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Werner Lutz

Ja, bin unterwegs landeinwärts, versuche den Pfad zu finden von den Fingerspitzen zu den Herzschlägen, von den Sommergewittern im Kopf zur nächtlichen Stille auf den Lippen, bin daran, das Ursprüngliche aufzustöbern, das Kraftvolle, das Nackte, bin daran, die Namen der Tiere zu entziffern, die mich durchstreifen, ich übe mich im Einfangen von Gerüchen, die mich verwirren, versuche aus Worten Krüge zu formen, mit Zwielicht gefüllt.

  Der gelbe Akrobat – Neue Folge 82

Michael Buselmeier
Ein Stillemuseum


Der Schweizer Dichter, ein ständig Gehender, ist inwendig unterwegs, „landeinwärts“, im Aderngeflecht des Körpers hin zum Herzen und zum Hirn, während der Nachtzeit oder im Traum. Er inspiziert oder imaginiert eine geheime innere Welt aus Bildern und Sätzen, aus „Gerüchen“, auf der Suche nach dem (nicht ganz unproblematischen) „Ursprünglichen“, „Kraftvollen“ und „Nackten“, wird von „Tieren“, die ihn bewohnen, durchstreift. Ein „alter creator“, der die Welt täglich neu erschafft (auch das wiederholte „bin daran“ weist darauf hin); ein Poet, der versucht, „aus Worten Krüge zu formen“, und zwar „mit Zwielicht gefüllt“ – eine Poetik des Existentiellen, die auch die kleinen, nahen, widersprüchlichen Erscheinungen mit einschließt. Werner Lutz vertritt, kontemplativ umherschweifend, eine Literatur, die vorgibt, unmittelbar aus der Natur zu schöpfen, und die dadurch selber ein Stück Natur wird.
  Dieser Dichter, so liest man in seinen Aufzeichnungen – lyrische Prosa unter dem Titel „Bleistiftgespinste“ – will sich nicht mehr einspinnen lassen „vom Zauber der Resignation“, er wagt es, „aufzubrechen, nichts weiter im Gepäck als eine Minute, die ihrerseits einige Sekunden besitzt.“ Er kennt sich aus in der Natur wie in der Kunst, er widmet sich der Maulwurfsgrille und dem Johanniskraut ebenso wie der Glasmalerei in Chartres, er bindet „badisches Licht an Rebzeilen fest“ (und gewiss auch schweizerisches und elsässisches Licht), findet auf seinem Weg sogar Dinge, die er gar nicht gesucht hat. Ein Begeisterter ist hier zu Fuß unterwegs, ausgestattet mit der Sehnsucht „nach beschriebenem Papier“, ein „poeta doctus“ älterer Art, der mit den forschen Sprachmonteuren der Moderne wenig gemein hat. Er scheint ziemlich einsam zu sein, nur mit den eigenen Bilder beschäftigt, wirkt manchmal fast schon verschollen.
  Ich will nicht behaupten, dass ich diese ganz nach innen, dem „Wesentlichen“ zugekehrten Miniaturen in jedem Fall angemessen verstehe, kann ihrem Autor, dessen Formulierungen gelegentlich zum Idyllisch-Harmlosen tendieren, auch nicht vorbehaltlos zustimmen. Und gewiss mangelt es vielen dieser Prosastücke an Schärfe der Reflexion und an Dichte der Wahrnehmung, die vergleichbare Aufzeichnungen von Peter Handke, Philippe Jaccottet oder Walter Helmut Fritz auszeichnen. Doch auch Lutz`Texte reden vom Wirklichen und Greifbaren, man kann durch sie die Dinge wie zum ersten Mal betrachten und beispielsweise die Gerüche des Regens im Frühling kennenlernen.
  Diese von jedem Trivialgeschehen heftig abgewandten Miniaturen sind naturgemäß nicht datiert. Sie könnten über viele Jahre hin entstanden sein und künden von jener meditativen Ruhe, die Einzelgänger und „Gegenläufer“ wie Lutz häufig umgibt. Die Melancholie ist zeitlos, die Gegenwart ist dem Träumer nichts als eine „Klatschtante“. Es geht ihm um Geduld, um Leichtigkeit, um ein „Stillemuseum“ – um „das Dunkel, das Sammetdunkel, das Moosdunkel ...“ Und mit radikaler Geste strebt er sogar das Scheitern an, den „Fehlschlag“, „das Absolute“.
  Aufmerksam auf den Basler Lyriker Werner Lutz wurde ich erst durch ein kleines Gedicht über die mir seit langem vertraute Insel Stromboli, das aus Anlass seines Todes im Jahr 2016 in der Sammlung „Stelen“ des Poetenladens erschien. Dessen erste Strophe lautet: „Stromboli, Weininsel, Tisch / auf Männerstimmen treibend / in Rauch gehüllt / Gespräche, Lavabäche in den Aschehängen ...“ Mit wenigen einfachen Wendungen, sparsamen Worten hält dieser Dichter einen für Stromboli typischen Augenblick fest – das Anlegen des Postschiffs am Strand der äolischen Insel „einmal in der Woche“, das Stimmengewirr des Hafens und das bald erfolgende Weiterziehen der Fähre, dem fernen Neapel zu, über das tintenblaue homerische Meer.

Werner Lutz, der auch als Maler und Grafiker tätig war, wurde 1930 in Wolfhalden im ostschweizerischen Kanton Appenzell geboren und starb 2016 in Basel. Ab 1955 erschienen erste Gedichte, gefördert von Hans Bender, in der Zeitschrift „Akzente“. Der vorgestellte Text stammt aus „Bleistiftgespinste. Aufzeichnungen“, Waldgut Verlag, Frauenfeld, 2006.

Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht     02.10.2017




Band 1
 
  Band 3  
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Gedichte, kommentiert
von Michael Braun und
Michael Buselmeier

    Werner Lutz
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Gefördert vom
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  102   Brigitte Oleschinski
    
wie die Wörter auftauen
  101   Franz Josef Czernin
    
dunkel ortlos, hergezogen
  100   Johann P. Tammen
    
Ein Poet nimmt Platz
  99   Joseph Kopf
    
Ich liebe Schritte, die ins Leere gehn
  98   Oleg Jurjew
    
Zum Andenken an den Kater Nero
  97   Sandra Burkhardt
    
Die Bahn einer Meeresschildkröte
  96   Ernst Blass
    
An Gladys
  95   Michael Buselmeier
    
Holzpuppe
  94   Heiner Müller
    
Traumwald
  93   Thomas Böhme
    
Neunundzwanzigster Februar
  92   Katrine von Hutten
    
Beschreibung
  91   Dieter M. Gräf
    
Nach Mattheuer
  90   Arnfrid Astel
    
Leda
  89   Michael Krüger
    
Im Winter
  88   Ralph Dutli
    
Salzzauber
  87   Christiane Heidrich
    
Today I am functional (1)
  86   Wulf Kirsten
    
die rückkehr der wölfe
  85   Maren Kames
    
Im Siel
  84   Gregor Laschen
    
Drüben, im ›Winkel von Hardt‹
  83   Christoph Wenzel
    
ländlich, der mundraum
  82   Werner Lutz
    
Ja, bin unterwegs
  81   Kenah Cusanit
    
Gottesgedicht, unberuhigt
  80   Sascha Kokot
    
sobald die Stadt ...
  79   Ror Wolf
    
Dritter unvollständiger Versuch
  78   Horst Bingel
    
Felsenmeer
  77   Tristan Marquardt
    
nachts, ich laufe nach hause
  76   Harald Gerlach
    
Gründe, linkselbisch
  75   Birgit Kreipe
    
schienen stillgelegt
  74   Hanns Cibulka
    
Böhmischer Rebstock
  73   Karin Fellner
    
Eine Zeitfalte weiter
  72   David Krause
    
Wolken
  71   Jürgen Nendza
    
An manchen Tagen
  70   Harry Oberländer
    
kurz vor der revolution
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Ich bin
  68   Hilde Domin
    
Antwort
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Zukünftiges
  66   Günter Herburger
    
Großjean, der aus einem ...
  65   Georg Leß
    
Kondorlied
  64   Thomas Kling
    
Tessiner beinhaus. wandbild
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Da ist es
  62   Ernst S. Steffen
    
Man sagt
  61   Henning Ziebritzki
    
Elster
  60   Jürgen Brôcan
    
Fremde ohne Souvenir
  59   Carolin Callies
    
wackersteine im wams
  58   Friedrich Ani
    
Versehrte Verse
  57   Elke Erb
    
»Ursprüngliche Akkumulation«
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Heidelberg, den 14ten August
  55   Sonja vom Brocke
    
Kunde
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krähen
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im brunnen
  52   Susanne Stephan
    
Frontier
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Uraniafalter
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Der Zischelwind
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fürs erste leb im später
  48   Andreas Rasp
    
diese steine hier
  47   Marcus Roloff
    
hl. grab, eingang wahlkapelle
  46   Clemens J. Setz
    
Motte
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jetzt, da die letzten bilder verschwunden sind
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Der Nebel fällt
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Expedition
  42   Christian Lehnert
    
Du bist die Aussicht  ...
  41   Àxel Sanjosé
    
Zum Abschied hell ...
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feld elternlos
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Weiß wie
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Kilchberg
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Requiem
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Vom Flüchtigschönen
  35   Nico Bleutge
    
grauwacke
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Kinderjuni
  33   Thomas Rosenlöcher
    
Die Hoffnungsstufen
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Dem toten Kind in einer Oktobernacht
  31   Arne Rautenberg
    
drei amseln
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Ans Meer
  29   Jean Krier
    
„Alles ist in den besten Anfängen“
  28   Werner Laubscher
    
Winterreise. Wintersprache
  27   Wolfgang Schlenker
    
stichwort minimieren
  26   Christoph Meckel
    
Kind
  25   Günter Grass
    
Die Vorzüge der Windhühner
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Blume mit Geruch
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Rosa Meinung
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Edoms Nacht
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Belegte Brotzeit
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Auf sommerlichem Friedhof
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