Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Bis Okt. 2017 verboten)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Seit Okt. 2017 wieder frei)
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FrauenundMaenner

NETZFRAUEN. § 1.

Wir führen in unsere Untersuchung über das Geschlechter-Verhältnis von Realität und Fiktion nunmehr den Begriff „Netzfrauen“ ein. Er meint nicht Fakes, also läßt all jene teils bizarren, teils banal wirkenden Fälle außer acht, in denen Männer in eine weibliche Rolle schlüpfen. (Tatsächlich ist auch das durchaus ambivalent zu werten und bedarf der Differenzierung. Es könnten sich nämlich Dynamiken darin verbergen, die einerseits mit mangelnder Geschlechtsidentität, andererseits mit einer Tendenz des Zeitlaufs zur Androgynität oder einfach nur mit Spottlust zusammenhängen.) Vielmehr sind die Netzfrauen wirklich, aber möglicherweise w i r k l i c h anders. Man hat nämlich telefoniert, hat oft vor der Webcam gesessen, sich angeschaut, hat gemeinsam gelacht, bisweilen flossen Tränen. Je intensiver ein solcher Kontakt wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Netzfrau ihn nicht mehr realisieren will. Die rechtfertigenden Argumente sind – im psychoanalytischen Sinn - fast durch die Bank Rationalisierungen. Nahezu immer schwelt das AIDS-Argument, sehr oft wird die Menses vorgeschoben, ein Zahnarzttermin, auch eine plötzliche Erkrankung des Kindes kommt durchaus gelegen.
Interessanterweise sind Netzfrauen nicht solche, die vor allem ein sexuell definiertes Interesse haben: diese sind sofort und zu konsequentem Treffen bereit. Sondern diejenigen absolutieren den kybernetischen Raum, die nach Seele u n d Körper rufen, die Seele und Leib verbinden, sich im gewünschten Partner verwühlen wollen; sehr oft mit devoter Konnotation. Dahinter wirkt eine im Wortsinn perverse Verhinderungsstrategie, die ihre Lust letztlich aus Versagung zieht. Nicht selten hat man fernmündlich stundenlang gesprochen. Meist kam die Idee für ein Treffen von ihnen... sehr schöne, sehr poetische Ideen sind das mitunter, man ist ganz berührt. Aber wird - in letzter Minute - zurückgeschubst und auf ein nächstes Mal gelockt. Das dann ganz ebenso abgesagt und auf das wiedernächste Mal verschoben wird.
Das ist sicher kein bewußter Prozeß, das spielt sich zwar im K o p f der Netzfrauen, doch h i n t e r ihrem Geist ab; der ist in aller Regel eindrücklich gebildet. Der Kopf indessen, instinktiv, läßt Abhängigkeiten entstehen. „Ich w i l l Sie, Alban!“ „Ich habe von Ihnen geträumt.“ „Ich könnte sofort w i e d e r anrufen!“ Ich habe Hunderte solcher Rufe gehört und gelesen, meine Dateien bersten vor files eines sich geradezu schmerzhaft hinausrufenden Begehrens, das sich den Schmerz indessen erhalten will: Gemeint ist eine sich zunehmend steigernde masochistische Erregung, ein „Schlag mich! Schlag mich!“ der Fantasie. Ein Mann, der in diesen Strudel gerät, der sich also verliebt, kann, will er nicht unglücklich werden, gar nichts mehr anderes tun, als die Beziehung aber auch s o f o r t zu beenden und jede weitere Kommunikation einzustellen. Denn Netzfrauen sind vampirisch: Sie schälen von der Mannesseele den Körper und trinken von ihr.... doch nie zuviel: Sie soll sich ja regenerieren. Sie soll halten. Deshalb der ständige Aufschub, der das sich auszehrende Begehren des Partners aufpäppeln will. Hoch virtuos beherrscht die Netzfrau einen Spaltungsprozeß, der über reine Projektionen läuft.

>>>> § 2

Dieses zu lieben (2). Enttäuschung. Rückzüge nämlich.

Zu verfallen.
Versprechen und Drohung.
side
Ihn warnen.
Und stürzen
.


[Die typische Erfahrung mit Lieben im Netz. "Ich will, ich will, ich will." Aber nimmt einer ihren Wunsch am Geschlecht, drückt einer den Daumen in das von ihr beschworene Begehren, dann sagt die Frau kurz vor dem Treffen ab. Nahezu immer nämlich dann, ist das entfernte Gespräch sehr intensiv geworden. Die Hitze suchen und sie gleichzeitig meiden. Ein double-bind mit sich selbst und dem anderen um die Fesseln gelegt. Daß bloß keine Wirklichkeit werde! Das Netz als Phallus-Surrogat. Und fetischisiert.]

“Was wissen Sie alles”? fragte sie.

Der Mann schwieg.
Sie saßen einander gegenüber, Gläser zwischen ihnen, an denen Kondenswasser perlte, obwohl es auch drinnen kalt geworden zu sein schien. Der Aschenbecher schräg links seitlich von ihr.
„Was w i s s e n Sie?“ fragte sie wieder. „Bitte!“
Er schwieg weiter. Rechts von ihm ihr BH, sichtbar auf dem Tisch. Nur selten deckte er ihn halb mit der Hand zu, wenn von den Nachbartischen allzu pikierte Blicke herübergeworfen wurden. Die Frau saß wie präsentiert, das wollte er nicht.
„Barmherzigkeit“, sagte er leise.
Die gutgekleidete Frau verstand ihn nicht, akustisch nicht.
„Wie bitte?“
Er schüttelte leicht den Kopf, schob ihr den BH hinüber, gab ihn ihr zurück.
„Heute nicht“, sagte er. „Ich möchte Sie nicht verletzen. Überlegen Sie es sich noch einmal.“
„Ja“, sagte sie, „Sie haben recht.“
Beide schwiegen.
Eine nicht sehr große, aber resolute Frau um die vierzig war es, die ihren Körper gut trug, die ihren Willen gut trug. Stellvertretende Geschäftsführerin eines Juweliers in der Friedrichstraße. Sie bildete aus, sie liebte es sichtlich, sich auf Parkett zu bewegen. Die Zurückweisung würde endgültig sein, sie hielte es nicht aus, so weit gegangen zu sein. Vor zwei Stunden hatten sie sich zum ersten Mal gesehen, ein paarmal gechattet vorher und einmal telefoniert.
Er erhob sich.
„Ich bleibe noch zehn Minuten“, sagte er. „Aber ich bringe Sie zur Tür. Ich möchte Sie nicht kompromittieren.“

Er zahlte, nachdem sie längst gegangen war. Saß da wie verlassen.

Dieses zu lieben. (1). Hoffnung.

Zu verfallen.
Versprechen und Drohung.
side
Ihn warnen.
Und stürzen.

In den devoten Frauen die eigene Mutter demütigen.

Und n u r in ihnen, es gäbe sonst keine Rechtfertigung.

Aber wieder und wieder. So groß war offenbar der Schmerz, von dem man doch so wenig noch weiß, daß er sich unablösbar an die erotische Frau band, in der man ihn entfremdet nun austrägt und austragen l ä ß t. Und diese Frauen wollen es, es ist ihr eigener Schmerz, wenn auch ein andrer, der sie um mehr und immer noch mehr bitten läßt. Gemeinsam bearbeitet sich so ein Leid, das sich hinter der Wollust verbirgt und in einer heftigen, sehr nassen, sehr lösenden Eruption vorübergehend endigt.
Erschöpft liegen, erschöpft zittern.

Und es zu wissen. Und deshalb, mittendrin, ganz unmittelbar - es ist das Bedürfnis eines erwachsenen Kindes -, zärtlich sein wollen und zärtlich w e r d e n, voll von Erbarmen miteinander. Zu beruhigen. Zu atmen. Ein Intermezzo, das sich auf den nächsten Schub, wenn er zupackt, in weiser Sanftmut vorbereitet.

Es ist skandalös, daß einer dies schreibt, nicht weil es bizarr ist, nicht wegen der in allem sexuellen Schriftgut erwachenden Pornographie, sondern weil der Mann keine Rücksicht auf die anthropologische Lüge nimmt. Und zwar selbst dann nicht, wird seine Arbeit allmählich zum akademischen Gegenstand. Trotzig beschreibt er seinen Alltag weiter, der sich dagegen erhoben hat, weiterhin verdrängen zu sollen.

„Sie stoßen sie nicht?”

Fragte ihn verwundert und irritiert die ferne Freundin. Er hatte von seinen Gespielinnen erzählt, oft am Felsrand einer dunklen Klamm, die bewußte von unbewußten Triebmächten trennt. Über die er springen wollte und sprang.
„Aber Sie s t o ß e n sie nicht?!“
„Nein“, sagte er.
„Das verstehe ich nicht.“
„Ich verschmelze nur, wenn ich liebe.“

(Und etwas später fügte er hinzu, das habe er von Frauen gelernt.)

Frauen und Männer.

Zur rekursiven Erinnerung. (Und wie immer, ist der Link hierunter versteckt.)

Naturgesetz der Geschlechter.

Liebe,
Nähe ohne Körperlichkeit gibt es nicht. Sie ist vielmehr ein monotheistisches Konstrukt, das dazu dient, die Menschen willfährig zu machen, indem man ihnen das nimmt, woraus sie alle, aber auch wirklich alle ihre Fähigkeiten ziehen: Natur.
Zu Deiner Frage: Selbstverständlich waren meine sämtlichen nahen Beziehungen zu Frauen körperlich. Bisweilen überlebt sich freilich diese Körperlichkeit, und es entsteht eine Freundschaft, in der nur bisweilen Eros noch aufblitzt - was man gut im Griff halten kann, wenn andere Partner im Spiel sind. Aber der andere Partner ist immer auch das, was die Nähe revidiert. Dafür ist R. ein sehr gutes Beispiel. Zudem wohnt sie weit weg, so bleibt im Brief- und Telefonkontakt eine Nähe erhalten, die bei öfterem persönlichen Aufeinanderteffen erneut die Körper erregte. Bisweilen allerdings spüren diese, einander nichts mehr zu sagen zu haben, dann entsteht ebenfalls Freundschaft, aber sehr locker, und die ehemalige Intensität verweht auch hier. Was tatsächlich zwischen Frau und Mann nicht funktioniert, ist einseitiges Begehren; hält man eine solche Beziehung aufrecht, wird einer von beiden immer kastriert.
Übrigens gilt für homoerotische Neigung ganz dasselbe; da ich sie nicht habe, und n u r deshalb, bin ich zu tiefen Männerfeundschaften fähig. Aber selbst sie brauchen immer wieder die Umarmung. Erdung.
Ich bin heidnisch, Schöne, ganz tief, ganz warm heidnisch - also kein Atheist, der ebenso kalt ist wie irgend ein monotheistisch Fundamentaler. Es hat mich immer geschaudert, daß monotheistische Religionen Frauen, die bluten, unrein nennen. Versteh mich bitte: Das ist keine Theorie, sondern durch und durch gefühlte Lebendigkeit. Die in meinem Fall die seltene, höchst privilegierte Farbe hat, daß Geist in sie gegossen wurde.
Ja, auch ich hätte gern mit Dir gearbeitet und arbeite gern mit Dir; aber die bislang noch sehr kleine Verzweiflung, die sich in meinen gelegentlichen, vergeblichen Berührungsversuchen bereits ausgedrückt hat, sagt mir, ich solle hier einhalten. Begänne ich nämlich zu lieben, wäre ich bei mit geistiger Nähe verknüpfter körperlicher Zurückweisung verloren und verlöre notwendigerweise auch meinen Geist, der wiederum eine Voraussetzung unserer bisherigen Nähe ist.
Das möchte ich Dir nicht antun, das möchte ich mir nicht antun. Das tue ich auch meiner Kunst nicht an, die ich andernfalls verriete.
Wir sind jetzt beide etwas traurig. Aber es gibt Naturgesetze, die für Männer und Frauen gemacht sind, kristallklare Geschlechter-Gesetze. Nur hierin erkenne ich mein Alter: daß ich sie akzeptiere und zu befolgen weiß.
Wirklich: Dein
Alban

Die Möglichkeit mancher Frauen.

Manchmal findet sich eine, die sehr nah ist. Diese Nähe ist rein sinnlich, besteht aus Körpern & Küche, aus sattem Gebüsch, aus Nachtblitzen, Gefunkel, aus schimmernden, das Cocktail-Glas hinabweinenden Tropfen. Alles bauscht sich vor Genuß. Aneinander. Am Park. An Kieseln unter Kastanien. An den Flecken, die von der Sojasauce auf den Schenkelstücken der hellen Anzughose zurückbleiben und für immer an diesen Rausch erinnern werden (nein, niemand trauert, wenn die Reinigung sie nicht herausbekommt). So sehr gemeinsame Brise geworden, verfällt man aus purer Unachtsamkeit irgendwann darauf, dem Geist eine leise, subtile Frage zu erlauben. Da fängt die Frau begeistert zu sprechen an. Und man verstummt. Oder e r fängt an, und sie verstummt. Das Meer wird spiegelglatt, keine Welle kräuselt sich mehr, und schwer steigt der Dunst auf. So geht man auseinander, bereichert, aber verarmt. Und es war.

herbst & deters fiktionäre

Mit lockender Schärfe die Arbeit versüßend. Ein Chat. Parallel.

Ich: Haben Sie derzeit einen Liebhaber?
ledas_tochter: was glauben Sie ?
Ich: Ich glaube, ja. Eine Frau kommt nicht ohne körperliche Liebe aus. Männer schaffen das eher.
ledas_tochter: das is interessant: normalerweise wird doch das gegenteil behauptet, nicht wahr? ich hab mehrere bettgenossen, aber keinen LIEBhaber. der, der in frage käme, ist sehr weit weg ;o)
Ich: Das Gegenteil zu behaupten, ist eine pfiffige patriarchale Verdrehung, Schöne. (Männer mögen meine Literatur meist deshalb nicht, weil ich darüber in den Erzählungen spreche. Und auch Frauen ist diese Form von Offenlegung - allerdings aus sehr naheliegenden, eben n i c h t eitlen Gründen - ebenfalls unangenehm.)
ledas_tochter: nun, ich bin draufgekommen, daß es so is, als ich die traumnovelle gelesen hab (und denken Sie an die bibel und das 'sündige' weib) ;o)
Ich: Ich bin darauf gekommen, seit ich dominant "spiele".
ledas_tochter: das weibliche verlangen kann sehr stark sein und es geht viel tiefer... nicht umsonst aß E v a den apfel ;o)
Ich: ... darin einen letzten zuckenden Reflex der Lilith erhaltend.
 



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