Zur VG Wort und zum Deutschen Literaturarchiv Marbach. An Renate Giacomuzzi.
Berlin, den 16. Mai 2008.
Liebe Renate,ich danke Dir sehr für Deinen Brief.
Wenn >>>> Marbach meine Arbeiten sammeln will, wäre es geraten, daß sich Marbach bei mir meldet und vielleicht auch selber Dateien sichtet. Das ist ja der Vorteil im Zeitalter der Kybernetik: Alles ist immer irgendwo gespeichert, und sei es als Backup. Nur muß das jemand durchgehen, der ich nicht selbst sein will noch überhaupt sein könnte, weil das ein riesiger Zeitaufwand ist, den mir weder jemand bezahlt, noch würde ich, selbst wäre das anders, die Zeit aufwenden können. Es gab zwar Jahre, da habe ich selbst sehr genau Buch über Publikationen und auch Unveröffentlichtes geführt, die sind aber vorbei, und es herrscht bei mir jetzt ein solch viertelorganisiertes Chaos, daß sich von meiner Seite aus kaum noch genaue Rechenschaft über meine Produktionen ablegen läßt.
Ein Leichtes ist es sicher, alles zu recherchieren, was sich im Netz von mir findet, Google ist da vortrefflich; schwieriger wird es bei den verstreuten Veröffentlichungen v o r der Netzzeit; aber darüber gäben, sichtete man sie, meine Backups sicher Auskunft. Ich habe freilich nicht einmal mehr eine Ordnung in den über mich erschienenen Rezensionen; manches habe ich vergessen, anderes gar nicht wahrgenommen. Zwar liegt hier in Berlin ein Riesenstoß an kopierten Zeitungsseiten, aber eben völlig durcheinander – bei meiner Produktionsmenge ist auch, das zu sichten, für mich selbst nicht zu leisten.
Etwas weiteres läßt mich in Sachen Marbach zögern. Ich bin mir des Wertes meiner Arbeit durchaus bewußt; dazu gehören die zahlreichen verstreuten Publikationen, insbesondere aber auch die gar nicht mehr zählbaren Reflektionen und Notate durchaus mit. Ginge das einfach so an Marbach, wäre es nur einmal mehr eine „Umsonst-Nummer“; ich werde für meine Arbeit ja so gut wie nicht entlohnt, und sowohl in Der Dschungel als auch auf der fiktionären Website verschenke ich laufend in großem Stil Texte, für die andere Autoren bezahlt würden. Gleichzeitig habe ich kein irgendwie anderes, geschweige ein geregeltes Einkommen, sondern schrabbe seit ein paar Jahren immer knapp am Privatkonkurs vorbei, bzw. steht der jederzeit vor seiner Eröffnung. Hier sammeln sich bereits wieder Forderungen, die ich nicht befriedigen kann. Dabei habe ich eine unterdessen fünfköpfige Familie; daß ich uns mal irgend einen Luxus leisten könnte, davon ist schon gar nicht die Rede. Ich habe bereits Hände und Kopf voll damit zu tun, das ganze Ausmaß dieser Bedrohung von meinen Lieben fernzuhalten, geschweige daß ich der permanenten Bedrohung angemessen begegnen könnte. Dazu addiert sich die Abfälligkeit des Betriebs mir gegenüber. Stünde da Achtung, wär ich längst in den Verteilungsmechanismen drin, von Jurortätigkeit bis zu entlohnten Kolumnen und ähnlichem. Davon ist nichts in Aussicht. Ich muß mir deshalb überlegen, ob ich mich ü b e r h a u p t auf Marbach einlasse oder nicht besser mit meinem Nachlaß z o c k e, d.h. ihn vorab zu verkaufen versuche; vielleicht findet sich ja einer, der ihn haben will. Ausgeschlossen ist das nicht – wie so weniges; mein Leben ist, seit ich zu schreiben begann, immer auf etwas ausgerichtet gewesen, das ein Kommen würde – ohne das hätte sich diese Art ungesicherter und meist rigoros abgelehnter Produktion nicht durchhalten lassen. Daß sich ihre öffentliche Einschätzung allmählich zu drehen beginnt – s e h r allmählich und auch nur in Kreisen der Literaturwissenschaftler, nicht hingegen denen der Pfründeverteiler -, ist allein d e m zu danken.
Was nun Dilimag anbelangt und die alten Beiträge meines „Vor“Blogs, habe ich Dir jetzt eine als rar gepackte Datei erstellt und sende sie in zweifacher Ausfertigung hier mit. Die eine habe ich in „Altblog.doc“ umbenannt, weil ich mich zu erinnern meine, daß Googlemail aus Sicherheitsgründen gepackte sowie ausführbare Dateien nicht verschickt; so wird dann immerhin e i n e ankommen. Die mußt Du dann in rar zurückbenennen; danach kannst Du nach gewohnter Routine entpacken. Das ist jetzt alles, was ich heut früh im Computer gefunden habe; ich habe die Dateien nicht gesichtet und auch nicht die Zeit, das zu tun; es sind schätzungsweise 200 Seiten, vielleicht auch einiges mehr. Die Dschungel. Anderswelt beginnt bei twoday mit dem 12. Juni 2004, freecity setzte bereits am 29. September 2003, also ein dreiviertel Jahr vorher ein, ziemlich genau mit dem Beginn des Prozesses um MEERE. Falls Ihr eine pdf erstellt, würde ich sie in Die Dschungel gern unter „Altblog“ übernehmen und dort dann einstellen.
Nun noch ein paar Worte zur VG Wort und dem dortigen Abrechnungsverfahren. Auch das ist für ein Einmannunternehmen wie das meine vollkommen unpraktikabel, zumal, wenn ich sämtliche bis heute erschienenen 15.508 Beiträge nachträglich mit Zählern ausstatten soll (ein paar dieser Beiträge sind über 5000mal gelesen worden, einer sogar, per eben, 26.577mal). So etwas ist von SPIEGEL ONLINE zu leisten, weil ein Unternehmen dahintersteckt, das einen Mitarbeiter eigens dafür abstellen (und bezahlen) kann; insofern ist die neue Regelung eine, die wie die Faust in die Schnauze jedes Kapitalismuskritikers paßt und sich sein Zahnwerk dabei freischlägt; es punktet ganz allein Großunternehmen zu. Außerdem ist das Verfahren an sich irre: da es die Beiträge nach Länge einschätzt und völlig übersieht, daß kurze Beiträge, die viel angeklickt wurden, wiederum Vorgänger längerer sind, um die dann debattiert wird. Ganz hinausfallen aber dabei vor allem die für Die Dschungel sehr wesentlichen Paralipomena – Aphorismen also, um die sich bisweilen über 100 Kommentare scharen, wenn nicht mehr. Das alles ist seitens der VG Wort derart unausgegoren, daß ich gar nicht erst anfangen werde, solche Zähler einzubauen. Etwas anderes wäre es, gälte der Zähler einem Weblog insgesamt und als solchem; das würde dann auch dem Umstand gerecht, daß die Zugriffshäufigkeit auf ein Weblog eben n i c h t von einzelnen Beiträgen abhängt, sondern von seiner Bedeutungsaura als Ganzem. Und dann... also, es ist völlig irre, völlig unpraktikabel, daß man jeden Beitrag eines Weblogs wie Der Dschungel zur Meldung als Doppel physisch an die VG Wort schickt. Allein dieser Arbeitsaufwand würde bei einem Organ wie Der Dschungel wenigstens einen halben Tag bedeuten; für die genuine literarische Arbeit bliebe dann überhaupt keine Zeit mehr. Dieses Modell ist insofern rein für Hobbydichter gemacht, die „nebenher“ noch ein Weblog betreiben und im übrigen das Wort „Freizeit“ kennen, das mir seit fünfundzwanzig Jahren ein Echo aus allerweitester Ferne ist.
Wie nun auch immer, ich grüße Dich ganz ganz herzlich und hoffe, meine offenen Worte verärgern Dich nicht.
Dein
A.
P.S.: Ich habe diesen Brief >>>> hier in Die Dschungel gestellt; es wäre also auch möglich und im Dschungelsinn wüschenswert, würde dort geantwortet. So fächerte sich das Unternehmen um n o c h eine Farbe auf.
albannikolaiherbst - Freitag, 16. Mai 2008, 09:34- Rubrik: Korrespondenzen
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