Roger Norrington dirigiert die Junge Deutsche Philharmonie: Bartók, Brahms und ein Wagner. 9. März 2010, Philharmonie Berlin.
Noch niemand spricht von „Dienst”, wenn dieses Orchester Konzerte gibt. Wie die Berliner Philharmoniker w ä h l t man seine Dirigenten, und die sind stolz, einige auch glücklich, die jungen Musiker dirigieren zu dürfen - schon weil die Rede von Arbeitsverträgen und eben „Dienst”zeiten noch nicht ist, deretwegen manch berühmter Dirigent in Deutschland nicht auftreten mag; nichts von Tarifverträgen, Überstunden und all dem übrigen für einen Alltag aber ja doch nötigen Kram, wenn man zum Beispiel Familie hat, für die das Wort „Freizeit” nicht inhaltsleer sein kann – kurz: noch keine andere Routine als die der künstlerischen Arbeit, die Routine eben drum nie wird. Bei der >>>> Jungen Deutschen Philharmonie.
Einverständnis ist das erste, was mir immer wieder auffällt, wenn ich diesen Philharmonikern zuschau und -hör. So auch >>>> gestern abend im leider nicht ausverkauften Saal der Philharmonie Berlin; das macht, wiederum, aber nichts: macht nichts wegen des Einverständnisses, das Musiker, die heute nicht mitspielen (aber sie werden es morgen), für den CD-Verkauf auch mal die Kasse halten läßt; eine strahlende, jugendliche, klasseschöne Pressefrau begrüßt mich am Tisch; strahlen tut auch Norrington, na ja, lächeln tut er, so knapp vorm Auflachen immer, vor Musizierfreude dauernd, auch am Pult, ein irgendwie gemütlicher „daddy for all”, dem man die Präzision seiner Arbeit so überhaupt nicht ansieht, nicht die Härte, die er den Klangkonturen verleihen läßt, die Unnachgebigkeit, mit der er Weichzeichner wegignoriert, so daß Konturen Konturen auch sind. Besonders zu hören war das bei Brahms, dessen Dritter diese Auffassung die analytischen Strukturen zurückgibt: die motivische Arbeit des Komponierens, Durchführung muß das genannt sein und Materialität – eben: Ton und Klang als Stein, den einer behaut. Was so als „Weltanschaung” im musikalischen Halo mitschwingt, wird in diesem Netzwurf überhaupt erst gefangen, nicht v o r dem Fang schon eingeholt. Man mag das nüchtern nennen, das ist es aber nicht: sondern erfüllt, wiewohl aus der Wiederentdeckung der Alten Musik hervorgearbeitet, ein Diktum der frühen Moderne, das sehr bewußt gegen die Aufblähungen der Spätromantik (ACHTUNG! Zeit des Nationalismus, sich perfektionierende Warengesellschaft und verschleiernder Gründerschmock. ACHTUNG!) gestellt worden war: daß man im fertigen Werk auch die Baustelle sehe, aus der es entstanden:: daß sie Teil des Kunstwerkes sei und es bleibe. Was ein Gegenentwurf auch zur „poststabilierten” Harmonie der Klassik (und der Postmoderne) ist. Norringtons legendäre Inszenierungen der Beethoven-Sinfonien schlugen den, ausgerechnet b e i der Klassik, ein- für allemal in den Boden.
Analytisch auch Bartóks Zweites Violinkonzert, das ein für die Zeit und Bartók selbst vergleichsweise konservatives ist; es liegt nahe, einen Reißer daraus zu machen, auch wenn das zweite Thema des Stücks mit den zwölf Tönen spielt. Norrington läßt hier einen Akzent aufs Melancholische setzen, während Carolin Widmanns Geige nur so dahinrast; es gibt geradezu >>>> schattenhafte, hätte Mahler geschrieben, Momente im zweiten Satz, dann fächert sich der Klang impressionistisch auf und saugt die Geige ein in seine, danach klingt es, „freitonale Melancholie”. Die Musikalität, mit der der Pauker spielte, hätte auch ihm einen Sonderapplaus einbringen müssen. Bracht’ es aber nicht, weil Widmanns Virtuosität so gestrahlt hat. Hätte nicht „Papa” Norrington dauergütig gelächelt und mitapplaudiert, es wäre insgesamt zu merken gewesen, welch ein Knochenjob – also welch ein Beruf das ist, den alledie jungen Musiker zu ihrem Leben machen wollen. Und man wäre ein wenig, vielleicht, schockiert gewesen.
Nicht zu begreifen aber, weshalb man als Zugabe Wagner gab, Lohengrin, Vorspiel Aufzug III. Es ist um so weniger verständlich, wenn man die bis heute nachwirkenden Auseinandersetzungen zwischen „Brahmsianern” und „Wagnerianern” kennt. Denn das vibratolose, sozusagen reine Spiel Wagners machte das Stück so roh, wie es sich der Mob vorgestellt haben mag, bevor er loszieht, um den Geist zu lynchen: „schmissig” hätte meine Oma gesagt. Grobes, hohles Pathos mit knallenden Posaunen, das vor allem aus dem dramaturgischen Zusammenhang des Musikdramas gerissen wurde und nun dastand wie des armen Liszts Les Preludes bei den Heeresmeldungen eines Tausende Jahre währenden DauerndSiegens. Und das nach Brahms’ seltsamem Versickern von Pathos, nach diesem fast aufseufzenden, nüchtern aufseufzenden „Nö, nicht weiter”, dem die Traurigkeit darüber schon zwölf Jahre früher vorausklingt, was er bei Weyermanns sagte, als er vom frischen Grab der Schumann kam: „Ach was, es ist doch alles eitel in dieser Welt. Der einzige Mensch, den ich wirklich geliebt habe, den habe ich heute begraben! Gute Nacht, meine Herrschaften!” Ja, Herr Professor Brahms. Mit diesem falsch gebrauchten Wagner. Gute Nacht.
Die nächsten Aufführungen:
Mi, 10.03.2010, 20 Uhr: Wilhelmshaven, >>>> Stadthalle
Do, 11.03.2010, 20 Uhr: Ludwigsburg, >>>> Forum am Schlosspark
Fr, 12.03.2010, 20 Uhr: Baden-Baden, >>>> Festspielhaus
Sa, 13.03.2010, 20 Uhr: Interlaken, >>>> Casino Kursaal
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