Des Balthus‛ junge Mädchenblüte. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, den 14. Dezember 2017. Mit Andrea Köhler, Egon Schiele, Herbert Wehner, Christopher Ecker und weiteren Personen moralischer und unmoralischer Kultur.
[Arbeitsjournal, 9.27 Uhr
Kinderrufe vom nahen Hof des Gymnasiums: Erste große Pause
Dazu Spatzenschwatzen, Hinterhof II]
Es läßt sich nicht anders sagen: Der neue Angriff, diesmal auf >>>> Balthus‛ Träumende Thérèse, ist ein Angriff auf die Kunst insgesamt:
Und zwar ein Angriff auf die, wie es die ausgesprochen kluge >>>> Andrea Köhler sehr richtig sieht, der Kunst notwendige Ambivalenz, einer, die, sage zusätzlich ich, auch moralische Dogmen infrage stellt und stellen, ja ihnen zuwiderlaufen können muß. Unterwirft sie sich dem moralischen Gebot, landet sie in der Notwendigkeit, der sich die mittelalterliche Malerei ausgesetzt sah: die Wirklichkeit nämlich in den Hintergrund zu verlegen oder ganz zu verschweigen.
Der voyeuristische Blick ist ein Teil der Wirklichkeit, sowohl bei Männern als auch Frauen, indes bei jenen unverstellter, gleichsam naiver; gerne, Freundin, dürfen Sie auch dümmer dazu sagen. Und so, wie auch Kinder bereits Sexualität haben, gibt es umgekehrt eine empfundene von manchen Erwachsenen gegenüber Kindern. An der Empfindung selbst ist nichts schlecht. Sie ist, Punkt. Es gab sogar Kulturen – solche, auf denen das Abendland kulturell fußt –, denen Sexualität zwischen Älteren und Jugendlichen der Initiationsmodus war. Fragwürdig wurde dies erst durch das Christentum, das insgesamt körper- und damit frauenfeindlich ist, zumindest war, sich Sexualität aber dennoch unter dem Vorhang der Macht erfüllte – nun noch aufgekitzelt durch das „Böse”, für das man obendrein abtestiert werden konnte: Die Sünde ist der Königsweg der Gläubigen.
Kunst stellt Wirklichkeit dar, stellt sie vor Augen. Selbstverständlich wird der Betrachter von >>>> Balthus‛ Bild zum Vouyer; darum genau geht es doch. Er wird es ebenso, wie er‛s in Caspar David Friedrichs >>>> Wanderer über dem Nebel wird; dort wird er‛s sogar selbstreferentiell.
Überdies wird Moral in den gegenwärtigen Debatten zum Mainstream; Moral wird zur Mode. Übersehen wird dabei, und zwar entweder absichtsvoll oder schreiend naiv, daß die Darstellung einer Vergewaltigung (als Teil unserer erlebten Wirklichkeit) durchaus nicht Vergewaltigung-selbst ist. Der Roman eines Faschisten ist nicht notwendigerweise faschistisch (ich denke z.B. an Miodrag Bulatovics >>>> Die Daumenlosen), indessen es der Roman eines Antifaschisten durchaus sein kann.
Allgegenwärtige Moral wird zur Unmoral, indem sie sich diktatorisch aufwirft; es gibt eine Diktatur der Quote: eine der schärfsten Gefahren, die, Hand in Hand mit der Genderisierung, der demokratische Kapitalismus bereithält und nunmehr ausspielt. Es ist der praktischste, weil zuhandenste Vorhang, der sich vor die eigentlichen, nämlich seine, Probleme ziehen läßt, sei es die Prekarisierung, seien es die kulturellen Verwerfungen durch Globalisierung, seien es die Flüchtlingsströme, unter denen sich als „Wirtschaftsflüchtlinge” denunzierte Menschen befinden, die imgrunde Klimageflohene sind. Zudem sind die derzeitigen Debatten extrem funktionable Werkzeuge der Massenführung: Freiheitsräume werden nur noch dort gelassen, wo sie sich ökonomisch empfehlen. Panem et Circensis der Moralitäten.
Ein anderes Beispiel, es hängt mit Genderisierung und erotical correctness engst zusammen:
Eine der Hauptstützen der westlichen Wirtschaftsmatrix ist der Zins; der Koran hingegen verbietet ihn. Auch aus dieser Perspektive läßt sich die besonders aus der rechten und "liberalistischen" Ecke betriebene Islamkritik betrachten; dabei geht es nämlich gar nicht um die dogmatische Auslegung einer monotheistischen Spielart, sondern tatsächlich um sie selbst auch in ihren toleranten Formen.
Doch zu Balthus zurück. Es wird nicht mehr lange dauern, bis auch >>>> Egon Schieles Frauenbilder als Verstoß gegen die Allgemeine Wohlfühlordnung und schwerster Sittenverstoß anzusehen sein werden; als Wally Neuzil mit dem Maler eine leidenschaftliche Beziehung einging, war sie sechzehn, er einundzwanzig. Auch Schieles Bilder, nicht nur die von ihr, werden deshalb abgehängt und aus sämtlichen Galerien und Museen verbannt werden müssen. Die Liste läßt sich in der Kunstgeschichte von unserer Gegenwart bis in die Vergangenheit unendlich fortsetzen. Ich sehe schon die Scheiterhaufen. Sie brennen nicht mehr, das würde ja an 1936 erinnern, was politisch nicht korrekt wär. Sondern das Zeug kommt ins Loch. Zement drüber, fertig.
So radiert sich Geschichte aus.
Nichts wäre der Ökonomie lieber, die den Individuen nicht Wurzeln mehr, nicht Widerständigkeiten gestattet, sondern sie zu Replikanten programmiert. An dieser Programmierung haben die derzeitigen Debatten tätigsten Anteil und treiben sie voran, sei es, daß sie aus Mark Twain, nun wahrlich dem Gegenteil eines Rassisten, die „Nigger” rauszensieren, sei es, daß Astrid Lindgren umgeschrieben, sei es, daß Lukas der Lokomotivführer um seine Tabakspfeife coupiert wird. Es wird bald auch keine Fotografien von Herbert Wehner oder Ernst Bloch mehr geben, auf denen sie rauchen – was heißt, daß es von ihnen bald gar keine Bilder mehr geben wird, jedenfalls keine, die gezeigt werden dürfen. Den großen >>>> STERN-Titel
YO TAMBIÉN SOY >>>> UN ADMIRADOR
Der voyeuristische Blick ist ein Teil der Wirklichkeit, sowohl bei Männern als auch Frauen, indes bei jenen unverstellter, gleichsam naiver; gerne, Freundin, dürfen Sie auch dümmer dazu sagen. Und so, wie auch Kinder bereits Sexualität haben, gibt es umgekehrt eine empfundene von manchen Erwachsenen gegenüber Kindern. An der Empfindung selbst ist nichts schlecht. Sie ist, Punkt. Es gab sogar Kulturen – solche, auf denen das Abendland kulturell fußt –, denen Sexualität zwischen Älteren und Jugendlichen der Initiationsmodus war. Fragwürdig wurde dies erst durch das Christentum, das insgesamt körper- und damit frauenfeindlich ist, zumindest war, sich Sexualität aber dennoch unter dem Vorhang der Macht erfüllte – nun noch aufgekitzelt durch das „Böse”, für das man obendrein abtestiert werden konnte: Die Sünde ist der Königsweg der Gläubigen.
Kunst stellt Wirklichkeit dar, stellt sie vor Augen. Selbstverständlich wird der Betrachter von >>>> Balthus‛ Bild zum Vouyer; darum genau geht es doch. Er wird es ebenso, wie er‛s in Caspar David Friedrichs >>>> Wanderer über dem Nebel wird; dort wird er‛s sogar selbstreferentiell.
Überdies wird Moral in den gegenwärtigen Debatten zum Mainstream; Moral wird zur Mode. Übersehen wird dabei, und zwar entweder absichtsvoll oder schreiend naiv, daß die Darstellung einer Vergewaltigung (als Teil unserer erlebten Wirklichkeit) durchaus nicht Vergewaltigung-selbst ist. Der Roman eines Faschisten ist nicht notwendigerweise faschistisch (ich denke z.B. an Miodrag Bulatovics >>>> Die Daumenlosen), indessen es der Roman eines Antifaschisten durchaus sein kann.
Allgegenwärtige Moral wird zur Unmoral, indem sie sich diktatorisch aufwirft; es gibt eine Diktatur der Quote: eine der schärfsten Gefahren, die, Hand in Hand mit der Genderisierung, der demokratische Kapitalismus bereithält und nunmehr ausspielt. Es ist der praktischste, weil zuhandenste Vorhang, der sich vor die eigentlichen, nämlich seine, Probleme ziehen läßt, sei es die Prekarisierung, seien es die kulturellen Verwerfungen durch Globalisierung, seien es die Flüchtlingsströme, unter denen sich als „Wirtschaftsflüchtlinge” denunzierte Menschen befinden, die imgrunde Klimageflohene sind. Zudem sind die derzeitigen Debatten extrem funktionable Werkzeuge der Massenführung: Freiheitsräume werden nur noch dort gelassen, wo sie sich ökonomisch empfehlen. Panem et Circensis der Moralitäten.
Ein anderes Beispiel, es hängt mit Genderisierung und erotical correctness engst zusammen:
Eine der Hauptstützen der westlichen Wirtschaftsmatrix ist der Zins; der Koran hingegen verbietet ihn. Auch aus dieser Perspektive läßt sich die besonders aus der rechten und "liberalistischen" Ecke betriebene Islamkritik betrachten; dabei geht es nämlich gar nicht um die dogmatische Auslegung einer monotheistischen Spielart, sondern tatsächlich um sie selbst auch in ihren toleranten Formen.
Doch zu Balthus zurück. Es wird nicht mehr lange dauern, bis auch >>>> Egon Schieles Frauenbilder als Verstoß gegen die Allgemeine Wohlfühlordnung und schwerster Sittenverstoß anzusehen sein werden; als Wally Neuzil mit dem Maler eine leidenschaftliche Beziehung einging, war sie sechzehn, er einundzwanzig. Auch Schieles Bilder, nicht nur die von ihr, werden deshalb abgehängt und aus sämtlichen Galerien und Museen verbannt werden müssen. Die Liste läßt sich in der Kunstgeschichte von unserer Gegenwart bis in die Vergangenheit unendlich fortsetzen. Ich sehe schon die Scheiterhaufen. Sie brennen nicht mehr, das würde ja an 1936 erinnern, was politisch nicht korrekt wär. Sondern das Zeug kommt ins Loch. Zement drüber, fertig.
So radiert sich Geschichte aus.
Nichts wäre der Ökonomie lieber, die den Individuen nicht Wurzeln mehr, nicht Widerständigkeiten gestattet, sondern sie zu Replikanten programmiert. An dieser Programmierung haben die derzeitigen Debatten tätigsten Anteil und treiben sie voran, sei es, daß sie aus Mark Twain, nun wahrlich dem Gegenteil eines Rassisten, die „Nigger” rauszensieren, sei es, daß Astrid Lindgren umgeschrieben, sei es, daß Lukas der Lokomotivführer um seine Tabakspfeife coupiert wird. Es wird bald auch keine Fotografien von Herbert Wehner oder Ernst Bloch mehr geben, auf denen sie rauchen – was heißt, daß es von ihnen bald gar keine Bilder mehr geben wird, jedenfalls keine, die gezeigt werden dürfen. Den großen >>>> STERN-Titel
werden wir erst recht nicht mehr nicht erleben.
Übrigens saß Schiele tatsächlich wegen „Verbreitung unsittlicher Zeichnungen” für etwas mehr als drei Wochen im Gefängnis. Es war das Todesjahr Gustav Mahlers. Wir fallen ins Biedermeier zurück, also in die – ecco! – „Gründer”jahre. Die einzige, die den eingesperrten Schiele besuchte, war seine Geliebte – ebenjene Minderjährige, die sein bekanntestes Modell werden sollte. Darüber indes, über die Haft, hier keine Klage: Es ist das Risiko, daß jeder Künstler trägt – nicht aber auch sein Werk zu tragen hat, um dessentwillen er es auf sich nimmt. Persönlich hat er zu „zahlen” und wird es immer auch tun (oder sich, moralisch völlig legitim, durch Flucht entziehen); im Gegenzug und aus Achtung hat die Kunst selber frei von Sanktionen zu sein. Wir hätten andernfalls gar nicht das Recht, Kunst- und Architekturzerstörer wie die Krieger des داعش (IS) als Verbrecher zu bezeichnen.
Nach, Freundin, diesen meinen Erregungen verhilft mir Christopher Ecker heute zu einer geradezu Läuterung – nämlich den Künstler und das, was ich eben seinen Risikowillen nannte, in einer geradezu >>>> borgesschen Allegorie: >>>> das Bauopfer nämlich selber zu sein.
Bauopfer heißt auch der Text. - „Zeit: frühes Mittelalter. Held: ein junger Brückenbaumeister. Weitgereist, vielgerühmt und vielleicht ein wenig zu ehrgeizig. Jemand, der alles richtig machen will und bei der Versammlung auf dem Marktplatz” öffentlich erwägt, welches oder wessen Opfer erfordert sei, um den Halt der großen Brücke auf lange Zeit zu garantieren. Er verwirft die schwarze Katze selbstverständlich – unisono mit Ecker selbst – sofort; überhaupt scheinen ihm Tieroper zu klein zu sein; es sollte schon ein Mann sein.
Frauen sind, wie wir wissen, im Christentum nicht gleichberechtigt (Paulus, >>>> 1 Korinther 11), ergo auch nicht als Opfer wertvoll genug; daher kommt der junge Mann erst gar nicht auf sie. Doch was für einen Mann? Einen Tischler (Ecker nennt ihn nicht, obwohl er sich Jesu wegen anböte), einen Böttcher, einen Fischer? Nein, bewahre! Es müsse vielmehr jemand sein, „der – ja, das ist es! – mit der Brücke selbst zu tun hat, damit seine eingemauerte Seele für alle Zeiten dieses die Luft frech verhöhnende Bauwerk schützen kann.”
Die dreiseitige Erzählung endet mit einer, wie es im Film heißt, Totalen: Wir steigen über ihr gleichsam in einem Ballon, der höher und immer, immer höher schwebt, um irgendwann im Himmel anzulanden.
Lassen Sie mich, Freundin, diesmal mit einer Strophe des Gedichtes „Lust” von Klaus Kinski enden :
Ich hab den Mädchen in die Brust gebissen,
wie bunte Tiere frische Feigen fressen,
bis ich von ihrem Sonnenbrand zerrissen
>>>> in ihre Kater stürzte wie ein Gott besessen -
ANH
Übrigens saß Schiele tatsächlich wegen „Verbreitung unsittlicher Zeichnungen” für etwas mehr als drei Wochen im Gefängnis. Es war das Todesjahr Gustav Mahlers. Wir fallen ins Biedermeier zurück, also in die – ecco! – „Gründer”jahre. Die einzige, die den eingesperrten Schiele besuchte, war seine Geliebte – ebenjene Minderjährige, die sein bekanntestes Modell werden sollte. Darüber indes, über die Haft, hier keine Klage: Es ist das Risiko, daß jeder Künstler trägt – nicht aber auch sein Werk zu tragen hat, um dessentwillen er es auf sich nimmt. Persönlich hat er zu „zahlen” und wird es immer auch tun (oder sich, moralisch völlig legitim, durch Flucht entziehen); im Gegenzug und aus Achtung hat die Kunst selber frei von Sanktionen zu sein. Wir hätten andernfalls gar nicht das Recht, Kunst- und Architekturzerstörer wie die Krieger des داعش (IS) als Verbrecher zu bezeichnen.
Nach, Freundin, diesen meinen Erregungen verhilft mir Christopher Ecker heute zu einer geradezu Läuterung – nämlich den Künstler und das, was ich eben seinen Risikowillen nannte, in einer geradezu >>>> borgesschen Allegorie: >>>> das Bauopfer nämlich selber zu sein.
Bauopfer heißt auch der Text. - „Zeit: frühes Mittelalter. Held: ein junger Brückenbaumeister. Weitgereist, vielgerühmt und vielleicht ein wenig zu ehrgeizig. Jemand, der alles richtig machen will und bei der Versammlung auf dem Marktplatz” öffentlich erwägt, welches oder wessen Opfer erfordert sei, um den Halt der großen Brücke auf lange Zeit zu garantieren. Er verwirft die schwarze Katze selbstverständlich – unisono mit Ecker selbst – sofort; überhaupt scheinen ihm Tieroper zu klein zu sein; es sollte schon ein Mann sein.
Frauen sind, wie wir wissen, im Christentum nicht gleichberechtigt (Paulus, >>>> 1 Korinther 11), ergo auch nicht als Opfer wertvoll genug; daher kommt der junge Mann erst gar nicht auf sie. Doch was für einen Mann? Einen Tischler (Ecker nennt ihn nicht, obwohl er sich Jesu wegen anböte), einen Böttcher, einen Fischer? Nein, bewahre! Es müsse vielmehr jemand sein, „der – ja, das ist es! – mit der Brücke selbst zu tun hat, damit seine eingemauerte Seele für alle Zeiten dieses die Luft frech verhöhnende Bauwerk schützen kann.”
Die dreiseitige Erzählung endet mit einer, wie es im Film heißt, Totalen: Wir steigen über ihr gleichsam in einem Ballon, der höher und immer, immer höher schwebt, um irgendwann im Himmel anzulanden.
Lassen Sie mich, Freundin, diesmal mit einer Strophe des Gedichtes „Lust” von Klaus Kinski enden :
wie bunte Tiere frische Feigen fressen,
bis ich von ihrem Sonnenbrand zerrissen
>>>> in ihre Kater stürzte wie ein Gott besessen -
ANH
albannikolaiherbst - Donnerstag, 14. Dezember 2017, 11:41- Rubrik: Arbeitsjournal
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