Saison 2012/13. I. Das Konzerthausorchester Berlin. Des neuen Musikchefs Iván Fischers Antrittskonzert mit Glanert, Brahms und Dvořák, darinnen Julia Fischer und Daniel Müller-Schott im Duett.
Übergehen wir mal, daß Klaus Wowereit, nach dem Intendanten, des Hauses Saison eröffnet hat, um den neuen Chefdirigenten des Orchesters, Iván Fischer, zu begrüßen - was einem Umstand den festlichen Rahmen geben sollte, dem ein unschön langer, durchaus zäher Streit vorausging. Nun trat das Publikum nach: Der frenetische Applaus, der dem neuen Musikdirektor nach jedem Dirigat gespendet wurde, hatte etwas durchweg Unangenehmes, ja Aggressives gegenüber dem Vorgänger, dessen moderne Programmgestaltung immer wieder auf Widerstand gestoßen war. Zagrosek war nicht der Mann für Galas, sondern ein bisweilen unerbittlicher Diener allein seiner Arbeit; blitzender Showstrass ging ihm ab; er wollte nicht, was das Publikum möchte, entertainen. Mir für immer unvergessen wird >>>> sein Orpheus Křeneks bleiben - eine auch szenisch im Konzertsaal überwältigend gelöste, man kann fast sagen: moderne Pioniertat. Weder das Publikum noch sein Orchester, mit dem er aber da schon zerstritten, dankten sie ihm recht. Leider war keine Näherung möglich. Ich bedauere das sehr und möchte mich, ihm angemessen knapp, vor ihm verneigen, anstatt den strengen Mann durch Jubeleien, die einen nächsten Kaiser, bloß weil der Star ist, ovatieren, so laut wie ungerecht mit vergessen zu machen. Die Ära Zagrosek ist für Berlin von hoher aufführungsästhetischer Bedeutung gewesen. Sie hat, ähnlich wie >>>> Sellars‘ und Rattles grandiose Matthäus-Passion, den Maßstäben einer heutigen Weltstadt entsprochen.
Iván Fischer, freilich, ist von anderem Schlage der Mentalität, erinnert in seiner Erscheinung ein wenig an Solti, dessen ungarische Herkunft er teilt, strahlt allerdings nicht ganz dieselbe Leidenschaftlichkeit aus, auch nicht im Dirigat, wirkt moderater, umgänglicher, durchweg freundlich - anders als Zagrosek hat er etwas väterlich Integratives, dessen Lächeln das Publikum sofort einnahm, auch wenn Sebastian Nordmann in seiner Begrüßung darauf hinwies, das Antrittskonzert sei Programm, also daß fortan nicht etwa darauf verzichtet werde, zugunsten der von Publikum und Orchestermehrheit begehrten Klassikreißer Neue Musik aufzuführen, sondern sie sei hiermit sogar ganz an den Anfang der neuen Ära gestellt. Nimmt man das indes, mit dem gewählten Stück Detlef Glanerts, ernst, dann wird ein Akzent schließlich doch auf dem Umgänglichen liegen. Es gibt ja auch Philip Glass und ähnliche Leute, die Neue Musik als einen Honigtopf betrachten, den man über dem Publikum ausgießt. Nicht daß Glanerts Komposition damit vergleichbar wäre, sogar gewiß nicht, doch irgend eine Zumutung, irgend ein Radikales, das einen verstören oder bewegen könnte, sie noch lange mit sich zu tragen, wurde, jedenfalls gestern, nicht laut.
Es ist allerdings ein Nocturne - also schon thematisch auf Kontemplation angelegt, Besinnlichkeit könnte man sagen, mit leise mal einer Anspielung auf naheliegenderweise Mahler, dessen gesamte Siebte ein „Lied der Nacht“ genannt worden ist. Dennoch war Glanerts rund zehn Minuten währendes Stück das interessanteste, weil eben auch gegenwärtigste des Abends, und zwar selbst dann, wenn es deutlich Rückschau ist, sowohl melodisch wie in seiner Faktur. Die Nacht sei der Wartesaal der Vergangenheit, schreibt Habakuk Traber im Programmheft, was die Verarbeitung konfliktuöser „Tagesreste“ milde übergeht, doch kann die Formulierung auf Glanerts Nocturne wirklich angewendet werden: Hier gräbt nicht das Unbewußte, hier kommt kein Ungeheures zutage, das wir nicht schon kennten, sondern selbst die härtesten Stellen ziehen noch an uns vorbei, ohne uns eigentlich erreichen zu können. Wir nehmen sie aber, wie opalisiert von Nachtglanz, immerhin wahr. Dazu gehören gleich zu Anfang, nach der kurzen, aber bereits da erzählerischen Flötensentenz, Posaunenklänge, die sich in die vergangenen Zwanziger/Dreißigerjahre der USA verorten lassen. Das ist nicht ohne Musicalei, dieses etwas BigBandhafte, dem ein Strawinski vorausgeht und folgt, einer freilich ohne die Kondition, derer wirkliche Raserei bedarf. Er bricht ins Schattenhafte weg, in Andeutungen, dann eine weite Tiefe, als kündigte sich ein echtes Thema an, etwa mal kurz in den Hörnern. Aber auch das wird immer wieder weggewischt, ohne sich exponieren zu können, so daß man anstelle von einem Nocturne besser von miniaturen Nachtstücken spräche, die schließlich, über Glockenschlägen, gleichsam offen mit der Flöte enden.
Dieses Rückwärtige, Rückwärtsgewandte, in das Glanerts Kompositon schaut, wurde besonders vom zweiten Programmpunkt des Abends betont: Brahms‘ Doppelkonzert. Wie schon so oft stand ich dem Stück auch diesmal ambivalent gegenüber, mit einer starken Tendenz zur Ablehnung. Allzu patriarchal-akademisch ist das gesetzt, aufruhrlos und in den elegischen Passagen stockfleckig sentimental. Dazu kam das von Fischer vorgegebene, für meinen Geschmack zu behäbige Rahmentempo. Wenn dieses Konzert etwas rettete, wäre es eine forcierte Eile, einfach eine Nervosität oder musikalische Hyperaktivität, die das derart Kommode vielleicht sich ein wenig zerreißen ließe. Da müßte einer mal reinschlagen, dachte ich, da müßte wer dazwischenfetzen; sogar eine E-Gitarre wäre mir recht, wenn bloß dieses wohlgestelzte IchKenneDasLeben verschwände, dieses IchWeißÜberAllesBescheid. Jugend, dachte ich, Jugend fehlt hier - nicht der „Aussage“, nein, aber der F o r m.
Frenetischer Jubel des Publikums. - Verausgabt hatte sich weder Fischer noch das Interpretenpaar, Julia Fischer und Daniel Müller Schrott, die halt vorzüglich eine Mugge musizierten. Daß sie auch anders können, zeigte die Zugabe - Johan Halvorsens Passacaglia -, die freilich für die beiden schon seit so langem Virtuosen-Repertoirestück ist, daß es sogar seinen Weg nach Youtube gefunden:
Iván Fischer, freilich, ist von anderem Schlage der Mentalität, erinnert in seiner Erscheinung ein wenig an Solti, dessen ungarische Herkunft er teilt, strahlt allerdings nicht ganz dieselbe Leidenschaftlichkeit aus, auch nicht im Dirigat, wirkt moderater, umgänglicher, durchweg freundlich - anders als Zagrosek hat er etwas väterlich Integratives, dessen Lächeln das Publikum sofort einnahm, auch wenn Sebastian Nordmann in seiner Begrüßung darauf hinwies, das Antrittskonzert sei Programm, also daß fortan nicht etwa darauf verzichtet werde, zugunsten der von Publikum und Orchestermehrheit begehrten Klassikreißer Neue Musik aufzuführen, sondern sie sei hiermit sogar ganz an den Anfang der neuen Ära gestellt. Nimmt man das indes, mit dem gewählten Stück Detlef Glanerts, ernst, dann wird ein Akzent schließlich doch auf dem Umgänglichen liegen. Es gibt ja auch Philip Glass und ähnliche Leute, die Neue Musik als einen Honigtopf betrachten, den man über dem Publikum ausgießt. Nicht daß Glanerts Komposition damit vergleichbar wäre, sogar gewiß nicht, doch irgend eine Zumutung, irgend ein Radikales, das einen verstören oder bewegen könnte, sie noch lange mit sich zu tragen, wurde, jedenfalls gestern, nicht laut.
Es ist allerdings ein Nocturne - also schon thematisch auf Kontemplation angelegt, Besinnlichkeit könnte man sagen, mit leise mal einer Anspielung auf naheliegenderweise Mahler, dessen gesamte Siebte ein „Lied der Nacht“ genannt worden ist. Dennoch war Glanerts rund zehn Minuten währendes Stück das interessanteste, weil eben auch gegenwärtigste des Abends, und zwar selbst dann, wenn es deutlich Rückschau ist, sowohl melodisch wie in seiner Faktur. Die Nacht sei der Wartesaal der Vergangenheit, schreibt Habakuk Traber im Programmheft, was die Verarbeitung konfliktuöser „Tagesreste“ milde übergeht, doch kann die Formulierung auf Glanerts Nocturne wirklich angewendet werden: Hier gräbt nicht das Unbewußte, hier kommt kein Ungeheures zutage, das wir nicht schon kennten, sondern selbst die härtesten Stellen ziehen noch an uns vorbei, ohne uns eigentlich erreichen zu können. Wir nehmen sie aber, wie opalisiert von Nachtglanz, immerhin wahr. Dazu gehören gleich zu Anfang, nach der kurzen, aber bereits da erzählerischen Flötensentenz, Posaunenklänge, die sich in die vergangenen Zwanziger/Dreißigerjahre der USA verorten lassen. Das ist nicht ohne Musicalei, dieses etwas BigBandhafte, dem ein Strawinski vorausgeht und folgt, einer freilich ohne die Kondition, derer wirkliche Raserei bedarf. Er bricht ins Schattenhafte weg, in Andeutungen, dann eine weite Tiefe, als kündigte sich ein echtes Thema an, etwa mal kurz in den Hörnern. Aber auch das wird immer wieder weggewischt, ohne sich exponieren zu können, so daß man anstelle von einem Nocturne besser von miniaturen Nachtstücken spräche, die schließlich, über Glockenschlägen, gleichsam offen mit der Flöte enden.
Dieses Rückwärtige, Rückwärtsgewandte, in das Glanerts Kompositon schaut, wurde besonders vom zweiten Programmpunkt des Abends betont: Brahms‘ Doppelkonzert. Wie schon so oft stand ich dem Stück auch diesmal ambivalent gegenüber, mit einer starken Tendenz zur Ablehnung. Allzu patriarchal-akademisch ist das gesetzt, aufruhrlos und in den elegischen Passagen stockfleckig sentimental. Dazu kam das von Fischer vorgegebene, für meinen Geschmack zu behäbige Rahmentempo. Wenn dieses Konzert etwas rettete, wäre es eine forcierte Eile, einfach eine Nervosität oder musikalische Hyperaktivität, die das derart Kommode vielleicht sich ein wenig zerreißen ließe. Da müßte einer mal reinschlagen, dachte ich, da müßte wer dazwischenfetzen; sogar eine E-Gitarre wäre mir recht, wenn bloß dieses wohlgestelzte IchKenneDasLeben verschwände, dieses IchWeißÜberAllesBescheid. Jugend, dachte ich, Jugend fehlt hier - nicht der „Aussage“, nein, aber der F o r m.
Frenetischer Jubel des Publikums. - Verausgabt hatte sich weder Fischer noch das Interpretenpaar, Julia Fischer und Daniel Müller Schrott, die halt vorzüglich eine Mugge musizierten. Daß sie auch anders können, zeigte die Zugabe - Johan Halvorsens Passacaglia -, die freilich für die beiden schon seit so langem Virtuosen-Repertoirestück ist, daß es sogar seinen Weg nach Youtube gefunden:
Hier war denn auch die - und nicht nur technische - Brillanz beider Interpreten zu hören, eine anschmiegsame Leidenschaft, möchte ich sagen, des Klangs, die ihr Instrument umarmt und völlig mit ihm eins ist. Das strahlt auf uns ab, schenkt sich uns, auch wenn wir Virtuosenstücke sehr wohl zu unterscheiden wissen, nämlich zum Beispiel von den beiden Cellosonaten von - ecco! - Brahms.******* Danach kam denn auch Fischer in Fahrt: Seinem maskulinen Temperament entspricht Dvořáks slawisches deutlich mehr als das hanseatisch gebondagte Brahms'. Hier ließ er denn das Konzerthausorchester ‚richtig mal abgehn‘. Der bisweilen etwas pappige Klang des Saals, der vor allem dem Doppelkonzert nicht guttat, war immer wieder momentlang vergessen, als die Musiker spielten, was ihr Zeug hält, doch eben das, was ein konservatives, zumindest gesetztes Publikum von ihnen erwartet. So kann man altwerden und dennoch, eben deshalb, meinen, man sei noch ganz im Leben. Das gilt für Leute um die vierzig auch, denen der wirkliche Wille - einer, der bohrt - schon verging. Viel Resignation ist in dieser Musik, aber viel Getändel auch, vor allem in den Tanzmotiven, die selbst in Böhmen nur noch kennt, wer kaum mehr voranblickt. Lauter alte Versprechen, die faktisch enttäuscht, ja zertreten worden sind und dies schon vor mehr als einem dreiviertel Jahrhundert, aber immer noch so angehört werden, als erwartete sie eine heile Erlösung. Eine solche Art Sinfonik war bereits nach Mahlers Neunter wirklich nur noch historisch zu hören, und ist es endgültig heute - so sehr verharrt sie, bei aller formalen Kunst, in der in ihr zudem erst anhebenden Pubertät eines kommenden, für uns Heutige indessen längst, wofür ich dankbar bin, vergangenen Jahrhunderts.
Es wird sich zeigen, ob Iván Fischer den modernen schlackenlosen Weg Zagroseks aufnehmen und ihn, doch unter günstigeren, weil allseits von gegenseitiger Sympathie getragenen Umständen, fortsetzen wird: auf eine moderne Musikästhetik hin, die ihre eigene Zeit reflektiert und aus ihr, nicht aus der abgeschabten Nostalgie, zu sinfonischer Schönheit findet, oder ob er das reaktionäre Bedürfnis nach Regression zu füttern vorzieht, das aus lebendigen Konzertsälen Museen vergangener Zeithöfe machen will, damit sich‘s drinnen bequem repräsentieren läßt: was man so hat und wer man so ist. Sicher, er wird sich zwischen diesen Polen bewegen müssen, schon, um nicht Abonnementen zu verschrecken. Doch läßt sich aus Glanerts Komposition manch eine Brücke bauen, die ihren Bogen eben nicht nur zurückschlägt. Insofern ist, vielleicht, das Programm dieses Antrittskonzertes mehr als nur geschickt gewesen und Fischer einer mit Feuer, der aber - pfiffig plant. So etwas würde m i r zum Fest.

Foto: ANH/iPhone.

Es wird sich zeigen, ob Iván Fischer den modernen schlackenlosen Weg Zagroseks aufnehmen und ihn, doch unter günstigeren, weil allseits von gegenseitiger Sympathie getragenen Umständen, fortsetzen wird: auf eine moderne Musikästhetik hin, die ihre eigene Zeit reflektiert und aus ihr, nicht aus der abgeschabten Nostalgie, zu sinfonischer Schönheit findet, oder ob er das reaktionäre Bedürfnis nach Regression zu füttern vorzieht, das aus lebendigen Konzertsälen Museen vergangener Zeithöfe machen will, damit sich‘s drinnen bequem repräsentieren läßt: was man so hat und wer man so ist. Sicher, er wird sich zwischen diesen Polen bewegen müssen, schon, um nicht Abonnementen zu verschrecken. Doch läßt sich aus Glanerts Komposition manch eine Brücke bauen, die ihren Bogen eben nicht nur zurückschlägt. Insofern ist, vielleicht, das Programm dieses Antrittskonzertes mehr als nur geschickt gewesen und Fischer einer mit Feuer, der aber - pfiffig plant. So etwas würde m i r zum Fest.
Foto: ANH/iPhone.
albannikolaiherbst - Samstag, 18. August 2012, 18:10- Rubrik: Konzerte
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