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David Krause
Wolken
Es gibt keinen Fluss neben diesem Haus und in den Haus kein Kinderbett, überzogen mit Wolken, wo der Sohn die Augen schließt und die Arme ausstreckt bis weit über den Rand. Es gibt keinen Schuppen im Garten, wo der Vater mit dem Messer zärtlich die Soldaten schnitzt, und wenn die Wolken donnern, stellt er sein Heer auf und träumt. Es gibt kein Wohnzimmer, wo die Mutter den Schal strickt, groß genug für alle zusammen, und es ticken die Nadeln, die Uhren, die Zähne, während die Fäden zu Mustern verwachsen: Wolken und Wolken und Wolken. Es gibt keine Fenster und Türen und Wände. Das Gras und den Wind und Wellen in Pfützen gibt es jetzt. Es gibt die fliehenden Wolken. Es gibt mich, den Schal um den Hals, einen Soldaten in der Hand, nicht mehr den Fluss, nur sein Bett, es gibt mir einen Ort, es gibt mir einen Ort.
Michael Buselmeier Ich bin mir ziemlich sicher: Orte sind das Wichtigste beim Schreiben. Dazu ist ein Ort nötig, den man gut kennt und den man wiedergeben kann mit all seinen Bewohnern, Menschen wie Tieren, seinen Farben, Geräuschen und Gerüchen, erst recht dann, wenn er unerreichbar geworden oder gar nicht mehr vorhanden ist. Solche intensiven Orte, die man um- und überschreiben kann, Landschaften, Häuser, haben fast immer etwas mit dem verlorenen Paradies – dem Festsaal der Dichtung – zu tun und erinnern an die Goldene Zeit.
In dem vorgestellten Gedicht des noch sehr jungen, 1988 geborenen David Krause, das dessen Erstlingsband „Die Umschreibung des Flusses“ eröffnet, sind fast alle dem Autor lieben Dinge und Hauptwörter versammelt, die in den nachfolgenden Texten aufgegriffen, erweitert und vertieft werden: Wolken, Fluss, Wind, Wellen, Gras, Pfützen, Schlamm – Bestandteile einer offenen, weithin unzerstörten Kindheitslandschaft. Durch die anaphorische Verneinungsformel „Es gibt keinen Fluss“, „es gibt keinen Schuppen“, „es gibt kein Wohnzimmer“ usw. wird das in einen schlichten Wellen-Rhythmus getauchte Gedicht, das weder über einen Reim noch über ein festes Metrum verfügt, strukturiert. (Hingegen gibt es in Inger Christensens berühmtem Aufzählungs-Poem „alphabet“ Aprikosenbäume, Farne und Brombeeren durchaus.) Indem David Krause die Existenz der sinnlichsten Gegenstände spielerisch leugnet („es gibt in dem Haus / kein Kinderbett, überzogen mit Wolken“), stellt er sie zugleich vor und macht sie durchscheinend, eine dichte kleine Welt, die jeder vermisst, wenn sie ihm einmal abhanden gekommen ist. Setzt man die Negationen, die vielleicht ein wenig überdeutlich machen sollen, dass die Kinderzeit unwiderruflich vergangen ist, kurz beiseite, wird die Idylle erst in ihrem hellsten und anrührenden Licht erkennbar: Der kleine Sohn ruht angstfrei in seinem Wolkenbett, selbst wenn es donnert, weil der Vater im Schuppen „zärtlich“ für ihn „Soldaten schnitzt“ und die Mutter im Wohnzimmer einen langen Schal strickt, der die ganze heilige Familie umspannt und schützt. War der heilige Joseph von Nazaret nicht auch ein Schreiner? Dies alles gibt es nun nicht mehr, behauptet das Ich des Autors. Nur Gras, Wind und „Wellen in Pfützen“ gibt es „jetzt“ noch, wie es im letzten Drittel des Gedichts heißt, und „fliehende Wolken“ anstelle der bergenden Kissenwolken der Frühzeit. Auch der Fluss scheint versunken zu sein, „nur sein Bett“ ist noch vorhanden: „es gibt / mir einen Ort“ – so steht es am Ende gleich zweimal, als müsste das lyrische Ich sich seiner Gegenwart versichern, um nicht ortlos zu werden. Ein Kindertraum, eine ebenso fiktive wie authentische Welt aus rhythmisierter Sprache, souverän und aufwandlos zu Papier gebracht, leise Klage über den Verlust der Geborgenheit. Eine Art Alltagsgedicht wie die ihm nachfolgenden drei Texte, die unter dem Titel „Erinnerungen an einen Fluss“ einen kleinen Zyklus um „Farben“, „Wellen“ und „Schilf“ bilden. Es sind Gemälde, in lichten Wasserfarben ausgeführt; im leeren Raum ist nur „ein regenbedecktes Fenster“ sichtbar sowie ein paar Dinge, „Schwemmgut“. Damit könnten auch die letzten Menschen gemeint sein; sie erscheinen hier als „Rückenfiguren“, die „einander mit den Fingerkuppen berühren.“ Und irgendwann wird „alles in allem“ verschwinden. Den späteren Texten des Bandes, zum Teil sind es Liebesgedichte, fehlt dieser Zauber, die traumhafte Sicherheit und Dichte des ihn eröffnenden Zyklus. Sie wirken in ihrer epischen Breite ein wenig behäbig und brav. Ein Zusammenhang mit Rolf Dieter Brinkmanns wütenden Simultangedichten, der im Klappentext behauptet wird, ist nicht erkennbar. Aber es reicht ja schon, diese fabelhaft sicheren Eingangsverse um-, über- und aufgeschrieben zu haben. David Krause wurde 1988 in Köln geboren und lebt in Kerpen bei Köln. 2015 erhielt er den Leonce-und-Lena-Preis. Das vorgestellte Gedicht entstammt dem Band „Die Umschreibung des Flusses“, Poetenladen, Leipzig 2016. Druckansicht
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