|
InNewYorkManhattanRoman
[Kapitel 38 und 39 <<<< dort.]„Sehen Sie“, sagte er, „ich halte mein Versprechen. Beide Versprechen.“ „Hier herum... bitte“, sagte Olsen warm. Etwas vorgebeugt ging der alte, bewegungsbehinderte Mann dem Architekten voraus. Das Haus war von der Stromversorgung abgeschnitten, imgrunde lebte Olsen widerrechtlich darin. Aber die Polizisten der Gegend drückten ihre Augen zu. Es hatte lange gebraucht, bis die Schwarzen den weißen Kauz akzeptierten. Man hatte ihn gequält, das waren nicht nur Bubenstreiche gewesen. Nicht bloß die Fenster eingeschmissen eingebrochen Bratschen Geigen Oboen zertreten. Sondern schweigend von aller Gesellschaft ausgeschlossen, selbst wenn er nur in den Supermarkt kam. Er war auch tätlich angegriffen worden. Hatte das einmal, resigniert, ‚Die Hölle von Harlem‘ genannt, aber durchgehalten; er war nicht geflüchtet. Starrköpfig hatte er jeden Tag aufs neue den Kontakt gesucht. Die Kinder kamen als erste. Anfangs galt der zähe Mann als schrullig verrückt. Dann für gesegnet. Schon verehrte man ihn insgeheim. Man hätte, wäre es drauf angekommen, Bürgerwehren zu seinem Schutz zusammengestellt. Davon wußte er nichts. Aber als er seine Behausung aufgeben mußte, damals, in der Nähe des gänzlich verwahrlosten Powell Boulevards, worin er sich nach all den Monaten vor dem Lincoln Center festgesetzt hatte, als dieses Haus langsam aber sicher in sich zusammengestürzt, da hatten sie ihn, der sich weiter drin verschanzte, sozusagen aus den Trümmern geschält und - vier trugen ihn, einer sein bißchen Zeug, die anderen die Musikinstrumente - hierher gebracht. Daß die neue Unterkunft keinem von denen gehörte, versteht sich. Aber darauf kommt es nicht an. Kein Wunder also, daß Olsen später, als der für sein christliches Selbst gerühmte Chemiemogul Weymor auf ihn zugekommen war, ihm eine musikalische Hauslehrerstelle nebst Unterkunft in der Besitzung auf den Hamptons anzutragen, das Ansinnen abschlägig beschied. Statt dessen hielt er sich nun mit einem Unterricht über Wasser, den er den schwarzen Kindern erteilte; für die Musikinstrumente kamen die Kirchen auf, und er selbst wurde von den Familien ernährt. Mit aller Distanz, freilich, die sich dennoch gegen einen, der weiß ist, erheischt. Allmählich war dann aus den sich zunehmend professionalisierenden Spielern ein Jugendorchester geformt, das auf Gottesdiensten und an Festtagen einen erstaunlichen Klang verstrahlte. Jemand schrieb einen Artikel darüber. Eine erste Radiosendung wurde aufgenommen, zu welchem Zweck man sich den Namen Harlem Young Black Orchestra gab. Den jungen Sinfonikern und ihrem Maestro wurde ein Auftritt in der Carnegie Hall angeboten, was ein großer Erfolg, doch finanziell Desaster war. Olsen warb um Mäzäne. Die Teilnahme an einer Talkshow lehnte er allerdings ab: In einer Rag to Riches genannten Sendung könne er schwerlich als Beispiel gemeint sein. Das machte Furore. Unentwegt wurde er interviewt. Aber nicht nur die notorischen Eßstäbchen irritierten die Leute - und verletzten, was ihnen kaum zu verdenken war, berühmtere Kollegen -, sondern oft unterbrach er Konzerte mitten im musikalischen Fluß, drehte sich herum und erklärte dem Publikum Phrasierungen, glaubte, die Hörer aufmerksam machen zu müssen auf leicht überlauschbare Stellen, oder schwärmte von diesem und jenem Einfall, den der Komponist gehabt... und als sich andere Orchesterleiter interessiert zeigten, mit den jungen Schwarzen Programme zu erarbeiten, nachdem es immer öfter zu weit entfernten Gastkonzerten kam, und weil Gebrechen den alten Mann hinderten daran teilzunehmen – vielleicht gab er das auch nur vor -, weil Kinder jugendlich werden und Jugendliche erwachsen, weil, kurz, neue Kinder und wieder neue ins HYBO nachwuchsen, war Olsens Bedeutung bald zwar Legende, aber immer seltener stand der Mann tatsächlich noch seinem Orchester vor. Diesem widmeten längst Meyer Kupferman und Phil Glass Kompositionen, längst hatten es Wyn Morris, Gary Bertini, der junge Sinopoli auf die Spielpläne der Welt gesetzt. Schließlich war im Musikbetrieb Olsens Name vergessen. Er hatte ohnedies immer ein bißchen misfit geklungen.
Idahoe S. Neill wiederum, der Gast, war ebenso wenig gelitten. Man hatte ihn sogar aus der Architectual League gefeuert. Doch hatte er, anders als Olsen, geerbt. So daß man ihn zwar hassen, aber nicht auslachen konnte. Auch wenn seine Lebensidee mindestens so, um es affirmativ zu sagen, ridikül war wie Olsens EßstäbchenFührung. Die beiden hatten sich bei Weymor kennengelernt. Der hatte vor knapp einem Jahr fast das ganze Obergeschoß in Turm I des World Trade Centers gemietet und zum Geburtstag seiner Tochter ein Fest ausgerichtet. Nur daß man diese Tochter nicht sah. Sie stand mit einer Freundin in der abgetrennten Best Bar in Earth und amüsierte sich, durch die EinwegScheibe blickend, an den vom Vater geladenen Idioten. Neben Olsen stand mitten in Windows on the World Charles F. Krill und dozierte ununterbrechbar in der von ihm erfundenen und auch nur ihm selbst verständlichen Sprache auf den armen Maestro nieder. Rnd Haslip war vertreten, der einige Zeit als Mitglied des Kongresses die Indizierung Donald Ducks betrieb, denn dessen Anarchismus indoktriniere die Jugend. Zu den Gästen gehörte selbstverständlich Karl S. Fisher. Er erklärte soeben den Damen die Statuten seines Institutes zur Abschaffung der sexuellen Fortpflanzung. Soviel sie verstanden, wollte der gottesfürchtige Mensch das Seelenheil der Föten durch postkopulative Sekrete – „Suppe des Teufels!“ spuckte er aus wie die 107 Stockwerke nach White Hall hinab – nicht länger so gefährdet wissen. Jenny Maurizio war da, die strafrechtlich und unentwegt gegen Direktoren auch ausländischer Tabakfirmen vorging, weil das genetische Material ihrer Mutter, einer schweren Raucherin, für die Tochter keine Brüste vorgesehen hatte. George Washington VII. wiederum war wegen der größten Seifenkiste der Welt ins Guiness Buch der Rekorde gekommen: 28 Kinder fanden allein auf dem Fahrersitz Platz. Patti Mary, leading voice der Christian Butterflies, suchte auf dem Boden eine ihrer Kontaktlinsen. Die hatte sie sich nach einem Auftritt in Rom vor einigen Monaten weihen lassen. Es waren Schwergewichtler aus Liliput und der Wrestler Old Cock Murdock erschienen, der sich neulich seiner Herausforderung gestellt hatte, aber im Zweikampf mit sich selbst in der achten Runde K.O. gegangen und nun nicht mehr Weltmeister war. Susan B-Boy Susan stand herum, „Californias schönster Kußmund“, für die Michael Jackson Suck Machine schrieb. Durch die Beinen dieser Menschen rannten lauter kreischende und johlende Vierjährige, die Weymor ihren elenden Eltern aus der Loisiada, Lower East Side, gegen Handgeld weggeliehen hatte und mit Schokoladen vollstopfen ließ, die sie überall verschmierten. Und Idahoe Neill war dagewesen. Der hatte einst öffentlich vertreten, Manhattan brauche ein Gegengewicht; es sei zu hoch, es falle sonst um. Nicht nur verbreiten müsse es sich, sondern sei zu vertiefen. So war er mit Plänen eingekommen, ein zweites, ein Under Manhattan zu bauen, hatte Kollegen und Stadtplanungsämter mit immer neuen Invektiven geplagt. Paläste unterm Asphalt schwebten ihm vor dem geistigen Auge, ins Spiegelbild konstruierte Wolkenkratzer. Flüsse wollte er zu Füßen der von ihm so genannten Manhattan Falls entstehen lassen, welche über Hunderte Meter aus Stadtmitte nach Stadtmitte hinunterfielen. Er hatte der Innung den Vorschlag auf den Magen gelegt, eine hauchdünne Schicht unter New York zu ziehen, nicht gradflächig, sondern unter Berücksichtigung der unterirdischen Infrastruktur. Problematisch war bloß, daß sich, symmetrisch gedacht, Under Manhattan ganz ebenso in Manhattan hätte repräsentieren müssen: Neill stellte sich überirdische U-Bahnen vor und Kanalisationshallen, die durch das Coliseum geführt werden mußten. „Nicht Mast nur, auch Kielgang“, war die Devise, die ihm Reputation und Klienten vertrieb. Er mußte erste Mitarbeiter entlassen, schon saß er ganz alleine da, zeichnend ritzend berechnend. Er ließ nicht nach. Er würde Kollegen und Welt beweisen, wie möglich dieses Projekt, daß ja nötig war, war. Verschwand dann. Verschwand freilich n i c h t, zeigte sich nur nicht mehr öffentlich. Tauchte, im Wortsinn, unter. Bisweilen witzelte die Szene, er habe begonnen, einen Tiefenkratzer zu bauen. Es ging die Kollegenhäme um, neulich habe man unterm Marmorboden von Trump Tower 57th St. midtown einen ersten Spatenstich in die Decke gehört. Nun suchte Neill, so erzählte er Olsen auf dem Fest, Künstler. Die sollten Under Manhattans Hallen mit Blattgold belegen, und vermittels einer Farbe, die das Licht, unter welchem sie erstrahle, erst erzeugt, Fresken in die Decken pinseln.
Olsen hatte aufmerksam zugehört. Die beiden Männer hatten schnell zueinander gefunden. Auch wenn der Maestro an der Realität des unterstädtischen Projekts ein bißchen zweifelte, so besaß es doch die Poesie einer starken künstlerischen Vision. Und er hatte den Architekten gefragt: „Haben Sie auch an eine Konzerthalle gedacht?“ Nun schritt dieser utopische Architekt im Flur eines sanierungsbedürftigen Hauses hinter einem ungleich schwächeren Mann her, den aber die Not, die ihn beugte, hatte trotzdem nicht um eine eigene Vision bringen können. Neill war entschlossen, den Maestro zum ersten Ehrenbürger Under Manhattans und außerdem berühmt zu machen, der mochte sich wehren, wie er nur wollte. Sie betraten den Wohnraum. Neill stellte die schwere Tasche ab. Es klirrte drinnen wie von Metall. Ein PropangasHeizer stand mitten im Zimmer. Daneben ein Sessel mit Plaid, in das Olsen bis vor kurzem gewickelt war. Auf einem Hocker eine Partitur und auf der ein Eßstäbchen. Keine Regale an den Wänden, die Bücher waren zu Türmen gestapelt. Couch mit Tagesdecke, am Boden Teppichflicken. Das blitzeblanke Klavier Notenständer eine Posaune Stativ. Vor einer Wand der aufgeklappte Tapetentisch lag voll. Es blakten paar Petroleumlampen. Durch das verbretterte Fenster ließ sich nicht schauen. „Hier“, Olsen wies auf den Tapentisch, „hier ist Platz, Mr. Neill.“ Der breitete nun über Noten Zeitschriften Stifte Stößen aus Papier die Pause eines Gebäudeplans. „Können Sie etwas mehr Licht machen, bitte?“ Es roch nach Staub und Feuchtigkeit. „O Licht, sicher“, die Situation war Olsen peinlich, „wir brauchen ja Licht!“ Er entzündete den Docht einer weiteren Kerze. „Sie müssen verzeihen, aber der Strom ist zur Zeit...“ „Sie dürfen so nicht leben, Maestro. Ein großer Künstler darf so nicht leben!“ „Ach wissen Sie“, sagte Olsen. Neill legte einen manikürten Zeigefinger auf die linke obere Seite des Plans und beschrieb einen Kreis. „Das wird Ihr Konzertpalast.“ „Ich brauche keinen Palast, nur einen Saal.“ „Was immer Sie wollen. Auch ein Aufnahmestudio.“ „O bitte nicht. Keine Aufnahmen. Und keine Fotografien. Nur den Moment.“ Der Architekt, berufshalber statisch, guckte den Musiker an. „Die Zeit ist w i c h t i g, Mr. Neill. Was wäre sie, verginge sie nicht? Musik muß verg e h e n, Mr Neill.“ Der schwieg. Sah auf den Plan. Nickte. Er verstand aber nicht, sondern träumte von einem Broadway Under Broadway, er liebte die Show. Wenn dieser Olsen so dachte, wie er dachte, dachte Neill, dann gehört es dazu. Das muß man achten. Er würde Wege und Mittel finden, diese unvorteilhafte Bescheidenheit äußerst respektvoll zu konterkarieren. „Leider“, sagte er und zeigte hierhin und dahin, „sind wir wirklich noch nicht ganz fertig geworden. Kann ich Sie nicht doch noch überreden, das Konzert zu verschieben?“ „Eher spielen wir im Condo.“ Neill hatte es nicht leicht gehabt, Olsen von dieser Idee wegzubringen. Es gab unter Bryant Park - einem der wunderbarsten Erholungsflecken in Midtown, der Rasen gelegen zwischen konkaven Glasfassaden und sich in ihnen spiegelnden grauweißen hellbraunen Gründerzeitriesen hinter der Public Library West 42nd und 5th Avenue - wenn die Sonne schien, standen Hunderte Stühle auf der Wiese, und Hunderte Angestellte in Anzug oder Kostüm ließen sich wärmen, derweil sie auf den Knien ihre Essen verspeisten - und sie wußten nicht, was sich auftat unter ihnen -... - gab nämlich drunter eine natürliche Höhle. Mehr als 200 Obdachlose lebten darin. Man bekam Trinkwasser aus Sprinkleranlagen, und Glühbirnen ließen sich in die längs den Kanalschächten verlegten elektrischen Leitungen drehen. Als Olsen davon hörte, war ihm sofort ein Konzert in den Ohren geklungen. Die ganze Erde Manhattans hatte gesungen. „Und die Schlüssel?“ fragte er jetzt.
Der Architekt ging zurück, bückte sich, zippte die blaurote Tasche auf, holte ein Pappkästchen heraus. „Das sind sie doch?“ fragte er, indem er es öffnete. Olsen beugte sich vor. „Lassen Sie mich sehen.“ Neill reichte ihm einen der Vierkantschlüssel. “Wieviele sind es insgesamt?“ fragte Olsen. Neill, mit Blick auf die Tasche: „Fünfhundert habe ich gekriegt. Reicht Ihnen das?“ „O gewiß! Sie ahnen nicht, wie Sie uns helfen!“ „Maestro, das ist das wenigste.“ Er sah auf die Uhr. „Dann will ich mal wieder“, sagte er. „Sie kommen“, fragte Olsen, „heute abend auch?“„Wie können Sie zweifeln?! Also Grand Central Station, unten bei der Subway. Und sollte etwas dazwischenkommen, nun, Sie wissen schon.“ „Auf Wiedersehen, Mr. Neill.“

[>>>> Kapitel 41.
ANH, In New York, Romananfang <<<<
Alban Nikolai Herbst, In New York, Manhattan Roman.]

albannikolaiherbst - Montag, 15. Juni 2009, 16:50- Rubrik: InNewYorkManhattanRoman
- 1695 mal gelesen
- 0 Trackbacks
[Kapitel 40 <<<< dort.] Talisker konnte sie nicht sehen. Trotzdem wartete er noch momentlang ab. Er war, aufgrund der Anschrift, die ihm Duschkin gegeben, ebenfalls nach Harlem gefahren. Und sah mich noch um die Ecke biegen, aber entschloß sich, erst den anderen Auftrag zu erledigen. Hinten also klopfte es gegen die zum Hof führende Tür, auf welchem aus unvordenklichen Zeiten Mülltüten ihrer Ewigkeit harrten. Fünf abgerissene Leute, vier von ihnen farbig, traten ein. Blieben nicht lange. Talisker atmete erleichtert auf, als sie, nämlich zur Vordertür, herauskamen. Mit so vielen wäre er womöglich nicht fertiggeworden. Vielleicht wohnten da drinnen noch mehr? Er war unsicher. Die fünf waren es nicht. Sie wußten, was zu tun, jeder die Taschen voll Schlüssel gestopft. Schon nach der elften, letzten, Stufe teilten sie sich: zwei liefen nach rechts ab, zwei nach links, einer schritt nach gegenüber. In Subway und Bussen ging auseinander, wer dann noch zusammen war. Man suchte die entlegensten und innersten Gegenden Manhattans auf, und überall wurden Schlüssel gelassen; stumm weitergereicht von Hand zu Hand, fielen tief in die Säcke der Bowery hinter brennende Tonnen, vor nach Fisch und Meerrettich riechenden Spankästen Chinatowns, verpackt in East Village’s Grünen Afghanen, den Packpapiertüten der Murray Hill Deli’s, ja sogar im Financial District sprangen sie in den Taschen von Dieben. So daß sich, auch wer bislang noch keinen dieser Schlüssel zu den Notausgängen der Subway besessen, mit Einbruch des Abends unterirdisch auf den Weg machen konnte. Als die Polizei sich massiv im Bahnhof zusammenzog, nahm man ohnedies lieber den Weg durch Kanäle und Schächte. Darüber hinaus hätte ein solches Aufgebot von Musikinstrumenten im Öffentlichen Nahverkehr einen allzu außerordentlichen Eindruck gemacht, besonders nachdem im vergangenen Jahr die einschlägigen Läden nicht nur New York Cities, sondern sämtlicher näheren Städte in einem Radius, der Philadelphia Boston Albany einschloß, rigoros ausgeplündert und die klingenden Beutegüter nach Manhattan geschmuggelt worden waren, ohne doch bei auch nur einem Hehler aufgetaucht zu sein. Sicher, man hätte sich schon aus der Affäre gemogelt, aber wäre Gefahr gelaufen, zumindest das erste Klopfen zu versäumen, mit dem ein Chopstick den oberen Rand des Partiturhalters trifft.
Olsen hatte sich wieder im Sessel eingewickelt. Er zog das Plaid ganz fest um die ziehenden Schenkel und griff nach Partitur und Stäbchen. Wärend er jene las, beschrieb jenes kleine Figuren in der Luft. Olsen brummselte, ohne doch brummseln zu können. Brummselte laut. So hörte er nicht, daß Talisker sich durch den Hausflur schlich. Ich hörte es ebenfalls nicht. Mich hatten Sambaklänge in Spanish Harlem hineingelockt. Dabei sah es wieder nach Regen aus. Es fielen sogar erste Tropfen. Die Leuchtkraft der farbigen Lacke, die die niedrigen kaputten Hausfassaden verschönten, ergrauten in dem verschatteten Licht. Unentschiedene, doch kalte Böen bliesen vom East River her. Noch hatte das einen verspielten Ton, hätte wegziehen können. Aber unter den Ballen der helle Streif, den am Horizont die fernen, den Atlantik überschauenden Wolkenkratzer zackten, sprach eine bereits kompromißlose Sprache. Schon standen auch erste Schirmverkäufer an den Ecken. Ein Junge legte seinen Kopf in den Nacken und fing mit der Zunge die Tropfen. Wär fast nach hinten umgefallen, hätte ihn nicht die rechte Hand seiner Mutter, flach gegen sein Rückgrat gedrückt, gestützt.
Ich hatte eine karstige drahtumzäunte Fläche passiert; an den dreimeterhohen Zaun war ein Seil geknüpft. Dessen Ende die Henkersschlinge. Deutlicher kann man’s nicht sagen. Dahinter Mietshäuserwohnblocks, dunkelbraun, schäbiges Weiß, mit Sahne vermischter Anstrich Tomatencatchup. Dann endlich belebtes Gebiet. 116th St: Was Black Harlem die 125th, das ist dem Barrio die Luis Munios Mari. Hier standen Indios Mestizen Puertoricaner vor einer zur Straße dampfenden Garküche. Burritos Blutwürste krustige Kartoffelscheiben. Calamari. Die Leute sagten zueinander Caballeros und drängelten sich, aßen, vorgebeugt über Pappteller, tranken Fruchtsäfte. Auch die Schwarzen sprachen spanisch. la patria es valor y sacrificio! Hinterhöfe Vorhöfe in Braun die Mietshäuser 26-/28-stöckig ein Fenster depressiv nach dem andern eingekeilt zwischen ihnen verlorener Brownstone betüncht die Feuerleitern spröde vor Rost. Manchmal hob sich ein Haufen vom Boden und wurde ein Mensch. Humpelte weg. Huschte weg. Schlurfte weg. Dreie hielten Violinen. Sie probten hinter dem Gitter, man faßte es nicht, probten Mozart. Ich blieb stehen, griff in die harten kalten Netze des Zauns, zog mich näher. Ein kleiner Rummelplatz, tot sah der aus. MiniaturKindergarten. Im Baum ein Kingkong aus Stroh. Wie manchen Leuten das Essen heraushing, plötzlich: das Stückchen Knochen blaßweiß zwischen den Lippen der goldschwarzen Frau. Stumpfer verlängerter Zahn. Ein flaches, gestrecktes Gebäude, BetonplattenMauer rundum, die ihrerseits ein Zaun umgab, Gewölle aus Stacheldraht drübergewickelt. Gleich daneben, hausartig spitzgiebeliger Holzbau, die Kirche: gepflegte sandgelbe Latten, Eingang mit Säulchen und heller Markise. Starke latinische Rhythmen. Kinder oder Frauen, schreiend, sie weinten; hinter den Türen. Ein Mann brüllte vor Wut, brüllte vor Not, wer kann das sagen? Und in der Seitenstraße baumelte das Telefon am Kabel. HotdogKarren Schildaufbau. HEBREW NATIONAL THE BEST OF IT. Der Regenschirm auf der Packpapiertüte. Leise klackerte auf dieses Vergessen der Regen. Und zwischen den Wohnsilos klassizistische Türme: die Dome in der Ferne. Helikopter wie Fliegen flogen hindurch und hinüber.
Jesu Dijo: Yo soy el camino. La Verdad Y la Via. Leise hatte Talisker die Tür aufgedrückt. Sie war derart verzogen, daß sie sich nicht mehr zuschließen ließ. Durch den schattigen Flur war nur das Brummseln Olsens gedrungen. Es roch hier nach altem Mensch und einem seit Jahren erloschenen Kamin. Unter Taliskers Schuhsohlen Sand. Der Maestro, vertieft, schlief mit hängendem Kopf. Noch im Träumen nachvollzog seine Linke Rhythmen melodische Cluster. Die Hand wurde von Wellen warmen Wassers gehoben wurde gesenkt; die andere lag auf der Partitur. Die rutschte nur deshalb nicht von Decke und Knien. Nachdem die Pistole ausprobiert war, aber doch. Da rutschte sie nicht nur, nein stürzte. Anstelle des Maestros. Der blieb sitzen, wie er saß. Nur daß ihm die Hand zur Seite fiel und eine Viertelsekunde kurz baumelte links neben Lehne und Becken. Außer dem Knall und dem raschelnden Klatschen des Notenbuchs war nichts zu hören gewesen. Talisker stand, hochgereckt, im falben Dunkel, Steifen Lichts vor den Fenstern, in denen Staubdünste tanzten. Das Brummseln hatte aufgehört. Die Lider schließen. Lauschen. Ein Tier. Es war keine Minute verstrichen. In Harlem alarmierte man nicht ohne Not Polizei. Die kam, um Schwarze zu quälen, oft genug von allein.
Ein tiefer inniger Stolz erfüllte den Mörder. Er hätte die Szenerie gerne noch etwas genossen. Doch wollte nicht überspannen. Beschwingt verließ er das Haus. Niemand war auf der Straße. Oder doch, aber noch weit, eine Frau. Er hätte auf sie schießen können. Man kannte ihn hier nicht, also war das egal. Doch schenkte er ihr das Leben aufgrund desselben Bewußtseins von Freiheit, mit dem er es Olsen genommen hatte. 
[>>>> Kapitel 44 bis 47.
ANH, In New York, Romananfang <<<<
Alban Nikolai Herbst, In New York, Manhattan Roman.]

albannikolaiherbst - Montag, 15. Juni 2009, 16:49- Rubrik: InNewYorkManhattanRoman
- 2439 mal gelesen
- 0 Trackbacks
[Kapitel 41 bis 43 <<<< dort.]Ich hätte freilich auch ein Stückchen zurückgehen und die direkten Linien nehmen können. Aber nun hatte es dermaßen zu schütten begonnen, daß ein Spaziergang keine Freude mehr war. Außerdem täte mir, dachte ich, eine heiße Dusche ganz gut. In der Subway der Einfall, mich für den festlichen Anlaß gebührend herzurichten, also in Abendanzug Weste und Fliege zu kommen. So etwas hatte ich nicht mit. Das mußte ich erst kaufen. Scheiß auf das Wetter. Und ich blieb, statt umzusteigen, bis Fulton St sitzen. Neben mir stand, in ausgesprochen wichtiger Haltung, ein Cop, die rechte Hand auf der Waffe, kein Lächeln. Und doch, als Mensch südamerikanischer Herkunft, heidnisch verspielt: Er nimmt die Mütze vom Kopf, und ich kann sehen, in die Schweißseide sind kleine Fotografien gepinnt: Bilder seiner Frau, seiner Kinder und Opferbilder von Heiligen. So etwas versöhnt.
Ich nahm mal wieder den falschen Aufgang; wer die Systeme der SubwayStationen nicht täglich begeht, kann ziemlich durcheinanderkommen. Zumal die Brooklyn Bridge allen Verkehr von hier hochsaugt. Die Häuser Richtung Wall St und White Hall, also Richtung Lagune, dunkel im Regenlicht, Festungen aus fantastischen Filmen: Die Wolken rieben ihre finsteren Ballen an den Türmen des World Trade Centers, Fetzen rissen zerrten an ihm. Nur wenige Hochhausspitzen schnitten das feste Wolkenfleisch auf. Dort vernarbten die breiten Wunden in Sekunden zu Tüllen für Regenfälle: Füllhörner, denen sich Stromschwälle entgossen, die wie geschichtete Wasserflächen tief in den künstlichen Cañons aufschlugen. Ich war davon bereits bis aufs Unterhemd naß. Sturmböen jagten um die Ecken, die dichten Schluchten beschleunigten den Wind: wo er abbremsen wollte, da glitschte er weiter, so daß ihm der halbe oder viertel Aufprall erst recht ein Tempo gab, das jeden Mantel einfach durchfuhr. Ganz sinnlose Wogen aus Regenschirmdächern. Sie wurden umgerissen weggerissen hochgerissen aufgerissen. Und von den Autoreifen spritzte nicht, sondern gischtete Wasser. Aber da bog ich endlich in die Fußgängerzone der Nassau Street mit ihren kleinen preiswerten Klamotten- und Elektronikläden, hielt mich dicht an den Wänden der hier nicht sehr hohen Häuser aus Backstein nur selten Beton mit Markisen und freundlichen, Hoffnung versprechenden Scheiben. Der Ägypter, bei dem ich meinen Abenddress erstand, erzählte mir lange von einem Heiligen Mann, einem Propheten, den er verehre... und holte einen arabisch geschriebenen Band hervor. Wie alle Bücher in geheimnisvoller Sprache leuchtete auch aus diesem ein Versprechen. Ich konnte es tasten, als ich die flache Hand auf den Einband legte. Der Ägypter lächelte, als ich das tat. Dann verkaufte er mir den Anzug und verzichtete (glaub ich) darauf, mich gänzlich übers Ohr zu hauen. Ein bißchen tat er’s schon, das war er seiner Ehre schuldig. Und der meinen auch.
Es war Martha, die von hinten herankam. Aber sie war kaum wiederzuerkennen im afrikanischen Kleid, bunt und herrlich von den Schultern hinab zu den Waden, verschlungen hinaufgetürmt das Tuch auf dem Kopf. Mit Abstand folgte ihr Gardist. Hier war sie Fürstin. Den Stolz von Generationen in ein Antlitz aus Speckstein geschnitzt, so hatte sie, trotz des Regens gestreckt, das elende Viertel durchschritten, sie kam von des erschossenen Dembangs Mutter und hatte nicht Trost gegeben, sondern Vergeltung versprochen. Nun wisperte man, wenn sie kam, die die Hoffnung der schwarzen Völker trug und Gerechtigkeit einfordern wollte. Anders als Olsen, der sie oft beobachtet hatte (und sie ihn!), war sie zur Gänze diesseits, hatte zwei Kinder geboren, putzte die Babies, schnitt Gemüse, verstand sogar, Muscheln zu ernten. Sie lag bei Männern und konnte wunderbar singen, man fiel in Ohnmacht sonntags von ihren Gospels. Sie wußte ein Gewehr zu halten. Er war schon geschossen, ihr Mensch: to kill one’s man sagt das englische Idiom. Das hielt sie nicht ab, sich einem Weißen zu verdingen und ihm das Etablissement zu leiten; sie leitete von da aus die Frauen.
Gestern abend hatte sie Talisker nicht gesehen. Und die schöne Joanne, überführt, hatte nicht verraten, daß er im Showroom gesessen und sich mit Clarissa zurückgezogen hatte. So konnte ihn Martha nicht erkennen. Verdacht schöpfte sie erst, als sie die Tür klaffen sah. Der Maestro schloß seine Räume. Nur in Konzerten floß, was sie füllte, hinaus. Auch wenn Martha skeptisch war, was Revolutionen durch Kunst anbelangte, achtete sie die Idee. Auch liebte sie Olsens Lebensfremdheit, die ihn hatte überleben lassen, und daß ihm Dünkel so fern lag. Sie liebte seine Vergeblichkeiten. Wenn es nicht solche wie ihn gab, wofür hätte eine wie sie noch zu kämpfen?
Sie hob das Kinn, ihr BodyGardist kam hergelaufen. Sie schritt die Treppen hinter ihm hoch. Olsen im falben Licht zusammengesunken. Er stöhnte leicht in seinem Sessel. Nicht zu sagen, ob er einfach weiterträumte. Man fand die Einschußstelle im Dämmern nicht gleich. Martha, stumm, wies auf Decken. Dann nahm sie Anlauf und trat die Bretter aus dem Fenster. Sie pfiff. Den Schuß hatte keiner gehört, doch nun rannte die halbe Straße zusammen. Im Nu war der Maestro, er atmete noch, in die Decken eingeschlagen und vorsichtig, achtzehn Hände faßten ihn, die Stufen hinab- und auf die Straße getragen, straßweiter wieder paar Stufen hinauf, dreiviermal um die Ecken geguckt, dann schnell die Tür verschlossen und alle Vorhänge zu. Als ich die engen Stufen des Star Hotels raufstieg, ahnte ich noch nichts. Oben standen Lachen im Flur. Das Büro war mittlerweile geräumt, nicht mal abgeschlossen, wozu auch? Über alles Plastikplanen gelegt, die waren, ebenfalls naß, pechverschmiert und voller Schamott. Denn es gab kein Dach mehr über den Tischen. Man hatte die Teerpappen weggerissen und den festen Mörtel durchgehackt. Das hatte man vielleicht auch oben getan, denn die Treppe hinab zum zweiten Stock sinterte eine Art Bach. Traurig schaute ich Richtung Bad; nun war zu duschen bestimmt kein Vergnügen. Aus dem Nachbarzimmer drang Radiomusik; wenigstens wohnte die Schlampe noch hier. Dann sah ich meine aufgebrochene Tür. Jemand hatte meinen Rucksack durchwühlt. Man hatte sich gar keine Mühe gemacht, das zu kaschieren. Die Sachen großzügig übers Bett verteilt. Aber weder Walkman noch Wertsachen fehlten. Der Aktenkoffer, natürlich..! Ich öffnete ihn. Nur die beiden Fotografien fehlten. Und der Umschlag, worin die Pistole gewesen, war leer. Ob vom Geld was genommen worden war, war auf Anhieb nicht festzustellen. Doch waren die Packen aus dem Umschlag genommen, lagen immerhin noch da. Ich sofort zur Nachbarstür rüber und gegengedonnert. „Mann! Mann! Is ja gut!“ Sie schlurfte schlunz Geschleife träge knarrte die Tür auf. Die Schlampe schob sich achtels raus, Nylons zum Knöchel runtergerollt, porösweißes Fleisch über den Puschen. Sie rülpste, wie ich sowas noch niemals gehört hatte. Mir stieg sofort der Magen. „War hier vorhin jemand im Haus?“ Und der Geruch! „Kannst mich mal am Arsch lecken, Mann.“ Ich preßte die Tür in ihre Massen; weichgummiartig dellten sie sich. „He, du Typ, was soll das denn?“ Ich zwang sie, den Besucher zu beschreiben. So reimte ich mir alles zurecht.
Es ist ein Wunder, wie, sich zu pflegen, beruhigt. Ich konnte ja sowieso nichts anderes tun, als mich zum Konzert einfinden und den Dirigenten so gut wie möglich vor Talisker schützen. Mit ganz weiten Schritten zur Dusche, bloß die Ballen unter den Litzen der Straßenschuhe, ließ ich minutenlang heißestes Wasser über mich laufen. Dick stand der Dampf in dem Bad. Handtuch um die Lenden, Frösteln im Nacken, unterm linken Arm das Necessaire, so schlupfte ich in mein Zimmer zurück. Zog mich an. Das Hemd von gestern, am Fenster gelüftet überm Drahtbügel, ich schnupperte, ja, ging noch mal. Ich band die Krawatte. Sah über die Avenue rüber. Moment mal... Ich stutzte, hielt die Luft an: T a l i s k e r!

Er betrat den Moley Wee Pub neben dem Gardenia Deli. Drei Typen in Lederklamotten begleiteten ihn. Wiewohl vom Unwetter erwischt, war er glänzendster Laune. Die drei Rabauken hatten sich vor Regen und Sturm in die B-Ebene der Penn Station zurückgezogen, wo sie, als Talisker von der Subway kam, vor einer Bakery herumlungerten. Er sah sie und winkte sie her. „Wenn ihr euch was verdienen wollt...“ Gab jedem 20 $. Verblüfft starrten sie auf die Scheine. Sie folgten ihm, wobei sie kettenklirrten. Selbst in den Pfützen knallten die Metallbeschläge ihrer Springerstiefel. „Was ein Mistwetter!“ fluchte Talisker, als er den Pub betrat, simulierte leichten irischen Zungenschlag.
Freilich ‘ne hübsche Moley nicht drin. Der Barkeeper, rothaarig bis in die Ohren, blieb durch idiolektisches Anbiedern unbeeindruckt; zeigte bloß links leichtes Wangenzucken. Doch Talisker bekam das mit. Schon war ausgemacht: Wir sehn uns jetzt öfter. Der Schlägerjugend hingegen entging der seismische Ausschlag. Talisker hatte ihr erzählt, kaum daß das Smithwicks vor ihnen stand, daß Mr. Thimble, die Taschen voll Geld, nachts um halb zwölf vor LEGZ DIAMOND’s aufkreuzen würde. Durch die ständigen Drohgebärden eher belustigt, mit denen die Provos sich permanent ihre Gewalttätigkeit attestierten, nippte Talisker von seinem Stout. Dabei sah er über den Glasrand den Barkeeper an. Der putzte Seidel. Dann ging die Tür auf, und ich stand im Eingang. Talisker begriff. Wir sahen uns in die Augen. Ein Lächeln kroch auf seine Lippen. Ich hatte diese Prügler zwar gesehen, aber sie nicht mit Talisker in Verbindung gebracht. Jetzt reagierte ich nicht schnell genug. Sofort hätt ich mich umdrehen, die Tür hinter mir zuschlagen und davonrennen müssen. Aber blieb stehen. Blieb stehen und starrte. Er beeilte sich nicht. Zog langsam seine Börse aus der Hintertasche. Der Barkeeper beugte sich vor, polierte nicht mehr, hielt aber das Bierglas fest zwischen Händen und Handtuch, stützte die Ellbogen auf die Theke und sah mich ebenfalls an. Auch er lächelte. „Noch eins?“ fragte er Talisker, womit er den Grundstein ihrer lebenslangen Freundschaft legte. Der legte nicht sowas, sondern auf den Tresen drei Hunderter. Die hatte er vorhin aus dem Koffer genommen. „Verdient sie euch, Jungs“ sagte er.

[>>>> Kapitel 48 & 49.
ANH, In New York, Romananfang <<<<
Alban Nikolai Herbst, In New York, Manhattan Roman.]

albannikolaiherbst - Montag, 15. Juni 2009, 16:48- Rubrik: InNewYorkManhattanRoman
- 1953 mal gelesen
- 0 Trackbacks
[Kapitel 44 bis 47 <<<< dort.]
Ich habe keine Erinnerung mehr. Bei dem einen Hieb kann es aber nicht geblieben sein, so zugerichtet, wie ich am Rinnstein der 31st St. zu mir kam. Schmerzhafte Stellen unter den Achseln. Es war bereits dunkel. Jemand hatte Zeitungen und eine Kartonpappe über mich gedeckt, die jetzt aufgequollen war wie eine Masse eingeweichter Brötchen. „He hier ist kein Schlafplatz!“ Der Gummiknüppel bohrte mir in den Weichen. „Steh auf und hau ab.“ Ich blinzelte den Cop an. Wenigstens goß es nicht mehr. Soweit ich in der Lage war, das zu registrieren, fiel nicht einmal mehr Nieselregen. „Ich hab gesagt, du sollst aufstehn.“ Er trat zu. Ich war so taub, daß ich den Schmerz nicht merkte. Wie spät war es? Ich wollte, nein m u ß t e zu dem Konzert! Versuchte hochzukommen. Was aber schon deshalb nicht ging, weil der Cop seinen Knüppel auf mich niederhieb. Weshalb sprach ich nicht? Weshalb erklärte ich mich nicht? Ich hätte zumindest um Hilfe stammeln, hätte versuchen können, etwas von Überfall und Schläger zu heulen. Ich tat es nicht. Der Cop schlug abermals zu. Wie seltsam! Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, etwas Wahres zu tun, indem ich mich so mißhandeln ließ... es tat auch gar nicht weh, machte nur dumpf für Momente, mal schlug ein Blitz durch, das war der Knüppel, dann war alles um mich her weich. Er bekam mich am Nacken zu fassen, zog mich auf. „Jetzt verschwinde. Und sieh zu, daß du mir nicht mehr unter die Augen kommst.“ Stolz aufgereckt blieb der Hüne da stehen und sah mir, unter der Lampe blitzte die WappenMarke an der Mütze, ganz Ordnungshüter nach. Schwankend, nur selten und dann schräg unterm Arm zurückschauend, machte ich mich weg. Das rechte Knie, immer wieder, knickte ab. Wollte zum Hotel. Wieso Hotel? Ich hatte seit Tagen kein Bett mehr gesehen. Statt dessen entsann ich mich eines Baches, der eine Treppe, sie spülend, hinabsprang... sah eine fette Nutte noch, das widerliche Weiß ihres hochtoupierten Sprödhaars, nein zu Fantasien hatte ich keine Lust keine Zeit, mir reichten meine Träume. Wie spät war es? meine Uhr war weg. Ich hatte seit Menschengedenken keine Uhr mehr gehabt. Aber ich trug einen Anzug. Was ist das für ein Anzug? Eingerissen naß verdreckt. Aber neu. Und bißchen blutig, von der Nase wahrscheinlich. Die Krawatte zu einem Strick verknorkelt. Nun hatte ich mit Krawatten nie was im Sinn. Ich mußte mich aus diesem Alpdruck schälen. Da hing was um mich, hing wie der schlechte Morgengeschmack einer Hoffnung, bevor du die erste Bierdose ansetzt und langsam wieder klar wirst und weißt: so ist die Realität. Stockig die verhärteten Strähnen aus Dreck in den Haaren. Es ist so kalt in New York. Lichter verschwammen in den Lidern zu Streifen Farben Blutung. Jim hatte triumphiert. Er hatte es wochenlang drauf angelegt, mich in seine Finger zu kriegen. Und es nun gepackt nach den Monaten. Schon damals, als sie mich aufgenommen hatten, war er gegen mich gewesen. Hatte Rache geschworen, als ich floh. Ich sah seine Faust noch auf mich zukommen, hatte einfach keine Lust gehabt, ihr auszuweichen. Wie mein Auge platzte. Als spritzt dir das Augenweiße durchs Hirn. Dann kam auch der Schmerz. Ich tastete die Schwellung ab. Wie eine Knorpelbeule fühlte sie sich an, ein Knochenstück. Jim hatte mich gehaßt, weil ich zur Sippe gestoßen war. Und weil mir seine Ala ihre Musch gezeigt hat. Er hat diese Mißgeburt von Fut tatsächlich G a l a genannt! Dabei hat sie das nicht mal in den Condos getan, sondern im Mordhaus. Sie hatten uns aufgegriffen und in dieses beschissene Fort Washington Shelter gebracht. Ich war voll gewesen wie selten, da war mir die Nutte an die Hose... Aber Jim hat i h r geglaubt, nicht mir. Vielleicht wollte er ihr auch glauben, um nach all der Zeit noch einen Grund zu haben. Jetzt war meine rechte Hand ganz blau, als ich sie ins Licht der Schaufensterscheibe drehte. Irrsinnig blau. Und was wölbt sie sich hoch da, so? Auch meine Fingernägel machten mir zu schaffen.
So lange lag das zurück, daß mich der MTA-Typ gewarnt hatte. Das war gewesen, nachdem ich mit Profane Alligatoren gejagt hatte. Ich weiß noch, Bung hat mich wieder runtergescheucht, ich hatte nicht die geringste Lust gehabt, diesem Vieh hinterherzuwaten, da erwischte es mich schon. Es war ein großes, sehr altes Krokodil. Ich weiß nicht, wie ich freigekommen bin, ich dachte, das frißt dir dein Bein. Bis übers linke Knie steckte ich dem Ungeheuer im Maul. Auf den Rücken gerissen über die Schultern geschwappt unterschenkeltiefes Kanalwasser schluckte. Bröselzeug Schleim schluckte Scheiße. Irgendwann aber ließ der Alligator los, ich weiß nicht, ich schmeckte ihm wahrscheinlich nicht oder er hat sich sowieso nur lustig machen wollen und, um zu zeigen, was er von so einem Leben hält in Manhattan, mit seinem Schwanz das Pissewasser aufgepeitscht. Profane soll das Ungeheuer erwischt haben nachher, es hat so ausgesehen, hat er später erzählt, wie wenn das Ding ihn zum Vollstrecker seines passiven Selbstmords ausgekuckt hat. Mich jedenfalls hatte es in einem Seitenkanal abgelegt oder einfach hineingespuckt und dann liegenlassen, den ich dann langkriechen entlangknien mußte, ich wollte ja irgendwie hoch, meine Lampe war verloren gegangen, doch das Gewehr hing mir am Halfter um den Hals. Die Schmerzen überm Knie waren ganz nett, aber nie hatte ich soviel Ekel gehabt, wie als ich die Schutzklappe öffnete, mich in die nächste Röhre zog, wo es hinten Licht gab, aus einer fingerdick staubbedeckten Glühlampe. Und dann lag da dieser von den Gleiskaninchen angefressene, aber nun auch schon lange verschmähte Körper. Ich wußte nicht, war er noch Körper. Er hätte auch flüssig sein können. Was ein Gestank! Als ich später Meldung erstattete, fand man da unten noch mehr von denen. Fand eine ganze Siedlung mit Betten Tischen sogar einer StereoAnlage Art Küche. Und gleich um die Ecke die Toten. Imgrunde ging es gerecht zu: Sie fraßen die Ratten, die Ratten fraßen sie. Ich entschloß mich, ihnen ein Krokodil zu schießen, das machte sie dann auf Wochen satt. Sie hatten ohnedies nur eine Lebenserwartung von noch drei bis fünf Jahren, starben an Fieber und einfachen Erkältungen, die sich zur Lungenentzündung ausweiteten, an Zuckerkrankheit, ja, weil das Antoniusfeuer tanzte, an geringsten Verletzungen. Nicht, daß sie mir leidtaten. Sie faszinierten mich. Offiziell bestritt man ihre Existenz. Bis mich John Denver, der bei der Gleiswacht jobbte, mit nach unten nahm. Tiefer hinab, als die ALLIGATOR PATROL je gekommen war. Dabei erzählte er, sie hätten Schwimmhäute zwischen den Zehen. Er hatte recht. Es war schwer, sie überhaupt zu sehen, derart mäuschenstill waren sie. Konnten pirschen, ohne daß sich ein Wellchen bewegte, und huschten schattenflink durch die vergessensten Stationen. Sie machten seltsame Geräusche, als zögen ferne UBahnZüge durchs Erdreich, aber es waren keine Züge, sondern war ihre Sprache: So unterhielten sie sich, so gaben sie einander Signale, du hörtest so einen Walgesang, und plötzlich, eh du dich versehen, schlugen ihre Zähne in deine Schulter. Johnny war davon überzeugt, daß sie Kannibalen sind, CHUD-People nannte er sie, das stand für CAMBALISTIC Cannibalistic HUMAN UNDERGRPUND DWELLERS, nämlich weil sie zumindest ihre Toten aßen, aber auch schon mal... wenn das Los... Schließlich verzehrten sie ebenfalls Hunde. Man schrieb ihnen, besonders in der Gegend um die Canal Street, das Verschwinden von Passanten zu, sie schienen sich auf die Lexington Line zu konzentrieren, und eines Tages, endlich, sah ich einen von ihnen, es m u ß t e einer von ihnen sein, er sprang von der untersten Plattform Broadway-Lafayette auf die Schienen, setzte vorsichtig über das dritte, die Elektrizität führende Gleis. Nicht nur, daß bei Berührung die Funken derart rüberschießen, daß du quasi verkohlst. Sondern die Arme Beine blähen sich auf explodieren. Ziemlich eklig. Trotzdem war ich hinterher. Es gab absolut keinen Platz. Wäre eine Bahn gekommen, es hätte keine Zuflucht gegeben. Ich lauschte in die Schwärze. Es war nicht leicht zu folgen, der Kerl schien nachtsichtig zu sein, man hörte kaum seine Schritte. Meine aber gewiß. Ich kam auf einen Catwalk, mußte die durchbrochenen Metalltreppen hinabsteigen an Schütten aus Elektronikschächten vorbei, Leitungen wie Adern, ein System mechanischer Organik, es wurde ganz warm: Netherworlds Schächte waren immer vier Grad wärmer als draußen. So gab es eine neue Fauna: schultergroße, von einem feinen weißen Schimmel geschützte Kokons hingen an den Wänden fantastische Wandlampen ArtDecot. Manchmal flogen Funken. Woher kam das Licht? Noch wußte ich nichts von den Meistern den Baustellen Neuen Freimaurern untertags von dem Dom, der aus der Tiefe herauferrichtet wurde. Aber sah mich plötzlich umzingelt von wenigstens zwanzig, mit Schlagringen Ketten Backsteinen bewaffneten Maulwurfsleuten. „Ich bringe euch ein Gewehr“, sagte ich ihnen. Das gewann mir Sympathie. Deshalb nahmen sie mich auf. Und sagten, ich könne bei ihnen bleiben; ans Tageslicht zurück dürfe ich fortan jedoch nur noch mit ihrer Genehmigung. Allein Jim war gegen mich, von allem Anfang an.
Kaum war ich Meissen losgeworden, stürzte ich, von religiöser Freude erfüllt, mein Stout. Ich war befreit. Die Situation hatte etwas Erlösendes, Befreiung ist ein viel zu kleines Wort. Dabei bin ich kein sonderlich gefühlvoller Typ. Ich nickte dem Barkeeper noch einmal zu und verließ das Moley Wee. Die Schläger kamen gerade um die Ecke. Ich sprach nicht mit ihnen, gab bloß Kopfnick zum Pub; so wußten sie, wo sich ihr Blutgeld holen. Im Vorbeigehn händigten sie mir zwei Schlüssel aus. Und einen Vierkantschlüssel. Was ich mit dem sollte, wußte ich nicht. Sie hatten ihn dem Kerl aus den Taschen genommen. Wahrscheinlich unterschlugen sie Beute, aber das war mir egal. Ich war mir sowieso sicher, daß sie halb vor Mitternacht bei LEGZ DIAMOND’s erscheinen würden, um mir auch noch die andere Freude zu machen. Danach wollte ich ein zweites Mal die Kleine bürsten. Vielleicht sogar ihr erzählen, wie auseinandergenommen ihr Typ war. Und sie mit seinem Geld bezahlen. Wenn ich dann ins Hotel zurückkam, ließ bestimmt Duschkin nicht mehr lange auf sich warten. Mit dem mußte ich mich arrangieren, das war klar. Ich brauchte falsche Papiere. Und weshalb eigentlich nicht: Meissen? Gottfried Meissen, das hatte was. Meissen würde sich den Ruf eines gefährlichen Mannes erwerben. Es war mir vollkommen klar, daß seine Lebenserwartung nicht sonderlich prolongierbar war. Aber bloß fünfzehn Jahre, meinethalben zehn, s o gelebt, das wog schon vierzig eines Anwaltslebens auf. Ich warf den Kopf in den Nacken und lachte in den Regen. Die Tropfen fielen mir kalt auf die Zähne. Ich öffnete die Tür des MANHATTAN INNs, checkte bei dem blöden Japsen aus und schleppte mein Gepäck, wie verabredet, rüber ins STAR HOTEL. Die Eingangstür war zu, aber natürlich paßte der Schlüssel.
Das Gebäude befand sich in einem furchtbaren Zustand. Ich konnte nur hoffen, bald anderswohin übersiedeln zu können. Das müßte ich, wegen des Namens, sowieso. Jedenfalls hatte ich unten kaum die Tür aufgeschlossen, kam mir eine zähe Schicht aus wässrigem Teer entgegengelappt: nur wenige Trittstellen waren freigeblieben, in die ich meine Schuhsohlen so vorsichtig setzte, als wäre es sich abwärts wälzendes Magma. Immerhin war das Zeug kalt. Es kam aus dem zweiten Stock, schien irgendwo dort oben aus den vom dauernden Regen aufgeweichten Dachpappen zu quillen. Wahrscheinlich rissen die Eihäute, so daß dieses Magma austreten konnte und nach unten abfloß. Das tat es aber irgendwie nur Richtung Eingang; nach hinten der Flur, in Richtung auf mein Zimmer, blieb, obwohl in gleicher Höhe und ohne sichtliche Steigung, von dem Schlick verschont. Eine steife Brise wehte von oben und übers Magma drüber; mochte also sein, es war nur an der Oberfläche kalt.
Meissen hatte sein Zeug kaum angerührt und schon gar nicht Ordnung gemacht. Nur sich umgezogen. Nicht einmal die Sachen vom Bett hatte er zusammengeräumt. Alles muß man selber tun. Ich legte das Zeug sorgfältig auf die Kommode. Auch Meissens alte Klamotten. Die Pistole legte ich in den Nachttisch. Um das Geld hatte ich mich sowieso nicht gesorgt. Steckte mir eine Zigarette an. Die Dinger schmeckten immer besser. Mein Blick fiel auf das Insektizid. Prophylaktisch sprühte ich ein bißchen herum. Hatte Meissen nicht einen Spiegel gehabt? Richtig. Ich hockte mich vor die Kommode und probierte die verschiedenen Möglichkeiten aus, eine Zigarette mit den Lippen zu halten. Und dann strömte neuerlich der Regen, strömte auf die 8th Avenue, strömte auf den Madison Square Garden und strömte auf Junkies Nutten Penner herunter.
[>>>> Kapitel 50 & 51 (Anfang).
ANH, In New York, Romananfang <<<<
Alban Nikolai Herbst, In New York, Manhattan Roman.]

albannikolaiherbst - Montag, 15. Juni 2009, 16:47- Rubrik: InNewYorkManhattanRoman
- 1808 mal gelesen
- 0 Trackbacks
[Kapitel 48 und 49 <<<< dort.]So wurde er, während er geradeaus bis Park Avenue und von dort senkrecht hoch zur Grand Central schlurfte, nicht ganz so naß. Denn der Regen hatte wieder eingesetzt. Obwohl, klamm war er ja sowieso, imgrunde wäre es nicht drauf angekommen. Das zerschlagene Auge pulste rein wahnsinnig, aber er spuckte immer wieder aus, wenn es zu weh tat. Er fühlte nichts als Verachtung für den Schmerz. Irgendwann hört er sowieso auf; nur eine Frage, wer mehr Geduld hat. Das kannte er von seiner Hand. Die fühlte rein gar nichts. So würde bald auch sein Auge nicht länger zu spüren sein; immerhin sah er schon nichts mehr damit, so sehr war es zugeschwollen und vielleicht wirklich geplatzt. Irgendwas war nun auch mit seinem rechten Knie: Er ging, weil es sich nicht mehr beugen ließ, halbschräg humpelnd; nicht daß er das Bein direkt nachgezogen hätte, aber es war stelzig. Dann wieder knackte ein Gelenk, und es klappte zusammen wie ein Schnappmesser. Nur mühsam hielt sich Angel dann aufrecht; er verstand es einzurichten, in prekären Momenten gegen eine nächste Hauswand zu kippen, so daß er nicht umfiel. Alles in allem kam er nicht sonderlich schnell voran. Besonders ärgerlich war, daß ihm Jim offenbar den Vierkantschlüssel geklaut hatte, mit dem die Sippe sich zu den leeren SubwaySchächten Einlaß verschaffte. Nie hatte er einen besessen, heute früh hatte er ihn bekommen, von Carl, dem Einohr, den die Untertagler nach seinem Wohnsitz unter Chambers Street Old One Ear Chambers nannten. Deshalb mußte Angel den ganzen Weg zum Bahnhof oberirdisch zurücklegen. Er wunderte sich zunehmend über den Anzug, in dem er steckte. Vor allem aber über die Schuhe: was für schöne Schuhe das waren! Er konnte sich nicht erinnern, jemals solche besessen zu haben. Es war auch gefährlich, sowas zu tragen; er würde sie später verstecken und gegen die Stiefel austauschen müssen... nur manchmal würde er sie dann wieder hervorholen, sich anpassen und ein bißchen vielleicht übern Union Square flanieren stolz und mit einem Eis, wenn ihm jemand am Park Café ’nen Dollar zugesteckt hätte. Dieser herrliche Pavillon die funkelnden Lichter. Solche Eleganz! Die widerte Angel sonst an, aber nun fühlte er sich ihr irgendwie nah. Da war was ganz Fremdes in ihm. Er hatte das Gefühl von Erinnerungen, die einem gar nicht gehörten. Dieses Getu und Gestelze, was ging ihm das auf die Nerven sonst, und mit Recht, wenn einer bedachte, daß schon seine Geburt sich ihn aus der Nase gepopelt und auf die Gosse weggeschnippt hatte. Er hatte sich wirklich angestrengt, aus der Gosse rauszukommen. Allen Ernstes gejobbt, erst auf dem Bau. Aber sie hatten ihm die Frau weggenommen, na ja, die Keife war abgehauen, nachdem er sie verprügelt hatte, was quasselte sie auch allezeit auf ihn ein? Dann die Kleine ins Pflegeheim gesteckt. Zwar hatte er noch geschafft, die Wohlfahrtsfotze aus der Bude zu treiben, hatte ihr den Küchenstuhl nachgeschmissen und sie auch richtig am Rücken erwischt, aber sie war wiedergekommen mit Blaulicht und einer solchen Anzahl Bullen, daß er nur noch türmen konnte. Die Kleine, die er mitschleppen wollte, hatte geschrieen, da war das einfach zu riskant gewesen, und ihr eine zu latschen, hätte nichts gebracht. Da war er ein zweites Mal in die Tunnel, diesmal auf der Flucht, hatte natürlich das Gebiet um die Condos gemieden. Jim aber fand ihn. Und trieb ihn weg. Wenn er ihm noch einmal unter die Augen käme! Dann war Gala verreckt. Von wem sie das Crack bekommen hatte, kümmerte keinen. Doch, vielleicht Jim. Hank hatte erzählt, er, Jim, habe tagelang über der Leiche gelegen, habe die Leiche verteidigt, gegen Ratten und Diebe. Und als Beau die beiden aufspürte, den Lebenden, die Tote, hätten die Leute der Transit Authority jenen mit fünf Mann davon- und ins Licht hinaufschleppen müssen; Jim habe sich heulend in die bereits verwesende Geliebte festgekrallt und sie auf keinen Fall zurücklassen wollen, wäre auch er selbst von den Ratten aufgefressen worden. Das konnte Angel verstehen. Wahrscheinlich war er dem Schlag vorhin deshalb nicht ausgewichen: denn auch er vermißte einen Menschen, auch er war einsam und sehnte sich nach gar nichts außer nach seiner Carlita, dem Töchterchen, das sich vor nichts auf der Welt mehr gefürchtet hatte als vor ihrem Vater. Das ihn immer noch fürchtete und schlimme Träume hatte von ihm. Aber davon wußte Angel nichts. Und hätte es auch gar nicht verstanden.
Er passierte Martha, als er in die riesige Marmorhalle der Grand Central Station schlurfte. Von Kristallüstern illuminierte Pracht blitzblanker Jugendstil BeauxArtsPalast monumental gewölbte Baufantasie Schalterkioske Rotholz im Dom brückenverwuselt. Die in das Dach des Tonnengewölbes hineingemalten Sterne sahen hinab auf Millionen Ameisenfährten Menschen die Köpfe. So schaut Gott, wenn er töten will. Dazwischen Halogenleuchter Lautsprecher drunten und Hunderte Cops. Es wuselte schwarz blitzte silbern die Wappen dunkelblau blinkten Waffen. Schon draußen war das Verkehrswogen fast unheimlich gewesen in seiner kopflosen Hektik. Mißtrauisch war Angel hinein. Mißtrauisch bückte schlich er sich. Vielleicht fiel er nicht auf in der Menge. Was wollten die Polizisten hier? Ganze Fuhrparks aus Streifenwagen New York City Police Department das Gebäude umstellt, das war Gefunkel und Blaschen von Blaulicht und Rotlicht horizontales RundFeuerwerk. Alarmbereitschaft, wozu? Die Wagenstaus, klar, schon am letzten Achtel, bevor die Park Avenue mit ihrer Straßenrampe in Unter- und Überführung vertikal auseinanderlief, den Bahnhof umschließend wie Arme Gehupe Drängen Nervosität. Als hätte sich der Times Square hierher versetzt die 42nd St beidseits. Auch die Flanken des Bahnhofs: als käme Clinton zu Besuch, und ein zweiter Lee Oswald blickte aus irgend einem zerschlagenen Fenster vom Dachfirst angelegt das Gewehr. Doch die Dachfirste hier langten hoch. Die Himmelsdächer die Spitzen die Ornamente Chryslers Seagrams Rockefellers. Das Met Life Building. Helikopter.
Martha, die ein Konzert niemals so wichtig genommen hätte wie ihren bewaffneten Widerstand, war mindestens so erstaunt wie Angel. Der sie nicht erkannte, sie aber ihn. Sie hatte das afrikanische Fürstengewand mit dem grauen Kostüm der Geschäftsfrau vertauscht. Es hatte einen hoch und eng dem Hals angeschmiegten Stehkragen; nur er noch ließ auf die Aristokratin schließen. So schritt die Frau stolz über 10cm-Absätzen unter rotgefärbter Schlangenhaut daher und ging zweidrei Schritte auf den Obdachlosen zu, zögerte, tat noch einen Schritt, dann stoppte sie. Die Schläge hatten Meissen - oder wie er in Wirklichkeit hieß - nicht nur verändert. Er war nicht mehr er. Der andere, den er gerufen, hatte ihn aus seinem Ich hinausprügeln, es in einen andren hineinprügeln lassen. Martha erkannte das sofort. Alles, was eine noch tun konnte für ihn, war, ihm paar Dollars geben. Sie kramte in ihrem Edeltäschchen, Brillanten hatte sie hinten im Haar. Es hätte ihr in der guten Gesellschaft gut gehen können. Aber sie trug eine alte Trauer in sich, den BuschGesang der Shona; manchmal träumte ihr ein zimbabwescher Blick auf den Sabi River, den sie selber nie getan haben konnte. Er war ihr vererbt wie der Jazz und der Blues. Als sie Angel nun den Geldschein in die Klaue drückte, sah sie hoheitsvoll an ihm vorbei. Sie brachte für Elend kein Mitleid auf; sie war davon gekränkt und ließ sich nicht kränken. Angel wiederum war ganz verdutzt über den Schein so plötzlich. Sah der Schwarzen nach. Wie sie davonschritt. Mit welcher Frechheit. Die hohen Hüften wiegten. Er konnte Schwarze nicht leiden. Ganz bestimmt war der Typ, mit dem Kim verduftet war, auch ein Schwarzer gewesen. Die Schwarzen waren schuld daran, wenn einer keinen Job bekam oder seinen Job verlor. Die Schwarzen und die Wohlfahrt. Die Leute von der HRA hatten alles bestätigt, was schon Angels Vater seinen Kindern eingebleut hatte, bis sie nicht mehr schrien des nachts. Zeigt Schwarzen und Sozialarbeitern euren Arsch! Und jede Silbe schlagbetont. Schwarzer um Schwarzer Faust um Faust Social worker um Social worker. Wieso also gab ihm jetzt die dieses Geld? Fast traute Angel sich nicht, es einzustecken, als haftete eine giftige Materie daran, das war ganz bestimmt ein hinterfotziger Trick; konnte sein, daß Jim sich mit der da verbündet hatte? Aber es siegte der Menschenverstand, und die Dollarnote wurde ins Hinterste der Hosentasche gestopft. Erst die Schuhe und der Anzug, sogar aus der Krawatte konnte einer was machen, und jetzt noch 20 $. Komischer Tag. Aber es blieb nicht viel Zeit, sich zu wundern, weil Angel merkte, daß die Blicke von drei Cops auf ihm weniger ruhten, als sich bereits an ihm zu schaffen machten. Einen seiner Kumpel hatten sie mit einem Gummiknüppel gefistet, langsam, eine Stunde lang, bis die Waffe zu Dreiviertel im Arsch gesteckt hatte. Eine Darmwand war gerissen. Bloß durch Zufall war die Sache aufgeflogen. Einer hatte sich zu dämlich angestellt und, als sie den Körper wegschaffen wollten, den Gummiknüppel rausgezogen. Da war dann überall dieses Blut gewesen. Angel hatte keine Lust, so zu enden, auch wenn es die Cops ihren Job kosten würde. Also verzog er sich wieder zur Seite. Mit paar Blicken hatte er die Situation sondiert: unmöglich, unbehelligt ins Untergeschoß zum Treffpunkt zu kommen. Niemand kam da jetzt hin; nicht einmal die Reichen durften durch, auch sie von Polizisten zurückgedrängt. Leute in Pelzen protestierten, Frauen in Mänteln aus Traum und Weiß, dazwischen lungerten Penner gequetscht, und Diebe in status nascendi nutzten die Gelegenheit, um sich zu üben. Hochgehalten über den Schultern schaukelten Musikinstrumente in schwarzen Kästen: Geigen Celli Trompeten Oboen. Es konnten auch Gewehre sein, es war zu voll, um das zu kontrollieren. Vier Penner schleppten ein Schlagzeug durchs geballte Volk. Man kam aber nur bis zu den breitmarmornen rampenähnlichen Abgängen; weiter hinab durfte niemand. Lautsprecheransagen. Das Untergeschoß sei heute gesperrt, Sicherheitsalarm, eine Bombe. So die offizielle Version. Als das laut wurde, schrie wer. Irgend einer gerät immer in Panik. Man werde den Bahnhof räumen. Verlassen Sie das Gebäude diszipliniert, es besteht keine unmittelbare Gefahr. Aber es war schon zu spät, die aufgequollene Masse wirbelte an Stellen zu dumpfen Fliehkraftshaufen, kleine Galaxien aus Panik drehten sich unvorhersehbar lösten sich Sterne Köpfe. Nur oben die Winterhimmelnacht blieb starr blieb eisig uninteressiert. Der Zugverkehr sei eingestellt heute, bitte sehen Sie davon ab, die ShuttleBahn zu benutzen, auch die Gänge zum F-Train gesperrt Sirenen von draußen? von drunten? trotzdem wälzte sich Masse, dort, hier, wälzte sich auf die behördliche Absperrung zu Polizisten Prallböcke Schilde. Angel sah zu, daß er unbeschädigt hinauskam, knickte nochmals ins Knie mußte fassen griff Stahlschlaufe hielt. Was war das verdammt? Er ließ sich an der Wand in die Hocke rutschen, wollte links die Hose hochkrempeln, nachsehn. „Sie dürfen hier nicht bleiben, stehen Sie auf!“ Der Mann, obwohl Polizist, wirkte freundlich. „Sein Sie so gut. Sie sehn doch, was hier los ist.“ Er bedachte Angels Schuhe mit einem langen schweigenden resignierten Blick: Der war noch nicht lang auf der Straße, wie schade es um diese Menschen ist! Jahr um Jahr sah er der Verelendung erbarmender zu. Daß man die Leute in SäuberungsAktionen aus der Stadt transportierte, löste das Problem ja nicht, zumal sie vor solchen Zugriffen sich nur immer tiefer eingruben in den Därmen der Stadt. Ob sie auch Kinder kriegten da unten? Ob diese Kinder je erfuhren, was ein Sonnenstrahl, was ein blühender Kastanienbaum ist? Blühten bei denen wohl andere Bäume? Das waren die Fragen, die Officer Villa aus Belmont, The Bronx, sich stellte. Wie alt mochte sie werden, diese unterirdische MenschenArt? Hatte auch sie einen Gott? Und Gott selbst? Kannte er die Maulwurfsmenschen? Der Officer half Angel auf. „Haben Sie Schmerzen?“ Aber Angel schüttelte die Hand ab; er ließ sich von Cops nicht berühren. Schon gar nicht sprach er mit ihnen. Sprach nicht mit Schwarzen, nicht mit Sozialarbeitern, besonders aber nicht mit Cops. Spuckte aus. Stieß den Bullen sogar leicht weg, und der ließ das geschehen ohnmächtig wehrlos sah er den StadtTramp weiterhumpeln und im Gedränge an den glatten Hochhauswänden der 42nd Street Richtung Library 5th Avenue verschwinden. Man hätte, um solchen wie dem zu helfen, das gesamte System umstürzen und auf die ChancenFreiheit verzichten müssen, deretwegen seine Vorfahren von Pozzuoli nach hier ausgewandert waren. Auf so etwas warteten die auf Kuba nur, das wußte Officer Villa auch. Und auch die Russen harrten ihrer erneuerten Stunde.

[>>>> Kapitel 51 (erste Fortsetzung).
ANH, In New York, Romananfang <<<<
Alban Nikolai Herbst, In New York, Manhattan Roman.]

albannikolaiherbst - Montag, 15. Juni 2009, 16:46- Rubrik: InNewYorkManhattanRoman
- 1538 mal gelesen
- 0 Trackbacks
[Kapitel 50 und 51 (Anfang) <<<< dort.] Angel strich entlang den Läden Cafés Sushi Bankfilialen gewischte Stein- und Glashygiene, die Massenstaus lösten sich im konventionellen Nachtbetrieb auf. Man wartete an der 5th das Grünlicht der Ampel ab. Gottseidank daß der Regen aufgehört hatte. Guck an: Nabokov. Angel kannte den Namen, weil Jim dauernd Nakokov las, auf seinem Catwalk das Podestchen neben der Matratze unter der Birne im Condo; die wackelte immer, wenn die Subway passierte. Ada or Ardor, Jim ließ niemals wen ran. Hätte ihm Angel von der Ausstellung erzählt in dem neoklassizistischen Prachtgebäude der Public Library, vielleicht daß Jim dann nicht zugeschlagen hätte. Aber vielleicht erst recht: Woher die Kröten für den Eintritt nehmen? Die gaben dir da einen solchen Tritt in den Arsch, daß du die Treppen runterkrachst. Und die Leute auf der 5th trampelten über dich rüber. Kein Buch der Welt war so etwas wert. Die enorme Wölbung des Hochhausgebäudes funkelte gläsernblau drin die Lichter der Fenster der andren Häuser im Haus in den Häusern achtmännerhoch: REVLON und eingerahmt nur zur 6th Avenue offen Bryant Park. Die Wiese dunkel und keine Stühle, Leute aber doch, die um die Pfützen des gepflasterten Umgangs unter Laternen Platanen flanierten an den gebauschten Säulchen der Balustraden Kofferradios Pfiffe hinter Mädchen jungen Frauen Kragen bis übers hochgereckte Kinn hochgeschlagen: Junge mach mich bloß nicht an! Auf- und abstolzieren aber taten sie doch so provozierend arrogant, aus den schloßturmartigen AppartmentHäusern bewacht gelb leuchtende Fensterchen Bögen tausend Kassetten, die den MinaturPark nach Norden flankierten. Paar Knutscher paar Tonnen Ziersträucher das Plateau zur 6th mit den beiden Kiosken Pizza Newspapers Cafè Italiano, dort endlich die Stufen zur Subway hinab. Angel kannte einen Zugang, der meistens nicht verschlossen war, weil sich dort Smithey immer paar Cents verdiente, indem er UBahnPassanten eine Abkürzung durch sein Wohnzimmer zeigte. „Hier entlang, das geht schneller“, und wenn erst mal e i n e r gegangen war... man stieg dann schräg über seine zusammengerollte Matratze und ignorierte den Kerzenstumpf auf dem verteerten Kasten daneben. Hätte sich jemand umgesehen, wären die paar Metalltreppen bemerkt worden, die Angel nun runtersteigen wollte. Unten verschloß den Eintritt eine Feuerschutztür, natürlich, man brauchte auch hier diesen Vierkantschlüssel. Aber vielleicht war ja offen, jetzt, wo der Zugang in die Condos unterhalb von Plattform 100 über den Bahnhof versperrt war. Angel war kaum der einzige von diesem Polizeieinsatz betroffene Konzertbesucher. Tatsächlich lehnte das schwere Durchgangsgitter nicht nur an, sondern starrte sperrangelweit mit seiner Schwärze ins Halblicht der Stationsplattform. Es war eine gierige, eine unentwegt Menschen schluckende Schwärze: paar CHUDs winkten je zur Seite mit schmutzigen Händen und Tüchern, die einen ganzen Strom von Leuten hereindirigierten ungeschieden edel ordinär Scheißer und Spucker und Gecken. Man sah sogar Feuerwehrer darunter, sogar Cops nicht zu kapiern ihr könnt doch nicht Spione so ins Geheimste lassen?! „Schnell! Schneller! Beeilen Sie sich!“ Ganz aufgeregt alle ein paar zum Wachen raufgeschickt Schmieresteher ob schon das Department anrückt. Hatten aber wohl noch nichts bemerkt, blieben auf die Grand Central Station konzentriert, ahnten nicht, daß wir die Schächte überall geöffnet hatten in Manhattan daß Netherworld heute den Tag der Offenen Nottüren hielt der offenen Feuerschutztüren: dahinter die Unendlichkeit. – Begriff man, worin hier eingedrungen wurde? Wäre ein einzelner mutig genug gewesen, ohne Not dieses Reich zu betreten? Gleichviel. Es drangen zu viele ein, als daß der Geruch nach verdorbenem saurem Essen hätte noch abschrecken können, der hinter der Metallpforte herrschte (hatte jemand gehört, w i e sie krisch, als man sie öffnete? niemand, nein) und den kein Besucher vor Tagen verlor, als hätten sich die Düfte eines üblen Wassers in den Nasenwänden eingehäutet. Es brauchte mehr als einen Schnupfen, es brauchte Spülungen, ihn hinauszuschwemmen mitsamt den ExkrementMolekülen Schweiß Urin, die Schmutzreste Menschenreste, man mußte sich entleeren auch untertags, Knochen schon versupptes Rattenfraß. Da mußten sie alle hindurch und gingen! Nicht nur die Ärmsten, auch Honoratioren Filmstars herrliche Künstler Bankiers sogar von Midtown Goldhändler Pelzhändler, die Diebe aus dem Barrio die Mafia Chinatowns und ganz von Südosten Brooklyn Odessa der Russen schick schwuchtelte Soho strebten Washington Square gegen Morningside Hausfrauen mit toupierter Zukerwatte auf dem Haupt Jugendgangs rotierende Hüften die Gepiercten AlphabetCities Latinos Loisaidas weggeschwemmte Depression. Alle sie, vereint mit distanzierter arroganter Kultur und dem mondänen Schick von East Side Central Park, Bodygards sicherten sie und ihre kleinen fleckigen Hunde an den strassbesteckten Leinen, im Schleifchen des ChihuahuaPudels blinkte der Brilliant, vorangeschoben von Rockern und Rockets, Punk und Petticoat, Dreadlock und Dandy, Rednecks Brokers Caballeros – ein unabgerissener Menschenstrom wälzte sich über Catwalks und Stiegen immer tiefer hinab: Man mußte Gleise überqueren paßt bloß auf mit den Leitungen, doch es zischte nicht einem der Fuß weg. Stets waren Ordner zur Stelle, wenn ein Zug sich näherte, den nur diese Ordner hörten: Sie hatten Ohren wie Fledermäuse, mit denen hatten sie sich gekreuzt und waren zur Gänze erblindet, aber wie jene und wie Höhlenantilopen flink, man wußte nie, ob jemand von ihnen in der Nähe war. Schweigen hatte sich über das Publikum gelegt, weil es ins Schweigen hineindrang. Gebirge aus Steinen wölbten sich auf. Die Wege waren schattig illuminiert Flackern Glitzern zuzeiten. Man konnte in Seitenröhren voller Juwelen schauen, ein Dunst wehte draus her: Wassergeister flatterten über dich weg, und die Spiegelung war vergessen. Sie lag Lichtjahre hinter dir. Nur noch das Knirschen unter den Sohlen der Hunderte Leute; nur manchmal ein erlösendes Lachen Gelächter, in den Seitenröhren sprangen die Stalagtiten davon. Opake Schichten hervorgequollen wie ein Wachs aus Stein begleiteten den Weg; an manchen Natursimsen blakten Lampen machmal Haushaltskerzen. Wieder Seitenschotts. Dahinter hüfttief der Gang. Mußten wir kriechen? Blieben welche zurück? Hunde bellten, es war eine Umgehung in die Wand geschlagen, sauber verfugt: die ersten Bauzeichen Neills, hier begann Under Manhattan. Aber kein Stadtschild kein Hinweis noch ahnte keiner die Neue Welt. Under Manhattan lag u n t e r Netherworld und reichte nur manchmal in es hinein. Es würde Netherworld zwischen sich und Manhattan erst über die Jahre zerquetschen. Nur in den Tunneln der Subway nicht in den Röhren der Kanäle noch denen der Wasserversorgung: dahinein wird, wer sich nicht zum Bürger einer der beiden Seiten erklärt - zur dunklen, zur hellen (doch welche ist wo?) - getrieben werden. Schon erste Stufen sogar zur Seite Geländer. Was war das für ein Stoff? Das Material warm wie geheizt es mußte niemand frieren. Staunen. Manche wollten stehenbleiben und sehen, aber es war nur verschattet, zumal die Menge, von hinten, drang nach. Schon über eine Dreiviertelstunde währte der Weg, dann öffnete sich eine Höhle beblitzt Halogen unten probte ein Jazzduo nur Trompete Schlagzeug Sentenzen. Man hatte die Carnegie Hall unter Carnegie Hall nachgebaut, aber betrat sie von oben; jetzt, da das Musiktal in der Höhe noch nicht geschlossen worden war, konnte, wer lauschte, die Untergrundbahnen der 6th Avenue das Firmament durchrasen hören. Es war nicht zu fassen: gigantische Arena und unten, alle die Sitzreihen Terrassen den Berg hinab, das KonzertPodium. Sinfonien der Tausend: so viele Stühlchen vor Notenständern und davor Michael Mantler, tatsächlich, der und Nick Mason im kammermusikalischen Probenlicht, aber das Ziehen das Pochen der Ton!: dann, als Jack Bruce durch die Stuhlreihen tritt, das Mikrofon nimmt, den Einströmenden entgegensingt hinauf rauh elegisch „alone in the mud yes the dark yes sure yes panting“ die langgezogenen Klagelaute „someone hears me no one hears me“: Da wird, wer eintritt, vollständig stumm. Auch stummges c h l a g e n, vom Drummer. In den oberen Gang münden Türen um Türen und aus allen Türen quillt es herein, wer drinnen ist, schweigt. So improvisieren unten die drei und oben der Menschenstrom reißt nicht. Links hinten, in Mitte des Rondells, eine hellstrahlende Loge verglast man sieht nicht hinein nur hinaus, darin sitzt Neill mit seinem Bauherrn Financier und drei Mädels aus LEGZ DIAMOND‘s: von denen ist Lissy an den Magnaten geschmiegt, einen hübschen jungen Burschen, den Erbschaft und Geschick haben stromlinienförmig gemacht. Er hat sich die Damen bei Martha bestellt, so erfuhr die von dem Konzert unter der Erde und daß Maestro Chopstick und Mantler... Sie hatte nur einmal die Braue gehoben, welch exzentrische Idee! da machte sich der Müßiggang jetzt bereits über die Mole People lustig. Eine weitere Kerbe hatte die schwarze Fürstin in ihr Gedächtnis geschnitten, aber die Mädchen doch freigegeben... es wird wohl jetzt aus dem ganzen sowieso nichts mehr werden, da doch Olsen im Krankenhaus, in einem für die Armen, liegt und niemals wird mehr ein Eßstäbchen heben. Was weiß sie von der Hoffnung, die der in diese Menschen legte, von seiner das Jenseits der Realitäten rührenden Kraft? Freilich haben auch in der Carnegie Hall die Leute gemerkt, etwas stimmt nicht, wo bleibt der Maestro? auch die Musiker sind kaum zu einem Drittel gekommen. Während Bruce singt „a few words yes a few scraps yes“ füllt sich das Orchester nur langsam mit den zerstörten Körpern dazu die Bässe bass drum zerfetzten Kleidern Vogelscheuchen Verkrüppelten Abgehauenen. Kinder, die nie eine Schule, Frauen, die nie einen Vater sahen. CrackKranke von AIDS in die Knie getreten und die Kranken aus den Staatlichen Psychiatrien, vor paar Jahren auf den Straßen ausgesetzt, weil der City Counsil kein Interesse an einem sozialen Gemeinwesen hat, Guiliani the Yerk, zuckend sabbernd Männer die schwanken vor schlechtem Schnaps ein Gloria der Prohibition aufgewachsen in den Hellkackskuben der Lower East über Hunderte von Metern soziales Wohnungsbauelend so nahe an Wall Street der Brooklyn Bridge für Touristen die staunen und „Aah!“ und „Wie herrlich!“ eine Taube die übern East River fliegt übern Hudson: ja w a s denn nun? EGAL! ach verlogen! VERLOGEN! denn keiner will sie hinterher gesehen haben: die roten verquollenen Mütteraugen die bis sie weich waren verkloppten Kinder Latinos Loisaida Ich will da sein wo man Messer sticht und schießt (Miguel Piñero ) He brought her to a low place
He sold her to a drunken bruteSo viele Stühle blieben noch frei, aber daß die Mißgestalten Instrumente aus den Kästen holen, sie ansetzen, daß sie Töne fabrizieren können mit diesen Fingern! Daß diese Menschen ihrerseits zu den Improvisationen blasen, die langen Bögen Mantlers unterstreichen, Masons synkopierte Drums synkopieren, das ist nicht faßbar, das spüren, die hereinkommen, gleich, es füllt den Raum, hallt wider in ihm: Es sind Töne Laute Akkorde es wird einem der Brustkorb eng wird weit: Das war ein Wunder. „Ladies and Gentlemen, how you doin‘?“ kam es von unten, rauh sprach Bruce ins Mikrofon, rauh rüttelte es an den Lautsprechern, die man nirgendwo sah. „We‘re glad to welcome you to listening to a wonder! Ladies and Gentlemen not to say: friends: This is Netherworld. Netherworld Under Manhattan!“ Und weiter geht es when I run when I run when I run over the grasauch Angel in die Halle gedrückt, mehr geschwemmt als gegangen... starrt bestürzt staunend mit offenem Maul in diese Riesenhalle nicht Kristallüster hängen unter der Decke, sondern leuchtende Tropfsteingebilde rosa Quarze blaue Kristalle dazwischen die Metallstreben Flutlicht so etwas hätte er niemals geglaubt. Und war doch Bewohner der Tunnel gewesen. Natürlich hatten sie sich erzählt von Under Manhattan während der Nächte, wenn du zu müde bist und Shacky ist wieder zu schlaff, die Birne drüben aus der Notbeleuchtung aus- und hier überm Schlafplatz einzudrehen, so haben wir uns die Angst vertrieben im Dunklen mit Angst aus Geschichten. Es war schön warm, den Kopf der Stadt hoch über uns, Hals und Schultern Schlüsselbeine sind die Straßen, man hört noch die Lungen die Subways fauchen, doch du bist ins Gedärm geschmiegt, und das Pochen des Herzens läßt die Versorgungsrohre klopfen. Wenn man dann nicht mehr weiß: ist diese Wand echt? ist das die lecke Sprinklerleitung, was so tropft? hab ich eben Stimmen von oben oder von unter mir gehört? dann kommen solche Fantasien, wie aus Fieber aus Träumen, sie sind aus einer Langeweile geboren, die dir die Zeit vertreibt. Schon will jemand - war es Josie? - noch über die Siebente Ebene hinaus tiefer hinabgeraten sein: Dorthin, wo Zivilisation nicht, sondern Evolution hat die Buchten in den Granit gesprengt. Wo ein Wasser entsteht, das niemals hinaufdrängt mit unbekannten blinden Fischen drin und kleinen Echsen oder Insekten, man weiß das nicht so genau, schmecken tun sie jedenfalls nicht. Dort habe Josie eine Tür gefunden; keine Öffnung, eine T ü r! Eine Stadt habe sich dahinter aufgetan mit Straßen Häusern Lampen Geschäften, doch niemand sei hindurchgegangen: Josie schwöre, sie sei die erste Frau gewesen - sie lachte: der erste Mensch! -, der das betreten; von denen abgesehen, natürlich, die es gebaut. Wir hatten ihr nicht geglaubt, aber schön war die Geschichte gewesen, Hamburger, die sich selber brieten wie bei Walt Disney, wenn die Fritten tanzend ins brodelnde Siedefett hopsen.
Was ging da unten vor sich?
Die Musik hatte aufgehört, die Musiker sprachen: berieten sie sich? derweil sich immer mehr Reihen füllten, noch war der Publikumszustrom nicht versiegt, manche hatten weite Wege hinter sich, waren, nachdem im großen Bahnhof abgewiesen, auch nach Norden gezogen, oder nach Süden, sie wußten ja nicht wohin. Eingestiegen über eine Station der Lexington Line, wo man normalerweise aufpassen muß, weil dort der Tunnelnachwuchs Jagd auf Tagler macht. Doch heute war der Eintritt frei, heute geleiteten einen die jungen Männer, ihre vernieteten Baseballschläger über der Schulter oder in Halftern an der Seite, eingeknoteten Schmutz in den Dreadlocks, durch erschreckend breite Lüftungsschächte, in die tags Licht aus den Gitterrosten fiel, die nun aber, im Dunklen, von nichts denn grün glimmenden Notleuchten erhellt waren, alle Gesichter wie an Wasserleichen blaß. Mit einem Mal schossen über die tief elegischen, nur von den Drums rhythmisch in Form gehaltenen Klängen helle Streicherakkorde, als wären es Fanfaren. Die riefen zu einem andren Konzert, nicht Klage mehr, sondern Feier: ein Lebensfest, das den Leuten ihre Not in die Augen trieb, bis sie nach Vorspiel aufs Haupthema mit den perligen Läufen eines jungen dicken Pianisten über Bäche dahinstürzte, tröstlich tiefer zum freiesten Fall von C-Dur. Es waren nun endlich genügend Instrumentalisten zusammen, um ganz ihrerseits zu zeigen, was in monatelanger Schulung - manche hatten zuvor niemals ein Instrument in Händen gehalten - der Maestro ihnen mit seinen Chopsticks beigebracht, wohinein er sie so versponnen trainiert. Leise dazu, abermals, Bruce: „Welcome to a wonder...“ Vorsichtig zerblies Michael Mantler über dem Mozart eine Trompetenbrise. Sie flatterte unhörbar fast davon, im Nacken wie ein Hauch gespürt, dessen Herkunft niemand findet. Da kann man die Fenster noch so sehr schließen und Deckenwülste vor die Fugen drücken. Die Pause vor dem Andante ohne jedes Geräusch. Unten die Musiker in ihren Lumpen sahen sich kaum an, sahen auch nicht nach vorne, weil ihr Dirigent ja fehlte. Vielleicht weinten sie, es ist nicht zu sagen. Der Pianist, kaum aus der Pubertät heraus und mit roten Lebertranwangen, wischte sich jedenfalls über die Augen, bevor er mit dem zweiten Satz begann. Leise schlurften aberneue Musiker heran in ihren Lumpen, nahmen Platz, holten die Instrumente heraus, legten sie sich auf die Knie und warteten, bis ein Niemand sie rief einzustimmen. Jeder wußte: auf den Maestro warten, das hat keinen Sinn. Wenn Olsen bislang nicht gekommen war, würde er gar nicht mehr kommen. Es war ihm etwas zugestoßen, man mußte nicht diskutieren. Die einzige Weise, ihn zu ehren, war: zu spielen was das Leben hielt. Und so spielten sie, vereint und ohne eine andere Leitung als ihr innerstes Ohr, man konnte es von den Berghängen schluchzen hören bisweilen, dann lachte wer. Angel hatte sich auf eine Treppenstufe gehockt, seinen Kopf schief auf den Handflächen, Ellbogen auf Knie, so hörte er zu. Welcome to a wonder: Wer hatte uns Ungeschickten Ausgerotzten dieses Spiel gelehrt, wer führte uns die Hand den Bogen? Wer machte es, daß unsre Finger links über die Stege rasten, als hätten sie niemals Frost abgekriegt, als wären sie nicht zahllose Male gebrochen und die Fingernägel rausgerissen, als die Wunde sich vergiftet hatte eitrig aufgeschwärt? Woher nahmen diese Menschen ihre Kraft, nicht an eine bessere Zukunft, an Gerechtigkeit und Jenseits, denn damit hatten sie abgeschlossen, doch an das Leben selbst zu glauben? Wer hatte dieses Glühen in sie gegossen, den lachenden Ruf von Klippe zu Klippe durch Böen in Augen: ein alter gebrechlicher Kauz namens Olsen, über den sich der halbe New Yorker Musikbetrieb eine Zeit lang nur amüsieren konnte? Tatsächlich er? Oder etwas – wer? - durch ihn hindurch? Schlußakkord in C-Dur.
PAUSE
(Applaus, zögernd, misterioso -
Applaus, molto energico - Erste Leute stehen auf -
Applaus, morendo, zerfasert)
Manche blieben sitzen, andere rannten ganz aufgeregt umher. Waren Reporter dabei? Sonst sind Journalisten doch immer zur Stelle... Man war nur sprachlos. Und was Neill in seiner Loge tat - ja daß er überhaupt da war -, spielte gar keine Rolle. Aber erstes Gerede durchlief die Hänge: daß Maestro Chopstick von der CIA verhaftet worden sei oder vom FBI, die Gerüchtler wußten das nicht so genau. Dann hieß es, er sei bloß angefahren worden. Der Pennbruder mit den Eßstäbchen? Tatsächlich? Ich war mal in der Good Shepherd Church dabei. Soff der nicht? Ich hab ihn vor der Met gesehen. Ist umgekippt in seinem Rausch. Lachen. Hat sich unterirdisch verirrt, nun dirigiert er den Ratten. Lauter solch Zeugs. Angel wußte nicht, worüber die Leute sich unterhalten, saß nur immer weiter da in seiner Schräge und dachte: Dafür hast du gelebt, das ist es, weshalb du alles ausgehalten hast über die Jahre, damit du hier dabeisein darfst. Er war glücklich. Aber er wußte nicht, daß er es war. Weder Wort noch Inhalt hatten mit ihm Bekanntschaft gepflegt. Er wollte nur nicht, daß dieses Konzert aufhört. Er wäre gerne während des Konzertes gestorben, so nahe war ihm alles Leben jetzt. Daß sich ein Schwarzer neben ihn hockte, war ihm ganz egal, nein, er mußte sogar lächeln.Treppenstufe. Selbst einen Sozialarbeiter hätte er neben sich geduldet, vielleicht auch einen Cop; aber da war er sich nicht g a n z so sicher. Und ahnte noch nicht, was nun auf ihn zukam, erst von Mantler und Freunden geöffnet, dann von Mozart ins Hören verführt. Der Bimbo sah ihn an, im augenweißen Unten rote Streifen. Eigentlich, dachte Angel, ist das eine wunderschöne Haut. Eigentlich hätte er sie gerne berührt. Aber er traute sich nicht. Der Schwarze nickte. Angel nickte dann auch. Sie sahen sich lange in die Augen. Dann konnte Angel nicht mehr, dann fing er an, sich durch die Augen auszuschütten.

[>>>> Kapitel 51 (zweite Fortsetzung).
ANH, In New York, Romananfang <<<<
Alban Nikolai Herbst, In New York, Manhattan Roman.]

albannikolaiherbst - Montag, 15. Juni 2009, 16:45- Rubrik: InNewYorkManhattanRoman
- 2087 mal gelesen
- 0 Trackbacks
[Kapitel 51 (erste Fortsetzung) <<<< dort.]Mantler blies crescendo: aus dem Unhörbaren hinauf, solo, lange, ins sichSetzen hinein; es wurde so still, daß wieder eine Subway ferne übern Himmel flog, man spürte ein Zittern in den Armlehnen; die Türen um die Saaldecke gedrängt voller Menschen, es waren nun doch noch Reporter gekommen, manchmal blaschte ihr Blitz. Auch Polizeieinheiten, hieß es später, hätten Wege hergefunden, sich tapfer durchgeschlagen, dann habe die Menge ihren Fortgang verstellt, man hätte denn die Leute in den zugestopften Schächten niederschießen müssen. Dafür gab es keine Befugnis, und wenn, es hätte sie keiner genutzt. Nicht wenige Cops, überdies, weigerten sich, überhaupt noch einzugreifen. Giuliani, alarmiert, soll geschrien haben vor Wut geometrisch hin- und hergewetzt downtown City Hall im Governor’s Room. Ach hätte doch auch er hören können! Und Martha? Was war mit Martha? Sie saß hinterm Publikum im Showroom und sah sich gelangweilt den Striptease einer Neuen an, nicht unbegabt die Kleine; ob sie auch mit einer Browning umgehen kann? während Mr. Thimble sich in einer Bar an einem Manhattan Mut antrank für nachher; er konnte ja nicht wissen, daß seine Lissy... zumal sich sein Geschick noch heute nacht verkomplettieren würde, ungut, wer sagt denn, daß das Leben gerecht ist? sonst hätt ich wohl kaum in meinem entdachten STAR HOTEL vor mich hinschnarchen können. Zwar nicht seelenvoll, weil sich dauernd der Safe auftat schloß wieder auftat. Es goß und goß aus ihm in meinen Schlaf, schon stürzte wieder ein Wasser über die Treppe vom Zweiten Stock in den ersten hinab und lief den Flur entlang zu der des Erdgeschosses, überhüpfte neuerlich Stufen und drückte sich unten durch die Türfugen auf die Straße, als blutete es Wasser, dieses Haus 300 der westlichen 30th Street. Auf meinem Nachtschrank tickte sich der Wecker gegen dreiundzwanzig Uhr voran, während noch im strömenden Regen übern Times Square InlineSkater flitzten, man konnte lesen Während alledies so weiterging und fraß und trank, in sich einstopfte, hungrig, ohne Besinnung aufs Entertainment gierend, das den Menschen ihre Freiheit bewies Gehupe Sirenen die roten Feuerwehrer, noch jetzt, im Regen RAGTIME CHICAGO CATS und Cats und nochmals CATS, Schirmdächer Frittenfett BBQ die hilflos feste Arche Noah, während die weißen Lincolns schwarzscheibig blinkblank schimmernd Prasselwasser pfützenspitzend lachende Blendax The Matrix Sean Connery Entrapment um Ecken bogen geduldig wartend The 13th Floor bis die Schwälle Touristen vorbei warn, überquert 45th St sie mochten gegenüber Marriott Marquis oben das Drehrestaurant zu 20 $ der Martini aus dem Tourist Office am Duffy Square gekommen sein, wo man unentgeltlich seine Email qua hotmail besorgte und Stadtpläne SubwayPläne HostelVerzeichnisse bekommt, aber nein es war wohl schon zu, sie scharten sich bloß um die Theater oder kamen a u s dem Theater Konfetti wurde im PANASONICScreen über die 42nd St geworfen wie Schnee Jubelfetzen wölbige Limousinen in Schwarz damals fuhren noch Doppeldecker in acht Schichten Zwiebeln und Catchup nach Wunsch jetzt wuselten Girlies aus RIESE’s und kreischten, während nur hie und da sich noch einer nach unten aufmachte, von einem Laut gelockt, der längst verklungen Mozart goes to town stieg durch einen Abfluß die Leiter runter und watete durch den Auffangkanal, während es von oben hupte schrie sirente Pop aus den Autoboxen, hat sich in New Carnegie Under Manhattan New York aus den gedehnten Streichern gedehnt die Violine gehoben solistisch eitel dieser Delmoni: Zigan spiel! Zurückgeworfen die Mähne stolz den Schnurrbart gesträubt, aber auch er weiß nicht, wer ihm gleich die Hand führen wird, schwitzt noch hat noch Angst. Angel starrt mit geöffneten Lippen hinunter, könnte er doch besser sehen! Nur e i n Auge reicht nicht. Er schließt es lauscht. An den Schwarzen neben ihm ist eine kleine Asiatin gekrochen, das Haupt unter dessen herrlicher warmer sehniger Hand. Frauen haben von solchen Händen geträumt, solche Hände begehrt und begehren sie weiter, dieses Kind schmiegt sich einfach hinein das schmiegt sich in Petterssons verlornen Gesang, der, kaum angekündigt, kündet: Ich werde nicht enden, von Sinfonie durch Sinfonie in dieses Konzert unter die Erde getragen und über Konzert und Erde hinaus, Melodiebögen geclustert aufgeschlagen vorangehauen verknüllt man möchte brüllen losbrüllen möchte man um sich schlagen, nicht nur die Armen, nicht nur die Gestoßenen, auch die die nie gestoßen waren, auch sie hat das Leben getreten, nur merken sie es erst heute, jetzt, hier, fast einhundert Meter unter 57th St oder einhundertfünfzig einhundertachtzig Meter, wenn sie näher am Podium sitzen, und sie kriegen gar nicht recht mit, wie sie der unaufhaltsame Tonstrom, der durch die Ohren Zwerchfell Brustbein in den Körper hineinfließt, entgiftet, indem er Arterien und Venen und Ganglien und jedes Organ zum Schwingen bringt, so daß sich Not und schlechte Träume, die in Wirklichkeit Wirklichkeit waren, endlich aus- und hinausschütteln lassen. Die Stühle auf dem Podium bis in den letzten Platz besetzt, Mantler und Bruce hocken vorne und haben die Knie an die Körper gezogen, Mantler die Trompete in beiden Händen, lauschend, Bruce singt brummend leise mit. Das kann man später auf der CD auch hören, dieses summende Gegraunze, heimlich hat Neill und gegen jede Abmachung mitschneiden lassen, was Under Manhattan vor sich ging. Ihn interessierte ja nicht, woraus das atmete, er wollte seine Vision demonstrieren: Zu Hunderttausenden wurde die Aufnahme in der Woche drauf unterm Ladentisch gehandelt. Es gehörte zum MarketingKonzept, daß dergleichen nicht offiziell existierte. Dabei hatte Olsen so recht: Niemand, im Nachhinein, konnte verstehen, was so besonderes gewesen sein sollte nachts unter Tage, wo doch nicht mal das ausgemacht war. Wahrscheinlich eine aufgemotzte StudioProduktion, mit der sich Bruce und Mantler ins Gerede bringen und verspäteten Anschluß an den Mischmasch der World Music finden wollten. Mystifiktion nannte die New York Times die CD und ‚Mogelpackung‘ stand im Village Voice. Indes die City Hall die Existenz von Under Manhattan ebenso bestritt wie seit Jahren die Existenz der Tunnelbewohner, die sie doch im selben Atemzug in den Schächten ausräuchern ließ: Container ratterten durch den Lincoln Tunnel nach New Jersey ins Leere. Es würde eine Razzia geben, im Gegenzug, bis in die sechste Erdschicht drangen die Kommandos vor, aber dann besorgte sich Neills Mäzen bei der höchsten Stadtverwaltung einen Termin, und die Angelegenheit wurde niedergeschlagen: sowohl die Recherche als auch jeder Tunnelbewohner, den man zu fassen kriegte. Die Cops faßten auch Angel. Aber nicht unterirdisch faßten sie ihn, sondern uptown bereits in einer der Höhlen, die, mit Aussicht auf den riesigen, silbern leuchtenden, wunderbaren Hudsonfluß hinterm Parkway entlang der Fernbahngleise in gesprengten Felsen nicht nur Zuflucht, sondern auch ein Licht gewährten, von dem sich etwas erzählen ließ. Er hatte sich seit dem Konzert nicht mehr auf die Straße getraut. Untertage war er durch Tunnel hierher geflohen, immer noch nur die Musik im Schädel, war in vergessene Kanäle vorgedrungen wie seinerzeit mit der ALLIGATOR PATROL. Aber Krokodile gab es nicht mehr. Dabei hätte er sich so gerne mit der alten Echse unterhalten, die sich von Benny Profane erwischen ließ. Er unterhielt sich nun mit ihr in seinen Gedanken und blickte dabei auf Schiffchen, die sich, als schwebten sie über dem straffen dahingestreckten Wasserspiegel, flirrend aufzulösen schienen. Es war warm geworden in New York. Freilich hatte es niemand gemerkt; aber damit, daß der letzte Ton des Konzertes verklang, verklang auch der Regen, als hätte die Musik den Himmel ausgewaschen, und eine Klarheit kam über die Stadt für Momente, die alleine die Liebespaare berührte, welche trotz Witterungsunbill stumm durch die Straßen geschlendert waren. Und paar Indianer, weggeschoben in die SüdBronx, hatten momentlang witternd die Nasen gehoben und gewußt: irgendwas ist geschehen. Die Häuser haben Wurzeln bekommen. Sie können sprechen und teilen sich mit. Idahoe S. Neill, der doch das alles ermöglicht, erfuhr davon nichts. Die kleine Asiatin unter der Hand des Schwarzen war eingeschlafen. Niemand bemerkte überhaupt, daß das Konzert vorüber war: die Bögen spannen sich einfach in den Menschen weiter. Die Halle war gedehnt wie ein Brustkorb, und Mantler Mason Bruce saßen und saßen. Das Publikum saß. Die Musiker wurden langsam wach. Arturo Delmoni ließ erst die Geige sinken, dann seinen Kopf. Bitte - jetzt b i t t e - keinen Applaus! Auf diese Idee wäre auch niemand gekommen. Delmoni hatte nicht selber gespielt, das wußte er, war viel zu unbescheiden, um sich mit fremden Federn zu schmücken: So hätte er den Bogen niemals führen können das tun so nur Götter und auch bloß dann, sind sie traurig. Eigentlich hatten die andren, die dort in ihren Lumpen, durch ihn, diesen Geiger, hindurchgespielt. Das Wunder aber war, daß ja auch dieses Orchester nicht spielen konnte, jedenfalls nicht gut, war ja „ein schlechtes eigentlich“, und hatte es dennoch getan. Denoch hatten Fingerkuppen Fingerglieder gesungen, hatten Gelenke sie singen lassen die Arme: die Seelen dieser Menschen waren Gelenke geworden und Sehnen Zentrales Nervensystem. Wie sich angeblich auf den Hypnotisierten die Fähigkeit des Hypnotiseurs überträgt, so hatte sich hier die Musik - und t a tsächlich, nicht nur ang e blich - aus den Menschen gebären lassen; es hatte so wenig gebraucht, daß dies geschah: Ein Jahr des Trainierens unter der visionären Wahnidee eines begnadeten Narren, manchmal hungrig, meistens durstig, und nicht mehr trinken durfte einer, weil sonst der Tremor nicht aus den Händen ging. Eigentlich hatte keiner gewußt, warum sie und er so etwas tat, was waren die Leute verlacht worden verulkt verhöhnt... - jetzt erst, da die Musik geendet, nein, bereits als sie erklang – und aus u n s! klang sie, kam ganz so aus der Tiefe, die in einem ist -, begriffen wir... nein begriffen nicht, aber ahnten, was sich durch uns ins Leben holte. Es war eigenartig gewesen, daß, je öfter wir unsere Proben hatten, mal in den Condos unter Plattform 100, in der Höhle unter Bryant Park und sogar gleich hinter Spring Street/Lafayette, desto mehr Musiker kamen; glauben Sie mir, für unsereins ist es nicht leicht, die Instrumente überhaupt erst aufzutreiben noch gar sie zu pflegen trockenzuhalten. Wie Kinder putzten wir sie, und als uns dann die Kumpel hörten, die uns anfangs für bescheuert hielten – ich hätte, wär ich nicht diesem Dirigenten begegnet, jeden anderen, der so etwas tut, auch für einen Irren gehalten -, - also, als sie uns hörten, da lachten sie n i c h t mehr, versuchten auch sie, ein Instrument aufzutreiben. Sie liehen es sich. Sie klauten es sich. Sie erinnern sich sicher: Es hat diese Serie von Brüchen gegeben. Wie? Bedauern? Warum soll ich das bedauern? Lächerlich! Sie sind ja nicht dabeigewesen, Sie können das nicht verstehen, was selbst die Schläger von Melrose verstanden, weshalb es dann zu einem so geordneten Abzug kam, niemand wurde verletzt, keine Panik brach aus, still waren die Schritte unter der Erde, als sich New Carnegie leerte. Unmöglich etwas zu sagen der Schwarze nahm seine Hand vom Kopf der Asiatin, die erwachte: mit weiten Kinderpupillen sah sie ihn an, sah dann hinüber zu Angel, wischte sich den Schlaf aus den Augen, lächelte, stand auf, rannte fort. Wohin? Wer weiß es? Angel sah ihr nach. Als er sich zu seinem Nachbarn zurückwenden wollte, war auch der fast schon fort: paar Stufen raufgeschritten drehte sich nicht wieder um. Verlegen hustete unten Bruce, er war seltsam heiser, hustete nochmals, räusperte und räusperte, wozu Mantler selbstgesprächig in seine Trompete blies. Auch Mason schlug zweidreimal mit den Besen auf die Becken, das rauschende Schleifen mischte sich ins Schlurfen der Tramps der Chuds der Tunnel Dwellers, die kehrten in ihr Verlornes zurück, denn sie hatten etwas verloren, jetzt wußten sie es auch: das hatte ihnen ein alter Narr geschenkt, nun hätten sie es halten müssen. Er selbst hielt es nicht, noch es ihn: Im Koma hatte er, vielleicht vierzig Takte, seine Musik ferndirigiert; die rechte Hand - Daumen-, Zeige- und Mittelfinger ein imaginäres Stäbchen führend - schwang am unmerklich gehobenen Arm. Dann senkte der sich. Und die Musik war aus. Mit ihrem Atem war auch seiner entwichen. Der Regen hörte auf. In der Halle rissen sich die Schönen Quartiere zusammen, richteten ihr Toupiertes, zupften auch den Hundchen die Ponys und hakten sich bei ihren Ehemännern ein.
Welch ein Zug unter den Straßen! Man kam sogar wieder im Grand Central Station heraus, längst war das Department abgezogen, nicht mehr als fünfsechs Officers hatte es zurückgelassen, jedenfalls waren die nur zu sehen: Sie schüttelten betreten den Kopf, als die City viertels aus dem Erdreich stieg aus der Nacht in den Tag der Grand Central Station und von dort hinaus in die Nacht. Doch selbst draußen war es so hell, daß man die Lider zusammenkniff. Welche gute Luft! Die hatte den Taxen Witterung zugeweht. So fuhr es gelb in Schlangen an schon knallten Türen Türen weitere Türen. Man wischte sich verwischtes Makeup von den Wangen. Angel blinzelte. Wie war das? Wo sind die alle hin? Wie bin ich hier hereingekommen? Ein livrierter Platzanweiser stand aus den Stufen gewachsen neben ihm, sah streng auf ihn herunter: „Sie müssen gehen. Haben Sie nicht gemerkt, daß die Musik vorüber ist? Sie können hier nicht schlafen.“ Mühsam richtete sich Angel auf. Der Livrierte verzog pikiert das Gesicht, als er den Geruch in die Nase bekam. „Hatten Sie überhaupt ein Ticket?“ „Ticket? Äh?“ „Lassen Sie sehen!“ Angel tat so, wie wenn er in seiner Tasche wühlte, tastete auch die Hemdbrust... nicht zu fassen!: er hatte eins. Starrte das Papierstück ebenso entgeistert an wie der verschnupfte Platzanweiser, der ihm, als der Berber dann möglichst schnell, damit das ganze nicht doch noch als Irrtum aufflog, davonhumpelte, hinterherrief: „Ja wo wolln Sie denn hin?! Raus geht’s da unten, hier oben komm‘ Sie höchstens aufs Dach.“ Von alledem ließ sich nichts verstehen, er war so voller Musik. Humpelte schlurfte hinkte die ganzen Treppen hinunter. Da stand noch die feine Gesellschaft und ließ sich in die Mäntel helfen. Er spuckte aus. Er trat auf die 57th St, vom Central Park flossen die hellen Abblendlichter die 7th Avenue hinab. Es war zu naß, um in den weiten Grünanlagen eine Zuflucht zu suchen. Angel schleppte sich ans letzte Stückchen Broadway, das bereits im Dunklen lag, er kannte einen Durchschlupf unter Columbus Circle, von dort kriegte man Zugang in einen stillgelegten Tunnel, der nicht sonderlich kommod, aber doch behelfsmäßig war. Zumal von dort die Kanäle und Schächte in den Norden führten. Denn dahin wollte Angel nun.
[>>>> Kapitel 52.
ANH, In New York, Romananfang <<<<
Alban Nikolai Herbst, In New York, Manhattan Roman.]
albannikolaiherbst - Montag, 15. Juni 2009, 16:43- Rubrik: InNewYorkManhattanRoman
- 1614 mal gelesen
- 0 Trackbacks
[Kapitel 51 (zweite Fortsetzung) <<<< dort.] Nun, auf seinem nervös gepeinigten Weg zur 54th, kam ihm Angel entgegen, aber die Männer erkannten sich nicht. Wie Scherenblätter, so waren ihre Welten auseinandergegrätscht innerhalb der letzten Stunden. Mr. Thimble blieb stehen, als die gebeugte, ein bißchen drohende Gestalt da so übern Broadway schlurfte. Vielleicht war dieser Obdachlose aggressiv. Bei denen wußte man nie. Aber der Kerl sah nicht hoch, Mr. Thimble wankte seines Weges unbehelligt weiter. Er hatte eine solche Angst vor Clarissa und sehnte sich so nach ihr. Noch d r e i Straßen zwei... noch e i n e... Er konnte den Baldachin ins Dunkel glimmen sehen, darunter einen Livrierten, nicht aber die Schlägertypen, die straßenwestwärts zusammenballten und schon beratschlagt hatten, ob sie nicht wieder abziehen sollten. Man hatte sie geleimt, da war niemand gekommen, auf den Taliskers Beschreibung paßte. Dabei hatten sie große Lust drauf gehabt, heute noch wen aufzumischen.
Talisker seinerseits hatte verschlafen, war glatt über das Sirenen des Weckers drübergepennt und irgendwie dann doch hochgekommen. Es war schummrig im Zimmer, auf der Decke spielten die Lichtreflexe von der 8th Avenue und das blinkende Rot einer Ampel drüben. Von unten hoch quasselte Kroppzeugs lachte brüllte: ’ne Keife keifte die ganze 30th St entlang, bis sie zu weit weg war, um durch das Rauschen der Autos noch gehört zu werden. Talisker hatte einen ziemlich blöden Kopf von den Träumen, von dem Safe und einer lästigen Musik, zog eine Zigarette aus der halbzerknüllten Schachtel, die auf dem Nachttisch lag, das Zündholz ratschte blendete tat einen Zug und stellte sich, die Beine rutschten vom Bett, allmählich wieder her. Zog sich an, holte die Pistole aus dem Nachttisch und machte sich auf.
Das Wasser im Flur war abgeflossen, auf den Stufen nach draußen bloß Pfützen; der Belag allerdings wie ein versumpftes Holz. Man mußte immer sehr heftig ziehen, damit die Eingangstür zuging: dreivierfünfmal und mit Schmackes. Krach. Krach. Na komm schon!: Knall. Hatte er den Schlüssel? rieselnd Momentschreck. Ja, hier. Einer stieß, als er sich umwandte, fast mit ihm zusammen, drei Finger und MayoPommes zwischen den Zähnen. Die Mayo kleckste runter, er schimpfte, Talisker hatte momentlang Lust, ihm die Faust in den Magen... wär dann aber nicht schnell genug weggekommen, denn drüben, Ecke MANHATTAN INN und THE 8th AVE GOURMET MARKET, stand ein Cop und langweilte sich an einem StyroporBecher rum, den rechten Fuß angewinkelt gegen die Hauswand. Seinetwegen war auch die AsiaNutte nicht zu sehen, die sonst da lungerte und Kaugummi fraß, bis sie was anderes zu kauen kriegte. Talisker hatte ziemlich Glück, weil drüben grad der M10er kam, der den ganzen Westen Manhattans entlangfährt, von South End übern Central Park bis hoch zum stinkenden Harlem River. Mit gehobnem Arm rannte er rüber, stopte den weißblauen Bus und stieg ein. Ich fahre, schätzte er, dreivier Stationen. Woher hatte er die MetroCard? Er steckte sie beim Fahrer in den Leseschlitz, steckte sie immer falschrum rein, genervt guckte der Mann ihn an. Endlich stieg er wieder aus und bog grad in die 54th<7SUP>, als auch drüben Mr. Thimble kam und sich die drei Jungs aus dem Staub machen wollten. „Da ist er doch“, sagte Talisker ohne weitere Begrüßung, gab bloß mit Kinnicken die Richtung an und fügte bei, als sie schon kehrtmachen wollten: „Hier, nehmt den.“ Verdutzt starrte einer in seine Hand, grinste dann, das Baby schmiegte sich angenehm ein. „Na dann“, sagte Talisker. Er freute sich auf die Show. Die drei schoben auf Mr. Thimble zu. Der hatte Talisker erkannt und winkte. Wankte, weil die Schläger kamen, wußte nicht, ob abhaun, ob auf ihn warten. Talisker verstand ihn nicht, aber hörte, wie’s sich auf Mr. Thimbles Lippen ratlos „Mister... Mister...“ hauchte. Die Schläger passierten den Türesteher, der hatte sein WalkyTalky SCHON an den Lippen, bekam einen Hieb das Sprechgerät flog im Bogen und schepperte vor der sich öffnenden Tür eines Taxis auf, das vor LEGZ DIAMOND‘s stoppte, als der Livrierte hinüberkrachte und, im Eingang zum Lift des Stripschuppens liegend, keine Luft mehr bekam: punktgenau hatte der Schlag den Solar plexus getroffen. Die Situation war insgesamt heiter, aber alles ging viel zu schnell. Denn nicht nur entstiegen dem Taxi Clarissa und ihr Freier, Neills Mäzen, jener stromlinig hübsche Erbe, der die junge Dame nach dem Konzert mit der Ausicht einer glücklichen Zukunft gekrault hatte, die aus drei Kindern und einem Haus auf Long Island bestand, dafür öffnet die realistische Frau ihre Schenkel, sondern eben auch die Bodyguards, und die stiegen nicht aus, sondern sprangen. Jemand schoß, meine Schläger oder die Gorillas, wen interessierte das? Jedenfalls die Mutlinge kriegten eine riesige Angst und rannten los, noch zwei Schüsse, dann waren sie, über den in die Knie gegangenen Mr. Thimble, davon. Neills Mäzen hatte sich umgedreht, war wieder ins Taxi, fauchte die Gorillas bei Fuß. Eh man überhaupt nur begriff, was passiert war, hatten die sich schon, so fett sie auch waren, ins Taxi zurückgehuscht, das startete durch. Motorjaulen Wasser spritzte wer hupte eine Sirene drüben blinkte insistentes AmpelGelb. Dann war es wieder so still, daß man den unterm Baldachin Niedergestreckten weiterhin und erfolglos um Atem ringen hörte. Clarissa stand in dem Blinken direkt vorm Bordstein auf der Fahrbahn und griff sich an den Kopf, sah von Talisker zu dem hechelnden Livrierten zu Mr. Thimble, der, noch immer auf seinen Knien, aber nun beide Hände links auf die Weichen gedrückt, etwas zu sagen versuchte, das aber nicht schaffte, sondern Blut spuckte, ein etwas schäumendes Blut, das von alleine nicht ablaufen wollte, sondern seine Mundhöhle immer weiterfüllte. Nur durch die Finger rieselte es, als hätte in dem erkaltenden Mann ein warmes tiefschwarzes Öl gekreist. Es brauchte eine Ewigkeit, bis Mr. Thimble seine knieende Haltung und damit das Bewußtsein verlor. Die Sirene verklang in der Ferne. Clarissa stand weiter am Bordstein, sprang ihrem Mann nicht bei; aber immerhin sah sie ihm jetzt zu, sagte „Mickey“, wiederholte es, doch weder Trost noch Vorwurf klangen darin. Schließlich kippte Mr. Thimble nach vorne. Fiel nacheinander auf Arme Stirn Gesicht. Der Bauch sackte nach. So blieb der Körper liegen, eigenartig verkrümmt. Clarissa rührte sich nicht. Der Türesteher hatte aufgehört zu hecheln, lag in Ohnmacht hineinventiliert. Jemand mußte was unternehmen, irgendwann kam mit Sicherheit Polizei ein Passant kämen paar Stromer. Deshalb tat Talisker die Schritte zu Mr. Thimble hinüber, schritt an Clarissa vorbei. Mit dem Fuß drehte er den Dicken herum und bückte sich mit durchgedrückten Knien, also klappte sich, ohne zu hocken. Ganz offenbar hatte es Mr.Thimble im Seitenbauch erwischt; der Schuß war vielleicht durch den Magen, vielleicht durch die Niere, vielleicht auch noch andre Organe gegangen. Zu machen war da nichts mehr. Talisker durchwühlte den Mann. Fand Ausweise Kreditkarten Börse paar Briefe Münzgeld. Die rechte Innentasche voller Dollars. Er steckte alles ein. Sonst noch was? Eigentlich hätte Talisker, so hart war er aber noch nicht, ihm das Gebiß zertreten müssen: sonst werden Tote zu schnell erkannt. Denn natürlich würde sich eine Spur finden lassen, die direkt zu Clarissa führte. Jedenfalls konnte sie nicht mehr arbeiten hier. Das mußte ihr jemand beibringen. Imgrunde war es Talisker wurscht; er wollte sich nur nicht den Abend vermiesen lassen. Wandte sich vom Leichnam weg, auf den die Frau immer noch starrte, rührungslos, eine Schaufensterpuppe. „Wir müssen hier verschwinden“, sagte Talisker. „Ich weiß“, sagte sie. Er fragte: „Weißt du, wo du bleiben kannst heute nacht?“ „Ich habe ein Zimmer hundertachtzehnte Ecke Morningside.“ Er schüttelte den Kopf: „Man wird dich suchen.“ „Aber ich habe doch gar nichts getan...“ „Du glaubst, danach fragt wer? Du bist 'ne Nutte.“ „Das hat doch damit nichts zu tun!“ „Ich nehme dich erst mal zu mir.“ Sie zuckte mit den Schultern. Sie wollte sich hinlegen, ausziehen und nehmen lassen, wollte einfach geschehen lassen, was über sie kam. Ohne eine Regung. Ohne auch nur den Impuls, sich zu wehren. Sie hätte sich auch schlagen lassen. Vielleicht fühlte sie dann wieder was. Er drehte sie an der Schulter weg, sein Unterarm, der gegen ihren Rücken drückte, drückte sie in drei erste Schritte. Dann gingen sie zu einer nächtlichen 8th Avenue voller Schattengestalten: Penner in Eingängen auf Pappestücken Mänteln Decken, Crackdealer vor den Deli’s, paar Straßentänzer Latinojungs um ihr schepperndes Cassettendeck aus Plaste und Blech. Noch waren die Straßen naß. Talisker war sich sicher: Mit der kann ich heut anstelln, was ich nur will. Mal sehn, wie weit es sich gehn läßt. Es war mir nicht um i h r e, sondern um meine Grenzen zu tun. Morgen wollte ich ihr das Geld ihres Mannes geben und sie in die Wüste schicken. Dort kann sie sehn, wie sie zurechtkommt.
Wir zogen die gesamte Avenue bis zur Penn Station runter, von aufgeblendeten Autoscheinwerfern bisweilen blind oder Flektionsringe vor den Augen Schattenstreifen Lichtpunkte: laufende Neonsignale rotgrünblau rings um die Peepshows massive fette Pommesgerüche. „Willste was essen?“ Keine Reaktion. Ich dirigierte sie über die Straße, auf meiner Uhr waren fast fünfundzwanzig Minuten vergangen. Ich wollte es hinauszögern, daß ich sie benutzte, das war ziemlich erregend. Also schob ich sie rüber in den Moley Wee Pub irisch-einverständiges Grüßen: stummes, fast bewegungsloses Nicken. Die Rednecks kippten ihr Smithwicks. Eigentlich hätt ich leichtes Spiel gehabt, die Profession zu wechseln. Lissy war ja wirklich hübsch, man mußte nicht mal was machen aus ihr. So hätten wir paar Wochen sicher überstanden. Bis sie sich was einfängt. Spätestens dann muß sie weg. Ich bestellte zwei Martinis. Der Ire: „Gin oder Wodka?“ Ich: „Gin oder Wodka?“ Sie: „Wodka.“ Ich: „Einen Gin einen Wodka.“ Als sie ihr Glas an die Lippen setzte, sah sie mich plötzlich hellwach an. Es war, als hätte ihr jemand einen Schleier von den Pupillen gezogen. Und im nüchternsten Tonfall, der sich denken läßt, gestand sie mir, sie habe Mickey immer geliebt. Alban Nikolai Herbst, In New York, Manhattan Roman.
[ANH, In New York, Romananfang <<<<]

albannikolaiherbst - Montag, 15. Juni 2009, 16:41- Rubrik: InNewYorkManhattanRoman
- 1783 mal gelesen
- 0 Trackbacks
[Hier nun sämtliche bisherigen Kommentare. Dies ist der Beitrag auch für weitere Diskussionen.
ANH, 19. 6. 2009.]
albannikolaiherbst - Montag, 15. Juni 2009, 16:39- Rubrik: InNewYorkManhattanRoman
|
|
Für Adrian Ranjit Singh v. Ribbentrop,
meinen Sohn.
Herbst & Deters Fiktionäre:
Achtung Archive!
DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT wird im Rahmen eines Projektes der Universität Innsbruck beforscht und über >>>> DILIMAG, sowie durch das >>>> deutsche literatur archiv Marbach archiviert und der Öffentlichkeit auch andernorts zugänglich gemacht. Mitschreiber Der Dschungel erklären, indem sie sie mitschreiben, ihr Einverständnis.
NEU ERSCHIENEN
Wieder da - nach 14 Jahren des Verbots:
Kontakt ANH:
fiktionaere AT gmx DOT de
E R E I G N I S S E :
# IN DER DINGLICHEN REALITÄT:
Wien
Donnerstag, 30. November 2017
CHAMBER MUSIC
Vorstellung der neuen Nachdichtungen
VERLAGSABEND >>>> ARCO
>>>> Buchhandlung a.punkt
Brigitte Salandra
Fischerstiege 1-7
1010 Wien
20 Uhr
NEUES
Die Dynamik
hatte so etwas. Hab's öfter im Kopf abgespielt....
Bruno Lampe - 2018/01/17 21:27
albannikolaiherbst - 2018/01/17 09:45
Zwischenbemerkung (als Arbeitsjournal). ...
Freundin,
ich bin wieder von der Insel zurück, kam gestern abends an, die Wohnung war kalt, vor allem ... albannikolaiherbst - 2018/01/17 09:38
Sabinenliebe. (Auszug).
(...)
So beobachtete ich sie heimlich für mich. Zum Beispiel sehe ich sie noch heute an dem großen Braunschweiger ... Ritt auf dem Pegasos...
Der Ritt auf dem Pegasos ist nicht ganz ungefährlich,...
werneburg - 2018/01/17 08:24
Pegasoi@findeiss.
Den Pegasus zu reiten, bedeutet, dichterisch tätig...
albannikolaiherbst - 2018/01/17 07:50
Vom@Lampe Lastwagen fallen.
Eine ähnliche Begegnung hatte ich vor Jahren in...
albannikolaiherbst - 2018/01/17 07:43
findeiss - 2018/01/16 21:06
Pferde
In dieser Nacht träumte ich, dass ich über hügeliges Land ging, mit reifen, dunkelgrünen, im Wind raschelnden ... lies doch das noch mal
dann stimmt auch die zeitrechnung
http://alban nikolaiherbst.twoday.net/s tories/interview-mit-anady omene/
und...
Anna Häusler - 2018/01/14 23:38
lieber alban
sehr bewegend dein abschied von der löwin, der...
Anna Häusler - 2018/01/14 23:27
Bruno Lampe - 2018/01/11 19:30
III, 356 - Merkwürdige Begegnung
Seit einer Woche war die Wasserrechnung fällig und ich somit irgendwie gezwungen, doch noch das Postamt ... Bruno Lampe - 2018/01/07 20:34
III, 355 - … und der Gürtel des Orion
Epifania del Nostro Signore und Apertura Staordinario des einen Supermarkts - Coop. Seit dem ersten Januar ... Bruno Lampe - 2018/01/03 19:44
III, 354 - Neujahrsnacht e dintorni
Das Jahr begann mit einer unvorgesehenen Autofahrt bzw. mit der Gewißheit, mir am Vormittag Zigaretten ... albannikolaiherbst - 2018/01/03 15:16
Isola africana (1). Das Arbeitsjournal ...
[Mâconièrevilla Uno, Terrasse im Vormittagslicht
10.32 Uhr
Britten, Rhapsodie für Streichquartett]
Das ...
JPC

DIE DSCHUNGEL.ANDERSWELT ist seit 4968 Tagen online.
Zuletzt aktualisiert am 2018/01/17 21:27
IMPRESSUM
Die Dschungel. Anderswelt
Das literarische Weblog
Seit 2003/2004
Redaktion:
Herbst & Deters Fiktionäre
Dunckerstraße 68, Q3
10437 Berlin
ViSdP: Alban Nikolai Herbst
HAFTUNGSAUSSCHLUSS
Der Autor diese Weblogs erklärt hiermit
ausdrücklich, dass zum Zeitpunkt der Linksetzung keine illegalen
Inhalte auf den zu verlinkenden Seiten erkennbar waren. Auf die aktuelle
und zukünftige Gestaltung, die Inhalte oder die Urheberschaft
der gelinkten/verknüpften Seiten hat der Autor keinerlei Einfluss.
Deshalb distanziert er sich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten
aller gelinkten /verknüpften Seiten, die nach der Linksetzung
verändert wurden. Diese Feststellung gilt für alle innerhalb
des eigenen Internetangebotes gesetzten Links und Verweise sowie für
Fremdeinträge in vom Autor eingerichteten Gästebüchern,
Diskussionsforen und Mailinglisten, insbesondere für Fremdeinträge
innerhalb dieses Weblogs. Für illegale, fehlerhafte oder unvollständige Inhalte und insbesondere für Schäden, die aus der Nutzung oder Nichtnutzung solcherart dargebotener Informationen entstehen,
haftet allein der Anbieter der Seite, auf welche verwiesen wurde,
nicht derjenige, der über Links auf die jeweilige Veröffentlichung
lediglich verweist.
|