poetenladen    poet    web

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und
Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Andreas Rasp
diese steine hier

schon mochten sie glauben es sei alles vorbei
die menschen und ihr werk ein mövenschrei
da hob ich sie auf die sehenswerten
und tröstete sie: jetzt seid ihr gefährten


  Der gelbe Akrobat – Neue Folge 48

Michael Buselmeier
Hauptsächlich über die Steine



Der Dichter Andreas Rasp hat fast sein ganzes Leben über geschrie­ben – auto­bio­graphi­sche Erzäh­lungen, Gedichte, ge­reimte Vier­zeiler, Über­set­zungen vor allem aus dem Engli­schen, darunter rund 400 Poeme von Emily Dickin­son –, aber er hat selbst nur sehr wenig, fast gar nichts publi­ziert. Er schreibe nur für seine Freun­de und für sich, um zu über­leben, hat Rasp gelegent­lich beteuert. In seiner selbst­gewähl­ten Ein­sam­keit unter­halte er sich mit dem Papier, widme den Freun­den hand­geschrie­bene Verse. Der Gedanke, einen Verlag anzu­schreiben, sei ihm nie in den Sinn gekom­men. Auf diese Weise hat er sich auch, nicht frei von Hoch­mut, dem schnöden Be­trieb, der Konkur­renz unter Auto­ren und dem freien poeti­schen Wett­bewerb weit­gehend ent­zogen.
  Als Sohn des bekannten Schau­spielers Fritz Rasp und Halbbruder der Schrift­stellerin Renate Rasp wuchs der Dichter­jüng­ling in Berlin auf, musste jedoch 1937 mit sechzehn Jahren als Halbjude Deutsch­land Richtung England verlassen, wodurch er für Jahre die geliebte Mutter­sprache verlor. Sein Überleben in London gestaltete sich trotz mate­riel­ler Hilfe der Quäker und einer Freund­schaft mit dem George-Jünger Ernst Gundolf schwie­rig. 1952 konnte er endlich in die Heimat zu­rück­keh­ren, zunächst als Englisch­lehrer auf das Land­erziehungs­heim Marienau, dann nach Heidel­berg, wo er sess­haft wurde und fast dreißig Jahre am Engli­schen Ins­titut Eng­lisch und Latein unter­rich­tete
  Hier lernte er auch den Dichter Arnfrid Astel kennen, der ihn an der Redaktion seiner Zeit­schrift „Lyrische Hefte“ beteiligte, woraus eine inten­sive Freund­schaft ent­stand. Unter dem Pseudo­nym Andreas Baum­gärtner ver­öffent­lichte er eigene Gedichte und Über­set­zungen, damals vor allem solche von Dylan Thomas, mit denen er ein regional begrenz­tes Auf­sehen erregte. Rasp begann zu zeichnen und zu malen, und es ent­stan­den einige vorzüg­liche Gedichte mit Heidel­berg-Bezug.
  Um 1970 fand er eine neue Leidenschaft in der Beschäftigung mit Urge­schichte, vor allem mit ur­geschicht­licher Plastik, und er sammelte am Ost­see­strand Kiesel­steine in Fisch­ge­stalt oder Vogel­form, die er für Arte­fakte ansah. Dabei vertrat er unbe­irrt die häreti­sche These, unsere Vor­fahren stamm­ten aus dem Ostseeraum, nicht aus Afrika, was bei Paläon­tolo­gen ebenso wenig Beachtung fand wie die Ansicht, die Anfänge der Kunst lägen in der Steinplastik und nicht in der Malerei – für Rasp herbe Nieder­lagen.
  Der vorlie­gende Vierzeiler geht davon aus, dass Steine eine durc­haus bele­bende und in­spi­rie­rende Kraft aus­üben können, sie sind jedenfalls alles andere als tot. Auch Texte von „Stein­denkern“ wie Gregor Laschen und Christian En­zens­berger bele­gen das. Man kann sich am Feld­weg zu ihnen hin­hocken und medi­tieren, man kann sie an­sprechen, viel­leicht sogar mit ihnen reden, wie es Christian En­zens­ber­gers selt­same Dia­loge „Haupt­säch­lich über die Steine“ nahelegen – ein mysti­scher Text, der 2001 in mehreren Folgen der Zeit­schrift „Akzente“ erschien, bevor er postum als Buch in der Anderen Bibliothek herauskam.
  Auch Rasp spricht demon­strativ von „diesen steinen hier“, ganz beson­deren Kie­seln, die sich plötzlich, gleich­sam auf einen „möven­schrei“ hin, mitten im allge­meinen Unter­gang als „se­hens­wert“ und auf­hebens­würdig erweisen, als Lebe­wesen, die zwar ver­mut­lich nicht geret­tet, aber vom sie auf­hebenden Ich zu­mindest „ge­tröstet“ und zu „gefährten“ gemacht werden. Und wenn man es nur gesche­hen lässt, reden, ähnlich wie im Märchen, bald alle Natur­wesen zu uns.
  In Rasps um­fang­reicher Sammlung von Vierzeilern („Besuch bei Dschuang Dsi“, 2012), die Dagmar Hein­emann noch kurz vor seinem Tod heraus­gegeben hat, gibt es manche solcher anrüh­renden Strophen, mysti­sche Wen­dungen, die auf Wider­sprüchen fußen, von Reim, Metrum und Rhyth­mus getragen, bedächtig, natur­fromm, manch­mal sogar von fern an Stefan George erin­nernd, dem Andreas Rasp zeit­weise anhing.

Andreas Rasp, geboren 1921 in Berlin, starb 2013 in Dossen­heim. Sein 368 Seiten umfassender Band „Besuch bei Dschuang Dsi“ ist – wie weitere Werke – über Dagmar Heinem­ann (Nadlerstraße 1, 68526 Ladenburg) zu beziehen.



Band 1
 
  Band 3  
M. Braun & M. Buselmeier
Der gelbe Akrobat (1. Band)
100 deutsche Gedichte der Gegenwart,
kommentiert
Taschenbuch
360 Seiten, 18.80 Euro
poetenladen Verlag 2011

Weitere Details   
portofrei online   

  M. Braun & M. Buselmeier
Der gelbe Akrobat (3. Band)
60 deutsche Gedichte der Gegenwart,
kommentiert
Broschiert mit farb. Vorsatz
216 Seiten, 18.80 Euro
poetenladen Verlag 2019

Weitere Details   
portofrei online   

 


Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht     02.12 .2014

 

 

 

Gedichte, kommentiert
von Michael Braun und
Michael Buselmeier

    Andreas Rasp
Liste
Gefördert vom
Deutschen Literaturfonds



  102   Brigitte Oleschinski
    
wie die Wörter auftauen
  101   Franz Josef Czernin
    
dunkel ortlos, hergezogen
  100   Johann P. Tammen
    
Ein Poet nimmt Platz
  99   Joseph Kopf
    
Ich liebe Schritte, die ins Leere gehn
  98   Oleg Jurjew
    
Zum Andenken an den Kater Nero
  97   Sandra Burkhardt
    
Die Bahn einer Meeresschildkröte
  96   Ernst Blass
    
An Gladys
  95   Michael Buselmeier
    
Holzpuppe
  94   Heiner Müller
    
Traumwald
  93   Thomas Böhme
    
Neunundzwanzigster Februar
  92   Katrine von Hutten
    
Beschreibung
  91   Dieter M. Gräf
    
Nach Mattheuer
  90   Arnfrid Astel
    
Leda
  89   Michael Krüger
    
Im Winter
  88   Ralph Dutli
    
Salzzauber
  87   Christiane Heidrich
    
Today I am functional (1)
  86   Wulf Kirsten
    
die rückkehr der wölfe
  85   Maren Kames
    
Im Siel
  84   Gregor Laschen
    
Drüben, im ›Winkel von Hardt‹
  83   Christoph Wenzel
    
ländlich, der mundraum
  82   Werner Lutz
    
Ja, bin unterwegs
  81   Kenah Cusanit
    
Gottesgedicht, unberuhigt
  80   Sascha Kokot
    
sobald die Stadt ...
  79   Ror Wolf
    
Dritter unvollständiger Versuch
  78   Horst Bingel
    
Felsenmeer
  77   Tristan Marquardt
    
nachts, ich laufe nach hause
  76   Harald Gerlach
    
Gründe, linkselbisch
  75   Birgit Kreipe
    
schienen stillgelegt
  74   Hanns Cibulka
    
Böhmischer Rebstock
  73   Karin Fellner
    
Eine Zeitfalte weiter
  72   David Krause
    
Wolken
  71   Jürgen Nendza
    
An manchen Tagen
  70   Harry Oberländer
    
kurz vor der revolution
  69   Mara-Daria Cojocaru
    
Ich bin
  68   Hilde Domin
    
Antwort
  67   Elisabeth Borchers
    
Zukünftiges
  66   Günter Herburger
    
Großjean, der aus einem ...
  65   Georg Leß
    
Kondorlied
  64   Thomas Kling
    
Tessiner beinhaus. wandbild
  63   Rainer René Mueller
    
Da ist es
  62   Ernst S. Steffen
    
Man sagt
  61   Henning Ziebritzki
    
Elster
  60   Jürgen Brôcan
    
Fremde ohne Souvenir
  59   Carolin Callies
    
wackersteine im wams
  58   Friedrich Ani
    
Versehrte Verse
  57   Elke Erb
    
»Ursprüngliche Akkumulation«
  56   Uwe Kolbe
    
Heidelberg, den 14ten August
  55   Sonja vom Brocke
    
Kunde
  54   Sünje Lewejohann
    
krähen
  53   Jan Wagner
    
im brunnen
  52   Susanne Stephan
    
Frontier
  51   Silke Scheuermann
    
Uraniafalter
  50   Mirko Bonné
    
Der Zischelwind
  49   Judith Zander
    
fürs erste leb im später
  48   Andreas Rasp
    
diese steine hier
  47   Marcus Roloff
    
hl. grab, eingang wahlkapelle
  46   Clemens J. Setz
    
Motte
  45   Martina Weber
    
jetzt, da die letzten bilder verschwunden sind
  44   Paul Zech
    
Der Nebel fällt
  43   Klaus Merz
    
Expedition
  42   Christian Lehnert
    
Du bist die Aussicht  ...
  41   Àxel Sanjosé
    
Zum Abschied hell ...
  40   Ulrike Draesner
    
feld elternlos
  39   Ursula Krechel
    
Weiß wie
  38   Heinrich Detering
    
Kilchberg
  37   Hendrik Rost
    
Requiem
  36   Walle Sayer
    
Vom Flüchtigschönen
  35   Nico Bleutge
    
grauwacke
  34   Rolf Haufs
    
Kinderjuni
  33   Thomas Rosenlöcher
    
Die Hoffnungsstufen
  32   Jan Koneffke
    
Dem toten Kind in einer Oktobernacht
  31   Arne Rautenberg
    
drei amseln
  30   Oskar Loerke
    
Ans Meer
  29   Jean Krier
    
„Alles ist in den besten Anfängen“
  28   Werner Laubscher
    
Winterreise. Wintersprache
  27   Wolfgang Schlenker
    
stichwort minimieren
  26   Christoph Meckel
    
Kind
  25   Günter Grass
    
Die Vorzüge der Windhühner
  24   Jürgen Theobaldy
    
Blume mit Geruch
  23   Ann Cotten
    
Rosa Meinung
  22   Horst Samson
    
Edoms Nacht
  21   Christian Steinbacher
    
Belegte Brotzeit
  20   Bianca Döring
    
Allein
  19   Simone Kornappel
    
muxmäuschen
  18   Jörg Burkhard
    
in gauguins alten basketballschuhen
  17   Konstantin Ames
    
dreißig lenze
  16   Wilhelm Lehmann
    
Auf sommerlichem Friedhof
  15   Joachim Zünder
    
Die Finnische Bibliothek
  14   Kathrin Schmidt
    
waage, vorm wasser
verchromt, gestählt
  13   Marion Poschmann
    
latenter Ort
  12   Rainer Malkowski
    
Bist du das noch?
  11   Gerhard Falkner
    
die roten schuhe
  10   Wolfgang Hilbig
    
Pro domo et mundo
  9   Katharina Schultens
    
die möglichkeit einer verwechslung ...
  8   Michael Donhauser
     Lass rauschen Lied ...
  7   Ulrich Zieger
     an den vater von sem,
  6   Elisabeth Langgässer
     Erster Adventssonntag
  5   Levin Westermann
     wie ein fresko
  4   Dirk von Petersdorff
     Raucherecke
  3   Ulrich Koch
     Danke
  2   Steffen Popp
     Fenster zur Weltnacht
  1   Adolf Endler
     Dies Sirren
     
Neue Folge