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Clemens J. Setz
Motte



  Der gelbe Akrobat – Neue Folge 46

Michael Buselmeier
Stirb und werde!


Ein knappes Gedicht, ein Aphorismus beinah, der zur hermeneu­ti­schen Aus­legung geradezu einlädt. Ohne die titelspendende „Motte“, die in der „Flamme“ ver­glüht ist und er­fahrungs­gemäß nicht mehr „zurückkehrt“, würde der Leser wahrscheinlich lange rätseln, wer hier gemeint sein könnte. Die Motte dient als Zeichen für Men­schen und Tiere, die uns, vermutlich für immer, ver­lassen haben oder uns jäh entris­sen wurden, auf deren Wiederkehr wir aber absurderweise, im Vertrauen auf die optimistische Parole „Stirb und werde!“, weiterhin warten. Die Motte könnte für einen Freund oder Ver­wandten stehen, der sich leichtsinnig in eine „flammende“ Gefahr begab und darin unter­ging. Sie könnte, ebenso wie der Schmet­ter­ling, die menschliche Seele vor­stellen, die selbst der Gesang eines Orpheus kaum aus dem Hades zurück­rufen dürfte. Was mag von ihr übriggeblieben sein? Viel­leicht etwas Asche vom Flügel, eine blasse Erinnerung … „Wer je die flamme umschritt / Bleibe der flamme trabant!“, verfügt unerbittlich Stefan George. In dem Fall wäre der Dichter selbst eins mit der verzehrenden dämonischen Flamme, und der ihm ver­fallene Jüngling bliebe auf Dauer in seinen Umkreis gebannt.
  Wie Clemens Setz' umfangreiche Pros­aarbei­ten berichten auch seine Ge­dich­te von einer ge­heimnis­vollen Paral­lel­welt, einer ver­bote­nen Zone gleich­sam, die man nicht ohne Gefahr, in ihr zu ver­schwin­den, betritt. Die Stim­mung wirkt ange­kränkelt, auch etwas weh­mütig, die Ge­schichten, ebenso die Gedichte, enden häufig mit einer schrillen Pointe, wenn etwa das größte Riesenrad Europas beschwo­ren wird „mit seinen hell erleuch­teten Kabinen / aus denen die Menschen fallen.“ Die kleinen Lebe­wesen zappeln ein wenig puppenhaft im Spin­nen­netz, sie sind unvernünftig, wollen oder können aus ihren Nieder­lagen nichts lernen.
  Setz' Gedichte kennzeichnet ein kühler, lockerer, epischer Gestus. Sie er­zäh­len, oft breit, von selt­samen Begeg­nungen und absur­den Vorfällen im Alltag. Be­stimmend ist ein Übermaß an Skur­rilem und Grausigem. Der vorge­stell­te Vier­zeiler zählt zum kleine­ren Teil der knappen, präzis gefass­ten Texte. Ein genuiner Lyri­ker im his­to­ri­schen wie auch im ak­tuel­len Ver­ständ­nis, also einer, der aus Selbst­zwei­fel vor allem die Sprache und deren Ver­hältnis zur realen Welt r­eflektiert, ist der Epiker Setz nicht (er hat 2012 mit „Indigo“ einen faszi­nieren­den Roman vorgelegt). Die inter­nen Pro­bleme der Lyrik und ihrer Her­stel­lung lassen ihn kalt. An den pathe­ti­schen Helden­gestal­ten der Dich­tung (Goethe, Hölderlin, Trakl, Rilke) arbei­tet er sich nicht ab. Er schreibt auch keine dunkle Ich-Lyrik. Den über­liefer­ten Formen­kanon erfüllt er weder noch lehnt er ihn erkenn­bar ab. Er schreibt schein­bar auf­wand­los, in eleganten Sätzen, meist ohne Reim und Metrum zu bemühen, mit einem behutsamen Blick besonders auf die Tiere und deren Lebens­umstände (worunter natur­gemäß auch die Motte fällt).
  In einem der Texte ist ein Haustier, vermutlich ein steinalter Kater, gestorben, und dessen trauern­de Hinter­blie­bene suchen nun „in Schutz­kleidung“ alle seine ver­wahr­losten Lieb­lings­plätze auf, noch „die versteckteste / Stelle unter dem Bett.“ Und „kinder­lose Papageien / die frei in der Wohnung fliegen“, ver­suchen „Schuhe zu füttern“, die sie „für offene Schnäbel“ halten – ein zu Tränen rührendes Unter­nehmen.

Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren. Er studierte Mathematik und Germanistik und lebt als Über­setzer und Schrift­steller in Graz. Das vor­gestellte Gedicht stammt aus dem Band „Die Vogelstraußtrompete“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.

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Band 1
 
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Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht     06.10.2014

 

 

 

Gedichte, kommentiert
von Michael Braun und
Michael Buselmeier

    Clemens J. Setz
Liste
Gefördert vom
Deutschen Literaturfonds



  102   Brigitte Oleschinski
    
wie die Wörter auftauen
  101   Franz Josef Czernin
    
dunkel ortlos, hergezogen
  100   Johann P. Tammen
    
Ein Poet nimmt Platz
  99   Joseph Kopf
    
Ich liebe Schritte, die ins Leere gehn
  98   Oleg Jurjew
    
Zum Andenken an den Kater Nero
  97   Sandra Burkhardt
    
Die Bahn einer Meeresschildkröte
  96   Ernst Blass
    
An Gladys
  95   Michael Buselmeier
    
Holzpuppe
  94   Heiner Müller
    
Traumwald
  93   Thomas Böhme
    
Neunundzwanzigster Februar
  92   Katrine von Hutten
    
Beschreibung
  91   Dieter M. Gräf
    
Nach Mattheuer
  90   Arnfrid Astel
    
Leda
  89   Michael Krüger
    
Im Winter
  88   Ralph Dutli
    
Salzzauber
  87   Christiane Heidrich
    
Today I am functional (1)
  86   Wulf Kirsten
    
die rückkehr der wölfe
  85   Maren Kames
    
Im Siel
  84   Gregor Laschen
    
Drüben, im ›Winkel von Hardt‹
  83   Christoph Wenzel
    
ländlich, der mundraum
  82   Werner Lutz
    
Ja, bin unterwegs
  81   Kenah Cusanit
    
Gottesgedicht, unberuhigt
  80   Sascha Kokot
    
sobald die Stadt ...
  79   Ror Wolf
    
Dritter unvollständiger Versuch
  78   Horst Bingel
    
Felsenmeer
  77   Tristan Marquardt
    
nachts, ich laufe nach hause
  76   Harald Gerlach
    
Gründe, linkselbisch
  75   Birgit Kreipe
    
schienen stillgelegt
  74   Hanns Cibulka
    
Böhmischer Rebstock
  73   Karin Fellner
    
Eine Zeitfalte weiter
  72   David Krause
    
Wolken
  71   Jürgen Nendza
    
An manchen Tagen
  70   Harry Oberländer
    
kurz vor der revolution
  69   Mara-Daria Cojocaru
    
Ich bin
  68   Hilde Domin
    
Antwort
  67   Elisabeth Borchers
    
Zukünftiges
  66   Günter Herburger
    
Großjean, der aus einem ...
  65   Georg Leß
    
Kondorlied
  64   Thomas Kling
    
Tessiner beinhaus. wandbild
  63   Rainer René Mueller
    
Da ist es
  62   Ernst S. Steffen
    
Man sagt
  61   Henning Ziebritzki
    
Elster
  60   Jürgen Brôcan
    
Fremde ohne Souvenir
  59   Carolin Callies
    
wackersteine im wams
  58   Friedrich Ani
    
Versehrte Verse
  57   Elke Erb
    
»Ursprüngliche Akkumulation«
  56   Uwe Kolbe
    
Heidelberg, den 14ten August
  55   Sonja vom Brocke
    
Kunde
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  52   Susanne Stephan
    
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Uraniafalter
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Der Zischelwind
  49   Judith Zander
    
fürs erste leb im später
  48   Andreas Rasp
    
diese steine hier
  47   Marcus Roloff
    
hl. grab, eingang wahlkapelle
  46   Clemens J. Setz
    
Motte
  45   Martina Weber
    
jetzt, da die letzten bilder verschwunden sind
  44   Paul Zech
    
Der Nebel fällt
  43   Klaus Merz
    
Expedition
  42   Christian Lehnert
    
Du bist die Aussicht  ...
  41   Àxel Sanjosé
    
Zum Abschied hell ...
  40   Ulrike Draesner
    
feld elternlos
  39   Ursula Krechel
    
Weiß wie
  38   Heinrich Detering
    
Kilchberg
  37   Hendrik Rost
    
Requiem
  36   Walle Sayer
    
Vom Flüchtigschönen
  35   Nico Bleutge
    
grauwacke
  34   Rolf Haufs
    
Kinderjuni
  33   Thomas Rosenlöcher
    
Die Hoffnungsstufen
  32   Jan Koneffke
    
Dem toten Kind in einer Oktobernacht
  31   Arne Rautenberg
    
drei amseln
  30   Oskar Loerke
    
Ans Meer
  29   Jean Krier
    
„Alles ist in den besten Anfängen“
  28   Werner Laubscher
    
Winterreise. Wintersprache
  27   Wolfgang Schlenker
    
stichwort minimieren
  26   Christoph Meckel
    
Kind
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Blume mit Geruch
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     an den vater von sem,
  6   Elisabeth Langgässer
     Erster Adventssonntag
  5   Levin Westermann
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     Fenster zur Weltnacht
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