Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Bis Okt. 2017 verboten)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Seit Okt. 2017 wieder frei)
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HOERSTUECKE

Fahlmanns Welten, Erster Produktionstag. PP126, 12. März 2014: Mittwoch. Fahlmanns Welten 4.

(9.35 Uhr:)
Das war zu erwarten, daß nach den >>>> Sprecheraufnahmen gestern nicht mehr geschnitten werden konnte; zu gestern selbst lesen Sie bitte meine Bemerkungen in dem verlinkten Beitrag. Jedenfalls beginnt der heutige Tag, und es wird den ganzen Tag wohl brauchen, genau mit dieser Schneidearbeit der Rohaufnahmen. Mal sehen, wie weit ich komme, vielleicht, daß ich bereits abends eine erste Montage anlegen kann. Es sind aber noch ein paar Geräusche „einzuholen“: etwa das Platschen ins Wasser geworfener Urnen. Dazu, sowie ich mit den Schnitten fertig bin, an die Spree radeln und hohle Gegenstände hineinwerfen; das Mikro direkt am Ufer aufgestellt. Es müssen ja keine Urnen-wirklich sein.
In der Sonntagnacht will ich das ganze Stück sendefertig haben, jedenfalls so, daß ich es der Redakteurin für mögliche Kritik in die Dropbox hochladen kann.

Schnitte. Eine leise, allein auf die Sprachen konzentrierte Arbeit. Eine sehr befreiende Arbeit, ruhig, vor mich hin. Abgeschlossen für mich im Raum meiner Stax-Hörer. Ganz „aus der Welt“ - auch, wenn jetzt noch, vom benachbarten Schulhof herüber, hell die Kinderstimmen durcheinanderrufen: erwartungsvoller Zukunft.
*******


(Fahlmanns Welten, Sprecher:innen-Aufnahme, roh.)

Fahlmanns Welten 3: Die Sprecheraufnahmen. ARD-Hauptstadtstudio, Regie 4, 11. März 2014, 18 bis 21.30 Uhr.



Fahlmanns Regie

Pünktlich waren alle da, Chohan und v. Ribbentrop (>>>> Victimfx) saßen bereits in der Loggia, als Broßmann und ich angeradelt kamen.- Ich habe ja schon oft in diesem Studio, das ich liebe, aufgenommen, aber diesmal war ein für mich neuer Toningenieur, Holger Merten, dabei. „Erst mal will ich mit jedem von Ihnen sprechen, über die Mikros, um mich zu entscheiden, welches für wen das geeignetste ist.“ Ich ging derweil Wasser für die Sprecher holen. Broßmann, gegen schaumiges Sprechen, packte einen Apfel aus, von dem er zu unserer Irritation auch während der Aufnahmen immer wieder abbiß. „Säure“, sagte er. „Klärt die Stimme.“ - Da ich mitsprach, nahm ich nicht im Regieraum, sondern bei den Sprechern Platz, dirigierte während der Aufnahmen die Einsätze, besonders wichtig bei der „Liturgie“, die wir, einem Vorschlag Broßmanns folgend, schließlich chorisch sprachen, also alle zusammen mit von der Technik aus geleiteter Anhebung der „eigentlichen“ Sprecherstimmen, als derjenigen, für die die Passage geschrieben ist, Broßmann und v. Ribbentrop nämlich, im Wechselsprechsang: Coda des Stücks.
Erstmals damit, daß ich dirigiere, habe ich vor sechs Jahren bei dem >>>> Marianne-Fritz-Hörstück gearbeitet und es seitdem für beinahe jede neue Funkarbeit beibehalten. Es entspricht meiner Idee solcher Hörstücke, sie nämlich wie musikalische Kompositionen zu bauen; das, sagen wir, „Referat“ tritt in den Hintergrund zugunsten des Klangerlebens, aus dem sich ein dem Thema anschmiegendes und nicht es distanzierendes Hörerleben ergibt. Das Verfahren ist, vermittelt über Walter Benjamin, Schlegel verpflichtet, aber eben vom normativen Wort auf den Klang gespiegelt.
Großartig dabei, wie jedesmal, Kavita Chohan:

Fahlmanns Chohan.
(An den Mischpults Holger Merten.)

Entdeckten sie doch nur auch andere Regisseure! Es stünde ihr eine grandiose Sprecherinnenkarriere bevor. Die Hörer würden sie l i e b e n. Merten dazu, nachher: „Wenn Sie mögen, können Sie mir auch das Telefonbuch vorlesen, und ich wäre glücklich.“ - Aber auch der Junge war klasse: zwei Stunden intensivster Konzentration. Als sie verstrichen waren, erst dann, gab es Sprünge in seiner Intensität. Kurz bekam ich da ein schlechtes Gewissen, ihn überfordert zu haben. Hinterher aber, wir gingen noch etwas trinken, war er enorm stolz:

Fahlmanns v. Ribbentrop (Victimfx).
Broßmann wiederum, sowieso, stürzte sich von Anfang an mit aller Energie in seine Rolle(n): Das muß man manchmal etwas bremsen, damit die Gestaltung der Parts nicht outriert:

Fahlmanns Broßmann.
(Man beachte den Apfel.)

Ich habe in den letzten Jahren gelernt, auch Stimmen simultan zu hören, und zwar selbst dann, wenn meine mit dabei ist, sie also Teil der Inszenierung ist. Ein bißchen ist das vielleicht wie ein Konzert zu dirigieren, dessen Klavierpart man selbst spielt, oder vom Cembalo/Basso continuo aus. Man braucht dazu zwei Köpfe, die Hände gehorchen dem Körpergedächtnis: Es wird nicht mehr mit Willen gespielt, nicht mehr mit Willen gesprochen, sondern gleichsam allein noch aus Instinkt.
Jedenfalls, daß ich mit „Laien“ arbeite, die über ebenso intime, gleichzeitig weiche und rigide, kompromißlose Leitung schließlich Leistungen erbringen, die professionellen Ansprüchen mehr als nur genügen, hat sich als sehr segensreich für die Stücke erwiesen; was nämlich völlig „fehlt“, ist die Nachlässigkeit der Routiniers: nicht, gar nichts wird einfach so runtergerissen. Unterdessen kann ich Profis und Amateure sogar mischen, ohne daß auch nur im entferntesten Unterschiede der Qualität hörbar sind; es kommt sogar vor, daß solche „Amateure“ die Profis in den Schatten sprechen.
Eine „eigene“ Crew, das war für die Hörstücke mein Ziel. Und ich hab es erreicht. Dennoch, für Chohan, weil ihre Stimme göttlich ist, eine unfaßbare Begabung, wäre zu wünschen, es entdeckten auch andere Regisseure sie – und andere Autoren, die manche ihrer Stücke vielleicht allein für sie noch schrieben. „Das“, sagte sie selbst, später beim Bier, „würde ich so gern beruflich machen!“


(Victimfx in der Loggia des Hauptstadtstudios,
von draußen fotografiert.)

FAHLMANNS WELTEN. Aus dem Typoskript (1): Der Anfang. Fahlmanns Welten (2).


***

Atmo: Hotel Paris (etwa „Nation Montmartre“)
Gemeinschaftsdusche, Speiseraum, Gänge.
Dazu, leise:

Atmo: Hühnergackern.


Sprecherin     Kusch! Kuschkusch!

Federflattern.
Tür fällt zu.
Atmos weg.


Sprecher 1     Licht an.
Sprecher 2     Fahlmann liegt im Bett. Er schläft. Das Bett gleitet durch dunkle Röhren, treibt Scharen von Tauben vor sich her, malt zwischen den unterirdischen Stationen Kreise, Schlaufen und Achter auf den Plan (von Paris). Im Laken hängt noch immer (der) Maiglöckchenduft.

Atmo: Métro und Pariser Straßenszene

Sprecher 2     Der Schlafende schnuppert in zufriedener Wehmut, das Bett beschleunigt. Cafétische stehen auf den Bahngleisen. Das Bett braust daran vorbei, ohne zu verlangsamen oder anzuhalten. Die Stationen tragen Namen (von hieran wegdimmen:) wie Le Turgot, La Terrasse de Maubeuge, Le Maubeuge, Le Dunhill, Le Disque Bleu,. Les Oiseaux, Le Paradis.

Über die weggedimmten Cafénamen:
Musik: Bandoneon (sehr leise)
Atmo: Leichter Regen


Sprecher 1     Fahlmann versteckt den Kopf unter dem Kissen, als es zu nieseln beginnt.
Sprecher 2     (sehr leise, die Aufzählung der Cafés beendend:) Europacafé.

Atmo: Taubengurren (live, Paris)

Sprecher 1     Unter dem Bett spielt ein Bandoneon. Fahlmann murmelt Beschwörungen im Schlaf. Vielleicht betet er. Das Bett fährt in eine namenlose Station ein. Auf dem gläsernen Bahnsteig stehen Heinz und Großvater. Heinz winkt mit einem weißen, Großvater mit einem roten Taschentuch – und schon streifen den Schlafenden die schwarzen Schwingen des Vorhangs.

Atmos weg.
Musik: Atlas


(…)>>>> Fahlmanns Welten 3
Fahlmanns Welten 1 <<<<

FAHLMANNS WELTEN. Ein Poetisches Hörstück zu Christopher Ecker und einem unheimlichen Roman. WDR III. Entwurf des Pessetextes. Fahlmanns Welten (1).

Im Jahr 2012 erschien im Mitteldeutschen Verlag Christopher Eckers Riesenroman „Fahlmann“. Vorausgegangen war das ähnlich radikale, wenngleich weniger umfangreiche Buch „Madonna“ - ein Reißer, der sich allenfalls mit Brett Easton Ellis‘ „American Psycho“ vergleichen läßt, aber von ungleich höherem literarischen Niveau ist. In Form einer poetischen Montage stellt Alban Nikolai Herbst den Autor und das Geheimnis seiner Werke vor.
Wenngleich Christopher Ecker bereits einige Bücher vorgelegt hat und sie von großer Spannung und Bildkraft sind, ist sein Name im Feuilleton und Buchhandel auf eine Weise unbekannt, daß von bewußtem Verschweigen die Rede sein muß. Dabei gehört dieser heute in Kiel mehr oder minder zurückgezogene Autor, sowohl was seine Ideenfülle als vor allem auch seine literarische, sowohl stilistische wie konzeptuelle Spannkraft anbelangt, in die allererste Linie der deutschen und eigentlich der internationalen Literatur. Allein sein Roman „Madonna“ von 2007 hätte ihm, wäre er publik geworden, ein Millionenpublikum sichern können, sowohl nämlich unter eingefleischten Krimilesern als auch Lesern sogenannt ernster Literatur. Mit dem Roman „Fahlmann“ nun hat er sich nachdrücklich in die deutschsprachige Literaturgeschichte der großen Solitäre eingeschrieben. Es ist Zeit, dem literarisch interessierten Publikum davon zu erzählen, wenn man es nicht betrügen will. - und das Buch wird zugleich in ein ästhetisches Schwingen von Klängen aus Paris, Saarbrücken, Kiel und Tansania versetzt, ehemals Teil Deutsch-Ostafrikas, wo ein so unheimlicher wie abenteuerlicher Teil des Romanes spielt, bis sich die Zeiten ineinanderlegen und die Unterirdische Stadt auch in Paris hineingreift, so daß es sich auf einem großen Schiff bereisen läßt, das bis ganz zum Nordpol fährt.>>>> Fahlmanns Welten 2

JETZT ALS PODCAST. Die Hölle und das Paradies. IM DEUTSCHLANDFUNK. Ein poetisches Hörstück über die Stadt Neapel von Alban Nikolai Herbst. Mit Antje von der Ahe, Kavita-Janice Chohan, Andreas Nickl und Gerald Schaale. Musik von Luigi Dallapiccola, Pino Daniele, Giacomo Carissimi, Hans Werner Henze, Canio Loguercio u.a. (Erstausstrahlung am 8. November 2013, 20.10 Uhr.) Unterm Pflaster glimmt das Feuer (17).


>>>> Podcast (mp3):

Unterm Pflaster glimmt das Feuer (16): Der erste und der zweite Produktionstag. Montag, der 14., und Dienstag, der 15. Oktober 2013.


Zenke, gestern, kam gegen halb zehn, da hatte ich bereits seit halb neun an der ersten Rohmontage gesessen, die fertiggestellt sein wird, wenn die grobe Anlage steht – nicht g a n z grob, aber in die zweite Rohmantage werden dann noch „Klangfarben“, so nenn ich sie, eingefügt werden: hier mal ein Moped, da ein Kinderlachen, dort ein Böller, Mövenschreie, Hundebellen, schimpfende Mamas usw. So etwas ist für den akustischen Raum ungemein wichtig. Erst danach – ich denke, ab dem Donnerstag morgen - wird es an die Feinschnitte gehen, vor allem an die Blenden und vor „allerem“ noch an die Balance der Sprecher:innen-Dynamiken. Manchmal sind jetzt die Einsätze noch zu hart, manchmal ist die Lautstärke so leise, daß man nicht genau versteht, was gesagt wird, besonders bei den Wortenden. Das ist viel Kniffelei, sie dann so anzuheben, daß es nicht künstlich wirkt, zugleich aber der unterliegende Ton, der unterliegende Klangraum nicht zur Folie degradiert wird, auf die man halt draufspricht. Sondern der Gesamteindruck muß von vollendeter Organik sein: ein Gewebe, ein Körper. Das ist das allerwichtigste, vor allem bei den Städteportraits, daß da nicht irgend etwas aus der Immanenz des Klanges herausfällt oder gar pädagogisch wird, lehrhaft, anstelle, daß man seinen Gegenstand wie einen geliebten Leib mit dem seinen vereinigt. Es im Ohr durch Nähe ehrt. „Immer Erde in der Hand haben – Poetologie des Reisenden“ ist einer der Kernsätze in dem Neapelstück
Ich ließ ihn, Zenke, hören, was bislang schon stand. Er warf meinen Anfang um, mit einer blendenden Idee, auf die ich dann heute, am folgenden Tag, sehr früh morgens noch eine weitere draufsetzte, die jetzt zum strukturierenden Moment des ganzen Stückes geworden ist: ein Gestus, quasi, mit dem ich mir bei – zum jetzigen Stand – 35' 36'' ein wundervolles Spiel erlaube, das allerdings nur Musiker verstehen werden: sofort verstehen, heißt das – nämlich die Zerlegung des >>>> Neapolitaners, welches ein erstmals in Neapel komponierter Sextakkord ist. Er stand lange für den Ausdruck von Trauer und Schmerz. Das wiederum bindet sich in dem Hörstück vor allem an die Erzählungen >>>> Roberto Savianos, die ich zwar nur kurz, aber in ziemlicher Schärfe zitiere. Dazu paßt Carissimi fast unheimlich, dessen >>>> Jephte-Auszüge im Stück immer wieder in den Neapolitaner münden. Auf diese Weise ergibt sich über das gesamte Lärmen, das Neapel eben auch ist, immer wieder eine Geschlossenheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Offenheit bei dennoch formal strenger Bindung.

Von Anfang an haben wir so zusammengearbeitet; Zenke schaut überhaupt nicht auf meine Technik, sitzt auch nicht mit am Schreibtisch, sondern am großen Mitteltisch, das Typoskript auf dem Schoß, bisweilen eine Pfeife stopfend und rauchend, etwas Tee trinkend, zuhörend, vor allem auf den Klang reagierend. Immer wieder, ist eine Sentenz abgeschlossen, hören wir das Stück dann durch, korrigieren Übergänge, kürzen Einsätze, auch mal ein bißchen Text. Und ich spüre, wie er meine Nähe zu meinen – ja, onoch hnoch nnoch e Anführungszeichen – Sprecher:inne:n spürt, namentlich zu Kavita Chohans selten schöner Sprechkultur, auch zu ihrem Timbre, und die Nähe meiner Sprecher:inne:n zu meiner Auffassung von Sprache als Klangmedium. Mich interessiert ja der funktionale Anteil von Sprache, der der Begriffe, sehr viel weniger als das, was Benjamin den Namen nannte. Interessanterweise fragte mich Zenke gestern nach dem Mittagessen, ob ich katholisch sei. Heute antwortete ich mit meinem Leistungsbegriff: „So viel zum Protestantismus“, sagte ich. Wovon – kapitalistische Arbeits„moral“ – ja einiges in mir ist, witzigerweise als Muttererbe. Mein Vater wäre ganz gut als - aber leider nicht dabei fröhlich - sündigender Mönch durchgegangen.

Wir arbeiteten gemeinsam bis etwa 19 Uhr, dann brach Zenke auf, und ich machte bis gegen 21.30 Uhr weiter, war aber zu erschöpft, um da noch in Die Dschungel zu schreiben. Und, weil verschlafen, fing ich heute morgen erst wieder um halb neun an; eine Stunde später kam Zenke, wir hörten noch einmal das bisherige Ergebnis ab, verbesserten hier, verbesserten da. Und sind jetzt bereits bei Minute 36 angekommen, so daß nun schon mehr als zwei Drittel des 49'40'' währenden Stückes stehen. „Gut im Zeitplan“, sagte Zenke, als er ging; er sei erstaunt. Ich selber bin es nicht, aber verkniff mir, mit meinem alten Verkaufsleiter, aus Börsenzeiten, M***** zu antworten: „Na normal!“ Doch zufrieden bin ich und bei einigen Stellen sogar – glücklich:


Mit großem Dank. Unterm Pflaster glimmt das Feuer (15). Das Neapel-Hörstück: Die Sprecher-Aufnahmen im DeutschlandRadio Berlin. 6. Oktober 2013, 16 bis 19.30 Uhr.

Pünktlich waren alle, wie ich das gewohnt bin. Es blieb sogar noch etwas Zeit, um in der „Pusteblume“ gegenüber dem Funkhaus einen Kaffee, einen Espresso, einen Cappucino und einen weiteren Espresso zu nehmen. Nervös wie immer Gerald Schaale, der diesmal das Problem hatte, „meine“ Partie sprechen zu müssen, was bedeutet, sich ganz auf meinen Sprechrhythmus einzustellen, während ich selbst mich auf Mellies' Parts einlassen mußte, die ich ja bewußt auf seine Stimme hin geschrieben, bzw. montiert habe. Doch er mußte wegen einer Zahnbehandlung absagen, und der Freund, den ich an seiner Stelle vorgesehen hatte, weil er sehr viel tiefer spricht als ich, hatte mich ohne Rückmeldung gelassen und erschien auch nicht. - Eigentlich hätte ich die Aufnahme lieber vom Regiepult aus überwacht; nun war es ein wenig wie bei René Jacobs, wenn er eine Aufführung zugleich dirigiert und das Cembalo für den basso continuo spielt.
Ich wollte die Sprecher nicht getrennt aufnehmen, sondern die Lebendigkeit des gemeinsamen Sprechens – eine Aufführung, gewissermaßen – eingefangen haben. Was ohne sonderlich Proben nur dann geht, wenn alle Beteiligten ein Gespür dafür haben zum einen, was der Text verlangt, zum anderen, was die Idee des Regisseurs ist. Allerdings bin ich ganz gut darin, sie zu vermitteln. Dabei kommt mir jedesmal zugute, daß Leidenschaft ansteckend ist. Also sprachen wir wirklich „am Stück“, sprangen gleich hinein in diese Arbeit, unterbrochen immer mal wieder von der Tontechnikerin, die auf Fehlgeräusche achtete, auch auf Aussprachen mit, was ebenfalls ich tat. Das Originaldokument nun wird spannend klingen; noch habe ich es nicht ganz angehört. Sondern werde es erst einmal sowohl auf den Arbeitslaptop als auch auf die Sicherungsplatte überspielen. Dann erst wird die Schneidearbeit beginnen.
Von einigen Szenen habe ich hernach die Sprecher:inne:n noch Varianten sprechen lassen, solche der Emphase, des Rhythmus', auch Lieblingsstellen noch einmal formen lassen: ganz, nunmehr, nach dem Wunsch der Beteiligten:
Damit liegt nun genug Material vor, um während der Produktion noch improvisieren zu können. Lustig war, daß die Technikerin mich einmal knapp zurechtwies: „Herr Herbst, bitte nicht mitdirigieren. Das hör ich im Mikro.“
Natürlich hatte sie völlig recht, aber ich muß dann wirklich an mich halten, möchte mit den Händen die Worte vor- und mitformen, jedes Mal; es ist fast eine Art Zwang, das Wort in den Klang zu bringen. Und wie so oft nach einer glückhaften Aufnahme: Umarmungen hernach. Ein tiefes Danke an Antje von der Ahe, Kavita-Janice Chohan, Gerald Schaale und Andreas Nickl, sowie an Inge Görgner für die sensible Technik.

*******

>>>> Neapel-Hörstück 16
Neapel-Hörstück 14 <<<<

Unterm Pflaster glimmt das Feuer (14). Das Neapel-Hörstück: aus den O-Ton-Protokollen (II).

Filo 53 Napoli STELLA morgens 080213:
(...)
05.50 Stimme eines älteren Mannes. Türgatter mit Quietschen. Quietschen von Schuhsohlen. Wagen, Schotter.
06.33 Blechrollo hoch.
07.02 Knirschendes Vorbeifahren eines Lieferwagens. Warnsignal der Müllabfuhr. Hantieren.
07.34 Weiter der Müllwagen. Anderer Wagen passiert. Scheppern. Schotter. Quietschendes Bremsen.
08.03 Jaulender Lieferwagen, Scheppern auf der Ladefläche, Stahlflaschen. Moped.
08.31 Moped und Schotter. Etwas fällt um, etwas wird gewuchtet. Klingen von Werkzeugstäben.
08.52 Tassen. „Caffè?“ „Caffèlatte.“ „Cappucini?“ Ich nehme ein Stückchen mit Schokolade. Münzen fallen. Frau nimmt das Geld. Espressomaschine.
09.45 Es mischen sich draußen und drinnen. Lachen. Zischen. Tassen, Löffelchen. Sehr leise dabei Musik. Im Hintergrund Dauerjaulen des Müllwagens.
10.34 Frau fragt ihren Kollegen, er antwortet, röchelhustet. Stellt den Caffèlatte zu mir. Klopfen des Mehlsiebs. Zischen. Immer noch das Dauerjaulen. Moped. Auffauchen.
11.29 Dauerjaulen. Besteck. Verabschiedung: Baß und Sopran. Untertassen. Kurz wieder die Musik.
12.10 Gespräch. Knistern von Tüten. Geldsummen. Zischen. Gespräch von Frau und Mann.
12.44 Geldstücke rotieren auf dem Tresen. Aufreißen des Zuckertütchens. Nächster Gast. Draußen Zurufe.
13.17 Frau/Mann (Kollegen). Quietschendes Halten draußen. Mein Schniefen. Quietschjaul eines Transporters. Räuspern. Schotter. Ausklopfen.
13.57 Schnarren. Im Hintergrund durchgehender Percussion-Rhythmus. Anlassen eines scheppernden Motors. Wagen fährt weg, hupt kurz. Räusperhusten.
14.37 Laster. Helles Moped. Telefon klingelt.
14.52 Schotter.
15.02 Hantieren an der Espressomaschine. Zischen, aber leise. Schnarren draußen. Der technoähnliche Rhythmus. Nächster Gast.
15.36 Moped und Espressomaschine, Zischen wie gestopft. Klingeln der Kasse.
16.03 Abermals Zischen, abermals Tassen. Löffelchen fallen. Ich bitte um Wasser. Frau kommt herein, grüßt, Mann will gehen, zahlt, verabschiedet sich.
16.38 Aufknallen von Blech. Gespräche auf der Marktpiazza. Wagen wird

angelassen, fährt weg. Nächster Wagen kommt. Blecheimer.
17.15 Huster unter vorbeifahrendem Auto. Immer noch hört man das Müllwagenjaulen.
17.30 Heiserer Mann. Fegen.
17.50 Anlieferung. Huper. Gespräch, Zuruf, Erklärung. Ausruf, Begrüßung. Hartes Scharren.
18.22 Verkehrstoben und Männerstimmen. Ein Junge ruft im Laufen. Mopeds.
18.59 Scharfes Aufjaulen einer Türklappe. Anlassen eines tiefen Motors. Wieder Wind auf den Mikros.
19.28 Eimer. Heisere Jungmannesstimme. Aufbau der Stände. Quietschende Tür, metallisches Zuschlagen erst der einen, dann der anderen Seite. Eimer rasselt über den Boden. Dazu Motoren.
20.13 Es wird weniger unruhig, man hört sogar einen Vogel.
20.30 Als führe etwas über Gleisfugen. Quietschendes Nähern, Moped. Mehrere Mopeds. Tiefes dauerndes Geschepper. Flugzeug? Mopeds. Rattern auf Ladefläche.
21.28 Huper, Rappeln.
21.52 Schneller Wagen. Zwei Frauen sprechen im Vorübergehen.
22.10 Maschine innen. Fiepsignal.
22.35 Dauergruscheln. Ein Mann spricht stark dialektal in einem Laden. Moped. Ansageklingeln (Piazza Cavour, Métro) & Ansage aus Lautsprecher (Frauenstimme).
23.32 Passanten, wieder die Ansagerinnenstimme: „Attenzione! Treno in arrivo al binario due.“
24.00 Aufrappeln. (Wieder oben auf der Cavour). Vogelfiep. Verkehr.
24.23 Nochmal kurz der Vogel. Huper.
24.48 Ratternder Motorradmotor. Fegen. Kette. Fegen.
25.13 Entploppen (einer Flasche?). Verkehr. Geklingel von Tasse. Mein Schniefen.
25.40 Rascheln.
26.05 Rappelnder Motor, etwas wie Gurgeln.
26.38 Schritte. Klopfen.
26.56 Wagen auf Schotter. Schniefen.
27.10 Aus quietschendem Halten lösen sich Stimmen. Ich im nächsten Café. Münze auf dem Tresen. Musibox geht an. Automatenraunen. Die Musik. Untertasse auf Tresen. Eine Art insistenter Zikade.
28.17 Guter Ton!: Italo-Poplied. Bestecke. Das Lied sehr im Vordergrund, blues-artig. Tasse. Gänsechor. Unbedingt nehmen! „Ciao!“ „Grazie!“ Nächster Gast. Wieder Untertasse, Täßchen, Löffelchen. Der Pop-Blues. Besteckkasten. Temperamentvolles Gespräch.

(...)

Unterm Pflaster glimmt das Feuer (13). Das Neapel-Hörstück: aus den O-Ton-Protokollen (I).

Filo 32 Conservatorio 120423:
00.00 Spielhallenartig. Durcheinander verschiedenen Probens. Noch auch Straße draußen (Maiella).
00.30 Motor. Der Musikcluster sehr weltlich, Mopeds,Stimmen, Rufe.
01.10 Deutlich einzelne Stimmen, dazwischen Klavierakkord. (Mein Knipsen rausschneiden.)
01.40 Ratterndes Motorrad, pfeifähnliches Fiepen, Lachen.
02.08 Schöne Collage, Männerstimmen, Schritthallen.
02.29 Rattern eines vorbeigeschobenen Handtransport-Wagens. Frauenruf.
02.50 Schon die Ahnung der Orgel. Alle Fenster geöffnet, aus beinah allen Klänge. Klavierlauf.
03.45 Klavier wie Coda, Männerstimmen des pflanzenbestandenen Kreuzgangs dazu. Klavier insistiert. Die Orgel kommt wieder durch. Frau: „Graz'“(ie).
04.35 Deutlich die Orgel. Lockend.
05.05 Eine Frau singt.
05.13 Toller Übergang zur Orgel solo: Ich bin durch die Glastür in den Konzertsaal getreten.
05.38 Orgelspiel allein einige Zeit. Thema &
Variation.
07.16 Ende des Orgelstücks. Von draußen wieder die Klänge der anderen Proben. Klavier vordrängend.
07.40 Klaviermotiv, dazu aus anderem Fenster Percussion. Und die Stimmen im Kreuzgang. (Ich stehe da mit geschlossenen Augen.)
08.38 Eine Welle Chors. Dann stark: Schlagzeugeinsatz. Im Hintergrund das Klavierthema. Sehr schönes Klangbild.
09.28 Mein Huster. Mann ruft. Collage ff.
09.50 Neuerlicher, zusammenrufender Schlagzeug-Einsatz.
10.13 Ich entferne mich, schreite in den zweiten Kreuzgangshof. Die Proben werden leiser. Jemand pfeift. Ich kehre um.
10.48 Abermals Schlagzeug, wieder erster Kreuzgang. Leider Störungen in den Mikros (vom Ifönchen herrührend wohl).
11.17 Jemand singt, dann pfeift er die Melodie weiter. Sehr deutlich.
11.37 Frauen, abermals Stimmendurcheinander. Zurück auf die Straße. Die Collage entfernt sich. Erneut auf der Via. Blechklappern (Faß oder Gestell).
12.25 Fontäne. Ein Café. Hupen. Leute. Wieder Motoren.

Sich zu lieben entscheiden. Unterm Pflaster glimmt das Feuer (12). Das Neapel-Hörstück: aus dem Typoskript (ff).

Im Hintergrund der Mercato-O-Ton.

Sprecherin 1
Und du sitzt immer noch bei deinen Wirtsleuten rum.
Sprecher 1
Es gehört zur Heimat in der Ferne, sich g a  r nichts mehr anzusehen, sondern dort zu tun, was man zuhause ebenfalls tut: arbeiten. Oder „einfach“ sitzen und denken, oder auch n i c h t denken, sondern nur dasein.
Sprecher 3
Man geht auf Vesuv-Lava. Weit aufsteigende Engpässe unter den weißen, blaßroten, violetten Fahnen der Wäsche, die von einem Fenster zum gegenüberliegenden gespannt ist, wie in einer zum Fest dekorierten Triumphstraße. Straßen, die zugemauert, nur zu Fuß zu erreichen sind, dort, wo in dunklen Winkeln, hinter rostigen Gittern, gelblich-blasse Lichter ein erstarrtes Madonnenlächeln erhellen.
Sprecher 1
Immer wieder auf die Gassen herabstürzende Blicke.
Sprecher 3
Zerfallene Kirchen im spanischen Stil, die bäurische Kraft des Frühbarocks in abenteuerlich verrotteten Treppenhäusern.
Sprecher 1
Oft in die verfallenen Treppenhäuser der alten Palazzi schwarz hineingebaute Wohnungen.
Sprecher 3
Unzählige lärmende Kinder, so unzählig wie die räuberischen, grauen, sehr fetten und sehr mageren Katzen, in allen Etagen.
Sprecherin 2
Eine tragbare Freihandwaage, die der Bauer am Gasseneck verwendet, wo er sein Gemüse verkauft.
Sprecher 3
Porosität begegnet sich nicht allein mit der Indolenz des südlichen Handwerkers, sondern vor allem mit der Leidenschaft für Improvisieren. Alle teilen sie sich in einer Unzahl simultan belebter Spielflächen, Balkon, Vorplatz, Fenster, Torweg, Treppe, Dach sind Schauplatz und Loge zugleich.
Sprecher 1
Orgien der Gerüche. Fisch, Benzin, Backwaren und Staub und immer wieder von Fleisch, dem die pralle Sonne einen leichten Hautgoût gibt.
Sprecher 3
Das Wasser als der eigentliche Träger der Eucharistie.
Sprecher 1
Dreirädrige trötende Kleintransporter. Die ständigen Mopeds. Selten mal ein Fahrradfahrer.
Sprecher 3
Vom Balkon des ersten Stockwerk läßt eine dicke Frau einen Eimer hinab. Unten legt der Händler seine Waren hinein. So zieht sie den Eimer wieder herauf.
Sprecher 1
Alte, kaum noch zusammengehaltene Kinderwagen werden benutzt, um die Lieferungen durch die Stände zu transportieren. Vierradgerippe.
Sprecherin 2
Süße.
Sprecher 3
Eine Tripperia napoletana, in der via Sanità. Und noch eine. Und die nächste, nahe der via Toledo.
Sprecher 1
Das Ich schmilzt. In dem Blau überm Meer wird es frei von sich selbst.
Sprecher 3
Salziges Pfeffergebäck voller Mandeln.
Sprecher 1
Man atmet sich in die Welt aus und spürt zugleich, wie sie, in dir nämlich, atmet: durch dich hindurch.
Sprecherin 2
Die dieser Stadt einzig angemessene Kunstform ist die Collage.
Sprecher 1
Und wieder habe ich das Aufnahmegerät mitlaufen lassen, hinaus auf die Gasse gerichtet.
Sprecherin 1
(Spöttisch:) Auf der Terrasse, wo du immer noch sitzt.
Sprecher 1
Wo ich immer noch sitze und sinne, meinem Erlebten voraus.
Sprecherin 1
„Einem bereits Erlebten voraus“.
Sprecher 1
Das Schweifende des Flanierens und das Gerichtete des zielenden Gangs mit den Imaginationen verschmilzen.
Sprecherin 1
Auf der Terrasse.
Sprecher 1
Gleichgültig ist, was wir wählen. Ob wir, was wir sehen, lieben, hat sich schon vorher entschieden.
[Eingebaut sind hier Zitate von Ernst Bloch
und Hans Werner Henze.]
 



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