Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Bis Okt. 2017 verboten)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Seit Okt. 2017 wieder frei)
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Collagen

Dear Joseph (XXVI), ...

wenn sie dort oben auf dem Boden im Regen sitzt, dann schaut sie sie sich genau an, hält sie ins Licht und denkt dabei an eine Zeile von Miss TT, einer anderen Textschwester, die sie sofort verstanden und nie vergessen hat:

--> Nachts blühen meine Hände, schrieb sie einmal. Sie wache davon auf.

Ihre eigenen Hände. Ihre riesengroßen blühen jetzt auch. Immer. Fühlen sich grob und rastlos an. Sie will ihn anfassen damit. Will nicht mehr, dass er sie ihr schließt. Will dass er ihr zeigt wie. So wie sich Geschwister manchmal ohne Scheu gegenseitig etwas zeigen, sich einfach die Hand des anderen schnappen, ist eines dem anderen um eine Erfahrung voraus. Oder wie sie es tun, wenn sie sich kabbeln.

Sie will zu ihm gehen. Ihm die Kugel abnehmen. Sie zur Seite legen. Kann doch nicht so schwer sein! Hat doch Kraft! Und doch muss sie deswegen immer aufpassen. Weil er auch groß und grob geraten ist. Obwohl sie sich genau deshalb ja keine Sorgen zu machen braucht ihn zu zerquetschen, wenn sie sich auf ihn legt, um auf ihm abzuhängen. Mit einer Hand seine Brust anzufassen. Sein Herz in die Innenfläche hineinschlagen zu lassen. Ihres zu drosseln.

Koerper

Sie will über ihn gehen. Ihm eine Brust, die in dieser Haltung, der Schwerkraft wegen, zur Zitze wird, in den Mund geben. Stellt sie sich immer vor, wenn sie auf dieses Bild schaut, obwohl sie gar nicht weiß, ob das ein Mann oder eine Frau ist. Auf jeden Fall ist es ein Körper. Vielleicht muss sie heulen dabei. Manchmal muss sie es. Warum weiß sie auch nicht genau. Ist sich nicht sicher. Ist ein unsicheres Wesen. Groß und grob geraten. Wie er. Nur ihre Hände, die sprechen eine andere Sprache. Anders als seine.

Deine Häsin.

Dear Joseph (XXV), ...

… eines jedoch ist sicher, auf Annie ist Verlass, sie meint was sie sagt, selbst wenn sie manchmal den Deckmantel des Scherzes darum legt. Ist dem ganzen Himmelszirkus in gewisser Weise auch nah gewachsen. Schiebt manchmal die Wolken beiseite, um zu schauen ob gerade wieder Jahrmarkt ist. Leider aber wirft sich ihre Witzmaschine immer dann mit Schwung an, wenn es ihr nicht gut geht oder sie müde ist. Sie ist ein Clown, Joseph. Und das ist manchmal auch traurig weil sie dadurch verschenkt, sich ihrer eigentlichen Empfindung entsprechend zu äußern.

Wir äußern uns immer. Aber sie kann natürlich nicht erwarten, dass ihr Gegenüber ein Übersetzungstalent ist und es auch versteht. Oft denkt sie, dass sie es in den Witz überführen muss, um den anderen nicht zu überlaufen, was ihr manchmal recht schnell passiert. Sie komme sich sonst vor wie eine Menschenfresserin. Oder anders ausgedrückt: eine Cyclopin. Eine, der man intravenös den Wirkstoff Cyclopin verpasst hat. Der sich ein drittes Auge auf der Stirn öffnet. Mit dem sie aber nicht richtig sehen kann, weil es doch zu sehr blendet und wehtut. Das sie sich zuhält während sie ruft: Bitte schließ´ es mir wieder! Schließ´ es, denn da ist nichts! Nichts und Niemand.

Sie hat Odysseus, was die Episode mit Polyphem betrifft, auch immer für ein Arschloch gehalten, Joseph. Von wegen Gastfreundschaft und so weiter. Das sei doch seine verdammte Insel gewesen. Und dass sie sich mit einer Cyclopin vergleicht, liegt auch daran, dass sie grobmotorisch ist. Und irgendwie stimmt es, weil ich sie, jedes Mal wenn sie traurig ist, breitschultrig und riesenhaft die Treppe hinaufsteigen sehe, um sich in ihr Regenzimmer zu begeben. Kommt mir dann vor wie Eine, die sich von der Leine gerissen hat. Am Rücken baumelt sie noch. Ich mag sie, mag diese Wesen sehr.

Deine Häsin.

Dear Joseph (XXIV), …

von Anfang an hat er davon gesprochen. Ohne darüber zu sprechen. So fasst keine Hand ans Herz durch Brustkorbs Felsen, Joseph.

Nicht!

Sie verstand es. Körperlich. Stand vor ihm und blickte dabei tatsächlich gerade auf seinen Brustkorb. Nicht weil sie klein ist. Er ist einfach im Vergleich zu ihr ein wenig näher an die Gewölbe des Himmels herangewachsen.

das Soma - der Blick - die Händeberührung - der Kuss - die Berührung der Brust - der Griff ans Geschlecht - die Umarmung – der Körper - das Weichen

Ist ihr zur einzigen klaren Sprache geworden, die sie noch versteht. Alles andere sind Chiffren. Sind Verschlüsselungen. Sind Bilder.

die Rede - das Wort - : der Körper : - die Gewalten in ihm - die Gewalten an ihm

Solche, die reißen.

(Dich einfach kommen lassen. Dann, wenn du bei dir bist.)

In dieser Haltung verbleibend, sehe ich sie. Auf einem Knie abgestützt. Die Kugel im Nacken. Nicht dazwischen zu funken mit sich. Sich nicht mehr bewegen. Sehen wie es unter der Haut zu schimmern beginnt: Steinblau. Schmerzklar.

Warum sehe ich mal ihn, mal sie in dieser Position? Vor mir. Vor ihm. Und wieso sind die beiden nackt, nackt und haarlos, Joseph?

Deine Häsin.

Dear Joseph (XXIII), ...

… ich musste heute lachen als dieser >>>Song>7Strike> im Autoradio lief und doch ist es mir ernst mit diesem Brief an dich obwohl ich dir eigentlich einen anderen schreiben wollte. Habe tatsächlich das erste Mal auf den Text gehört. Und dabei über Annie nachgedacht. Von der ich dir erzählen will und muss.

Struck down? Wie feige und erbärmlich das ist, dachte ich gleich. Am besten noch von hinten kommend. Das ist nicht fair! So stirbt man nicht, Joseph! Struck down.

By a smooth criminal? Das geht nicht zusammen!

Ein Crescendo, Annie! Das ist ihr auch mal passiert. Als mitten in der Nacht im Sommer Einer durchs Fenster einstieg. In ihre vier Wände. Sie wurde sofort wach. Hatte dann irgendwie recht schnell das größte Messer in der Hand. War ja ihr erster Gedanke.

Jede Handlung: nur noch Reaktion. Ein einziger Reflex. Sie selbst sei zu einem geworden, erklärte sie mir Tage später. Ihre Pupillen waren in dieser Nacht dermaßen weit aufgerissen. Ihre Iriden überhaupt nicht mehr zu sehen. Wie das aussah! Es dauerte Stunden bis sich das wieder normalisierte. Ich konnte ihr kaum in die Augen schauen. Die zwei Polizisten, die ich gerufen hatte, übrigens auch nicht. Hatte sie sowieso nicht interessiert, was die zu sagen hatten. Was sollten die schon tun! Ab da schlief sie nur noch tagsüber. Höchstens zwei Stunden. Nachts wartete sie. Saß da. Hörte einfach ins Dunkel. Denn von Lauschen konnte keine mehr die Rede sein. So empfindlich war ihr Gehör auf einmal. Sie konnte jedes noch so leise Geräusch zuordnen, wusste sofort aus welchem Winkel es kommt. Ein halbes Jahr lang ging das so.

Annie schreibt nicht, Joseph. Hat mit Künsten nichts am Hut. Denkt seit Wochen über die Sterbephasen nach und wie sie auch in anderen Lebenssituationen passen.

Eine Phase allerdings, denn ich habe sie mir einmal angeschaut, die hat sie nicht. Bzw., doch, sie hat sie, verschiebt sie aber immer. Übt lieber Messerwerfen.

Sie hat damals irgendwann damit angefangen. Stieg immer wortlos DIETREPPEHINAUF. Kam mir vor als wohnte ich in einem house of flying daggers. Hat ein großes Holzbrett an die Wand geschlagen. Und sie tut es wieder. Übt. Diszipliniert. Gar nicht dionysisch. Eher apollinisch. Und: es wird! Tatsächlich nimmt die Treffsicherheit wieder zu. Ich höre es. Täglich. Manchmal, wenn sie nicht da ist, gehe ich in das Zimmer. Schaue mir die Oberfläche dieses Holzes an, die nur noch aus Kerben besteht. Habe bisher nicht mit ihr darüber gesprochen. Wir sprechen in letzter Zeit nicht viel miteinander. Heißt: sie nicht mit mir.

北方有佳人,絕世而獨立。
一顧傾人城,再顧傾人國。
寧不知傾城與傾國。
佳人難再得。

Wozu auch soll sie sich die Zähne ausbeißen, wenn sie doch ein Kleid ganz aus Messerklingen bestehend tragen kann! So denkt Annie, Joseph. Ich kenne sie.

Annie, are you ok?
So, Annie are you ok?
Are you ok, Annie?


Wahrscheinlich fragt sie sich bereits, ob er den Mut haben wird stehen zu bleiben, ihr in die Augen zu schauen, sobald sie das erste loslässt.

Das sehe ich heute in ihren Augen. Zwar musste ich erst einmal lachen aber ich sorge mich doch. Weiß nicht, ob ich ihr vertrauen kann, ob sie noch weiß, was sie tut.

Deine Häsin.

Dear Joseph (XXII), …

titainō.

Also haben wir viel gesprochen. Es war ein anderer Tag. Anders als sonst.

Du weichst!

Du kennst also eine der Grundlagen des Kampfsports?!

Ja! Kenne ich …


Wir spazierten durch einen Lichterpark. Das war im Februar. Nachts. In seiner Stadt. In der er geboren wurde. Ich sah ihn das erste Mal mit einer Kappe. Er lief mir hinterher. Holte mich ein. Wie Apoll Daphne, dachte ich.

Ich drehte mich um …

Hallo!

Hi!


(Sah ihn lächeln.)

Ich erkenn´ dich doch sofort von hinten!

… nahm sein Gesicht in beide Hände. Und bemerkte dabei, wie ich augenblicklich checkte ob er tatsächlich auch jetzt knielange Hosen tragen würde.

(Sich gegenseitig checken. Abchecken. Gibt nichts Schöneres, Joseph! Sich dann Abklatschen. Schulter gegen Schulter.)

Und nein, trug er natürlich nicht. Auch er bedeckt seine Bilder. Die in meiner Vorstellung immer verschwimmen. Eines aber nicht. Habe es genau vor Augen. Verschwimmt nie in meiner Erinnerung.

Er wüsste sofort welches ich meine.

Ich spreche gern zu dir in Bildern, sagte er einmal. Weil ich weiß, dass du sie verstehst. Er spricht oft in Bildern. Immer dann, wenn wir beide nicht …
Er lief währenddessen recht schnell. Suchend, wo es langgeht. Hat unaufhörlich gesprochen. Anders als ich. Sonst.

Er hat mir unter anderem den Unterschied zwischen Böttchern und Küfern erklärt.

Ich habe ihm was zu Essen gekauft. Mir nur einen Glühwein.

Heute las ich auf Arbeit auf einem Kalender, der in der Küche hing:

Auch wenn dir etwas fehlt,
genieße alles andere.


Ich versuch´s, Joseph.

Ja, das tue ich.

Deine Häsin.

Dear Joseph (XXI), …

Dreh´ dich um.

… das hatte er zu ihr gesagt und sie dann vor sich, nackt, auf seine Liege gehoben. Auf ihre Knie, mit dem Gesicht zur Wand.

Hellaeugige

Titainō, Joseph,

heißt: sich recken.

Strecken.

Nicht umdrehen.

Nein!

Nicht


: Sich immer weiter

recken.

Gott, du siehst so wunderschön dabei aus!

Dich immer weiter

einfach nur

strecken,

weiter

und

weiter

und

weiter

und

weiter,

mehr,

mehr

und

mehr,

noch

mehr

und

weiter,

weiter,

immer

weiter,

Zentimeter

um

Zentimeter

um

Zentimeter

weiter,

sich recken,

weiter,

immer weiter

strecken,

bis deine

Fingerkuppen

die Decke

fast erreichen,

berühren:

Nein!

Mich nicht!

Nur Dich.

Ich.

Nein! Nicht


weiter.

Nein!

Nicht


: Titainō, Joseph.

So nennt sie das nun. Immer wenn er sagt:

>>>Nicht!

Deine Häsin.

Frohe

Gravity

Schwerkrafttage. Dir. Und allen.

Deine Häsin.

Dear Joseph (XX), ...

da ich den letzten, 19ten Brief an dich für Kommentare geöffnet hatte, anders als sonst, will ich dir einen Auszug eines Kommentarwechsels geben, der darunter stattgefunden hat. Denn das war nicht uninteressant, diese direkte Konfrontation, mit mir und dem Text. Ein Kommentator namens tom, der hier in der Dschungel. Anderswelt ab und an, selten zwar, aber wenn er es tut, oft kurz dosiert, aber doch sehr konzentriert, kommentiert, schrieb mir zu diesem Brief an dich:

Wenn man den Text unter den Lasten des Mythos, des plötzlich zustoßenden Schicksals, dem vollkommenen Unsinn des blinden Verhängnisses sich biegen und krümmen sieht, dann wird er selber zum armen Atlas. Und das will er ja auch sein.

Ich las diesen Kommentar natürlich erst einmal nicht positiv pro Text. Worum es ihm auch gar nicht ging. Aber er hat etwas auf den Punkt gebracht. Meine Entgegnung:

Will er das?

Ich will es nicht!

Wie meinen Sie das genau? Wäre irgendwie schön, wenn auch konkret gemacht wird wieso. Zumal Sie ein Mann sind, davon gehe ich, aufgrund Ihres Pseudonyms, mal aus, und ihn allein daher anders lesen als ich.

Ich bin nämlich schon die ganze Zeit davor ihn wieder herauszunehmen. Weil ich ihn selbst heikel finde. Vielleicht noch liegen lassen muss. Aus sicherlich ganz anderen Gründen. Geht mir seitdem er da ist so. Ist ein schwieriges Thema, wobei mich die Last nicht abschreckt. Sich drantrauen. Versuchen nachzuvollziehen. Sich biegen. Wenn es sein muss.

Und rein nur arm ist er ganz sicher auch nicht. Ich glaube in so einem wie Atlas geht mehr vor. Um einiges mehr sogar. Weil er Atlas ist. Ist der Versuch einen bzw. den Menschen an sich zu verstehen, der oft titanisches leistet.


Sein Kommentar darauf:

Ihre Antwort kam schnell. Sie haben meinen kurzen Kommentar genau an seinen zwei (paradoxen) Griffen erfasst.
Nein armselig ist so einer nicht. Es sind Qualen auch Quellen, mehr oder weniger bewusst.
Kann ein Text etwas wollen, unabhängig von dem, der ihn macht? Es kann kommen, dass ein noch zu verfertigendes Gebilde wie mit einem Schlage, ein Blitz, in der Vor:stellung schon vollendet erscheint. Dann bedarf es der Ausführung, der Anstrengung des Schreibens usw. Am Ende, nachdem die Regeln und Gesetze mühsam gebogen und gekrümmt worden, mag das Ergebnis dem imaginierten Bilde entsprechen. Es gibt Regeln und Gesetze des Textes, möge es auch einen Willen geben.
Der antike Mythos kannte noch keinen Willen, keinen mathematisch zu erschließenden Raum. Er ist ohne unser eingebildetes Koordinatensystem in einem eingebildeten Seelenraum. Die heutigen Psychologen würden sich an ihm die Zähne ausbeißen.


Ich, nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, kam dann zu diesem:

Der sich biegende Text. Vielleicht auch das?! Der Atlastext. Vielleicht nimmt er ja einfach mich auf seinen Textnacken. Gerade wegen dieser / meiner Heikelkeitsempfindung. Nein, es wäre nicht richtig diesen Text verloren gehen zu lassen. Genau deswegen. Aber es dennoch nicht durch Korrektur vernichten will. Wegbügeln. Die Wogen glätten. Ein Psychologe würde mir dazu etwas klar machen wollen, indem er versucht mich an den Punkt zu bringen, an dem ich es mir selbst klar mache.

Ganz sicher würden die sich die Zähne ausbeißen. Ich auch. Bin doch nicht lädz. Dazu fehlt mir die Distanz. Und vollständig erfassen kann das natürlich niemand. Außer Atlas. Ich sitze ja auch auf einem Hocker, eine Couch wäre in diesem Fall doch zu bequem, und thematisiere diesen Mythos vor mir her, mit Griff in meinen Nacken, währenddessen, immer wieder. Vor mir Atlas. Den ich mir dann aber doch unwillkürlich als Menschen vorstelle. Körperlich. Nicht steinern. Aber doch mit einem steinernen Schimmern. Subkutan. Mit der Kugel im Nacken, in der Hocke. Nur ich spreche. Er nicht. Nimmt das nur wahr. Nicht etwa weil ich das so will. Sondern weil es so ist. Eigentlich erfasst er, fällt mir auf. Oder der Text. Einen Menschen. Ohne Urteil darüber. Was kein Psychologe durchgängig schafft, im Übrigen. Und sei er noch so gut. Sollte das aber durchkommen, würde er ihn, weiterhin ruhig in seiner Haltung bleibend, mit einer Armbewegung wegschieben. Vielleicht ist das, ruhig in dieser Haltung verbleibend, die höchste Stufe von Aktivität, die es geben kann. Nicht dazwischen zu funken mit sich. Komme darauf weil Sie da etwas Wesentliches angesprochen haben.

Insofern trage ich an einen Mythos doch etwas heran.

Persönliches. Das wiederum auch nur durchschimmert, durch ihre Sichtweise auf diesen Mythos. Aber aus welcher Perspektive sollte ich / sie es sonst tun?

Ein Bsp.: Herakles ist als Figur sicher nicht weniger interessant. Aber sie nimmt ihn gerade nur peripher wahr. Er springt entfernt herum. Liegt nicht an ihm. Es ist ihr Unvermögen (zu der Zeit) für ihn gerade Augen zu haben. Für das, was ihn umtreibt. Beschrieben und in Text festgehalten.

Deine Häsin.

Dear Joseph (XVIIII), ...

vom Ende der Welt zum Plus Ultra. Weil einer kurz zur Säule wurde, dem dafür zu danken ist.

Habe dir lange nicht mehr geschrieben. Und versuche hier wieder in den Fluss zu kommen. Briefe ins Totenreich. Briefe an dich, Joseph. Diesen, der anschließt an meinen letzten.

Ich habe da etwas verknüpft. Und dann einen Mythos gefunden von dem ich nicht loskam und komme. Atlas und Herakles. Der Atlantik und ein Apfel.

Nun frage ich mich: Was denkst du darüber? Über diesen Mythos.

Ich jedenfalls habe seit gestern weiter über ihn nachgedacht. Und du weißt, ich liebe Mythen. Hätte ein Mythologiestudium absolvieren sollen. Aber das hätte mich vielleicht versaut, weil ich sie eben lese, wie ich sie begreife und wahrnehme. 360°. Möglichkeiten. Einmal rund herum. Je nachdem, wo man selbst steht.

Auf einer Hauswand in meiner Straße z.B. ist ein Haltungsverwandter von Atlas zu sehen. Denn direkt verwandt sind die beiden ja nicht. Atlas ist ein Titan. Und der, der das Jesuskindlein auf seinem Schultern trägt, ist ein Mensch und heißt Hl. Christophorus.

Glaube ist die Suche nach einer Haltung. So, oder so ähnlich hat das hier mal Einer im Netz formuliert. Finde ich immer noch gut den Satz.

Haltungen. Darum geht es. Immer. Um die eigene, die anderer, die angenommene, die innere, körperliche. Gehalten werden. Das kann zärtlich gemeint sein oder ganz anders. Bis hin zu Unräumen, in denen deine / meine / ihre / seine Hände nicht mehr existieren, oder nur noch als Phantomschmerz. Allenfalls. Gilt für Jeden und Jede. Und was dann mit dem Körper ist, ist noch einmal eine ganz andere Sache.

Atlas oder Herakles?

Ist eigentlich nicht wichtig, oder? Denn irgendwie gehören die beiden ja auch zusammen. Dennoch finde ich den mit der Kugel auf dem Rücken tendenziell reizvoller. Fühle mich von ihm mehr angezogen. Körperlich. Der Haltung wegen. Besonders aber weil ich mich frage, was denkt er eigentlich, bei dem, was er tut. Und was nimmt er dabei an, während er es tun muss. War ja nicht seine, aus sich allein heraus getroffene, Ent:scheidung. Vereinfacht gedacht ist er ein Schraubstockgewinde, das etwas spreizt. Nämlich auf. An dem gedreht wurde und wird. Die Verkörperung der Distanz. Ein Dis:Tanz. Oder eben ein Kind zwischen Mutter und Vater. Dazwischen gegangen in einer Situation stemmt er ihn von ihr weg. Dabei kann er auf sie schauen, auf ihn nicht. Herakles sehe ich da, wenn ich mir diesen Mythos vorstelle und ihn versuche einfach nur auf mich wirken zu lassen, nur entfernt, irgendwo hinter mir, im Hesperidengarten herumspringen. Zwischen diesen, wie ich sie jetzt seit Berlin nenne, Eichelborntöchtermädchen (Tolles Wort, oder?! Eichelborn ist eine Ortschaft, die auf dem Weg liegt.), die gerade sämig herabgetropft sind und sich noch im Fall zu Körpern gewandelt haben, die da nun, eher wie hingegossen, auf Gaia, in Hebammensprache ausgedrückt: känguruhen (Ist son Bindungsding. Immerhin das! Sonst wären die verloren. Zumindest in diesem Phall.). Auf die er auch schaut. Zumal die, ganz nebenbei bemerkt, alle gleich jung aussehen. Und gleich.

Was denkt er, wenn er auf sie schaut?

Dennoch: Müsste ich mich entscheiden, wie beim Handball z.B., würde ich Atlas auf mein Feld holen. Vom Gefühl her, von der Aufstellung her, wissend, dass das ganz ohne Vorstellungsaufwärmspiel passt. Auch weil sich mein oberster Halswirbel immer mal wieder meldet. Und ich genau weiß warum. Denn ich denke mir das bereits als Frau mit einer riesigen Kugel im Nacken. Ich würde mit ihm spielen wollen. Was reißen. Was denn sonst! Nicht weil’s mir generell ums Gewinnen geht. Das war einmal. In diesem aber Fall schon. Lange her bei mir. Bin nur dann ein guter Teamplayer, wenn es drauf ankommt. Ansonsten nicht. Deswegen habe ich meinen Handballverein damals auch verlassen, weil die sich nicht auf mich verlassen konnten. Ob ich komme oder nicht. War halt Schwimmerin.

Einmal Joseph,

kurz,

Schulter an Schulter. Sich abklatschen.

Dann

Seite an Seite stehen,

sehen wie der Ball… Anpfiff:


Zeit.

Aber so kommt man nicht zur Welt. Kein Mensch. In keinerlei Hinsicht. Und doch einmal. Kurz. Und ich frage mich, wieso ich das so verknüpft habe, nachdem ich das Gemälde Atlas und die Hesperiden von John Singer Sargent sah. Denn eigentlich es sind ja seine Töchter, nicht die des Vaters. Und irgendwie doch. Aber an sich ist es genau das, was ich an diesem Mythos und dessen Abbildungen nachvollziehe. Arg interessant. Für mich jedenfalls …

Auf jeden Fall muss ich jetzt immer, wenn Einer auf Eine ejakuliert, an kleine Hesperiden denken.

Die meisten Menschen reagieren auf Entzug. Daraus kann sich auch eine Autoerotik entwickeln. Atlas als Eros? Nur anders gefasst als bei Platon. Anders als der, der entstand als es trennte. Weltlicher. Umfassender. Geprägter. Vom Kampf. Die Kugel im Nacken.

Von wegen Himmelsgewölbe, Joseph.

Deine Häsin.

Ship Arriving Too Late to Save a Drowning Witch I

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