Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Bis Okt. 2017 verboten)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Seit Okt. 2017 wieder frei)
________________________________


 

Filme

Leos Carax: Holy Motors ODER Kein Geheimnis ist. Das enttäuscht am Ende d o c h.

Vielleicht soll man nicht solche Erwartungen haben:
Zum einen gehören Leos Carax‘ ersten beiden Filme zu meinen Kino-Heiligtümern, „Les amants du Pont-neuf“ von 1991, viel mehr aber noch das Debut, >>>> „Mauvais sang“ von 1986 - sowie, damit zusammenhängend, gefällt mir dieser egomane Regisseur; ich habe ihn gehalten - und halte ihn noch - für einen hochorganischen, nämlich dabei völlig autonomen Erben Jean-Luc Godards, den er mit dem David Lynch von „Twin Peaks“ und „Mulholland Drive“, kann man sagen, gemischt hat, doch bereichert um einen hochgradig eigenen Blick auf die Wirklichkeit, ja auf unmittelbare Zeitgenossenschaft. In „Mauvais Sangue“, eine phantastische, als quasi-Thriller erzählte Kriminal-Rhapsodie um den HIV-Virus, ist das ganz besonders zu spüren, auch die Wahrung des „französischen“ Filmblicks, den ich, mehr noch, als einen europäischen empfinde. Carax ist immer allein seinem Stoff verpflichtet und seiner Obsession von Kino. Davon ist in „Holy Motors“ nach wie vor einiges erhalten. Auf die schnellen Sensationsbedürfnisse eines „großen“ Publikums wird so wenig Rücksicht genommen wie auf die Allüren der beteiligten Stars. Von den Dreharbeiten zu „Mauvais sang“ wurde erzählt, den Darstellern sei während der Arbeit verboten gewesen, sich privat und überhaupt zu unterhalten. Statt Ablenkungen die, zur Konzentrationsverpflichtung, permanente Beschallung mit klassischer Musik auch während der Drehpausen.
Ich mag solche Exzentrik, halte sie für unabdingbar, wenn wir Kunstwerke schaffen wollen. Sie ist aber nur die Voraussetzung, nicht schon Garantie, will sagen, alleine reicht sie nicht aus. Da muß auch Seele des Dinges sein, Seele im Thema, die Seele eines drängenden Anliegens, das über ein unverbindliches Spiel hinausweist. Die Dinge selbst müssen zur Sprache finden; kein Veni creator spiritus kann sie herbeirufen, sondern die Exzentrik des Künstlers, und seine Schaffenswut, sind ihr nichts als das wenn auch notwendige Medium.

Zum anderen hatte ich >>>> Phyllis Kiehls so leidenschaftliche Eloge gelesen und war deshalb gleich zweifach positiv geladen: Ich w o l l t e den neuen Carax gutfinden.. Was mir auch eine halbe Stunde lang gelang. Dann begann der Film, sich zu ziehen. Das lag ganz sicher nicht an der Bildwelt, sondern an der Fabel. Weil sie nämlich keine ist, aber es zu sein behauptet, sich sogar als ein Rätsel behauptet, hinter dessen Lösung ein Geheimnis steht. Wir können aber solche Rätsel nicht konstruieren, keines, das tiefer als bloß unverbindlich für ein Spiel stünde. Es muß sich vielmehr einstellen - um es pathetisch zu sagen: Es muß uns wählen. Wir selbst, die wir dran arbeiten, sind unwichtig dabei.

Die Fabel mal zusammengefaßt.
Monsieur Oscar verläßt allmorgendlich als jemand anderes eine Bleibe, steigt in eine weiße Limousine, wird durch Paris gefahren und erledigt einen Auftrag nach dem nächsten, mehrmals einen Mord, mal eine Entführung, mal eine Straßenbettelei; zwischendurch trifft er als vielleicht er selbst seine Tochter, als vielleicht ebenfalls er selbst eine junge Kollegin, und abends kehrt er als wieder jemand anderes in eine nächste Bleibe, um, wahrscheinlich, morgens als dieser nächste andere erneut aufzubrechen und in die Limousine einzusteigen. Da er ein Meister der Maske, also Verwandlung, ist, wird er immer genau als das wahrgenommen, was er darstellen soll.
Weil dies alles von einem Prolog eingeführt wird, in der ein durch eine Tapetentür in das Kino von Twin Peaks versetzter Filmvorführer auf ein erstarrtes, vielleicht auch nur schlafendes Publikum hinabsieht, könnte man annehmen, Carax habe eine Parabel auf Schauspielerexistenzen im Sinn gehabt, die er, noch stärker vielleicht, zu einer allgemeinen künstlerischen Aussage über unser aller Existenz transzendieren wollte. Jeder von uns trägt Masken: in diesem Sinn. Und wir wüßten nicht mehr, wer wir seien.
Das kann man, wenn man will, so sehen.
Allein, was bringt‘s?
Denn zwar leben wir in Sprüngen und auch unsere Rollen haben Sprünge, existentiell sind sie dennoch immer verbunden. Was eben den Konflikt schafft. Der rote Faden, den im Spielfilm die weiße Limousine darstellt, gibt es im Leben so wenig wie das Auftragsbuch - schon gar nicht einen Auftraggeber, der, Gott persönlich vielleicht, in einer kurzen Szene im Fonds des Wagens sitzt und Monsieur Oscar fragt, weshalb er das alles denn tue. „Für die Schönheit“, antwortete der. Er hätte auch sagen können „Für meinen Tintenfisch“ oder „Weil ich Spiegeleier liebe“; es hätte den gleichen Gehalt, wäre das, was es eben ist, eine dahinproduzierte Verrätselung. Die. Eben kein Rätsel.
In Carax‘ Film ist überdies alles, wenigstens das meiste, Zitat, aber nicht so, daß es zusammengenommen etwas Neues ergäbe oder irgend eine wenigstens ästhetische Einsicht vermittelte, sondern alles bleibt in der Privatsprache dieses Filmemachers stecken, in seinen bestimmten Vorlieben, vor allem aber in seiner ans Larmoyante grenzenden antitechnischen Sentimentalität. Da ist es geradezu erlösend, wenn er mal einen Witz macht, etwa >>>> auf dem Friedhof Montmartre, wo sich sämtliche Grabinschriften in ein „Visitez mon site“ verwandelt haben und, unter Angabe jeweils der Webadresse, daraus abgezogenen Variationen. Freilich steht auch d ahinter der larmoyante Kulturpessimismus, der genau so unsere Feuilletons, da aber aus Kalkülen des Machterhalts, durchzieht und bei Carax seinen, ich muß schon sagen, peinlichen Höhepunkt in dem Gespräch findet, das nachts die abgestellten Killer-Limousinen unterm Parkdeck führen:
Damit endet der Film nämlich: so, als hätten Disney/Pixar‘s „Cars“ zu viel banalisierten >>>> Oswald Spengler gelesen mitsamt der schon bei d e m falschverstandenen Botschaft, die unsre Omis bereits teilten: daß früher alles sei besser gewesen.
Das ist nicht nur ermüdend, nein, es ist ärgerlich. Mit solchen Aussagen schafft die Kunst sich selbst ab - wenn es Künstlern an der Distanz fehlt, die sie überhaupt erst befähigt, ihr Material ästhetisch übertragbar zu bearbeiten, so, daß es zu einem Sinn kommt, der über die unverbindliche Aneinanderreihung von Einfällen hinausgeht, die sowieso schon andere und oft besser gehabt haben. Insofern spielt Carax‘ Film wider Willen und Absicht den Holly- und Bollywoods zu, also eben der Auffassung von Kino, derer er sich erwehren will. - Wer sagt, er falle, tut‘s - auch dann, wenn der Sturz in teilweise berauschenden Bildern geschieht.
Denn es gibt auch hohe Momente, auch in diesem Carax: etwa die Szene in der Holo-Suite, worin sich Monsieur Oscar körperlich trainiert, wobei man aber merkt, daß er allmählich ins Alter kommt. Die Kampfmuster funktionieren nicht mehr, der Organismus ist geschwächt; eigentlich kann man erwarten, daß er nun bald abgezogen werde - in seinem Metier dürfte das seine Liquidierung bedeuten. Kurz: Er ist bereits ganz außer Atem, als eine kybernetische Ninja die Suite betritt, die zugleich Szenario eines Computerspieles ist. Nun kommt es zu einer visionären Begattungsszene, die auch vor Giger nicht haltmacht, eine Überblendung nibelungenscher Alien-Lindwürmer mit radikalen Penetrations-, nämlich Durchstoßungs-Fantasien, die konsequenterweise den Fantasy-Comic zitieren. Hier wird die Bekanntheit des Bildes einmal, aufgrund der direkten Folge einer mythischen Bildwelt aus modernen technologischen Welten, zur unmittelbar wirkenden, einer gleichsam stehenden Metaphorik von eindringlicher Leuchtkraft: ein geradezu kollektiver Archetyp wird hier wirklich. Nur ist das, in ihrer inhärenten Aussage, ein Eigentor, das sich Carax‘ Computerfeindlichkeit geschossen hat. Wir registrierten das mit Schmunzeln.
Nicht anders visionär ist die Szene, in der sich M. Oscar in Mr. Hyde verwandelt - tatsächlich aber in Jean Renoirs M. Opale >>>> aus „Das Testament des Dr. Cordelier“ von 1959, der ganz sicher beklemmendsten Verfilmung von Robert Louis Stevensons berühmten Schizophrenie-Erzählung. Carax verschneidet sie, nach einem blutigen Warhol-Unfug, mit Balzac und läßt das Monstrum, gleichsam ganz im Schoß der sowohl begehrten wie schließlich von ihm fundamentalislamistisch verhüllten Schönen, die er vom Set aus dem Park in ein verwahrlostes Kellergewölbe verschleppt hat, einschlafen, wozu sein nackter, faunhaft aufgebogener Phallus wie eine Kerze als die Ikone des Sexuellen selbst steht. - Für mich die intensivste und zugleich schönste Szene des Films.
Ergriffen war ich aber auch von der Chauffeuse, die M. Oscar in der Limousine fährt und ihm Auftrag nach Auftrag auf den Rücksitz legt. Ergriffen, weil ihr noch heute die eklatante Schönheit anzusehen ist, die dreißig/fünfunddreißig Jahre früher aus ihr herauserblüht war und heute in den Fältchen um die Lippen eingetrocknet ist, um nur immer noch trockner zu werden, bis sie, eines nicht mehr fernen Tages, g a n z zu Staub zerfallen wird. Dem setzt diese Frau Haltung entgegen, eine, die auf ihrer Schönheit beh a r r t und sie deshalb immer noch rettet. Das hat tatsächlich Tiefe, und zwar deshalb, weil diese Szene zeigt, wie vieles und wie lange es sich bewahren läßt, wenn wir eben nicht resignieren. Auch dies hebt vor Carax‘ sonstigem Pessimismus den Stinkefinger, der bei dieser erstaunlichen Frau selbstverständlich in den metaphorischen Handschuhen der reinsten Seide steckt. Hier, wie bei dem Faun, weist Carax‘ Film über sich, nämlich ihn, Leos Carax, endlich hinaus.
Ansonsten Mißlingen auf Mißlingen. Nicht nur die nervige Zitiererei der Verwandlungen - die über Sherlock Holmes, >>>> durch Jeremy Brett, schon längst vorher ihre endgültige Travestie bei Inspektor Clouseau gefunden hat, nämlich >>>> durch Peter Sellers -, sondern auch in den erzählten Geschehen. Etwa, wenn Monsieur Oscar zwischendurch mal, wahrscheinlich, Privatperson wird, ein Vater nämlich, der mit seiner Tochter spricht, die er aber hilflos stehenläßt, um sich dem nächsten Auftrag zuzuwenden. So unverbindlich geht es zu. Nicht in der Wirklichkeit, sondern bei Carax. Völlig unverbunden folgt Szene auf Szene. Nicht einmal musikalisch wird legiert. Statt dessen gibt es zwei Gesangseinlagen, die, könnte sein, US-Filme der 40er/50er persiflieren - schwierig genug, wenn Filme sowieso schon nichts als ihre Persiflage sind. Dort wie bei Carax ist das musikalische Songzeug unerträglich. Schließlich, wie schon am Vorabend, wie wohl allabendlich, nimmt Oscar eine wiederneue Identität an, um in ihrer Verkleidung die Nacht irgendwo bei Fremden zuzubringen. Eingangs des Films ist das ein Bankier, den er inmitten des Films erschießt, am Ende aber eine Schimpansenfamilie („Planet der Affen“, klar), die in einem Reihenhaus lebt und ihn, das Familienoberhaupt, erfreut begrüßt. Das ist, selbst wenn man, immer noch, gutwillig zuschaut, ein allenfalls geulkter Buñuel. Derweil setzt die Chauffeuse die Maske großer Bälle auf und verläßt ihre Limousine auf ein spätes date, während die parkenden Autos über ihren mißverstandenen Spengler zu plappern beginnen und zu seufzen.
Früher, das hörten wir bereits, war eben alles besser, ach. Zum Beispiel die Streptokokken, die hatten wirklich ein leichteres Leben. Und die Menschen waren alle noch identisch, etwa bei der Kinderarbeit.
*******
Irgend etwas an diesem Film ist mit >>>> Lars von Triers „Melancholia“ verwandt, auch wenn Carax‘s Pariser Road Movie weit mehr als in jenes jammeriger Psychopathologie im Surrealismus wurzelt; der Jammer verbindet beide dennoch. Bei Carax ist das nur besser, nämlich in dem cineastischen Patchwork, versteckt, das einen Zustand von Entropie als einer angeblich bereits erreichten bebildert: nichts als postmoderner Muff. Der läßt das ästhetische Herz der politischen Reaktion als einer Kino-Avantgarde schlagen, die zu müde geworden sei, um noch eigene Einfälle haben zu können. Das ist das wirklich Traurige an „Holy Motors“: wie wenig da noch Vision ist, sei sie nun menschlich oder cineastisch. Man sehe sich einmal wieder >>>> Godards „Nouvelle Vague“ an oder eben >>>> David Lynchs „Mulholland Drive“, um ensetzt begreifen zu müssen, was ihm, Carax, verlorenging, und zwar ästhetisch kampflos. Obwohl doch gerade s e i n e Arbeit dafür stand. Statt dessen heischt er nach Bedeutung, ohne doch, daß ihn irgend ein Rätsel noch angehört hätte. Darum behauptet er‘s durch einen Leerlauf, den w i r ihm füllen sollen.
Ich für meinen Teil habe Bessres zu tun. Was aber Ihnen Ihre Lebenszeit wert ist, das müssen Sie schon selbst entscheiden.

Zu Ridley Scotts "Prometheus".


>>>> Dort.

DER BRAND. Von Brigitte Maria Bertele.

(Besprechung >>>> im Arbeitsjournal des 21. Junis 2012).

„Man muß bluten.


Erst dann weiß man, daß Blut da ist.“
Tom Shankland/Clive Bradley, >>>> W Δ Z.

Die libanesische Iocaste. Zu „Incendies - Die Frau, die singt“ von Denis Villeneuve nach Wajdi Mouawad

Im >>>> Arbeitsjournal des 6. Dezembers 2011.


Katharsis ODER Sprachlos vor dem Uns im NichtWir.
Doch sollst, soviel auch mir Gedächtnis blieb,
Das Leiden du der Kämpfenden erfahren.
Denn da im Zorne stürzend sie gekommen
Ins Innere des Hofs, lief sie zum Brautbett schnell
Und riß das Haar sich aus mit Fingerspitzen.
Als sie die Türe hinter sich geschlossen -

Der Bote >>>>bei Sophokles in Hölderlins Nachrichtung.

Bedeutungslos. Zu "IN TIME" von Andrew Niccol.

Im >>>> Arbeitsjournal des 5. Dezembers.

(Hinausgeworfenes Geld: eine einfache Familie in Indien lebte einen Monat davon. Soviel zur Schuld unseres Entertainments.)

Melancholia ODER von Triers schwüle Melancholie: Eine Schlachtung ohne Schlacht.


Καὶ συνήγαγεν αὐτοὺς εἰς τὸν τόπον
τὸν καλούμενον Ἑβραϊστὶ Ἁρμαγεδών.

Der Ort, an dem sich die Könige – zeitgenössische Millionäre – des Lars von Triers versammeln, sein >>>> Armageddon also, liegt vor einem restaurierten Schloß nahe dem Wald. Es erstreckt sich dort ein Golfplatz mit 18 Löchern. Zu sagen insofern, es gehe den hier Lebenden recht gut, ist eher euphemistisch. Man hat Pferde, mehrere sehr elegante Autos, einen Geländewagen selbstverständlich und sogar einen Cabby. Justine ist umschwärmte und hochdotierte Werbetexterin, ihre Schwester Claire mehr als nur begütert unter der Haube. So weit, so beliebig. Doch dann ist Antares zu sehen, vermeintlich, im Sternbild des Skorpions. Justine sieht ihn zuerst. „Daß du ihn mit bloßem Auge erkennen kannst!“ staunt ihr Schwager. Da weiß man noch nicht, daß der Erde Untergang begonnen hat. Der vermeintliche Antares ist nämlich der Weihnachtsstern, doch invertiert. Sehr bald schon - von wem, das ist nicht genannt – wird er als Melancholia benamt.
Das Sujet ist, von Raumschiff Orions >>>> „Planet außer Kurs“ bis >>>> Michael Bays „Armageddon“ aus dem Jahr 1998 gängig, fast banal. Nicht so, freilich, daß der Untergang gewollt wird. Nämlich ist Justine nicht mond-, sondern sozusagen antaressüchtig, wird es, unmittelbar, kaum daß sie Melancholia, da noch als Antares, erblickt. Der Todesplanet nimmt Besitz von ihrer allerdings bereits von der hochdepressiven Mutter ausgefüllten Seele. Was mit einem FrauImBild-Glück beginnt, der weißen Ziehharmonika-Limousine zur Hochzeit, schlägt unvermittelt in Destruktion um – eine Vordestruktion, die auf einer zweiten, unterlaufenden Ebene von dieser Mutter in Gang gebracht wird, als sie mit wenigen Bemerkungen die ganze riesige Hochzeit schmeißt. Es gibt noch mehr Indizien in dem Film, daß Ursache der schweren Depression, der Justine anheimfällt, durchaus nicht der vermeintliche Antares ist, sondern eine sei es genetische, sei es sozialisierte Disposition Justines (endogene, bzw. exogene Depression). Lars von Trier legt aber nahe, es sei Melancholia Auslöser und die Krankheit nicht Krankheit, sondern Hellsicht. Folgt man dem, dann werden die Menschheit und ihr Planet mit vollem Recht zerstört.
Das ist ungefähr die Fabel, die sowohl >>>> Johannes erzählt, als auch >>>> in der dortigen Diskussion unter dem Strich steht. Es ist das, was diesen Spielfilm offenbar wirken läßt. Liest man ihn hingegen, wozu ich nicht nur tendiere, als das Psychogramm einer Depressionskranken, gewinnt der Film erst an Größe; ansonsten ist er schlicht banal bis in die suggestiven Mittel, deren sich, oft bis zu meinem Überdruß, von Trier hier bedient. Den ich sonst schätze.
Das geht zum einen mit der Musik los, der sich die Wirkung des Filmes in allererster Linie verdankt. Von Trier legt das Vorspiel zum Dritten Aufzug Tristan & Isolde, und selbstverständlich nur auszugsweise und diesen Auszug minimalistisch permanent repetiert, unter seine Fabel – nämlich eben jenen Akkord Richard Wagners, der für Tristans Todessehnsucht steht – aber eines Todes, der die einzig ehrbare Lösung aus einem für die mittelalterliche Lehnsgesellschaft unauflösbaren Konflikt war. Das ist bei Wagner subjektive Objektivität und durchaus nicht für die ganze Welt gemeint, auch dann nicht, wenn Schopenhauer es grundierte, sein freilich buddhistisch geformter Pessimismus. Bei Lars von Trier wird der Tristanakkord, der nach 1859 die gesamte Musikgeschichte des Abendlandes umgeworfen und bestimmt hat, zum eigentlichen Handlungsträger; doch geht er mit ihm ebenso mißbräuchlich wie >>>> Visconti mit Gustav Mahlers Adagietto um, und ebenso schwül. Der Mißbrauch ist sogar noch größer, weil von Triers Film – auf seiner symbolischen Ebene, unter der Johannes‘ Offenbarung versteckt ist – nicht die schwere Melancholie eines alternden Schwulen erzählt, sondern etwas supponiert, das für die ganze Menschheit gerecht sei. Stellt man das infrage und wählt die psychiatrische Lesart, fällt der gesamte Symbolismus von Triers in sich zusammen, und man ist dann ein wenig geekelt besonders von der Schlußsentenz. Denn überhaupt ist zu fragen, den Drehbuchautor, der Regisseur zugleich ist, weshalb denn nicht nach den deutlichen und galoppierenden Zerfallserscheinungen Justines sofort ein Psychiater beigezogen wird. Justine wäre dann nämlich wenigstens medikamentös, wenn nicht sogar stationär behandelt worden. Dann aber wäre der Weltuntergang ausgeblieben, der uns als Strafe des Weltalls unterschoben wird: „Wir sind allein“, sagt Justine und meint die Menschheit, „Leben gibt es nur auf der Erde“ - was abermals testamentarisch gedacht ist, sozusagen ptolemäisch oder, um es ironisch auszudrücken, kosmologisch unaufgeklärt. Dieser voraufklärerische Zug durchzieht den gesamten übrigens nur dort wirklich schwermütigen Film, wo er sich auf die Typologie der Personen konzentriert. Seine Bilder sind hingegen ein Kitsch, den er durch Bildzitate von Breughel bis >>>> Magnolia aufzuwerten versucht. Sie lenken überdies, immer mit dem zum bloßen Gestus erniedrigten Tristan-Akkord, der die Übergänge verschmiert, von sonst allzu offensichtlichen Unglaubwürdigkeiten ab, etwa jener, daß der höchst präsente und agile Schwager, der seinen eigenen Zweifel am glückhaften Ausgang der Planetenbegegnung geradezu hyperaktiv kaschiert und nachher genau das ausgesprochen sinnvoll erklärt: „Es hat doch keinen Sinn, alle verrückt zu machen“ - daß dieser Mann, als ihm das Ende dann als unausweichlich bewußt wird, - daß er da die Todestabletten nimmt, die seine Frau für den Fall aller Fälle verwahrt hat, - daß er sie auf der Terrasse sitzen- und nicht nur das, sondern auch sein von ihm immer innigst betreutes Söhnchen mit der kommenden Katastrophe alleinläßt. Weshalb soll er den beiden zehn Stunden voraussterben wollen, dazu dann noch – das ist nichts als ärgerlichstes Schmierentheater – in einer Box bei den Pferden?
Weshalb? Na, damit von Trier ihn weghat. Nun kann er die Depression Justines auf die anderen ungehemmt übertragen, etwa auch auf den Jungen, den der Film in der Szene eines letzten Fluchtversuchs, nicht nur weiterhin schlafen läßt – die Mutter rennt, den doch schon schweren Achtjährigen immer im Arm, durch den Wald und durch plötzlichen Hagel (Offenbarung 16,21), aber wenn das Kind dann endlich erwacht, ist es nur noch apathisch: Apathie ist ein Merkmal schwerer Depressionen, wie auch Schlafsucht, die in von Triers Spielfilm ebenfalls, ich muß es sagen, abgehakt wird. „Abgehakt“ deshalb, weil es ihm, letztlich, um das Psychogramm einer Depressiven eben gar nicht zu tun ist, sondern Justine wird zu einer Seherin hochstilisiert, die Wahrheit schaue. Diese prophetische Schau wird freilich einzig mit einem so simplen wie suggestiven Trick des Drehbuchs, also rein des Plots, in den Zuschauer hineinmanipuliert: Justine alleine weiß, wie viele Bohnen in einer mit Bohnen drittels gefüllten Glasflasche sind; alle anderen, die rieten, lagen völlig daneben. Deshalb darf sie auch weiterhin, mit schwerem Ausdruck, sagen: „Die Erde ist schlecht“ - und also gebühre ihr der Untergang. Wenn wir uns vor Augen halten, wie viele Geschöpfe es gibt, dann hat die Unterstellung und ihr „Lösungs“vorschlag durchaus etwas Faschistoides, sofern man eben nicht die psychiatrische Lesart wählt, sondern sich von dem zu Schwulst arrangierten Wagner mitsamt den über die derart mißhandelte Musik projezierten Bildern einseifen läßt. Sogar ein Kinderopfer wird plötzlich gerecht. Wie unheilvoll solch ein Disponieren ist, wird unvermittelt jedem klar, der wirklich Kinderelend, und überhaupt Elend, sah. Nun wird auch deutlich, weshalb von Triers Film, wenn er funktionieren soll, das Milieu der Oberen Zehntausend wählt und ihm Bilder sei‘s der historischen Décadence, sei‘s eines übrigen Ästhetizismus zuschreibt und sowohl ein Protest, wie Aufstand überhaupt, geschweige Rebellion Kategorien gar nicht sein dürfen. Zunehmend, angesichts des vor dem Zuschauer ausgebreiteten Luxus‘, fragte ich mich: worunter leiden diese Menschen eigentlich? Darunter, daß Justines Werbechef ein Arschloch ist und sie sinnloser Arbeit nachgeht? Nun wohl, sie hat‘s ihm ja gezeigt, und trefflich – jetzt wäre konsequent weiterzuhandeln. Statt dessen wird sie depressiv. Gut, über die, wie gesagt, Mutter hergeleitet. Und die Vereinigung sucht sie, abermals Wagner-auf-billig, im kommenden Tod. Das scheut auch vor einer D.H.Lawrence (>>>> „Sun“, 1926) entnommenen, dort enorm lebensbejahenden, hier negativ herumgedrehten, nämlich auf passend gemachten, mit >>>> Millais kolorierten Szene nicht zurück, worin sich Justine nackt dem neuen Mond anbietet, also dem Tod; das Ophelia-Motiv taucht denn auch anderswo auf in dem Film. Hingegen die sonst sehr zupackende Schwester, die Millionärsgattin, zittert nur noch vor Angst – und wenn sie dann endlich, von ihrem suizidierten Mann zurückgelassen, in Haltung findet und den Weltuntergang angemessen begehen will, mit Champagner und Stolz ihm sozusagen ins Gesicht sehen, läßt sie sich das, anstelle die Schwester mal angemessen zu ohrfeigen, von ihr zerdepressieren. Und selbst da ist von Trier noch völlig unklar - möglicherweise mit Absicht, denn jetzt will er rühren. Nämlich deckt die melancholische Schwester dem kleinen Jungen den Abschiedstisch dann doch: eine „Zauberhöhle“, nur das Gestänge eines Tipis, worin sich die drei – der Bub und die zwei Schwestern – bei den Händen nehmen, um den gerechten Tod zu erwarten. „Schließe jetzt die Augen.“ Wir aber kriegen ihn zu sehen: kurz und, ja, schmerzlos, muß man sagen: denn man ist wirklich ganz erlöst. Nicht von der schlechten Welt, bewahre! Doch von dem schlechten Film. Wer ihn nun dennoch für ein Meisterstück hält, tut, was der Junge tat– die Augen schließen.


Sunny und Roswitha. Wabosch Wilma. Von Katharina Adler. Von Katharina Marie Schubert.

Anmerkungen. >>>> Dort
.

Bad Lieutenant (1992). Abel Ferrara.


>>>> d o r t.

Neil Jordans ONDINE.

Ein Zauberwerk, durchdrungen von Trauer und Glück. >>>> D o r t.

 



twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this page (summary)

xml version of this page (with comments)

xml version of this topic

powered by Antville powered by Helma

kostenloser Counter

blogoscoop Who links to my website? Backlinks to my website?

>>>> CCleaner