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Horst Samson
Edoms Nacht
(Je t'apporte l'enfant… Stephane Mallarmé) Die Spitze des Zirkels Im Tod. Du ahnst den Kreis, Die Geologie des Verrats Bis in die Nerven Zellen. Im Lichtkegel flattert Das Herz. Schweigen tropft aus Dem Lande, Und Blut. Was noch Brennt in der Nacht Ist flackernder Mohn, Was noch blieb von Edom Sind Silben im Hirn Und Folterblumen, Die wuchern ohne Lärm.
Michael Buselmeier „Unter der fleckigen Sonne / Der Baragansteppe / Wurde ich geboren, / Neben einer Distel / Oder an einem anderen Tag.“ So beginnt eines der stärksten Gedichte des 1954 zur Welt gekommenen Lyrikers Horst Samson, dessen Eltern zusammen mit rund 13.000 Familien aus dem Banat 1951 zur Zwangsarbeit in die Baragansteppe verschleppt worden waren. Erst fünf Jahre später durften sie wieder in ihre Dörfer zurückkehren. Samson studierte in Hermannstadt, wurde Lehrer, später Journalist und Redakteur der Neuen Banater Zeitung in Temeswar und der Zeitschrift Neue Literatur in Bukarest. Vom rumänischen Geheimdienst massiv bedroht, emigrierte er 1987 in die Bundesrepublik, wurde hier jedoch, anders als seine ebenfalls ausgewanderten Kommilitonen (darunter Rolf Bossert, Richard Wagner, Franz Hodjak, Werner Söllner, von Herta Müller ganz abgesehen), als Dichter nicht angemessen wahrgenommen. Noch im Rückblick ist die literarische Produktivität dieser Bauernkinder, die in einer deutschsprachigen Enklave in der rumänischen Provinz aufwuchsen, zusammen Germanistik studierten und unter repressiven Bedingungen zu schreiben anfingen, nur schwer erklärbar. In Rumänien hat Samson immerhin vier Bände mit alltagsnahen Gedichten veröffentlicht, in denen gelegentlich auch (von der Zensur übersehene?) Anspielungen auf die politische Misere, die „angst“ und „die verwüstung in den köpfen“ auftauchen. Längst im Westen angekommen, erschien 1994 Samsons bislang bester, jedoch wenig beachteter Band Was noch blieb von Edom, mit kurzen, kunstreich verknappten Texten, die der Lektüre Paul Celans manches verdanken. Härte der Fügungen und Schroffheit der Zeilenbrüche erinnern auch an Gedichte Rolf Bosserts, der sich, kaum in Frankfurt eingetroffen, selbst tötete. „Vielleicht hätt man uns / Besser aufgehängt, / Aber es gibt uns noch.“ Vermutlich sind diese oft sehr bitteren Verse, jedenfalls teilweise, noch in Rumänien entstanden, den Grenzbahnhof von Curtici und damit die Ausreise nach Deutschland erträumend. Auch im Titel des vorgestellten Sonetts kommt das Wort „Edom“ vor, das mich zunächst an den Garten Eden denken ließ. Samson benutzt den Begriff, im Anklang an das Reich der Edomiter, die seit der Eisenzeit in der Jordansenke siedelten, im Sinn von Staat oder Vater-Land, in dem eine (rote) Diktatur wütet (Edom bedeutet auch „rot“), die die Einwohner verfolgt und in die Nacht der Fremde vertreibt. Doch Edom ist zugleich etwas, das der Vertriebene als innere Heimat für immer mit sich trägt. In Edoms Nacht geht es, in schroff geschnittenen Zeilen und Strophen, um schmerzhaft verdichtete Erfahrungen. Eine Wortkette verläuft über „Nacht“, „Tod“, „Verrat“, „Schweigen“, „Blut“ und „Mohn“ zu den „Folterblumen“, wobei sich ein Bild im anderen spiegelt, zum Beispiel das tropfende „Blut“ im „flackernden Mohn“, der wiederum in der kühnen Metapher der „Folterblumen“ aufscheint. Zwar ist der Untergang der Deutschen in Siebenbürgen und im Banat unumkehrbar, doch überlebt die Liebe zum Herkunftsland zumindest in der anderen Sprache der Poesie, in den „Silben im Hirn“. In dem Sinn ist wohl auch das Motto von Mallarmé („Ich bring dir das Kind“) zu verstehen: Ich bring dir all das, was ich aus „Edoms Nacht“ mit mir trage, also gerettet habe. Horst Samson wurde 1954 in Salcimi in Rumänien geboren, emigrierte 1987 nach Heidelberg und lebt heute als Redakteur in Neuberg bei Frankfurt am Main. Das vorgestellte Gedicht entstammt Samsons Sammelband Und wenn du willst, vergiss, der 2010 im Pop Verlag in Ludwigsburg erschien. 03.09.2012 |
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