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Ann Cotten
Rosa Meinung
In des Landgerichtes Fotze geh ich als ein blasser Traum, Frau ist alles, was ich kotze, lauter Wahrheit dieser Raum. Dass man mir mein Schwärmen nähme denk ich, aber glaub es kaum: Dieser Prunk im schmalen Schoße ist der Trödelväter Schaum. Wenn ich nur die Arme breite, ächzt er wie ein Eichenbaum, kracht in brüchig tausend Scheite, schäumt, dass ich, Blitz, ihn ableite. Brenn zu Asche, mich zu wärmen! (Denn ich will von Deutschland lernen.)
Michael Braun Dieser Text provoziert zunächst durch seine Drastik. Die rohe Benennung des weiblichen Geschlechtsorgans gleich in der ersten Zeile scheint eine pornografische Pointe vorzubereiten. Die Anrufung des Geschlechts wird aber appliziert auf eine Institution des Rechts. Bei dieser kalkulierten Irritation bleibt es nicht. Romantik und Vulgarität, lyrische Feierlichkeit und harte Zote stoßen in der ersten Strophe mehrfach zusammen. Auf die paradox erscheinende Kombination der „Fotze“ mit dem „Landgericht“ folgt zunächst ein fast begütigend- Diese schroffen Tonwechsel passen zu einer Autorin, die nichts so sehr liebt wie die ästhetische Attacke, den Überraschungsangriff auf die literarische Konvention. „Sprache und Überfall“, hat die Ann Cotten ein Kapitel aus dem kollektiv verfassten Poetik-Buch „Helm aus Phlox“ (2011) überschrieben. In dieser Reflexion auf das Verhältnis von Sprache und Gewalt ist auch ein Konzept ästhetischer Unberechenbarkeit eingeschrieben, das bewusst die Außerkraftsetzung der konventionellen Sprachordnungen anstrebt. Cotten verfolgt einen sprachmaterialistischen Ansatz, der im Zweifelsfall die auf Kohärenz gebaute, irritationsfrei dahinfließende Sprache dereguliert oder gleich blockiert: „Ein gutes Buch blockiert also den Literaturbetrieb.“ Was für die literarische Praxis bedeutet: Die tradierten Sprechweisen und metaphorischen Repertoires der Dichtkunst sollen in ästhetisch widerborstigen, in antigrammatischen und travestierenden Verfahren auf ihre Haltbarkeit geprüft werden. Das Gedicht „Rosa Meinung“ entstand nach einem Besuch der Autorin im Jugendstil-Bau des Landgerichtes Berlin, dessen Eingangshalle durch zwei im Aufbau identische Treppen beherrscht wird. Die Treppen mit ihren üppigen Ornamenten, auffälligen floralen Mustern und schmiedeeisernen Geländern scheinen sich wie Wasserfälle in die Halle zu ergießen. Eine Fotografie von Alexander Paul Englert zeigt Ann Cotten, wie sie sich lässig in diesem Jugendstil- Ann Cotten, geboren 1982 in Ames/Iowa (USA), lebt in Berlin. 2006 promovierte sie mit einer Arbeit über „die Listen der konkreten Poesie“. 2010 erschien ihr Band „Florida-Räume“ (Suhrkamp Verlag). Das Gedicht „Rosa Meinung“ ist dem Foto-Band „Momentum – Dichter in Szenen“ (Wienand Verlag) von Alexander Paul Englert entnommen, den Jutta Kaußen mit einem kundigen Nachwort versehen hat. Zarathustrischer Kniestil
* Kommentar von Ann Cotten Zunächst hat die Interpretation von Michael Braun bei mir feuerzüngelnde Indignanz hervorgerufen, erst bei der dritten Lektüre habe ich mich an die durchaus sanften und subtilen Töne herangehört, die die Interpretation aussendet, sofern nur die Wasser des akademischen Kanals die Barke tragen. „Auf Haltbarkeit geprüft“ – „Kalkulierte Provokation“ – Es sind Phrasen, die mich beim ersten Lesen vor Wut schnauben lassen, aber mit dem selben Wohlwollen gelesen, den ich von einer Lektüre will, können sie auch duften: der Verfasser meint etwas damit. Er will nicht bloß genügen. Das darf ich nie vergessen. Das meine ich mit von Deutschland lernen: wie man gewisse Herbheiten in eine ruhige Ecke bringt, um ihren süßen Duft wahrzunehmen. Kann sein, dass ich dafür Japan brauche. Die eine Referenz, die eigentlich ins Auge knallen müsste, hat der Interpret gewiss verschwiegen, um seine Leser nicht mit redundanten Hinweisen vor den Kopf zu stoßen, es sei dennoch hier, aus Liebhaberei, erwähnt, Nietzsches „Ecce Homo“ steht natürlich mit riesengroßem Schatten hinter diesem Gedicht. Nämlich nicht nur durch richtiggehende Satzschablonen, sondern massiv auch durch das Metrum, die weiblichen Vierheber: „Licht wird alles, was ich fasse, Kohle alles, was ich lasse, Flamme bin ich sicherlich!“ Hier spricht das Ich schlechthin. Wenn man das Gedicht feministisch lesen möchte (ist der Feminismus nicht notwendig unorthodox, wenn er nicht belämmert sein will? // Ach, gilt das nicht für das Leben generell?) könnte man meinen, ich lasse das Ich schlechthin diesmal in nichtphallischen Bildern sprechen, wobei das für mich bloß bedeutet, ein übertreibendes Phalluserkennprogramm in der Hierarchie herabzustufen. Denn ein Blitz in einer hohlen Welt, ist das nun Klitoris oder Schwanz? Man weiß es nicht. Im Gericht steckt das Ich natürlich sprachlich immer drin, bildlich gesehen mag es naheliegen, den Schwanz mehr mit dem Knüppel, das Gericht mit der Vagina zu identifizieren, jedoch würde ich mich entschieden weigern, mich mit dem Gericht zu identifizieren, bin im Gericht ungerecht bis zum Verbrechen und jedenfalls unbefugt, also, wenn man so will, gehe ich darin als ungerecht, willkürlich flammender Kitzler. Bleibt noch auf die beiden in der Architektur integrierten Öfen hinzuweisen, die vermutlich zur Beheizung dieser riesigen Halle vorgesehen sind, obwohl ich nicht wüsste, ob sie jemals in Betrieb genommen worden sind. Wichtig erscheint mir auf den Ernst des Schlusses zu pochen, der nicht als Hohn gemeint ist. Wenn man mir das sagt, dass es wie Hohn erscheint, kann ich es nur als Vorwurf lesen: dass ich mich so aufgeführt habe, dass man mir meine aufrichtigen Regungen nicht mehr abnimmt. Die letzten zwei Zeilen drücken aber von meiner Seite ein zärtliches, wenn auch brutales, jedenfalls ernstgemeintes Verhältnis zu den älteren Generationen, ihren Gerichten, ihrem Logos, ihren Öfen und Symbolen aus. Ann Cotten 08.11.2012 |
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