiesische Dichter, von dem es so berückend heißt, er habe, als die Kerze erlosch, „sein Gedicht im Licht / der Augen seiner Katze“ weiter geschrieben, könnte Luís de Camoes gewesen sein, ein Abenteurer, der im 16. Jahrhundert zur Zeit der Renaissance lebte und als einer der größten Poeten in portugiesischer Sprache gilt, vor allem durch sein Epos „Die Lusiaden“. Von wem auch immer die Legende vom „lieblichen und feinen Licht“ aus Katzenaugen ursprünglich stammt, sie zeugt auf jeden Fall von der magischen Kraft der Poesie und ihren geheimen Lichtquellen. Ähnlich hat der mythische Weinberg dem Dichter Dutli einst seine Bilder und Verse eigenhändig ins Notizbuch gekritzelt: „der Weinberg dichtet / im Schlaf zu Pferd / seine scheue / Beduinenpoesie.“ „salze die Kerze! salze die Katze!“ – klingt das nicht wie ein kindlicher Zauberspruch aus Grimms Märchenbuch, der dir und deinem Gedicht ein hundert Jahre währendes Fortleben im Licht einer weltweiten Öffentlichkeit verspricht?
Ralph Dutli wurde 1954 in Schaffhausen in der Schweiz geboren. Der Lyriker, Romancier, Essayist, Biograph und Übersetzer (vor allem Ossip Mandelstams) lebte von 1982 bis 1994 in Paris, seither als freier Autor in Heidelberg. Gedichtbände: „Notizbuch der Grabsprüche“ (2002) und „Novalis im Weinberg“ (2005). Das vorgestellte Gedicht entstammt Thomas Strässles Band „Salz. Das weiße Gold“, München 2007. Druckansicht
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