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Steffen Popp
Fenster zur Weltnacht
Eine Straßenbahn schläft vor dem Haus – gelb mit gefaltetem Bügel, im Standlicht eingerollt im Bug des Triebwagens träumen zwei Schaffner kopflos, unter den Schilden ihrer Pappmützen einer bewegt sich steigt aus, ein schwacher Glutpunkt, und atmet Rauch, mit dem Rücken zum Führerhaus lange schaut er herauf, durch die orange Beleuchtung – blind wie Homer, in schwarzen Schuhen mit Stahlkappen unter dem Giebel des Uranus.
Michael Buselmeier Eine nächtliche Szenerie, eng und alltagsnah, durch eine Laterne „orange“ erleuchtet, müd und nicht ohne Wärme, tut sich da auf: Eine „gelbe“ Straßenbahn (gelb gilt als Lieblingsfarbe des Dichters), die „mit gefaltetem Bügel“, im „Standlicht“, zu „schlafen“ scheint. Endstation. Im Triebwagen „träumen“ zwei gesichtslose Schaffner, einer von ihnen steigt aus, um eine Zigarette zu rauchen, und schaut lange „herauf“. Wohin schaut er? Etwa in Richtung des Beobachters, der hinter einem Fenster des Hauses, für den Schaffner kaum sichtbar, zu vermuten ist? Oder schaut er „blind“ in die schwarze „Weltnacht“ herauf? Jedenfalls wird aus der heimlichen Szene erst mit der letzten Strophe – und in Verbindung mit dem Titel des Gedichts – eine unheimliche. Mit dem blinden Homer tritt plötzlich klirrend, mit stahlbewehrten Schuhen, der Mythos in das Alltagsgeschehen, wobei Kälte und Finsternis des umgreifenden Weltraums einströmen. Nicht nur der Schaffner, auch der Beobachter an seinem Fensterplatz nimmt die Veränderung wahr. Der Planet Uranus, der nur unter günstigen Bedingungen mit freiem Auge sichtbar ist, bildet einen „Giebel“, einen schwachen Orientierungspunkt im unendlichen Kosmos. Warum gerade Uranus und nicht der für die Melancholie der Dichter eigentlich zuständige Saturn? Steht Uranus, der älteste Himmelsfürst, hier stellvertretend für das Erhaben-Unbegreifliche? Steffen Popp hat die auf den ersten Blick harmlos erscheinende Szenerie rhythmisch fließend, mit präzisen, poetisch ungewohnten Bildern entfaltet und versteht es meisterlich, den hell-dunkel-Kontrast, den Wechsel von Nähe und Ferne zu gestalten, bis zum jähen Hereinbrechen der „Weltnacht“, vor der alles Leben zu nichts wird. Denn da ist kein Sinn und keine Transzendenz im Weltraum, nur existentielle Leere und Kälte, ähnlich wie in Sartres Der Teufel und der liebe Gott, wo der ernüchterte Held am Ende erkennt: „Ich werde allein sein mit dem leeren Himmel über mir, da ich nur so mit allen sein kann.“ Vergleichbar tiefe, verwunschene Nachtbilder finden sich auch in anderen Gedichten Popps. In der Elegie für K. etwa erinnert das lyrische Ich in großer Ferne einen „Stausee / in dem geflutete Dörfer nachts leuchten“ – eine Schreckensvision, die frösteln macht wie Hölderlins im Winde klirrende Fahnen oder der grausige Ton mancher Volkslieder. Könnte nicht auch unser Fenster zur Weltnacht auf dem Grund eines Sees, an einem Ort „hinter dem Strom“, in einer Traum- und Totenwelt spielen? Der 1978 in Greifswald geborene Autor hat Literatur und Philosophie in Dresden, Leipzig und Berlin studiert. Als hoch qualifizierter Geistesarbeiter weiß er mit leichter Hand ästhetische Tradition und Alltagsnotiz, hohen Ton und romantische Reflexion zu verknüpfen und alle sprachlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Das Erhabene mit dem Trivialen zu konfrontieren, ist als poetisches Verfahren nicht unüblich, doch Popp tut es auf eine eigene, inspirierte Weise. Gelegentlich findet er auch neue Wortverbindungen, die den Leser irritieren, ähnlich wie es die Prägungen der Surrealisten taten: „Müd ist mein Auge, müd müd / wie Alpen.“ Steffen Popp wurde 1978 in Greifswald geboren und lebt in Berlin. Das vorgestellte Gedicht ist dem Band Wie Alpen (kookbooks, Berlin/Idstein, 2004) entnommen. 10.02.2011 |
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