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Andreas Rasp
diese steine hier
schon mochten sie glauben es sei alles vorbei die menschen und ihr werk ein mövenschrei da hob ich sie auf die sehenswerten und tröstete sie: jetzt seid ihr gefährten
Michael Buselmeier Der Dichter Andreas Rasp hat fast sein ganzes Leben über geschrieben – autobiographische Erzählungen, Gedichte, gereimte Vierzeiler, Übersetzungen vor allem aus dem Englischen, darunter rund 400 Poeme von Emily Dickinson –, aber er hat selbst nur sehr wenig, fast gar nichts publiziert. Er schreibe nur für seine Freunde und für sich, um zu überleben, hat Rasp gelegentlich beteuert. In seiner selbstgewählten Einsamkeit unterhalte er sich mit dem Papier, widme den Freunden handgeschriebene Verse. Der Gedanke, einen Verlag anzuschreiben, sei ihm nie in den Sinn gekommen. Auf diese Weise hat er sich auch, nicht frei von Hochmut, dem schnöden Betrieb, der Konkurrenz unter Autoren und dem freien poetischen Wettbewerb weitgehend entzogen. Als Sohn des bekannten Schauspielers Fritz Rasp und Halbbruder der Schriftstellerin Renate Rasp wuchs der Dichterjüngling in Berlin auf, musste jedoch 1937 mit sechzehn Jahren als Halbjude Deutschland Richtung England verlassen, wodurch er für Jahre die geliebte Muttersprache verlor. Sein Überleben in London gestaltete sich trotz materieller Hilfe der Quäker und einer Freundschaft mit dem George-Jünger Ernst Gundolf schwierig. 1952 konnte er endlich in die Heimat zurückkehren, zunächst als Englischlehrer auf das Landerziehungsheim Marienau, dann nach Heidelberg, wo er sesshaft wurde und fast dreißig Jahre am Englischen Institut Englisch und Latein unterrichtete Hier lernte er auch den Dichter Arnfrid Astel kennen, der ihn an der Redaktion seiner Zeitschrift „Lyrische Hefte“ beteiligte, woraus eine intensive Freundschaft entstand. Unter dem Pseudonym Andreas Baumgärtner veröffentlichte er eigene Gedichte und Übersetzungen, damals vor allem solche von Dylan Thomas, mit denen er ein regional begrenztes Aufsehen erregte. Rasp begann zu zeichnen und zu malen, und es entstanden einige vorzügliche Gedichte mit Heidelberg-Bezug. Um 1970 fand er eine neue Leidenschaft in der Beschäftigung mit Urgeschichte, vor allem mit urgeschichtlicher Plastik, und er sammelte am Ostseestrand Kieselsteine in Fischgestalt oder Vogelform, die er für Artefakte ansah. Dabei vertrat er unbeirrt die häretische These, unsere Vorfahren stammten aus dem Ostseeraum, nicht aus Afrika, was bei Paläontologen ebenso wenig Beachtung fand wie die Ansicht, die Anfänge der Kunst lägen in der Steinplastik und nicht in der Malerei – für Rasp herbe Niederlagen. Der vorliegende Vierzeiler geht davon aus, dass Steine eine durchaus belebende und inspirierende Kraft ausüben können, sie sind jedenfalls alles andere als tot. Auch Texte von „Steindenkern“ wie Gregor Laschen und Christian Enzensberger belegen das. Man kann sich am Feldweg zu ihnen hinhocken und meditieren, man kann sie ansprechen, vielleicht sogar mit ihnen reden, wie es Christian Enzensbergers seltsame Dialoge „Hauptsächlich über die Steine“ nahelegen – ein mystischer Text, der 2001 in mehreren Folgen der Zeitschrift „Akzente“ erschien, bevor er postum als Buch in der Anderen Bibliothek herauskam. Auch Rasp spricht demonstrativ von „diesen steinen hier“, ganz besonderen Kieseln, die sich plötzlich, gleichsam auf einen „mövenschrei“ hin, mitten im allgemeinen Untergang als „sehenswert“ und aufhebenswürdig erweisen, als Lebewesen, die zwar vermutlich nicht gerettet, aber vom sie aufhebenden Ich zumindest „getröstet“ und zu „gefährten“ gemacht werden. Und wenn man es nur geschehen lässt, reden, ähnlich wie im Märchen, bald alle Naturwesen zu uns. In Rasps umfangreicher Sammlung von Vierzeilern („Besuch bei Dschuang Dsi“, 2012), die Dagmar Heinemann noch kurz vor seinem Tod herausgegeben hat, gibt es manche solcher anrührenden Strophen, mystische Wendungen, die auf Widersprüchen fußen, von Reim, Metrum und Rhythmus getragen, bedächtig, naturfromm, manchmal sogar von fern an Stefan George erinnernd, dem Andreas Rasp zeitweise anhing. Andreas Rasp, geboren 1921 in Berlin, starb 2013 in Dossenheim. Sein 368 Seiten umfassender Band „Besuch bei Dschuang Dsi“ ist – wie weitere Werke – über Dagmar Heinemann (Nadlerstraße 1, 68526 Ladenburg) zu beziehen. Druckansicht
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