Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Bis Okt. 2017 verboten)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Seit Okt. 2017 wieder frei)
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Litblog-THEORIE

Kindesmißbrauch. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (114).

[In eine Theorie des literarischen Bloggens gehört dies,
weil es F r a g e n stellt: Fragen an das Medium.
Die Theorie ist nicht vorgängig, sondern entsteht: im Prozeß.]

Keine Grenze des Geschmacks, ja der Zufügung psychischer Schmerzen scheint es zu geben, die n i c h t von Kommentatoren übertreten wird; es wird sogar und bewußt das Risiko inkauf genommen, gänzlich unbeteiligten und wehrlosen Personen einen Schaden zuzufügen, in diesem Fall einem Kind. Insofern spiegelt das offene Weblog, das seinen Lesern und möglichen Kommentatoren den möglichsten Freiraum gewährt, die Verfaßtheit einer Gesellschaft, die die Einschränkung w i l l: Gängelung, rules and regulations, Zensur usw. Der Autor eines offenen Weblogs soll gezwungen werden, die Offenheit aufzugeben und sich dem >>>> Diktum des Privaten - was privat zu sein habe und was nicht – zu unterwerfen. Der Angriff geht, ob bewußt oder nicht, gegen den Skandal des sich Öffnens. Man soll sich nicht zugeben. Wenn i c h mich verdränge und zusammenkneife, habe das auch jeder andre zu tun. Die Deformation der Person durch den Markt zementiert sich als Norm.

Es gab gestern nacht in Der Dschungel einen Vorfall. Aufgrund eines Eintrages, worin ich von meinem Sohn und mir erzählte und von Werten, die ich zu vermitteln suche, warf mir ein Ungenannter öffentlich Sadismus vor und daß mein Sadismus auch an meinem Kind ausgetragen werde; er sprach dezidiert von Kindesmißbrauch. Ich reagierte sofort, nachdem ich das las, und forderte den Kommentator, der seinen Text bezeichnenderweise anonym eingestellt hatte und ihn deshalb nicht mehr löschen konnte, dezidiert zu einer Entschuldigung auf, andernfalls ich Strafanzeige stellen würde. Tatsächlich wäre ich morgen (Montag, 18.5.) zur Staatsanwaltschaft geradelt und hätte einen Strafantrag gestellt. Die IP des Kommentators hätte sich, zumal ich den gesamten Vorgang gescannt hatte, mit Sicherheit recherchieren lassen. Ich m u ß t e in diesem Fall so hart reagieren, weil gar nicht absehbar war und ist, welche Leserkreise der Kommentar schon erreicht hatte und noch erreicht hätte, - Leserkreise, die möglicherweise direkten Zugang zu meinem Sohn haben und ihn auf die eine und/oder andere Weise mit dem Vorwurf konfrontieren würden, sein Vater sei ein Kindesmißbraucher. Hier sind die Grenzen der Offenheit eines Literarischen Weblogs deutlich gezogen; auf diesem Weg läßt sich Offenheit de facto zerstören. Eine staatsanwaltliche Untersuchung hätte notwendigerweise zur Folge gehabt, daß das Weblog wenigstens vorübergehend eingefroren hätte werden müssen. Der persönliche Schaden wäre sowohl des Kindes wie des Weblog-Autors a l s Autor nicht abzusehen gewesen, abermals wäre Literatur zur Realität geworden, und zwar zu einer ihrer restriktivsten Formen.
Der Autor des Kommentars, der querschießenden Folgen seines Eintrags bewußt geworden, entschuldigte sich dann, seinen Worten nach: bereits b e v o r ich meine Drohung unter den Kommentar schrieb. Dies ist glaubhaft, zeigt aber zugleich, daß das Netz ganz offenbar das Bewußtsein von Verantwortlichkeit bei einigen users zumindest zeitweise außer Kraft setzt. Es wäre ja etwa denkbar gewesen, meine Erzählung auf eine ganz andere Art mit den in diesem Fall - sehr wahrscheinlich wirklich - gefühlten Bedenken zu kommentieren, o h n e eine Begrifflichkeit zu benutzen, die derzeit >>>> moralhysterischer Modebegriff geworden ist und es sich in einem Bedeutungsfeld bequem gemacht hat, das ein wirkliches, „freies“ Nachdenken nicht mehr erlaubt.
Hiermit einher geht Schamlosigkeit: von dem Einzeldatum einer Erzählung über Erziehung wird eine generell-„sadistische“ Haltung ihres Autors abgezogen und ihm, der sich namentlich kenntlich macht, als unbedingte Wahrheit über sich selbst vorgehalten: er sei ein Krimineller. Um sich vor so etwas zu schützen, bleibt die Notwendigkeit eines Anonyms in Kraft, gegen das wiederum die Blog-Gesetzgebung durch Impressum-Vorschrift vorzugehen versucht, die freilich den Kommentator ausnimmt und schließlich eine in diesem Wechselspiel „freie“ Äußerung unmöglich macht. Wer hiergegen auf dem Wechselspiel beharrt, soll in die Knie gezwungen werden. Das geschieht strukturell, nämlich weitgehend unabhängig von der tatsächlichen Intention des entsprechenden Kommentators: ob er das w i l l oder es einfach nicht mitbedacht hat, spielt keine Rolle.

In die gleiche Richtung weisen sämtliche „Vorschläge“, auf die Möglichkeit anonymer Kommentare zu verzichten, bzw. sie einzuschränken. Das Feld selbst soll normhaft durchreguliert, das Subjekt Funktion sein, anstelle daß weiterhin Selbstverantwortlichkeit - Bewußtsein wie Gefühl von Eigenverantwortung – eingefordert wird. An deren Stelle >>>> tritt am Schluß des Prozesses die Netzpolizei. Homo homini lupus.

>>>> Blogtheorie 115
Blogtheorie 113 <<<<

Meditation in Blog-Masochismus. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (113).

Sich in jemanden hineinversetzen, der stundenlang Blogs liest, oder einen bestimmten Blog, um dessen Betreiber mitzuteilen und mitzuteilen und abermals und wieder und wieder mitzuteilen, welch ein Dummkopf, ja Arschloch er sei. In so einen hineinlauschen, der nicht etwa dann geht, nein, sondern wieder- und wieder- und wiederwiederkommt und wieder und wieder wiederholt, wie öde er finde, was er stunden-, wochen-, ja monatelang wieder und wieder da lesen müsse. - Wie aus einer solchen Meditation ein Mitleid entsteht.

>>>> Blogtheorie 114
Blogtheorie 112 <<<<

Das „Spiel“ mit der Vielfalt von Avataren. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (112).

Ist nur dann sinnvoll, wenn Identität zugrundeliegt, also die Avatare nicht als Hecke verwendet werden, hinter die man sich duckt, um aus dem Hinterhalt Schlammbatzen zu werfen. Sondern man muß die Avatare fühlen, muß sie s e i n, muß ein Gefühl für ihre Persönlichkeit, auch für ihre Geschichte haben, die man darum k e n n e n muß. Dann werden aus Avataren Personen, literarische Personen. Dies verbindet das Literarische Bloggen sowohl mit Romanen als auch mit >>>> Rollenspielen, die imgrunde realisierte Romane s i n d. Bisweilen werden die physopsychischen Grenzen des „autonomen“ Subjektes dabei überschritten, so daß manchen Spielern nicht mehr bewußt ist, was (wer) sie „in Wirklichkeit“ sind. Nun ist aber diese Wirklichkeit durchlässig, >>>> Wie wirklich ist die Wirklichkeit? heißt ein Buch Paul Watzlawiks, das mich als jungen Mann ausgesprochen geprägt hat und am Anfang meiner Poetik der Desinformationen stand: >>>> Die Verwirrung des Gemüts (1983). Will sagen: das mittelalterliche Turmfräulein, das die Phantasie einer jungen Rollenspielerin konzstruiert hat, kann m e h r Wahrheit ausdrücken als ihre „realistische“ Existenz als MTA in einem Ärztehaus. Es kann ihr eine Reifung erlauben, die der auf Entfremdung bauende praktische Beruf verhindern, wegdrücken, abschleifen würde. Der literarische Spiegel hiervon k a n n der Avatar im Netz sein.
Es ist insgesamt zu bezweifeln, ob es eine einheitliche Identät von Menschen überhaupt gibt, ja je gab, ob nicht Spaltungen sogar lebensnotwendig sind. So daß man sich weiter fragen muß, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine einheitliche Identität zu verlangen, bzw. sie herzustellen. Wir erleben auch Welt als fragmentierte, und zwar in dem Moment schon, indem wir über unsere direkten Zusammenhänge, die materialistisch gefaßt werden können, hinausblicken. Hier gilt Lévi-Strauss' bricolage: das Ich selbst ist bricoliert. Diesem ein einheitliches Ich entgegenzustellen, wäre vergeblich Illusion. Vielmehr ist die Fragmentierung des Ichs zu ergreifen, wie die marxistische Forderung umzusetzen, endlich über die Produktionsmittel selbst zu verfügen. Ich w i l l mich als fragmentierten: b i n Herbst u n d Ribbentrop u n d Daniello u n d Deters u n d Kerbmann u n d Bertrecht u n d Borkenbrod u n d (sogar!) Niamh of the Golden Hair. Ich bin es je in verschiedener Hinsicht. Daß es zwischen allen diesen ein Verbindendes gibt, ist außer Zweifel, allerdings ist dieses Verbindende selber ungefähr; man mag das mit der Unmöglichkeit vergleichen, zugleich den genauen Standort und die Zeit anzugeben, an der ein Elektron wann wo ist.

>>>> Blogtheorie 113
Blogtheorie 111 <<<<

Häme und Privates. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (109).

Zu >>>> dieser Hämischkeit, die mir nur dann, im Sinn von >>>> Rache, nachvollziehbar wäre; hätte ich den jeweiligen Urheber tatsächlich persönlich verletzt, meine ich, daß dennoch >>>> darauf, und zwar mit Nachdruck, zu bestehen ist, ebenso wie auf der, sagen wir, „Umklammerung mit Privatem“, die den literarischen und/oder denkerischen Texten in Der Dschungel widerfährt. Es geht darum, den Schein der Objektivität wie einen Vorhang beiseitezuziehen, der den Altar der geäußerten, bzw. dafür ausgegebenen Wahrheiten verhüllt: es geht um Bedingtheiten; hält man mit denen zurück, werden auch Gründe zurückgehalten, ja verstellt. Dabei erweist es sich freilich als problematisch, daß einer, der sich selbst verwundbar macht, andere notwendigerweise mit hineinzieht, die das durchaus selten so wollen. Deshalb wird der Angriff als Angriff auch verstanden, wenn auch, notwendigerweise, fälschlich als persönlich. Denn das Persönliche als ein Allgemeinstes zur Disposition zu stellen, trifft.

>>>>> Blogtheorie 110
Blogtheorie 108 <<<<

Nach wie vor. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (107).

>>>> Gültig.

[Der Vorteil >>>> mancher referrers, die man zu lesen bekommt, ist genau dieser: Ein Literarisches Weblog veraltet n i c h t, wohl aber der referrer (der hier zweite Link wird bereits morgen veraltet sein). NB: Interessant in dem Link ist übrigens auch, als ein dritter, die >>>> Querbrücke zu Hubert Fichte.]

>>>> 108
106 <<<<

Von Findeiss. An Findeiss. Hostile name mergers. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (106).

>>>> findeiss an ANH:
wie ich eben bemerke, schreibt da jemand unter meinem namen Th. Findeiss kommentare zu meinen sachen (z.b. >>>> "a legal thing") das ist an sich nicht weiter schlimm - nur schreibt er/sie einen idiotenstil. Und das ist dann schon ärgerlich.

ANH an findeiss:

ja, da ist jemand - wahrscheinlich sind es sogar mehrere -, der in Der Dschungel herum>>>>trollt und sich dazu seit einiger Zeit Namen und Anonyma anderer "normaler" Beiträger schnappt. Es scheint darum zu gehen, Euch so sehr zu verärgern, daß Ihr aus Der Dschungel wegbleibt. Man möchte sie wohl gerne roden. Da aber solche feindlichen Namens-Übernahmen immer daran kenntlich sind, daß ein "anonym" dahintersteht, scheint mir das nicht so arg schlimm zu sein. In Deinem Fall >>>> verlinkt der Troll sein Pseudonym nicht mal auf >>>> Deine Site, so daß man seine inneren Nachtigallen, als die sich die Krähen zu tarnen versuchen, schon aus d e r Richtung trapsen hören kann.
Richtig heftig wurden die Attacken in Zusammenhang mit der >>>> Peter-Hacks-Site; da wuseln ein paar Idioten rum - männliche, aber, was schlimmer ist (denn von Männern ist man's ja gewöhnt), offenbar auch weibliche -, die anzunehmen scheinen, erhöbe ich mich ins Licht, würfe das auf ihr Idol schwere Schatten; >>>> André Thiele, der Betreiber der Site, hat sich zwischenzeitlich von ihnen >>>> deutlich distanziert.
Außerdem gibt es noch einen vandalierenden Routinetroll, der auch andersitig bekannt ist: ein Herr *.Böttcher; der tobt schon seit langem als Aff, der seine Banane nicht findet, durch Die Dschungel, >>>> lavantesiert sozusagen und macht sich mit einer ganzen Flut von Pseudonymen merklich, die alle versuchen, wie >>>> der Knotscher zu schreiben, es aber nicht schaffen.
Sehen wir es als Leben, lieber Thomas Findeiss. So lange >>>> uns die Frauen mögen, gibt es keinen Grund zu verzweifeln, nicht einmal einen, sich zu ärgern.
Mit einem Lächeln und auf einen Cocktail in der >>>> Lützowbar.

>>>> 106
105 <<<<

Kaffeesatz ODER Benses Irrtum. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (105).

Es ist doch nicht die Technik-selbst, das Technologische, aus was die neue Poesie entsteht, nicht, daß wir die Steuerbefehle beherrschen und über sie die Verfügung ans Maschinelle abtreten - was der Fall wäre, ließen wir das Maschinelle „eigene“ Entscheidungen treffen, sei es auch nur als Würfelwurf. Auf die Poetik einer Dichtung hat das so viel Einfluß wie die Mechanik einer Schreibmaschine, der wir ganz sicher und zu recht das Recht** bestreiten, Inspirationen zu haben und sie überdies künstlerisch ordnen zu können. Wohl aber hat die Mechanik einer Schreibmaschine Einfluß auf die Wahrnehmung eines Textes, während er entsteht; die maschinengeschriebenen Sätze erscheinen dem Autor anders, im Wortsinn: sie sehen anders aus, als wären sie mit der Hand geschrieben; eine Spur von Endgültigkeit haftet bereits an ihnen, während sie noch entstehen. Dies perfektioniert der Computerausdruck, ja schon das Schriftbild auf dem Bildschirm: der entstehende Text wird näher an sich als einen bereits erschienenen gerückt, als das jemals zuvor der Fall war. Daher ist der Einfluß des Technologischen auf die Dichtung einer des Scheines, Anscheines. Der aber ist, indem er wirkt. Der „Zufalls“generator generiert keine Gedichte.
Es stimmt auch schon mit dem Zufall nicht. Denn die Wörter und Lettern werden weder willkürlich geordnet n o c h in Sinnzusammenhängen, sondern auch das sieht nur so aus: tatsächlich werden sie nach formal determinierten Abläufen geordnet, deren Folge allein deshalb zufällig wirkt, weil uns die „handelnden“ Steuerbefehle, nach denen der Computer vorgeblich dichtet, schon ihrer Anzahl nach unüberschaubar sind. So haben wir den Eindruck von Zufall, ohne daß dieser überhaupt da wäre. Bei „Zufall“ ist ohnedies zu fragen, ob er nicht stets nichts anderes als der Ausdruck einer Schönung unserer Wahrnehmungsblindheiten ist. Etwas sei zufällig geschehen, sagt nur, daß wir die Gründe eines Geschehens nicht kennen, bzw., sogar: sie prinzipiell nicht erfassen können.
Das computergenerierte Gedicht ist insofern auch sinnlos, wenn es zufällig eine sinnvolle Reihe ergibt. Wir interpretieren den Sinn h i n e i n, nicht ist er schon da.

[Apollinaire schnitt Wörter aus Zeitungen aus, warf die Schnipsel hoch, und waren sie heruntergeregnet, arrangierte er sie zu Gedichten. Nun aber zu meinen, es seien Gedichte-per-se schon gewesen, bedeutete, aus einem Runenwurf die Zukunft abzulesen. Die „Gedichte“ werden vielmehr zu Konstrukten der Leser, s i e schaffen das Gedicht. Der Autor macht sich zur Maschine, wobei sein Maschinelles dann nicht etwa in der Kombinatorik besteht, sondern im „zufälligen“ Zusammenspiel seiner Muskelbewegungen (Wortschnipsel in die Hand nehmen, sie von der Hand hochwerfen lassen, wobei sich die Hand öffnet usw.) mit den Umständen von Ort und Zeit (geht ein Lüftchen, steht ein Fenster offen, wie warm ist es: Bestimmungen, die den Fall der Zeitungsschnipsel bestimmen).
Computergedichte sind ein Kaffeesatz, aus dem man sie herausliest.]

[**): zu recht das Recht. Ecco! ]
104 <<<<

Mit Geist(ern) reden: Lektüre, interaktiv. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (103).

Welcher Leser konnte je mit Adrian Leverkühn sprechen, mit Simplicius, Laclos, Madame Chauchat, mit der Ratte Victoria oder mit Franz Biberkopf? Im Literarischen Weblog geht das. Die und den man liest, antwortet. Zuweilen.

>>>> 104
102 <<<<

Das ist erst der Anfang. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (102).

In den Industrieländern entwickelt sich das Internet momentan zum wichtigsten Kommunikationsmedium des Menschen und ist dabei, sogar die direkte, reale Kommunikation – das von Mund zu Mund unter vier und/oder mehr Augen geführte Gespräch – in Bedeutung und Bedeutsamkeit abzulösen. Das wird unabsehbare Folgen auch für soziale Entscheidungsfindungen haben, ja für die gesamte Sozialstruktur der westlichen Gesellschaften an sich – und indem sie ihre Systeme im Prozeß der Glabalisierung auch sämtlichen anderen Gesellschaftsformen überstülpen, auch für diese. Bereits heute werden häufig Beziehungen unter Absehung des Raumes eingegangen, das Internet verschiebt Bedeutung auf die Zeitlichkeit, es nimmt den realen Raum aus den Dingen heraus und setzt einen nulldimensional-fiktiven an dessen Stelle; einen, der allein empfunden ist. Entsprechend verliert Körperlichkeit an Bedeutung. Das liegt in der Logik des Kapitals, das als eine Logik des Aus-Tausches mit der Logik des Herrschens alliiert ist. Phänomene wie AIDS kommen dem nicht nur entgegen, sondern beschleunigen den Prozeß noch: keine Ansteckung ist über das Netz möglich (der Körper wird gar nicht mehr fremdberührt); zugleich ist auch die Reproduktionsfunktion des Sexuellen abgestellt. Dem parallalisiert sich die Genforschung bis hin zur extrauterinen Schwangerschaft, die der modernen Vorstellung von Gleichberechtigung ebenso entgegenkommt wie der Verschiebung von gender-Vorstellungen. Dies ist eine anthropologische Revolution. Wir erleben sie nicht, weil wir selber ihr Anfang sind.

>>>> 103
101 <<<<

Gelöschtheiten. Paläste der Republik: Kommentare als Leerstellen. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (101).

Das lebendige Weblog geht in die Seele: es wühlt. Ein Literarisches Weblog, worin Avatare und andere Verschriftlichungen realer Personen tatsächlich interagieren, stellt einen sozialen Raum in das Netz, worin die Dynamik eine der gegenseitigen Zuneigungsversicherung nicht mehr sein kann; genau das unterscheidet ein lebendiges Weblog von den Plauderblogs, deren Kommentatoren dem Autor und sich selbst permanent auf die Schultern schlagen und familienähnliche Solidaritäten bekundet werden: das literarische Weblog erweist deren Brüchigkeit, indem es sie provoziert. Es ist ein agent provocateur der guten Gemeintheiten.
Das hat Konsequenzen (oder wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit haben): da die Kommentare hier nicht über Unverbindlichkeiten funktionieren, bzw. sich unverbindlich nicht lange hielten, sind sie in der ständigen Gefahr sowohl, als Machtinstrumente (mißverstanden und) benutzt zu werden, wie zugleich ihre Urheber zu „verraten“ - das wiederum macht sie anfällig für Löschaktionen – so, wie jemand, der nicht nur geschichtliches Unrecht getilgt, sondern überhaupt Geschichte vergessen haben will, Paläste der Republik niederreißt und statt dessen Stadtschlösser errichtet, und zwar egal, wie potthäßlich die Architektur ist***. Schießen die Gefühle in Kommentatoren quer, werden sie versuchen, ihre eigene Geschichte – das ist eben auch die ihrer Gefühle – zu verfälschen; letztlich ist es ein Prozeß der Verleugnung, also der Abwehr von Schmerz. Es bleiben aber Spuren, vor allem dann, wenn nächste Kommentatoren, die sich auf die jetzt gelöschten Texte beziehen, nicht mitgelöscht werden können, weil sie eigene Kommentarlinien gelegt haben. W e r d e n sie hingegen mitgelöscht, wirkt sich die Löschung als direkte Aggression auf die Gedankenwelten Nächster aus und wird von diesen Nächsten womöglich auch so empfunden. Sie s o l l auch so empfunden werden. Denn die Löschung ist nicht nur eine Form der Aggression gegen eine eigene Dynamik, sondern allem voran eine Aggression gegenüber denen, die Schlüsse aus den nun gelöschten Kommentaren gezogen haben könnten.
Ästhetisch interessant sind aber die Spuren der Leerstellen, sind die Brachen in den Städten, und dort sind es die Schnittstellen, denn an ihnen setzt die Imagination der Leser ein, um die Brachen wieder zu füllen: mit einer Erinnerung, die eventuell völlig abgelöst von dem gelöschten Kommentar ist. Das Lesen solcher Passagen erinnert an die Rekonstruktionstätigkeit von Paläontologen; es ist ein phantastischer Prozeß, der es mit >>>> Donnerechsen zu tun hat. So ginge es dem Dichter eines Literarischen Weblogs schließlich darum, solche Spuren bereits v o r einer Löschung zu legen: so, als ob dort einmal etwas gestanden hätte, das ein Kommentator gelöscht hat – und die im Netz erzählte Geschichte wird dann eine, die sich aus der nie stattgefundenen Löschung ergibt, weil kein Text vorher dagewesen: ein umgekehrter Rückbau. Was etwas anderes ist, als wird ein neues Gebäude errichtet. Hier würde eines wiedererrichtet, wiewohl es das vorher nicht gab.

[***: Die des Berliner Stadtschlosses ist ja nicht schöner als die des Republikpalastes war – eher noch häßlicher, weil im Fall des Stadtschlosses noch die Lüge des versuchten Schönscheins hinzukommt, indes dem DDR-Palast doch immerhin der Adel einer Wahrheit totalitäter Systeme eingeschrieben war.]

>>>> 102
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