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Werner Lutz
Ja, bin unterwegs landeinwärts, versuche den Pfad zu finden von den Fingerspitzen zu den Herzschlägen, von den Sommergewittern im Kopf zur nächtlichen Stille auf den Lippen, bin daran, das Ursprüngliche aufzustöbern, das Kraftvolle, das Nackte, bin daran, die Namen der Tiere zu entziffern, die mich durchstreifen, ich übe mich im Einfangen von Gerüchen, die mich verwirren, versuche aus Worten Krüge zu formen, mit Zwielicht gefüllt.
Michael Buselmeier Der Schweizer Dichter, ein ständig Gehender, ist inwendig unterwegs, „landeinwärts“, im Aderngeflecht des Körpers hin zum Herzen und zum Hirn, während der Nachtzeit oder im Traum. Er inspiziert oder imaginiert eine geheime innere Welt aus Bildern und Sätzen, aus „Gerüchen“, auf der Suche nach dem (nicht ganz unproblematischen) „Ursprünglichen“, „Kraftvollen“ und „Nackten“, wird von „Tieren“, die ihn bewohnen, durchstreift. Ein „alter creator“, der die Welt täglich neu erschafft (auch das wiederholte „bin daran“ weist darauf hin); ein Poet, der versucht, „aus Worten Krüge zu formen“, und zwar „mit Zwielicht gefüllt“ – eine Poetik des Existentiellen, die auch die kleinen, nahen, widersprüchlichen Erscheinungen mit einschließt. Werner Lutz vertritt, kontemplativ umherschweifend, eine Literatur, die vorgibt, unmittelbar aus der Natur zu schöpfen, und die dadurch selber ein Stück Natur wird. Dieser Dichter, so liest man in seinen Aufzeichnungen – lyrische Prosa unter dem Titel „Bleistiftgespinste“ – will sich nicht mehr einspinnen lassen „vom Zauber der Resignation“, er wagt es, „aufzubrechen, nichts weiter im Gepäck als eine Minute, die ihrerseits einige Sekunden besitzt.“ Er kennt sich aus in der Natur wie in der Kunst, er widmet sich der Maulwurfsgrille und dem Johanniskraut ebenso wie der Glasmalerei in Chartres, er bindet „badisches Licht an Rebzeilen fest“ (und gewiss auch schweizerisches und elsässisches Licht), findet auf seinem Weg sogar Dinge, die er gar nicht gesucht hat. Ein Begeisterter ist hier zu Fuß unterwegs, ausgestattet mit der Sehnsucht „nach beschriebenem Papier“, ein „poeta doctus“ älterer Art, der mit den forschen Sprachmonteuren der Moderne wenig gemein hat. Er scheint ziemlich einsam zu sein, nur mit den eigenen Bilder beschäftigt, wirkt manchmal fast schon verschollen. Ich will nicht behaupten, dass ich diese ganz nach innen, dem „Wesentlichen“ zugekehrten Miniaturen in jedem Fall angemessen verstehe, kann ihrem Autor, dessen Formulierungen gelegentlich zum Idyllisch-Harmlosen tendieren, auch nicht vorbehaltlos zustimmen. Und gewiss mangelt es vielen dieser Prosastücke an Schärfe der Reflexion und an Dichte der Wahrnehmung, die vergleichbare Aufzeichnungen von Peter Handke, Philippe Jaccottet oder Walter Helmut Fritz auszeichnen. Doch auch Lutz`Texte reden vom Wirklichen und Greifbaren, man kann durch sie die Dinge wie zum ersten Mal betrachten und beispielsweise die Gerüche des Regens im Frühling kennenlernen. Diese von jedem Trivialgeschehen heftig abgewandten Miniaturen sind naturgemäß nicht datiert. Sie könnten über viele Jahre hin entstanden sein und künden von jener meditativen Ruhe, die Einzelgänger und „Gegenläufer“ wie Lutz häufig umgibt. Die Melancholie ist zeitlos, die Gegenwart ist dem Träumer nichts als eine „Klatschtante“. Es geht ihm um Geduld, um Leichtigkeit, um ein „Stillemuseum“ – um „das Dunkel, das Sammetdunkel, das Moosdunkel ...“ Und mit radikaler Geste strebt er sogar das Scheitern an, den „Fehlschlag“, „das Absolute“. Aufmerksam auf den Basler Lyriker Werner Lutz wurde ich erst durch ein kleines Gedicht über die mir seit langem vertraute Insel Stromboli, das aus Anlass seines Todes im Jahr 2016 in der Sammlung „Stelen“ des Poetenladens erschien. Dessen erste Strophe lautet: „Stromboli, Weininsel, Tisch / auf Männerstimmen treibend / in Rauch gehüllt / Gespräche, Lavabäche in den Aschehängen ...“ Mit wenigen einfachen Wendungen, sparsamen Worten hält dieser Dichter einen für Stromboli typischen Augenblick fest – das Anlegen des Postschiffs am Strand der äolischen Insel „einmal in der Woche“, das Stimmengewirr des Hafens und das bald erfolgende Weiterziehen der Fähre, dem fernen Neapel zu, über das tintenblaue homerische Meer. Werner Lutz, der auch als Maler und Grafiker tätig war, wurde 1930 in Wolfhalden im ostschweizerischen Kanton Appenzell geboren und starb 2016 in Basel. Ab 1955 erschienen erste Gedichte, gefördert von Hans Bender, in der Zeitschrift „Akzente“. Der vorgestellte Text stammt aus „Bleistiftgespinste. Aufzeichnungen“, Waldgut Verlag, Frauenfeld, 2006. Druckansicht
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