Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Bis Okt. 2017 verboten)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Seit Okt. 2017 wieder frei)
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Arbeitsjournal

Wo‛s bumperlt und pulst. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, den 13. Dezember 2013. Mit abermals Tadeusz Konwicki, sowie der Contessa und einer, nunmehr, Mâconière.


[Arbeitswohnung, 9.22 Uhr
Zweiter Latte Macchiato
Erster Morgencigarillo]

„Schon” die erste Korrespondenz geführt, das schon, Freundin, weil ich mal wieder verschlafen habe und erst um kurz vor acht hochkam. Ist aber nicht schlimm, zwei dicke Arbeitsbrocken sind fertig, und mir steht die erste, eine wirklich tolle, Szene für meiner Contessa Familienbuch vor Augen. Besprach sie eben mit der Löwin, die, wie auch gestern schon die Contessa selbst, dieses „tolle” als „toll” auch bestätigte. Nun möchte ich nur noch uns alle wirklich dort stehen sehen, wo ich diese Familie vor meinen inneren Augen stehen und im Wortsinn tief in die Vergangenheit schauen lasse, die in diesem Fall kein>>>> Brunnen, sondern tatsächlich ein See ist. Es ist ein mythischer >>>> Vineta-Ort, wie er durch viele Sagen und auch heute noch Kinderbücher dringt, ein ἀρχήτύπος mithin; ich denke, niemand unter uns ist unberührt geblieben von ihm.

vineta 2

Die Mächte der Sagen und Legenden sind so groß, daß sie von allem Anfang an auch die neuen Technologien erfaßt haben; ich habe darüber, wie Sie wissen, mehrfach andernorts geschrieben.

Schöne kurze Nachrichtenwechsel mit Frau Lieberman-Mâcon, ich werde in Zukunft von der Mâconière schreiben, in dem es anfangs um die Frage „w e l c h e Villa” ging, Sie wissen schon, Freundin, diese Einladung in die Wüste inmitten der Vulkaninsel. Da ich Frühaufsteher bin, wird mein Blick nun gen Osten schauen; im übrigen schlug ich ein Abendritual vor, zu dem wir uns villenabseits in die Wüste setzten, Stuhl und Wein dabei, und Gläser (Laurence nimmt selbst >>>> in Et Thi das rare Wasser zum Rasieren, inmitten der Hölle hält er auf, gleichsam, Perlwein aus der Champagne) - „bevor ich”, schrieb ich, „in die Küche gehe, um das Nachtmahl vorzubereiten”.
Ich hoffte, sie, die Mâconière, sei keine Vegetarierin und nehme, was das Meer uns biete. Die Antwort war eindeutig: „Ich rauche und saufe und genieße das Leben mehr dionysisch als apollinisch (…). Machen Sie sich auf eine barocke Rubensfrau gefaßt!” Was in mir einen unmittelbar klassizistischen Reflex auslöste und weiterhin auslöst, so daß es ein Reflex eigentlich nicht genannt bleiben kann, mithin den des Formalisten - Apolls mag ich selbstverständlich nicht schreiben.
Die Mâconière legte nach: „ich war immer in einer Mischung aus (…) und der Frage beschäftigt, was nötigt jemand, sich so der Blog-Gemeinschaft auszusetzen…Narzissmus, Histrionik?” Worauf ich auf eine Weise geantwortet habe, die ich, obwohl ich mich damit hier wiederhole, kurz zitieren will:
Ihre Frage, was jemanden zu solcher öffentlichen Darstellung bringe, läßt sich schnell beantworten (ich tat es auch schon in der Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens): Stark beeinflußt von Gedanken der jungen Moderne, also der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, beeinflußt dann auch von Adornos Ästhetik, war es mir immer ein Anliegen, den Prozeß des künstlerischen Arbeitens-selbst zu einem Bestandteil des Kunstwerks zu machen. Nun gehören aber die persönlichen Umstände, die das Entstehen eines Werkes begleiten, weil sie eben nicht nur "Begleitung" sind, genau zu den Quellen des Werkes, die wiederum im Werk auf mehr oder minder verstellte Weise -  als eine "zu Wahrheit", schriebe Aragon, "gelogene" - erkennbar sind. So wollte ich das Leben selbst zu einem lesbaren Bestandteil meiner Arbeiten machen. Daß dabei auch Narzissmus eine Rolle spielt, sei dahingestellt, weil er es quasi überall tut und weil ich ihn ja umgekehrt genau durch seine Offenbarung auch torpediere. Meine Eitelkeit ist mir bewußt, ständig, also verwende ich sie als Material, was mich notgedrungenermaßen von ihr distanziert; auf genau diese Weise gelange ich zu dem mir poetologisch Wichtigsten: Wahrhaftigkeit, ja sogar poetischer Gerechtigkeit. Für sie steht für mich am deutlichsten >>>> MEERE. Daß der darin ich-erzählende Held, also der Maler Fichte, fast durchweg als „Arschloch” wahrgenommen wird, beweist mir, belegt es zumindest, daß Leser:innen (zu denen halt auch Rezensent:inn-en gehören) der genau richtigen Fährte gefolgt sind: Sie alle sind auf der Seite der Frau und damit auf der Seite meines Buches - daß dennoch so oft geschrieben wurde, der Roman sei ein Racheakt, zeigt nur, wie ihrer inneren Vorgänge unbewußt auch Profis lesen. Dieses geistige Armutszeugnis stellen sie sich freilich, wie >>>> zuletzt Andreas Zielke, ganz selber aus. Weil sie den Vorgang zwar nicht  begreifen, aber spüren, haben die Attacken auf mich einen so so diffamierenden Ton. Sie w o l l e n nicht sehen, daß sie sehen aber müssen (weil der Text ihnen unter die Haut geht), erzeugt ihre Abwehr und Wut. Wiederum >>>> Ecker spricht heute von Ashley, ist sich aber des Umstands bewußt, daß niemand ihn hört, geschweige ihm zuhört. Es geht um ein Haus mit enorm vielen Zimmern, das dennoch so klein ist wie ein Kopf, wenn es nicht würfelförmig wäre. Spontan denke ich an eine der achtzehn Villen der Mâconière – für Ecker eine gewiß befremdliche Assoziation, schon weil er nicht einmal weiß, ob Ashley eine Frau oder ein Mann ist; bei der Mâconière weiß ich es ganz genau. Nun steckt aber in nahezu allen Erzählungen Eckers eine gehörige Portion Sadismus, und zwar, das eben ist so interessant, ohne daß er zugleich auch dominant wäre; auf seine Helden trifft eher das Gegenteil zu. Dieser hier fragt nun „Ob man das Gesicht eines Menschen ausquetschen könnte, mit einer Art Zitronenpresse?” Was meinerseits mich an die Entenpresse der Fenster von Sainte Chapelle denken läßt, einem derjenigen meiner Bücher, die quasi komplett untergegangen sind; momentan, sehe ich gerade >>>> bekommt man es für vier Euro vier. Wenn Ecker jedenfalls, bzw. sein Held, Ashley heute begegnen würde, gäbe er ihm schlichtweg eins in die Fresse. Nein, sogar zwei – weshalb allerdings, das lesen Sie doch besser selbst.

Korrespondenz zu >>>> Konwicki. Wenn ich aus einem Buch zitiere, öffentlich, dann hat es mich gefaßt. Öffentliches Zitieren ist immer Einvernahme, also wenn es nicht geschieht, um zu schaden. „Es stirbt die Welt der Zauberer und Wahrsager (…). In diesem ewigen Siegesmarsch der Zivilisation (…) wurden Wiesen zerstampft, Wälder niedergebrannt, Embryonen des Genius vergiftet”, Konwicki S.144. Wobei ich aber nicht glaube, daß es so ist, sondern sie haben sich, die Zauberer, nicht einmal „zurückgezogen”, sondern sind, wie es >>>> der Wolpertinger erzählt, in die technischen Welten eingezogen und wirken von dort mit unverminderter Kraft. Genau deshalb hat ja der sogenannte Realismus derart unrecht: Er verliert, indem er zu gewinnen glaubt. Allerdings verdient er an seiner Niederlage gut, besser als die Sieger, die im Gegenteil oft nur wenig oder gar nichts verdienen. Dafür werden sie mit Wahrheit entlohnt.

Ich möchte Ihnen, verehrte Freundin, noch von einer anderen Entdeckung erzählen, einer vielleicht kleineren, aber doch sehr innig-wahrhaftigen, kann das aber erst tun, wenn ich die Erlaubnis dafür bekommen habe. Denn auch in diesem Fall möchte ich gerne zitieren, nämlich ein Gedicht. Vor Freitag/Sonnabend werde ich die Erlaubnis – oder Ablehnung – aber nicht erhalten. Deshalb gedulden Sie sich bitte noch ein wenig.

Ah, und der Eckermännin habe ich, glaube ich, eine Freude gemacht mit der Aussicht auf das ihr vorgeschlagene, nein: an die linke Brust - dorthin, worunter es bumperlt und pulst - gelegte neue Projekt, von dem ich ebenfalls noch nichts erzählen darf – in diesem Fall aus allerdings taktischen Gründen.

Ihr
ANH

Bei lahmem Netze. Abermals ein spätes Arbeitsjournal, des nämlich des Dienstags, den 12. Dezember 2017.


[Arbeitswohnung, 15.25 Uhr]

Ich wollte, Freundin, fertig werden. Also ließ ich, zumal mit 7.30 Uhr viel zu spät aus dem Bett gekommen, Die Dschungel liegen und wandte mich gleich der Aeolia für die letzten Korrekturen zu, die dann aber auch noch in einer mir von >>>> Arcos Setzer zugesendeten Probeschrift formatiert werden mußte. Also gingen zwei Typoskripte schließlich hinaus.
Um knapp zwei Uhr mittags war es geschafft.
Dann zu Bett – ebenfalls länger, als ich vorhatte. (Heute abend kein Alkohol. Daß ich gestern tatsächlich zwei Flaschen Wein in mich hineingekippt habe, habe ich sehr wohl im Blick. Tee heute abend, Apfelsaftschorle, sowas. Auch den Sundowner erlaube ich mir heute nicht.)

Jetzt an die Fortsetzung der Contessarbeit, dazwischen Konvicki weiterlesen. Außerdem liegt hier noch der Typoskriptanfang des Romans Vilma Huchs, einer jüngeren Kollegin, der ich schon vor mehr als einem Monat versprochen habe, ihn durchzusehen. Daß ich es bislang nicht geschafft habe, bereitet mir ein kleines schlechtes Gewissen. Von dem mich Christopher Ecker allerdings ablenkt, und zwar trefflich, >>>> der heute von einem Pferd erzählt, das ein Mensch ist, der zusammen mit anderen Menschen – oder Pferden – einen Pritschenwagen zieht, auf dessen Kutschbock es aber zugleich sitzt, das erzählende Pferdmensch, und zwar neben einem unentwegt quasselnden Toten, dem dennoch kein Dampf vor den Nüstern steht. Was bleibt einem da als ehemaliger Drücker? Man erinnert sich, erinnert sich an eine Kneipe in Nantes und stellt sich die Nautilus vor, wie sie aus der Loire auftaucht, um möglicherweise die Sklaven zu befreien, die der Ursprung des Reichtums dieser Stadt gewesen sind, ohne daß aber Jules Verne von ihnen abgestammt wäre.
Nun ist diese Idee - insgesamt - selbstverständlich viel zu utopisch, als daß sich das Pferd nicht sofort dem schützenden Realismus zuwenden müßte, nunmehr im Mantel der Erinnerung an ein Restaurant, worinnen Hummerhälften wurden serviert. Als der Kellner vor seinen Gast, das Pferd, den Teller plaziert, ruft er aus, daß die Hummer früherer Zeiten sehr viel größer gewesen seien; anders als Ecker oder das Pferd, die dieser Ausruf beide irritiert, gehe ich davon aus, er, der Kellner, habe damit dem Pferd – oder Ecker – zuvorkommen wollen. Woraus wir sehen, daß jemandem zuvorzukommen das völlige Gegenteil von zuvorkommend sein kann. Und also entläßt mich Herr Ecker dann doch mit einem Mißbehagen, vor dem ich mich, Vilma Huchs wegen, habe in ihn hineinflüchten wollen. Du mußt nur undsoweiter die Laufrichtung ändern.

Der Eckerfrau, die nicht Eckers Frau ist, ich wiederhole es entschieden (sie selbst würde es ebenfalls bestreiten), - also der Eckerfrau ein neues Projekt unterbreitet, von dem ich Ihnen bis auf weiteres allenfalls en privé erzählen dürfte. Zu viele lesen hier mit, die Ihnen weder, noch mir, wohlgesonnen sind, geschweige denn wohlig. - „Whouww!” schrieb die Eckerfrau mir zurück.

ANH
Dessen DSL nach wie vor lahmliegt. Immerhin kommt er dennoch ins Netz.

Achtzehn Villen. Das Arbeitsjournal des Montags, den 11. Dezember 2017.


[Arbeitswohnung, 7.14 Uhr
Jarrett, Wien 1988
Zweiter Latte macchiato, zweiter Morgencigarillo]

Etwas nervös, liebste Freundin, weil ich von meiner Lektorin noch nichts gehört habe, bin ich nun doch, ich gebe es zu. Aber Jarrett, heute vor neunundzwanzig Jahren ebenfalls in Wien und dort in der Staatsoper klaviermeditierend, spricht mir leise zu: „Du weißt es doch, daß >>>> Sonntag war.” Wie ich auch spüre, daß er zugleich mein musikalisches Sensorium wieder und wieder schärft; solch ein Satz - wie der in meiner gestern verfaßten >>>> Rezension zu Youn Nah Sun - wären mir vor ihm nicht in die Tastatur gekommen: Die Stärke des Kitsches, und n u r seine, sei es, die entgrenzende Radikalität des Gefühls auszudrücken. Es ist ein grundlegender Fehler der >>>> Darmstädter Schule und ihres Primats der Serialität gewesen, dies zu mißachten. Übrigens habe ich es früh geahnt und da schon auch innerhalb der, wenn man das noch sagen kann, „Avantgarde” eine Außenseiterposition bezogen.
Dennoch, als ich eben per Email >>>> ACT und >>>> Q-rious Music den Link zu meiner Besprechung schickte, war mir etwas unwohl, einfach weil ich ungern Verrisse schreibe, gemeinhin, müßte ich es tun, lieber schweige – eine Haltung, übrigens, die ich ebenfalls schon lange pflege. Ich habe, als ich für sie noch schreiben durfte, auch der FAZ bisweilen angenommene Aufträge für Besprechungen wieder zurückgegeben, wenn ich verreißen hätte müssen. Gut angekommen ist das nie. Ausnahmen sind für mich immer Künstler, bzw. Schriftsteller gewesen, die schon so gefestigt, meist sogar berühmt waren, daß eine negative Rezension politische Dimensionen bekam. Auch und gerade Ästhetik ist politisch; eine Überzeugung, an der ich ganz genauso festhalte, weil sie sich über meine nun Jahrzehnte immer und immer als richtig erwiesen hat. Wir können am Mainstream die Verfaßtheit einer Gesellschaft erkennen. Deshalb schrieb ich in meiner gestrigen Kritik am Ende auch von „Gegnerinnen und Gegnern”, wogegen sich im nächtlichen Facetimegespräch scharf die Löwin wandte; allerdings machte sie den Unterschied zwischen Gegner und Feind nicht.
Heute morgen, bereits vor sechs aufgestanden, dachte ich über das Gespräch nach und suchte dann tatsächlich nach einem Ersatzwort, das ich allerdings nicht fand. So ist der Satz unangetastet stehen geblieben.

Doch was mir jetzt so geschieht... Also bereits meine Contessa kam in meinem Leben schon einer Märchenwendung gleich. Und nun erreichte mich gestern nacht die Einladung einer Leserin auf eine afrikanische Insel; dort habe sie für den Januar 18 – in Worten: achtzehn – Villen gemietet und lade mich hier- also damit, mit ihrer Nachricht, für ein bis zwei Wochen ein, dort in der Sonne zu arbeiten; sie sitze da ebenfalls über einem Projekt. Und danach freue sie sich auf Gespräche mit mir, den sie über die nahezu tägliche Lektüre Der Dschungel fast schon zu kennen meine; deshalb sei sie auch überzeugt, daß dieses Zusammensein gutgehen werde.
Ich habe der Dame, nennen wir sie Esther Lieberman-Mâcon, zugesagt. So daß ich nun also den Anfang des Berliner Januars, der bekanntlich den November bis in den späten April hinein immer weiter noch fortsetzt, auf der Insel zubringen werde, einer, für die selbst Laurence von Arabien sein Herz geöffnet hätte - zum Unverständnis aller Wüstenbewohner. Denn diese lieben nichts so sehr wie den Regen, aus dem freilich selben Grund, der uns verkühlte Nordostler in das pralle Licht hineinzieht. Eigenartig eigentlich, daß es zwar sogenannte Wirtschafts-, aber keine – oder so wenig – Wetterflüchtlinge gibt, und wo d o c h, da werden sie als Wirtschaftsflüchtlinge denunziert, anstelle ihre Seelennöte zu verstehen. Indessen bei >>>> Christopher Ecker heute die Identitäten des Erzählers gleich dreimal wechseln: Erst ruft man ihn um ein Interview an und dann ist er‛s, der es führt und auch ausstrahlen lassen wird, indes sich der Interviewte bedankt. Eine wirklich hübsche Studio über erzählte Perspektiven. Ich frage mich, was hätte er, Ecker, aus diesen achtzehn Villen gemacht?
Toller Titel einer Erzählung, übrigens:


Achtzehn Villen Oder Die Oase


Finden, Freundin, Sie nicht?

In diesen Morgen,
Jarrett ist unterdessen in Madrid,
ANH

Bei schwindendem Licht. Das späte Arbeitsjournal des Sonntags, den 10. Dezember 2017.


[Arbeitswohnung, 16.31 Uhr
Battistelli, Etude für großes Orchester (die Uraufführung aus dem Jahr 2000]

Anders als Jarrett geht Youn Sun Nah den Weg in die Gefälligkeit. Dabei hatte ich mich, Freundin, so auf ihre neue CD gefreut. Denn >>>> im Frühjahr war mein Eindruck von dieser Sängerin überwältigend gewesen. Statt dessen habe ich nun, was ich wirklich äußerst selten tue, >>>> eine Art Verriß geschrieben, immerhin aber so, daß er niemanden von einem Kauf abhält, der ihm vielleicht guttut. Ich möchte meine Meinung dartun, aber keiner schaden, und einem auch nicht.

Morgens, anstelle wie üblich zuerst ein Arbeitsjournal zu verfassen, bin ich sofort an Thetis und habe die Überarbeitung tatsächlich heute auch fertigbekommen. Jetzt liegt sie bereits beim Verlag.

Hinüber also an die Contessa-Arbeit, derweil ich auf Nachricht, bzw. die Sendung der zu ihrer letzten Kontrolle von meiner Lektorin durchgesehenen lektorierten Aeoliafassung warte, die morgen eigentlich an Verlag und Setzer soll. Na gut, falls es heute nicht mehr klappt, wird‛s auch morgen noch reichen. Die Sonntage sind meiner Eckerfrau privatester Raum, schon gar nicht ich darf da stören. Auch für die Löwin schloß der Sonntag mich lange Zeit aus. Es sind meine alleinesten Tage – was ich aber nicht wirklich spüre, bzw. nur unanhaltend; ich stecke eh in meinen Fantasie- und Arbeitsgefilden.
Überdies erinner ich mich gut.
Früher (!!), als ich noch in einer Lebensgemeinschaft wohnte, hießen diese Tage auch bei mir Familientag, etwas, das sich damals meine Gefährtin geradezu erstreiten mußte. Wird es sonntagsabends dunkel, jetzt also, im Herbst/beginnenden Winter schon sehr früh, frage ich mich bisweilen, ob ich überhaupt noch fähig wäre, mit einer Frau, die ich liebe, auf Dauer zusammenzuleben. Wahrscheinlich eher nicht. Dabei habe ich auch das viele Jahre lang geliebt.

Verzeihen Sie, Freundin, ich mag nicht sentimental werden. Deshalb besser in die Arbeit zurück und auch in das neu begonnene Buch: Chronik der Liebesunfälle von Tadeusz Konwicki – wobei es mich eigentlich zu Ulrich Becher wiederzieht; trotz dringender Empfehlungen von Ulrich Faure und Christoph Haacker habe ich noch immer >>>> Murmeljagd nicht gelesen; letztrer schrieb mir gestern drüber „einer der wuchtigsten, fabulierendsten, anarchischsten, verspieltesten Romane, (…) in ständiger Schwebe” der deutschsprachigen Literatur des letzten Jahrhunderts. Haacker, andererseits, hat mir aber auch den Konwicki nahegelegt und besorgt. Gleichzeitig lockt mich >>> der neue Roes. Alles aber – ja, aber – sind historische Stoffe. Dabei habe ich solch eine Sehnsucht nach Zukunft, zumindest einer Gegenwart, die selbstbewußt in sie vorausschaut, und frei.

Ihr
ANH

Indes bei Christopher-heute-Abendecker „sogar das Hermelin begriff, daß der Marder log”:


Ich sollte Arbeitsjournale nicht schreiben, wenn es bereits dämmert. Schwindendes Licht ist immer ein Ausdruck von Trauer.

Kriminelles unter Der Dschungel IP, sowie Pläne für die‛s sie nicht braucht. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, den 9. Dezember 2017.


[Arbeitswohnung, 6.45 Uhr]

An Tagen wie gestern, Freundin, bin ich froh, daß ich die monatliche Investition für einen zweiten Internetzugang trage; eigentlich habe ich sogar drei, nämlich immer noch den kleinen USB-Stick, der einen anderen Vertrag zur Grundlage hat als mein Vodafone-DSL-Zugang, indessen Ifönchen und iPad ohnedies getrennt über die Telekom laufen. - Nämlich ab nachmittags brach mein DSL komplett zusammen, damit auch das Festnetztelefon; das Modem warnte in Rot. Zeit allerdings ging schon drauf, als ich bei der Störungsstelle anrief, nachdem ich online meine Überweisungen überprüft hatte. Ich gebe ja prinzipiell keine Bankeinzugsvollmachten, also muß ich die Rechnungen selbst im Auge behalten und auch unautomatisch zahlen. - Nee, alles in Ordnung.
Die Dame an der Störungsstelle, deren spürbar schlechte Laune ich mit amüsierter Freundlichkeit unterlief, konnte schließlich aber dennoch nicht helfen: Die Messungen ergaben einwandfreie Funktion des Netzes. „Ich habe einen Verdacht”, sagte sie und – als ich nachfragte, weil sie ihn von sich aus nicht äußerte –: „Es könnte sein, daß sich jemand in Ihren Verteiler geklemmt hat”, geklemmt, ja, war das Wort. Sie meinte den Verteiler, der sich für dieses Haus im Keller befindet; vielleicht meinte sie sogar den großen Verteilerkasten außerhalb des Wohnungskomplexes draußen auf der Straße.
Das erhöhte mein Amusement, schon, weil ich ja längst im Netz wieder war – der Arbeitslaptop über den Stick, die Korrespondenzgeräte qua Telekomvertrag. Nur daß erstmal mein arbeitsinternes Netzwerk nicht mehr funkioniert, so daß ich, etwa um etwas auszudrucken, zum SJ werden muß, einem Stick-Jockey also. Freilich läßt es sich damit zweidrei Tage schon leben: 24 bis 48 Stunden könne es nämlich dauern, bis sich ein Techniker melde, und da aber nun Wochenende sei... - Egal.
Mein Amusement ging auf eine Fantasie: Eine terroristische Zelle, zum Beispiel, nutze nun meine IP, um ihre Vorbereitungen zu treffen, sagen wir einen Anschlag auf PENNY. Ich sah es direkt vor mir, wie mein Anschluß ab- und ein anderer angeklemmt wurde; dann wurde gewaltig telefoniert. Es könnte aber auch der harmlose Fall eines geplanten Sparkassenüberfalls sein; die Filiale, eine große, befindet sich anderthalb Straßen weiter. Und dann steht plötzlich ein SEK vor meiner Tür und pocht oder knallt gar mir den Stiefeln dagegen oder nutzt, ohne sich überhaupt anzumelden, einen diese elektronischen Rammböcke – KRACH WUMM SPLITTER, dann müssen sich die SEKler, >>>> wie seinerzeit unter Goltz, durch meinen engen Flur quälen, wobei sie natürlich alles von den Seitenregalen wegreißen und, nach drei Schritten bis in meinen Arbeitsraum, schaut sie so arrogant wie bestimmt und einbrustsentblößt die Schaufensterpuppe an... ach nein, die sitzt ja jetzt am Fenster, weil ihr ihr Sommerplatz – der auf dem Ofen – andernfalls das hübsche Gesäß schmelzen würde. Jedenfalls ich soll... Gesicht zur Wand, ähm welcher?.. also zu den Büchern, Tritt in die Kniekehlen, echte Thrillerszene.

Gut, ich bin vorbereitet, das Wochenende kann spannend werden. So, jedenfalls ähnlich, erzählte ich es gestern auch meinem >>>> Elfenbeinverleger, der mich kurzfristig >>>> ins Sigismondo gebeten hatte, wo ich ihm dann eine Idee unterbreitete: Nachdem ich >>>> Dark gesehen hätte, sei ich überzeugt, er müsse Thetis, sowie das Buch in zweiter Auflage erschienen, an Netflix schicken; meine Güte, was eine S e r i e es ergäbe! Man hat dort offenbar, ich habe diese Beobachtung jetzt mehrmals gemacht, weder Angst vor komplexen Erzählstrukturen noch vor Gewalt- und Sexualszenen und ist auch phantastischen Themen gegenüber mehr als aufgeschlossen. Vorausgesetzt, sie lassen da die üblen Popmusiken beiseite, die in Dark ziemlich lästig sind, ist der gesamte Andersweltkomplex für eine Serie geradezu ideal.
Der höchst vornehme Ingo Držečnik hörte mir höchst geneigt zu, anders als ich erwartet hatte. „Schick mir das alles nochmal als Mail, auch mit den Namen der Regisseure.” Nur daß wir freilich das Erscheinen der Zweiten Auflage abwarten wollen, damit auf allen Umschlägen auch Elfenbein steht.
Bereits Koralnik von >>>> Liepmann und Michalek von >>>> AVA hatten mir auf der Messe erzählt, daß es einen riesigen Materialbedarf für Serien gebe, was ich mir „natürlich” hätte selbst denken können, gedacht aber selbst nicht hatte, nicht vordem. Ich bin ein Konservativer, geschätzter Herr Polizeichef Goltz, wie anarchistisch auch immer, und denke bei Verfilmungen halt immer zuerst ans Kino, für das der Andersweltstoff aber zu umfangreich und verwickelt ist. Bei Serien liegt der Fall komplett anders, man hat da wirklich die nötige Zeit. Und Thetis/Buenos Aires/Argo, meine Güte, ich habe ja gestern bereits >>>> auf diesen NZZ-Artikel verlinkt. Liest man ihn und vergleicht mit Anderswelt, könnte man meinen, ich hätte meine Ideen abgekupfert, die selbstverständlich nicht etwa „Prophezeiungen” waren, sondern einfaches Weiterdenken dessen, was zwischen 1994 und 1998 schon war und womit parallel - die barbarische Rückseite derselben Phänomene - das Völkermorden auf dem Balkan lief, das unterdessen der داعش  noch zu toppen versucht hat. Alles exakte Andersweltthemen.

Wie auch immer, als mein DSL zusammenbrach, war ich, Freundin, ausgesprochen beschwingt. Hinzu kamen noch Pläne, die über den Tag mein >>>> Arcoverleger und ich... nein, nicht schmiedeten, so konkret ist es noch nicht, aber doch angeschnibbelt haben. Da weist jetzt vieles in die Zukunft. - Ach, Vertrauen in Verlage haben können! >>>> Dielmann hatte es mir restlos ausgetrieben, von Schöffling und Berlin-Verlag fast unmittelbar gefolgt, indessen Rowohl auf einer anderen Seite, sozusagen dem Impressung verbucht steht, dessen Copyright >>>> McKINSEY hält, mit Holtzbrinck. Das größte Trauerspiel bleibt dennoch Dielmann.
Seine kalte Replik – des sonst herzerwärmend freundlich und verbindlich wirkenden Mannes, sein Haupt„kapital”, denke ich – auf meine Klage, ich hätte mich doch so sehr mit dem Verlag identifiziert, so viel Vertrauen in ihn gehabt, werde ich nie vergessen: „Ist halt ein Fehler von Autoren.” Wie viele von ihnen haben bei Dielmann unter diesem „Fehler” schon leiden müssen, wie viele Dichter:innen! Bei >>>> Paulus Böhmer darf man nicht mal mehr seinen Namen aussprechen, und meines Wissens zuletzt hat er, Dielmann, >>>> Peter H. Gogolin in tiefe Not gestürzt, nachdem er schon mit den Kulturmaschinen in freien Fall geraten war, woran ich, unterm Strich, auch noch Mitschuld trage - für den, mich, es erst mit Elfenbein und Arco, und mit >>>> mare selbstverständlich, wieder anders aussieht; bei >>>> Septime bin ich mir ebenfalls sicher. Deshalb sollte, umgekehrt geschaut, ich mit diesen vier Häusern nun wohl auskommen können und nicht mehr noch anderswohin schielen. Denn bei all den vieren ist das Fundament Freundschaft und Achtung vorm Werk.

Ein paar schöne Erinnerungserzählungen für das Familienprojekt der Contessa gefunden; fast etwas schade, daß dieses Buch rein privat bleiben wird. - So auch am Vormittag noch. Ich kam weiter, auch mit Thetis; sogar für die Gedichte scheint sich eine Lösung abzuzeichnen. Was störte mich da dieser DSL-Mist? Wobei ich mich allerdings dran gewöhnen muß, daß sich die Sites erheblich langsamer aufbauen, als ich‛s gewöhnt bin. Aber das ist Banane.

Herr Morgen>>>ecker wiederum teilt heute die Beute. Ich habe auflachen müssen. Lachen, Freundin, auch Sie:Es gibt eine Geheimgesellschaft namens „Abgrund”, die Autoren dabei hilft, ihre Texte komplizierter zu machen.Muß ich mehr sagen?... leben und lesen und schreiben wir (…) noch immer unter dem Diktat der Mittelmäßigkeit (…).Es sei halt unsere Zeit noch immer nicht gekommen.Und so teilten sie die Beute einträchtig in vier gleich große Teile.

(Um den Bogen zu schlagen: eines für jeden Verlag. Und während wir ihnen beim Essen zuschaun, stecken wir, Freundin, die Köpfe an den Mündern zusammen; wie das geht, wissen Sie ganz wie ich. Nun züngelt Geist zu Geist. Ob weiblich, ob männlich - was, wenn beisammen, schert das denn noch?)

ANH

8.52 Uhr
Oh, Schönste... - erster Schnee! Vor den Fenstern torkelnde Flöckchen.

Googles Toronto.Anderswelt. Das Arbeitsjournal des Freitags, den 8. Dezember 2017. Mit einem nächsten Haienherz.


[Arbeitswohnung, 8.35 Uhr

Tannhäuser, Aufzug III, Eaglen, Seifert, Pape,
Meier, Hampson. Staatskapelle Berlin, Barenboim 2001

Ich bin ja stets auf der venerischen Seite, Wagner steht
auf der christlich-reinen Elisabeths, wobei ich vor drei
Jahren schwankend wurde und nun die Konsequenzen
trage – eine Bemerkung, die denen, die wissen,
nicht kryptisch, sondern so schmerzhaft ist wie mir.]

Es wurde, Freundin, mir gestern furchtbar bewußt, daß wir nicht umhin können, auch denen Schmerzen zuzufügen, die wir lieben, daß es zugleich unser Schmerz selber sein muß, wenn er sich der Gerechtigkeit, weil Notwendigkeit nämlich, stellt. So लक्ष्मी, die gerne zum Empfang der >>>> Villa Massimo in den Gropiousbaus mitgekommen wäre, aber sich nach der Freigabe von >>>> Meere nicht in literarischen, bzw. künstlerischen Zirkeln zeigen mag, die mit mir zu schaffen haben. Ich weiß nicht, was genau sie scheut, möglicherweise Fragen, möglicherweise allein schon Blicke; sie spricht nicht drüber, aber deutet immer wieder an – kurz, nebenhingeworfen, und mir wird dann klar, w i e tief ich offensichtlich verletzt habe, und zugleich ist mir bewußt, Notwendiges getan und auch zu wirklich Kunst geformt zu haben. Ich täte es also wieder, täte es wieder und wieder, aber trüge zugleich den Schmerz der Getroffenen mit mir. Was Meere ist, wird zur Zeit an vielen Orten deutlich, wird in vielerlei Stimmen laut, die mich erreichen, nicht aber, ecco, wie das Wort sagt „laut”, sondern auf leise wissende, auf unvermittelt erkennende Weise. Dazu mußte das Buch unter Menschen. Da es dort nun aber ist, hat लक्ष्मी, der allein sich die Wende verdankt, diesen Schmerz und habe wiederum auch ich ihn.
Sagen Sie nicht, Verehrte, daß Ihnen all dies zu kompliziert dünkt. Ich lege hier den Finger auf die Künstlerschaft, die so wenig ein Heiapopeia ist wie Sexualität. Der in der Tat tragische Zusammenhang – wobei ich „tragisch” überhaupt nicht wertend, sondern gleichsam faktisch meine – wurde auch in Bechers Herz des Hais deutlich und exakt in der angemessen stillen Weise. Künstler:innen haben Haienherzen und schlagen noch in ihren Werken, wenn sie selbst längst erschwacht oder bereits tot sind. Lesen Sie noch einmal >>>> den gestern zitierten Auszug aus Lulubés Abschiedsbrief.
Einer möglicherweise – wie sie selbst deutlich sieht – Illusion halber verläßt sie ihren Ehemann, der ihr Sicherheit wie treue Liebe gab. Und er? „Als der Kniende den Brief zu Ende gelesen hatte, sank er vornüber in einem Anflug von Ohnmacht.”
Lulubé wird es gewußt haben. Sie wird seine Trauer gewußt haben, und sie wird ihre geworden sein. Und trotzdem tut sie diesen Schritt. „Wir sind nun 10 Millionen Jahre alt”, womit sie die Menschheit meint, „und ich befürchte, daß meine Zeit etwas knapp wird. Deshalb ziehe ich aus den Wilden Mann zu suchen.” Daß ihre Kommasetzung fehlerhaft ist, was in Bechers Buch sonst nicht vorkommt, zeigt die Art ihres Denkens und Fühlens: Sie sieht Zusammenhänge anders als die Grammatik. Ihr Leben ist grammatisch n i c h t, anders als Tannhäusers, der in die Grammatik zurück-, also von Venus zu Elisabeth sozusagen heimkehrt, derweilen Lulubé Elisabeth, bei Becher Angelus (!) genannt, verläßt, um Venus zu suchen, anstelle sie noch und noch zu sublimieren.
Alle Kunstwerke, die es sind, stehen in einem Zusammenhang, besser: einer Matrix; wir können eines, ja müssen es, mit dem anderen lesen. Eine ständige Bewegung zwischen Sehnsucht, erfüllter Sehnsucht und neu aus ihr erwachsender nächster Sehnsucht. Künstler ist allein, Künstlerin, wer ihr tätig folgt. Bau dir kein Haus, denn es wird dir zerfallen so oder so, also auch dann, wenn es für andre Augen fest gefüget steht. So sitzt Fichte am afrikanischen Meer und sinnt. Reifung geht so und ist immer der Gewinn, der aus dem Verlust steigt. Daß wir dabei traurig werden, ist davon ein Aspekt. Doch wir bleiben wahr.

Jedenfalls, was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte, bekam es लक्ष्मी hin, daß ich dann doch nicht für den Empfang zum Gropiusbau radelte, sondern mit der Familie auf den Weihnachtsmarkt ging. Ach die Zwillinge bettelten so! Sie wollten mit mir und dem großen Bruder und der Mama zusammen dort sein. Am Wochenende wären sie bei dem leiblichen Vater, da wäre es nicht gegangen, und die nächste Woche sieht abends sehr ungewiß aus. Gut, sagte ich, dann gehe ich zu dem Empfang erst später – aber wußte natürlich schon, daß daraus nichts mehr würde, hätten wir erstmal einzwei Glühwein getrunken, den Kleinen beim Trapezspringen zugesehen, Kartoffelpuffer gefuttert und und und.
Es wurde halb zehn, da war es dann wirklich zu spät. Um 22.30 Uhr schlösse der Gropiusbau eh seine Pforten. Jetzt werde ich an Joachim Bühler, den Direktor der Accademia tedesca, einen kleinen Entschuldigungsbrief schreiben und ihm darin genau das erzählen, was ich hiermit Ihnen, meiner vertrautesten Freundin, berichte.

>>>> Christopher Ecker wird heute übrigens auch vom Weggehn berührt. Offensichtlich hat er eine Verabredung mit einer Frau, doch geht zwar hin – sie wollen sich in einem Kieler Café treffen –, sieht sie dort auch sitzen, aber, und das ist entscheidend, „ohne es zu wollen oder überhaupt darüber nachgedacht zu haben”, zieht er seine Kapuze über den Kopf und geht am Café vorüber und zur Förde weiter, an deren Flanierseite er bis zu den Seehunden spaziert, an denen Kinder sich erfreuen. Woraufhin er weder mehr nachhause noch „morgen zur Arbeit” gehen werde. Das 50er-Jahre-Filmwort, das die kleine Erzählung abschließt: ENDE, bezeugt, er werde seine Heimstatt, ganz wie Lulubé ihren Mann, ein für alle Male verlassen. Einer Vornahme hat es gar nicht bedurft. Die Entscheidung ward ohne, doch durch ihn getroffen.

Und heute die vierte der Kleinen Poetologien, >>>> dort. Sehen Sie mir ihre Melancholie bitte nach. Ich bin auf der Suche nach dem Aufflug

--- und muß das Arbeitsjournal ebenso unterbrechen wie >>>> mein DTs stören. Mein Elfenbein-Verleger hat grad angerufen und möchte mich auf einen Croissant sehen. Dem folge ich sofort und setze dieses Journal später vielleicht noch fort. Denn eigentlich wollte ich Ihnen etwas ganz anderes erzählen. Was, das mögen Sie der nun zweifelhaft entwordenen Überschrift dieses Journales entnehmen. Na gut, damit er nicht ganz sinnlos dort steht, denken Sie >>>> diesen Artikel bitte einmal mit meinen Andersweltbüchern zusammen. Mehr sagen kann ich jetzt aber, aus Zeitgründen, nicht.

Wie auch immer,
bis auf weiteres:

ANH
(der noch gar nicht vorzeigbar gekleidet ist; immerhin hat er schon Zähne geputzt)

Von Schleiern, Vulkanen und Demut. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, den 7. Dezember 2017. Mit Lulubé von Becher, Ioma Mangold, der Frage einer Leserin und einer Handicap-Parabel.



Wenn einmal die Bogensehne meiner Leidenschaftlichkeit,
welcher echte Künstler wäre ohne sie? er kann sie formen
oder wird von ihr geformt, jedenfalls muß sie ihm eigen sein,
wenn diese Sehne einmal schlaffer hängen sollte bin ich
bereits gestorben.

Aus Lulubés Abschiedsbrief an Angelus
Ulrich Becher, >>>> Das Herz des Hais


[Arbeitswohnung, 8.13 Uhr
Stille. Verhangen-feuchter Tag.]


Es ist schon allerhand, auf was heute >>>> Bruno Lampe hinweist; ich konnte >>>> zu kommentieren nicht umhin. Es ist ja, Freundin, nicht so, daß Herr Mangold ein übelwilliger Kritiker wär; es ist „nur” Geschluder des Blicks, wobei Karl Kraus durch das „nur” einen fetten Strich gemacht und an ihm genau das Übel festgemacht hätte, und o h n e den Konjunktiv, der hier Irrealis ist. Wobei ich abermals darauf hinweisen möchte, daß Kopftuch und Schleier auch Ausdrucksformen der christlichen, nicht allein islamischer Ikonographie sind, siehe >>>> eines der innigsten Bilder der Christenheit überhaupt (und, ecco, einem der geheimnisvollsten):


Ich hätte es eines Tages gerne als Buchumschlag, am liebsten des >>>> Béartzyklus.

Das Herz des Hais zuende gelesen. Furchtbar innig der Abschiedsbrief, den Lulu B. Turian ihrem Ehemann hinterläßt, furchtbar wahrhaftig in seiner Lebenszugewandtheit und berückend ihre Erkenntnis und ihr Beharren; ich fürchte – aber weshalb? –, daß >>>> dieses Buch neben >>>> Aragons Blanche nunmehr zu meinen Lieblingsromanen gehören wird, wie Niebelschützens Blauer Kammerherr, wie Nabokovs Ada, auch (oder vielleicht gerade), wenn es - verglichen mit den beiden Weltentwürfen - auf Zehenspitzen geht und nur von einem Zimmer in das andre: „Allein das flache Klatschen der Brandung antwortete ihm”. Sollte es zu dem für >>>> Arco „angedachten” Bändchen mit meinen Kleinen Poetiken kommen, werde ich für Lulubé eine neue hinzuschreiben.

Arco, Freundin, ja. Nun steht der Umschlag, ohne den, wie wir, meine Eckermännin und ich, „ursprünglich” wollten, Kiefer – der Verlag hätte die Bildrechte rechtzeitig, nämlich bis heute, nicht mehr bekommen –, statt dessen glüht nun Arnold Böcklin:

Aeolia Wiener Ausg Umschlag Böcklin (vor 061217)

Im März wird das Buch da sein.
Aber vielleicht gehen wir auf den Kiefer nochmal zurück; wie ich‛s der Eckerfrau schrieb: Es wäre nicht das erste Mal, daß ein Buch mit anderem Umschlag erscheint, als es angekündigt war; dies gilt ja sogar für Schulzes und meine >>>> Kammermusik von Joyce, die anders als angekündigt nunmehr im Querformat erschien. (Aufgrund eines Fehlers der Druckerei muß neu nochmal nachgedruckt werden, also verschiebt sich die Auslieferung, und also habe ich die Nachdichtungen hier in Der Dschungel noch immer nicht annonciert).
Für die Arbeit an der Aelioa beginnt die vorletzte Phase; zurückgekehrt aus Paris, wird sie, die Eckerfrau, das nach dem Lektorat fertiggestellte Typoskript in ihrem Postfach finden, es noch einmal ganz durchgehen, und am Montag oder Dienstag versende ich‛s dann an Setzer und Verleger. Die letzte Phase werden die Korrekturen in den Druckfahnen sein. Bis dahin werde ich auch die Thetis-Überarbeitung abgeschlossen und an >>>> Elfenbein geschickt haben. Dann geht es, neben der Contessa-Arbeit, volle Kraft voraus an die im Frühjahr 2018 bei >>>> Septime erscheinenden Gesammelten Erzählungen. Offen aber, nach wie vor, ist, wer meine in den vergangenen Jahren – unabhängig von der Béart – entstandenen Gedichte herausbringt.

Schon zwei Cigarillos geraucht. Ich wollte das eigentlich einschränken, verstärkt auf die eCigarren zurückgreifen, weil sich auf der vorgestrigen Veranstaltung zu Ursula Krechels Siebzigstem >>>> Wend Kässens, den ich schätze, von mir wegsetzte: „Verzeih, aber du riechst so nach Rauch.” Ich dachte sofort, was, wenn sich die Löwin, wenn sich die Eckerfrau, wenn लक्ष्मी sich aus solchem Grund von mir fortsetzen würde, wenn Sie sich von mir fortsetzen würden, was dann? Schwerlich nur hielte ich‛s aus.

Sehr, nun jà, „schön” dafür eine Frage, die mir in FB eine Leserin zum >>>> Traumschiff stellte: „... wie kann man das Schreiben eines solchen Textes überleben ? Da man ja schon als Leser aufpassen muss, nicht mit hinüber geschwemmt zu werden”. Irrerweise antwortete ich falsch, nämlich auf >>>> Meere bezogen, weil ich ihren, der Leserin, Anfangssatz überlesen hatte: „Es ist wohl eher anders herum: Ich habe (wahrscheinlich) überlebt, w  e  i  l ich diesen Roman schrieb.” - Mein Fehler zeigt allerdings, daß diejenigen sehr recht haben, die zwischen den zwei Büchern einen engen Zusammenhang sahen und sehen, auch wenn zwölf Jahre beide trennt. - Wie sehr allerdings die Entstehung des Traumschiffs in meine Existenz eingegriffen, sie bestimmt, mich verändert hat, das wissen Sie, verehrte Freundin, ebenso genau wie viele weitere Leser:innen Der Dschungel. Es hat etwas einen Riß bekommen, er geht bis heut durch mich hindurch und wird sich wohl allenfalls kitten, nicht aber wieder schließen lassen – ein Umstand, der poetische Folgen hat. Der pralle Vitalismus, mit dem ich die Béartgedichte begann, will sich nicht mehr einstellen. Daß der Erzähler der Aeolia die Hauptperson gar nicht ist, für die er sich hielt, sondern - wie er am Ende des Buches erkennt - „nur” Zeuge des mythischen Geschehens, paßt auf geradezu unheimliche Weise dazu, wie erst recht, daß jetzt diese Neufassung des Gesanges erscheint. Alledies hat eine Demut, die mir vor dem Traumschiff wesensfremd war.

Ihr
ANH

P.S.: Ohichvergaß das Wesen der Buddha-Natur in >>>> Christopher Morgeneckers Erzählung. Wer sich erfolgreich wehren will, gebe sich schwächer, als er ist. Eine Handicap-Parabel.


Jerusalem. Im Arbeitsjournal des Mittwochs, den 6. Dezember 2017. Und aus einer Rede vor Zeiten.


Und ich frage mich, ob es nicht gerade diese Geschichte
von Eroberung und Wiedereroberung und Wiederwieder-
eroberung ist, ob der Altstadt nicht eben, daß sie so viele
verschiedene Herren sah, ihre dem Monotheismus höchst
angemessenen Einzigartigkeit verleiht. Die Stadt ist nicht
jüdisch oder islamisch oder gar kreuzfahrerchristlich, son-
dern ihre Herren haben immer nur ein bedingtes Mandat.
Ob dieses auf Rom oder auf Israel, auf Jordanien oder mei-
nethalben Australien lautet, ist eigentlich egal: Denn das
gemeinte Jerusalem ist sowieso himmlisch, ein irdischer
Verwaltungsapparat geht davor auch dann in die Knie,
wenn es ein israelischer ist: Einen chancenreichen Ver-
drängungskampf kann Eretz Israel nur in der modernen
und um die moderne Neustadt, also jenseits der prächti-
gen Süleyman-Mauern führen. Wiederum schützt der jahr-
hundertealte Konflikt die Altstadt vor ihrer restlosen Musea-
lisierung. Solange Altjerusalems Status strittig ist, behält
der Glaube seine prekäre Macht, und zwar auf – konfessio-
nell grob gesprochen, ich weiß - allen drei Seiten. Religions-
theoretisch sind sie sowieso voneinander abhängig und auf-
einander bezogen; genau das wird in Jerusalem - in Alt-
jerusalem - Stein. Das wird hier Wind und Colonade.
ANH, Das gelbe Licht des Friedens, DLF 2003

[Arbeitswohnung, 10.32 Uhr
Jarrett, The Wind, Paris 1988]


Mein Journal, Freundin, heute einmal nachgezogen, nicht zu Anfang des Arbeitstages. Zum ersten Latte machiato war kurz mit dem Setzer der Wiener Aeolia zu konferieren und eine neue Schrift auf meinem System zu installieren. Dann zog es mich zum Gedichttext-selbst zurück; in einem Zug las ich ihn erneut und fand dann auch wirklich hier und da noch ein Satzzeichen, das wegmußte. Morgen geht die Aeolia dann noch einmal an, nach ihrer Rückkehr aus Paris, meine Lektorin; bis zum Montag dürfte das Typoskript satzfertig sein.
Auch der Buchumschlag steht jetzt;. Ebenfalls schon ein Skypegespräch mit dem Wiener Verleger wegen der Programmvorschau geführt.
Dann die Nachrichten gelesen. Viele, meiner Innenwölbung wegen, erreichen mich nicht aktuell – was nichts macht, da ich an den Weltgeschehen ohnedies wenig, eigentlich gar nichts, ändern kann. Dennoch, Trumps Absicht, Jerusalem als israelische Hauptstadt anzuerkennen, traf mich geradezu schockhaft. Deshalb oben das Zitat aus meinem seinerzeitigen >>>> Jerusalem-Hörstück.

„Was, wenn ich das zu tun bereit bn, was innere Notwendigkeit einfordert?” fragt heute morgen >>>> Christopher Ecker. „Manche Maske ist größer als das, was sie verbirgt. Doch das Verbergende, liebe Leser,” (was bin ich froh, daß er nicht „liebe Freundin” schreibt) „ist nicht selten um einiges kleiner als das zu Verbergende, und überdeutlich sieht man an den Rändern der Verkleidung das, was sie zu verbergen vorgibt.” Wozu mir einfällt, daß unter meinen alten Erzählungen auch eine ist, die sich mit Masken beschäftigt; speziell: mit einer ganz bestimmten Maske, die sich schließlich in das Gesicht dessen hineinfrißt, der sie trägt. „Auf dem dritten” Bild „sitzt die Familie”, erzählt Ecker weiter, „am reich gedeckten Mittagstisch” (das „reich gedeckt” stört mich, weil es ein Konkretum ins Banale verkitscht) „doch nur der Junge im Matrosenanzug hat ein Gesicht; alle Übigen besitzen anstelle eines Gesichts ein weißes, mit einer Art Kordel umgebenes Oval, eine Leerfläche, die dem Jungen zugekehrt ist, der sich offensichtlich damit abmüht, etwas Großes zu schlucken, das er sich in den Mund gestopft hat.” Magrittegesichter, die wir füllen, wie unsere Prägung uns vorgibt: Wir projezieren die Nähe, die in Wahrheit Leere ist. „Wen oder was, frage ich Euch, kann ich noch trauen? Euch etwa?”
Ich möchte Ecker antworten: „zum Beispiel Keith Jarretts Pariser Konzert von 1988.” Mehr noch möchte ich ihm antworten: „Unseren Projektionen”, nämlich daß sie die Kraft haben, das Projezierte tatsächlich zu (er)schaffen. Genauso ist es, so mein Glaube, mit der Freiheit, die ohne ihn – an sie – nicht wäre. Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Aber wir müssen sie pflegen wie Zähne und Haut. Denn das sind sie: die Zähne unseres Geistes, und seine Haut.

Das Abendland christlich zu nennen, war und ist genauso brutal verfehlt, wie Jerusalem zur Hauptstadt alleine Israels zu erklären. Was wäre ein Abendland ohne die antiken Gottheiten und ohne die Kobolde, Alben, Dames vertes, Baumgeister, Leprechauns, Widergänger:innen, Trolle und Feen der Volksglauben, kurz: ohne Seele? Ob es Seele gibt spielt dabei keine Rolle, sondern alleine, daß es sie gibt.
Noch gibt.

Weil sie nun braucht, daß, wo eines sei, kein anderes sein könne, darum schieden die Meinen aus, was sich nicht denken ließ, euch nämlich, und indem sie euch ausschieden und aus dem gleichen Grund, schieden sie die Tiere aus und die anderen Pflanzen, das Wasser schließlich, die Luft und die Erde, die Steine und Sande, das Laub und das Haar, die Sonne endlich, den Mond, die Planeten und Sterne. Sie taten es, um zu erfahren, wo ihr Ich sich versteckte. Sie dachten: Wenn ich von der Welt immer mehr abziehe, was nicht Ich ist, dann muß es am Ende übrig bleiben. Strenge Wissenschaft ist Subtraktion, nicht mehr, nicht weniger. Je mehr nun die Subtraktion abzog von ihnen, desto schärfer wurde den Meinen ihr Mangel daran bewußt, ein Etwas zu sein, und desto weniger waren sie auch, und desto weniger sie waren, desto inniger und verzweifelter betrieben sie Wissenschaft. Darum seid ihr den Meinen so fremd, darum fürchten sie euch, je mehr sie die Denker sind und nicht mehr der Boden, auf dem sie leben, das Wasser, von dem sie trinken, die Luft, die sie atmen, und die Frau und der Mann, die sie lieben.
Hans Erich Deters‛ Rede an die Geister:

Damit, geliebte Freundin, kehrt in die Tagesarbeit zurück, zuerst einmal zu den allfälligen Lektüren für das (private) Familienbuch seiner Contessa:

Ihr
ANH

Welch ein Lektorat! Das ziemlich eckernde Arbeitsjournal des Montags, den 4. Dezember 2017.

[Arbeitswohnung, 7.17 Uhr
Keith Jarrett, erstes Pariser Solokonzert, 24.5.1970]

Meine Güte, welch ein, Freundin, L e k t o r a t! Ich kann selig sein, daß meine Arbeit >>>> solch eine präzis-poetische Seele gefunden hat, eine Zweitseele, die, sagte ich noch in Wien meinem >>>> Arco -Verleger, so genau spürt, was ich in den Dichtungen will, und immer aber a u c h spürt, wo es mir nicht oder nur halb gelingt – und da legt sie den Finger drauf. „Ich habe doch gar keine Ahnung von Lyrik”, behauptet sie, aber kaum, daß ich ihr die rhythmische Struktur auch nur annähernd erläutert habe, fließt sie schon durch ihre Adern. Es ist wirklich – in phantastischem Sinn – ungeheuer.
So habe ich nun einiges, sehr viel einiges, neu zu fassen, bevor ich ans Ende der Thetis-Überarbeitung gehen kann, für die mir mein >>>> Elfenbein-Verleger aber Luft gegeben hat, ebenso wie die Contessa mich erstmal zuende wurschteln läßt, bevor wir mit dem Familienbuch weitermachen, was freilich anfang nächster Woche geschehen soll und muß. Welche Freude aber – ich saß noch in Wien im Verlag –, als die Nachricht des Kurt-Wolff-Preises für Elfenbein kam; Haacker raste sofort los und öffnete eine Flasche. Dabei hatten wir konzentriert über Gedichten Washma Fazila Aryads gesessen; es sieht so aus, als würde ich nun auch noch als Nachdichter aus dem Dari tätig – dazu aber später mal mehr.
Jedenfalls, die Aeolia wird nun enorm dicht; auf die, wie wir sie nennen, Wiener Ausgabe freue ich mich irrsinnig. Die Frage war dann schnell nach einem Umschlagbild da; ich möchte gerne eines der Pyramidenbilder Anselm Kiefers haben. Es bleibt aber nicht viel Zeit, die Rechte einzuholen; am Freitag muß die Programmvorschau in Druck. Alternativ denke ich an Max Ernsts >>>> Die ganze Stadt, auch wenn Titel & Sujet nicht wirklich etwas mit Stromboli zu tun haben.
Und... - lustig! Soeben SMSt mir meine >>>> Eckermännin, also die Eckerfrau ANHs, noch aus dem Flugzeug, das in Wien auf Starterlaubnis nach Paris warte, weil CDG (Roissy) wegen Nebels ein Landeverbot verhängt habe - und da werden nun, parallel zum Entstehen dieses Arbeitsjournals, zwischen Sitz 32A und Schreibtisch letzte Änderungen am Vorschautext vorgeschlagen. Mein Verleger wird ein bißchen wahnsinnig werden.
Sie bringt mich, meine Eckerfrau, freilich nur assonanzhalber auf den nunmehr wiederaufzunehmenden >>>> Morgenecker, der mir heute von den Meisen Alaskas erzählt: „Ich saß in einem Sessel und redete mit jemandem, der sich als ein Etwas erwies, das nicht antworten konnte. Es gab auch den umgekehrten Fall, daß nämlich ein Etwas aus heiterem Himmel zum Leben erwachte und mich mit Vorwürfen überschüttete oder Fragen stellte, auf die es keine Antwort gab”:

Ecker Andere Häfen (amazon)

Was ich auf keinen Fall vergessen darf: gleich nachher zur Post zu radeln, um >>>> Helmut Schulze zwei Vorabexemplare der >>>> Kammermusik nach Umbrien zu schicken. Es kann einfach nicht angehen, daß hier schon „alle” das Buch gesehen haben, es sich überdies bereits trefflichst verkauft, nur er, der erste Dichter neben mir, hat es noch nicht. Morgen, übrigens, werde ich diese nun bereits erhältliche Neuerscheinung in Der Dschungel gesondert annoncieren. Dann können Ihre Freundinnen, verehrte Freundin, sofort die Bestellzettel ausfüllen. Lächelt.
Jetzt aber ist erst einmal die Löwin dran, ganz sanft aus ihrem tiefen Schlaf herausgesprochen zu werden – eine Bemerkung, die ich hier hinschreibe, weil auch Ihr Antlitz ein wenig Eifersucht mit einer schimmernden Wärme beleben wird, die diesem Berliner wieder mal Novembertag leider, leider abgeht. Im Gegenzug werden Sie mir gewiß verzeihen, daß es in diesem Text heut ein wenig arg sehr eckert.

Ihr
ANH

Kurt-Wolff-Preis 2018 an Elfenbein.


Die Dschungel gratuliert dem Verleger Ingo Držečnik.


Kurt-Wolff-Stiftung

Der Kurt-Wolff-Preis wird alljährlich von der Kurt-Wolff-Stiftung auf der Leipziger Buchmesse „für das Lebenswerk, für das Gesamtschaffen oder das vorbildhafte Verlagsprogramm eines deutschen oder in Deutschland ansässigen unabhängigen Verlages vergeben”. Es habe der Elfenbein Verlag „seit gut zwei Jahrzehnten in schön gestalteten Büchern die Literatur der Gegenwart mit der Erinnerung an im Schatten liegende Traditionen der ästhetischen Moderne” verbunden.

Es ist für einen – mit der Anderswelt-Trilogie sogar zentralen – Autor dieses Verlages ehrenvoll, hier publizieren zu dürfen, war‛s aber auch schon vor dem tatsächlich mehr als „verdienten” Preis. Danke, Ingo Držečnik.


ANH bei Elfenbein:
2003. Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen,
mit einer, als CD, Poetik für Kavita Janice Chohan.
Hörstücke.
2011. Das Bleibende Thier, Bamberger Elegien.
2013. Argo.Anderswelt, Epischer Roman.
2016. Buenos Aires.Anderswelt,
Kybernetischer Roman.
Zweite Auflage Zweiter Hand.
Im Frühjahr 2018. Thetis.Anderswelt,
Fantastischer Roman.
Zweite Auflage Zweiter Hand.


Ein verlegerisches Meisterstück, für das Elfenbein ausgezeichnet
werden freilich noch nicht konnte, ist dieses:

Kazantzakis Odyssee

>>>> Bestellen

 



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