![]() |
![]() |
poeten | ![]() |
loslesen | ![]() |
gegenlesen | ![]() |
kritik | ![]() |
tendenz | ![]() |
news | ![]() |
links | ![]() |
info | ![]() |
verlag | ![]() |
poet | ![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Joseph Kopf
Ich liebe Schritte, die ins Leere gehn. Ich liebe Dinge, die im Traum geschehn. Die Rosen lieb ich, die im Garten stehn: zu blaß, um sie noch einmal so zu sehn. Ich liebe alles, was im Blühn verdirbt. Die Kerze lieb ich, die erlischt im Raum. Das müde Lächeln im Holunderbaum. Ich lieb das Herz, das ohne Hoffnung stirbt. Für Egon Mayer
Michael Braun
Für den Schweizer Dichter Joseph Kopf, der sich nur in der Verborgenheit lebendig fühlte, war die Leere ein Refugium. Sie erschien ihm als ein Ort, der nicht wie in der japanischen Zen-Philosophie ein reinigendes Nichts verkörpert, sondern einen Raum der ersehnten Abwesenheit. Auch das Leben des Dichters glich einer richtungslosen Suchbewegung, die immer wieder in der Leere endete.
In geordneten bürgerlichen Verhältnissen hat es der 1929 in St. Gallen geborene Dichter jedenfalls nie lange ausgehalten. Das Gymnasium brach er noch vor der Matura ab, auch mit einer Banklehre fand er nicht in ein berechenbares Alltagsleben, so dass er zuerst nach Vorarlberg ging, wo er sich in der Landwirtschaft versuchte, anschließend nach Bregenz und Wien, wo er einige Jahre als Bankangestellter arbeitete. In Wien veröffentlichte der Neunzehnjährige 1948 sein erstes schmales Bändchen mit dem bezeichnenden Titel „Nocturne“. Kopfs Domäne in dieser Zeit waren Nachtstücke mit lange ausschwingenden Tönen, in denen die Figurationen der Einsamkeit und das Weltgefühl des Abschieds und der Vergeblichkeit enthalten sind. In den 1960er Jahren ging Kopf für vier Jahre nach Israel, wo er in einer Versuchsfarm am Toten Meer arbeitete und sich mit dem Talmud befasste. Die Wüste erfuhr er hier als Signatur für seine eigene Existenz: „ja, die wüste wird sein wie/ eine rose, die herrlich aufblüht“. Nach St. Gallen zurückgekehrt, wird Kopf Gelegenheitsarbeiter: in einer Buchhandlung, einem Reisebüro und einer Hochschulbibliothek findet er ein spärliches Auskommen. In den Stunden des Rückzugs entstehen seine Gedichte, als Traumpfade in ein „blaues niemandsland“. Das hier vorliegende Gedicht ist 1955 entstanden. Es sind von Melancholie umwehte Volksliedstrophen in der Tradition des romantischen Lieds, die trotz ihres starken Bekenntnis-Gestus („ich liebe“) fast nur Negationen anzeigen. Denn das Ich, das hier zunächst in Paarreimen und dann in einem umarmenden Reim seine „Liebe“ artikuliert, ergreift Partei für die Leere, die Bezirke des Traums und die Vergänglichkeit. Die Zeichen des Lebendigen sind unmittelbar mit dem Vergehen verbunden, das Blühen wird nur aufgerufen, um zugleich das Verwelken zu feiern. Und auch die Liebe zur illuminierenden Kerze gilt nur dem Modus des Erlöschens, dem erneuten Ausgesetztsein an das Dunkel. Es ist eine Melodie der Schwermut, die Joseph Kopf hier anstimmt, eine Feier des Verfalls und des Todes: Abschiedsstrophen in Permanenz. Und die Hoffnung ist hier kein Blochsches „Prinzip“, sondern wird ausdrücklich verworfen. Dem in Blüte stehenden Holunderbaum wird die Todesahnung eingeschrieben, gilt doch in Schweizer Mythologien der Holunderbaum auch als Tor zum Jenseits: „Das müde Lächeln“, so sagt es Kopfs Exeget, der Schweizer Philosoph Paul Good, im Nachwort zum posthum erschienenen Auswahlband „das müde lächeln im holunderbaum“ (Pendo, Zürich 1989), „ist das Todeslächeln der Dinge.“ In seinen späteren Gedichten löst sich Kopf aus der romantischen Formensprache und konzentriert sich auf eine immer weiter verknappte Verssprache, auf kristalline Fügungen und eine Metaphorik des Winters. Der Titel seines 1971 erschienenen schmalen Gedichtbuchs „nachruf auf gestrandete fische“ zeugt von einem Bewusstsein der Finalität. Obwohl seine Texte nur in karger Auflage in Mappen und kleinen Heften erschienen waren, bekam er 1973 den Hebel-Preis des Landes Baden-Württemberg zugesprochen. Aus einer seiner dunkelsten Phasen im Herbst des Jahres 1977 befreite ihn der umfangreiche Auswahlband „dem kalten sternwind offen“ (Zollikofer Fachverlag, St. Gallen 1977), der den Dichter noch einmal euphorisierte und ihn aus seiner Schwermut herauszuführen schien. Er war gerade in einer Zustand manischer Produktivität geraten, als er im August 1979 an Herzversagen starb. Dass die Erinnerung an diesen außerordentlichen Dichter noch nicht ganz erloschen ist, ist dem Rimbaud Verlag zu verdanken, der 1992 unter dem Titel „nur eine bewegung von licht“ die „Gesammelten Gedichte“ von Joseph Kopf in zwei Bänden vorlegte, herausgegeben und kommentiert von Paul Good. Dazu erschien noch 1998 ein exzellentes Sonderheft der vom Rimbaud-Verleger Bernhard Albers herausgegebenen Zeitschrift „Osiris“, mit luziden Analysen und Interpretationen zu Kopfs Werk. Joseph Kopf, geboren 1929 in St. Gallen, starb dort 1979. Nach einer Buchhändlerlehre versuchte er sich in diversen Jobs: als Angestellter einer Bank und auch als Mitarbeiter einer Galerie in Wien. Als freier Autor lebte er ab Ende der 1960er Jahre sehr zurückgezogen in St. Gallen, wo er 1979 starb. Das vorliegende Gedicht ist dem Band I der „Gesammelten Gedichte“ Joseph Kopfs entnommen, die unter dem Titel „nur eine bewegung von licht“ im Rimbaud Verlag (Aachen 1992) erschienen sind. 01.03.2019
|
![]() |
Gedichte, kommentiert
|
|
poetenladen | Blumenstraße 25 | 04155 Leipzig | Germany
|
virtueller raum für dichtung
|
![]() |