Elegisch actiongeladen. Kinderopern-Premiere. Marius Felix Langes Das Gespenst von Canterville nach Oscar Wilde an der Komischen Oper Berlin.
Neue Kinderopern haben an der Komischen Oper eine lange Tradition; Dschungelleser wissen das: Ich habe immer wieder von ihnen erzählt. Diesmal tue ich‘s besonders gerne. Denn nicht nur szenisch, auch musikalisch wartet >>>> die sowohl erweiterte als auch modernisierte Musiktheater-Variante auf Oscar Wildes berühmte frühe Erzählung mit quasi einem Höhepunkt nach dem anderen auf, ja, die Szenen jagen einander, so daß selbst ganz junge Zuschauerhörer gar nicht auf die Idee kommen, Langeweile zu empfinden. Das geht schon mit einer, zur kurzen Ouvertüre, quasi Kamerafahrt los, die unter anderem über einen Friedhof hinwegführt – eine pfiffige Formklammer für das Stück. Selbstverständlich kommt es nicht ohne Klamauk aus, aber der ist nahezu immer intelligent und in den meisten Fällen tatsächlich witzig. Sogar als musikdramaturgisch Gebildeter denkt man hier höchst selten: Na jà. Vielleicht wird das Stück am Ende ein bißchen arg kitschig. Das aber ist kindgerecht und fällt imgrunde nur deshalb auf, weil von Anfang an das mythische Element des Stoffes zugunsten profaner, sagen wir: betont weltlicher Fragen in den Hintergrund gerät. Deshalb bleibt ein wirkliches Schaudern in dieser Gruseloper aus – wenn man von der allerersten Szene absieht, die sofort mit allem nur denkbaren Theaterdonner daherkommt, vor allem aber das Gespenst noch als Unhold vorführt und nicht schon als einen seiner Jahrhunderte eigentlich längst müden und von der neuen Familie permanent verulkten, ja verhöhnten alten untoten Mann einer vergessenen oder zur Jahrmarktsbelustigung aufbereiteten Zeit.
Wildes Erzählung wird dahin uminterpretiert, daß ein Berliner Immobilienhändler das Schloß der Cantervilles kaufen und von Grund auf sanieren will. Für so etwas wie einen Hausgeist hat er schon berufshalber keinen Sinn, erschrickt auch nicht vor ihm, sondern weist ihn schon bei ihrer ersten Begegnung zurecht, nicht dauernd solchen Lärm zu machen: Hart arbeitende Menschen brauchten ihren Schlaf. Und geradezu sofort eröffnen seine beiden halbwüchsigen Söhne die Jagd auf das schließlich nur noch gepieksakte Gespenst. Indessen die ausgesprochen ambitionierte Sekretärin – über den Kopf des von ihr ziemlich gegängelten Mannes hinweg – aus dem Anwesen sogar ein Disneyland machen will, für das ihr ein echtes Gespenst gerade recht kommt. Sie ist die bereits im Libretto am stärksten typisierte Figur und nicht ohne einige Misogynie in Szene gesetzt; zum Ausgleich wird die Tochter des Immobilienhändlers zur eigentlich moralischen Instanz. Es ist ein allerdings wohl nur Erwachsenen auffallender Hintertreppenwitz dieser Fabel, daß die junge Dame mit dem sich schließlich als Erben des Schlosses entpuppenden Haushälterinnensohn ein nicht minder schwaches Männchen bekommen wird, als ihn die Sekretärin in ihrem Chef hat. Den führt sie quasi an ihren Strapsen. Freilich sieht man derart elegante lange Beine auf einer Bühne selten; ihre Darstellerin hat durchaus nicht unrecht, sie derart präsentieren zu lassen. Allerdings sind die jungen Zuhörer:innen mehr auf die menschengroße Ratte und ihre glühenden Augen fokussiert, besonders, wenn sie in der Pause träge auf der Brüstung zwischen Saal und Orchestergraben fläzt und sich die Ohren kaulen läßt.
***
Marius Felix Langes Musik changiert zwischen zeitgenössischem Musical US-amerikanischer Prägung und freitonaler europäischer Oper mit stark rhythmischem Drive einerseits, elegischen halb Traum-, halb Sehnsuchtspassagen andererseits. Es spricht für sie, daß der Komponist auch an gefährlichen Stellen einer gewissen Tendenz zur Schnulze nicht völlig erliegt; er ist kein abgebuffter Andrew Lloyd Webber. Vielmehr hebt er seine Melodien immer wieder in die Uneindeutigkeit, beispielhaft etwa in Virginias Einschlafszene, für die das Gespenst ein Lullaby mit der Stimme der verstorbenen Kindsmutter singt; da flossen im Publikum einige Tränen. Wiederum die quasi Finalarie des Gespenstes selbst, das sich nach all seinen 450 Jahren die endliche Ruhe ersehnt, klingt frappierend nach dem Othmar Schoeck der Zwanzigerjahre. An anderen Stellen hatte ich Schreker im Ohr. Insgesamt also eine frühmodern-eklektizistische Musik unter Aussparung späterer Serialität – eine gerade für eine Kinderoper kluge ästhetische Wahl. Sie spannt in den Ohren der jungen Hörer:innen weite Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks auf und lehrt sie deshalb hören, ohne dabei didaktisch zu sein. Besonders eindrucksvoll ist überdies, wie fast makellos die Übertragung der ursprünglich kammerorchestralen Konzeption auf ein großes Orchester gelungen ist. Die erste, für die Zürcher Oper – also unter der Ägide des vormaligen Intendanten der Komischen Oper, Andreas Homoki – entstandene Fassung war noch auf kleine Besetzung entworfen.
Die nunmehr „große“ Fassung bringt Vorteile mit sich, wie sie einer „kleinen“ gerade in Anbetracht der Werklänge fehlen dürften: Fast zwei von nur einer Pause unterbrochene Stunden Musik sind besonders für kleinere Kinder eigentlich nicht zu verkraften. Hier aber lief das fast unheimlich konzentriert ab; daß dennoch einige permanent quasselten, warf mehr ein Licht auf ihre Leit- und Erziehungspersonen, als daß es gegen Langes Oper spräche. Deren sowohl musikalischer wie dramaturgischer Aktionismus, lustvoll von Jasmina Hadziahmetovic in rasante Szenen gesetzt, nimmt es im Gegenteil einfach in sich auf. Auchßvergißt man, bzw, übersieht völlig, das das oft hoch überm Bühnenboden schwebende Gespenst an Seilen hängt; es spaziert auch schon mal im rechten Winkel die Wand hinab. Daß fast durchweg über Mikrophone gesungen und gesprochen wird, stellt schlichtweg die Textverständlichkeit sicher: für Kinder, die keine Übertitel mitlesen können, eine conditio sine qua non. Nur die etwas zu durchschaubar sich bewegenden Ritterrüstungen stören durch mechanische Erwartbarkeit; sowas haben auch Siebenjährige oft schon „besser“ gesehen, etwa meine Zwillinge, um von meinem schon älteren Sohn zu schweigen. Mit allen dreien habe ich mich selbstverständlich besprochen, bevor ich mich an diese Kritik gesetzt habe.
Deshalb ein ganz besonderes Danke an Gideon Davey, der die Kostüme entworfen hat. Farbigkeit und losgelassene Formenfreude wirkt auf Kinder unmittelbar und noch sehr lange nach – hier etwa auch die Phantastik der übrigen Geistererscheinungen. Daß ältere Zuschauer:innen bei der Ballszene, direkt nach der Pause, sofort an Polanski denken müssen, spielt für Kinder keine Rolle.
Auch die Besetzung dieser deutschen Erstaufführung ist ganz wunderbar. Alma Sadé singt die Virginia mit einem innigen Ton, hin- und herschwankend zwischen eigentlich noch Mädchen und aber zu früh schon Mutter, ersatzhaft für die beiden Brüder, die vielleicht ein wenig jünger hätten gewählt werden können; nur wäre das stimmlich dann nicht hingekommen. Kinderrollen sind in der Oper fast immer ein Problem; wirklich meisterhaft hat das wohl nur Britten geschafft. Carsten Sabrowski gibt einen makellos profanen, eigentlich verloren, also um so wichtigtuerischeren Vater ab, und Adela Zaharia hat ganz offenbar einen riesigen Spaß an ihrer nicht so wirklich korrekten Karikatur einer machtgeilen Sekretärin. Hätte sie nicht diese Beine, sämtlicher Zuschauer Antipathie wär ihr, die Figur, restlos sicher gewesen. Nur hat sie sie halt. So daß man, wenn auch nur derenhalber, den weichen Makler verstehen kann. Und schließlich Tom Erik Lie, das Gespenst: mit großer Geste, großem Ton, doch so klein gewordenem, eingeschrumpftem Herzen, daß man es in den Händen schützen möchte: ganz längst selbst wieder Kind:
Die nunmehr „große“ Fassung bringt Vorteile mit sich, wie sie einer „kleinen“ gerade in Anbetracht der Werklänge fehlen dürften: Fast zwei von nur einer Pause unterbrochene Stunden Musik sind besonders für kleinere Kinder eigentlich nicht zu verkraften. Hier aber lief das fast unheimlich konzentriert ab; daß dennoch einige permanent quasselten, warf mehr ein Licht auf ihre Leit- und Erziehungspersonen, als daß es gegen Langes Oper spräche. Deren sowohl musikalischer wie dramaturgischer Aktionismus, lustvoll von Jasmina Hadziahmetovic in rasante Szenen gesetzt, nimmt es im Gegenteil einfach in sich auf. Auchßvergißt man, bzw, übersieht völlig, das das oft hoch überm Bühnenboden schwebende Gespenst an Seilen hängt; es spaziert auch schon mal im rechten Winkel die Wand hinab. Daß fast durchweg über Mikrophone gesungen und gesprochen wird, stellt schlichtweg die Textverständlichkeit sicher: für Kinder, die keine Übertitel mitlesen können, eine conditio sine qua non. Nur die etwas zu durchschaubar sich bewegenden Ritterrüstungen stören durch mechanische Erwartbarkeit; sowas haben auch Siebenjährige oft schon „besser“ gesehen, etwa meine Zwillinge, um von meinem schon älteren Sohn zu schweigen. Mit allen dreien habe ich mich selbstverständlich besprochen, bevor ich mich an diese Kritik gesetzt habe.
Deshalb ein ganz besonderes Danke an Gideon Davey, der die Kostüme entworfen hat. Farbigkeit und losgelassene Formenfreude wirkt auf Kinder unmittelbar und noch sehr lange nach – hier etwa auch die Phantastik der übrigen Geistererscheinungen. Daß ältere Zuschauer:innen bei der Ballszene, direkt nach der Pause, sofort an Polanski denken müssen, spielt für Kinder keine Rolle.
Auch die Besetzung dieser deutschen Erstaufführung ist ganz wunderbar. Alma Sadé singt die Virginia mit einem innigen Ton, hin- und herschwankend zwischen eigentlich noch Mädchen und aber zu früh schon Mutter, ersatzhaft für die beiden Brüder, die vielleicht ein wenig jünger hätten gewählt werden können; nur wäre das stimmlich dann nicht hingekommen. Kinderrollen sind in der Oper fast immer ein Problem; wirklich meisterhaft hat das wohl nur Britten geschafft. Carsten Sabrowski gibt einen makellos profanen, eigentlich verloren, also um so wichtigtuerischeren Vater ab, und Adela Zaharia hat ganz offenbar einen riesigen Spaß an ihrer nicht so wirklich korrekten Karikatur einer machtgeilen Sekretärin. Hätte sie nicht diese Beine, sämtlicher Zuschauer Antipathie wär ihr, die Figur, restlos sicher gewesen. Nur hat sie sie halt. So daß man, wenn auch nur derenhalber, den weichen Makler verstehen kann. Und schließlich Tom Erik Lie, das Gespenst: mit großer Geste, großem Ton, doch so klein gewordenem, eingeschrumpftem Herzen, daß man es in den Händen schützen möchte: ganz längst selbst wieder Kind:
Temperamentvolles Orchester, unverniedlichter Klangrausch, geführt von einer Dirigentin, die ich einmal gerne mit wirklich Schreker hören würde: Kristiina Poska.
***
Marius Felix Lange
DAS GESPENST VON CANTERVILLE
Gruseloper in zwei Akten
Libretto von Michael Frowin, nach Oscar Wildes Erzählung.
Musikalische Leitung Kristiina Poska – Inszenierung Jasmina Hadziahmetovic
Bühnenbild Paul Zoller – Kostüme Gideon Davey – Dramaturgie Pavel B. Jiracek, Beate Breidenbach – Chöre Andrew Crooks – Licht Diego Leetz
Tom Erik Lie - Carsten Sabrowski - Alma Sadé - Stephan Witzlinger
Fabian Guggisberg - Christiane Oertel - Johannes Dunz - Frauke-Beeke Hansen
Orchester und Chorsolisten der Komischen Oper Berlin
Kristiina Poska
Die nächsten Vorstellungen:
So 2., So 9., Do 13., So 16., Fr 28. November 2014.
Do 4., So 7., Fr 26. Dezember 2014.
>>>> Karten
Marius Felix Lange
DAS GESPENST VON CANTERVILLE
Gruseloper in zwei Akten
Libretto von Michael Frowin, nach Oscar Wildes Erzählung.
Musikalische Leitung Kristiina Poska – Inszenierung Jasmina Hadziahmetovic
Bühnenbild Paul Zoller – Kostüme Gideon Davey – Dramaturgie Pavel B. Jiracek, Beate Breidenbach – Chöre Andrew Crooks – Licht Diego Leetz
Tom Erik Lie - Carsten Sabrowski - Alma Sadé - Stephan Witzlinger
Fabian Guggisberg - Christiane Oertel - Johannes Dunz - Frauke-Beeke Hansen
Orchester und Chorsolisten der Komischen Oper Berlin
Kristiina Poska
Die nächsten Vorstellungen:
So 2., So 9., Do 13., So 16., Fr 28. November 2014.
Do 4., So 7., Fr 26. Dezember 2014.
>>>> Karten
albannikolaiherbst - Dienstag, 4. November 2014, 12:32- Rubrik: Oper
Trackback URL:
https://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/elegisch-actiongeladen-kinderopern-premiere-marius-felix-langes-das-ge/modTrackback