[Probenfotos im Text: Wolfgang Silveri.
Aus dem Saal: ANH/iPhone.]
Um es erstens vorwegzusagen: Nein, das ist n i c h t werktreu. Wenn Calixto Bieito eingeladen wird, ein Musiktheater zu interpretieren, dann weiß man das. Wer in eine seiner Interpretationen hineingeht, weiß es ebenfalls. Denn darum handelt es sich bei ihm prinzipiell: um Auseinandersetzung sowohl, was eine der Bedeutungen des Wortes Interpretation ist, als auch um Deutung, was eine andere ist. Im Fall des Freischützen ist das in keinem Fall mißlich, ich konnte mich sogar manch starken Seufzers einer absoluten Erleichterung nicht enthalten. Ich mag den Freischütz nämlich nicht, mochte ihn noch nie; dennoch kann ich ihm einigen hohen Respekt nicht verweigern. Jemandem, der auf das Brett dieser Ambivalenz gestreckt ist, nimmt >>>> Bieitos Inszenierung nicht nur den Schmerz, sondern sie ist befreiend. Was er etwa aus der berühmten Jungfernkranz-Weise macht, kann ich gar nicht anders, als es genial zu nennen – ein Stück, das an Verlogenheit auch musikalisch nur noch von Wagners Blumenmädchen überboten wird, der eben das, gerade auch die Verlogenheit, von Weber übernommen hat.
Das ist ohrenfällig, aber auch in den Stärken; daß der und wie er von Weber herkommt, mehr als von irgend einem Beethoven, ist im Freischütz geradezu schlagend mitzuhören, manchmal aber eben auch zum Kotzen. Sogar der von v. Weber sicher nicht bewußte, aber decouvrierende Kalauer „Leid oder Freude: beides ruht in deinem Rohr“ nimmt auch musikalisch Wagner vorweg. Schauderhafterweise steckt bereits das >>> Glaubensbekenntnis der US Marines darin: „This is my rifle, this is my gun.“ Ob wohl die kleine Szene, in der Maxens Mutter auftritt - „Mama“ sagt er schlammbedeckt – ebenfalls auf Wagner anspielt?Ich hab' eine Mutter;
Herzeleide sie heißt:
im Wald und auf wilder Aue
waren wir heim.
Parsifal, I.
Im Freischütz: „Durch die Wälder, durch die Auen“.
Indes, ganz unabhängig hiervon, ist das Stück als eine Art Nationaloper der Deutschen hinlänglich bekannt, und wer es bislang noch nicht kannte, wird es spätestens bei der Nachbereitung intensiver kennenlernen, als eine sogenannt traditionelle Aufführung dafür überhaupt die Grundlagen könnte legen. Denn wir werden von Bieito auf eine Weise nicht nur für die Verlogenheit, nämlich eine ideologisch hinter ihm stehende scheinnaive Anthropologie des Librettos sensibilisiert, sondern so sehr auch für die der Musik, daß kein Mensch mehr solcher Naivetät sich erfreuen kann. Vielmehr legt Bieito frei, was hinter ihr tatsächlich wirkt. Das ist kein angenehmer Befund. Man wird sie nicht minder bestialisch finden als das, was auf die Jägerromantik, historisch, folgte: für das, was zu v. Webers Zeit noch „deutsch“ gewesen sein mag. In der Tat wird hier deutsche Geschichte verhandelt, und zwar ihre seelische Motivgeschichte. Das ist, wenn eine Interpretation so etwas leistet, schon einmal viel, vor allem dann, wenn jegliche bloß aufgesetzte, „aufklärende“ Didaktik in der Intensität der, sagen wir, Interpretations-Immanenz nicht nur der Bühne verwiesen wird, sondern dramaturgisch auf ihr verglüht.
Bieito inszeniert keine Lehrstücke; er bleibt am Material. Und wenn ihm etwas daran so wiedersprüchlich ist, daß von Verlogenheit gesprochen werden muß, scheut er sich weder, das kurzerhand zu streichen, noch, durch eigene Einschübe ein anderes, oft grelles, Schlaglicht darauf zu werfen. Wie schon Ferrucio Busoni mit dem Faust, und nach dem Thomas Mann, streicht Bieito Goethes Erlösungsversprechen durch; das entspricht, die Thomas Mann schon kannte, den geschichtlichen Tatsachen. Deshalb wird bei Bieito Der Freischütz zu einem Blut- und Hämespiel - nicht dem seinen, bewahre!, sondern dem der Protagonisten, die hier das deutsche Volk sind. Daß sich das auf andere Länder übertragen läßt, ist dabei nicht von Interesse. Hier wird eine Nationaloper verhandelt. Wobei man selbstverständlich a u c h weiß, daß auf des Katalanen Bühnen mindestens einer immer entkleidet werden wird, oder eine. Sich darüber aufzurüsten, ist bigott, ob seitens des Publikums, ob im Hause selbst. Bigott wäre hier aber schon geödetes „Mußte das denn sein?“ - Ja, es mußte. Einmal abgesehen davon, daß diese Inszenierung in vorauseilender, schon ihrerseits so absurder Correctness-Sorge, daß es ans Bizarre grenzt, erst ab 16 Jahre „empfohlen“ wird – als hätten nicht längst alle erst Dreizehnjährigen auf ganz andere Darstellungen von Brutalität Zugriff, sei es über einschlägige, unmittelbar zugängliche Internetforen, sei es über die übrigen Medien. Die „Empfehlung“ entspricht der Verlogenheit des von Bieito als furchtbaren Gewaltzusammenhang entblößten Biedermeiers. Das wiederum entspricht unserer eigenen unmittelbaren Gegenwart und indiziert, wie nötig solche Bearbeitungen sind, wie Bieito sie jetzt abermals vorgelegt hat. Jedenfalls schriebe man besser „Empfohlen unter 65 Jahren“; man wär der Wahrheit näher dann – dessen, was man befürchtet wie die hier eben gleichfalls wirkende Verlogenheit eines gewollten Naiven.
Allerdings wird Bieitos Modernität bereits in den Texteinschüben klar, die er zusammen mit der Dramaturgin Bettina Auer aus dem Libretto teils um- wie teils auch gänzlich neugeschrieben hat. Das Stück ist ja gelegentlich mehr als eine Oper Singspiel. Der frische Ton fügt sich geradezu atemnehmend randlos in das Stück; nichts ist hier „nur gewollt“, nicht einmal Pablo Nerudas Gedicht „Der Jäger im Wald“, das Bieito zu Beginn der eigentlichen Oper, nach der Ouvertüre, im Wald herumstolpernd sprechen läßt. Dann erscheint, exakt zum Einsatz der Hörner, ein schnüffelndes wirkliches Wildschwein, das ziemlich lässig von einem - wie zu erfahren war, Leipziger - Wollschwein gespielt wird. Bieito kalkuliert da selbstverständlich bereits ein, sein Publikum mit solchem Zoo erst einmal zu amüsieren, so daß er solchem Pavlov den Reflex gleich zweifach kann im Magen herumdrehn: zum einen, wenn johlend und ballernd die Jäger erscheinen, indem das dann geschossene Schwarzwild nicht länger noch vom Wollschwein, sondern nun von einem Menschen dargestellt wird, den man sprichwörtlich, um es im Jägerdeutsch zu sagen, aus der Decke schlägt – und die Frauen des volksfidelen Chors rühren dazu in den Eimern, die ihnen an den Armen hängen, Blut. Damit es nicht gerinnt - doch unsers: Wenn wir denn aufmerksam sind und nicht in die Abwehr verfallen, zu der Gelächter eben a u c h gehört. Und während man sich viehisch am Blutrühr vergnügt und das nunmehr Menschenschwein zerlegt wird, geht die Musi lustig ab. Jäh kann das unterbrochen werden und wird es auch: „Max, du Versager“ schreien sie im Massenchor und zeigen auf ihn, ihn nicht verspottend, nein, sie kotzen über ihn die ganze Häme aus, deren Menschen irgend fähig, wenn sie so zusammen Volk sind.
Das ist nicht bewußt gerichtet, sondern es geht um Häme-selbst. Eine der größten Momente dieser Inszenierung führt das so dringlich vor, daß einem das Herz stehenbleibt. Mitten im launischen, hier ins beklemmend Karne(‚carne‘!)valeske hochgetriebenen Brautfernlied kriegt plötzlich eine von denen den Blues, und leise klagt sie, nun 43 zu sein und keinen Mann mehr abzukriegen. Woraufhin sich die gesamte Häme von Agathe, die ihr die Stirn zeigt, abwendet und auf diese neue Schwache stürzt: kreischend mitleidlos. Und sogleich ertönt der berühmte Jägerchor.
Mit solchen Konfrontationen macht Bieito immer wieder, hartnäckig, den eigentlichen Gewaltzusammenhang klar und – wo das Böse denn e i g e n t l i c h steckt: eben nicht im Teufel, den er deswegen aus v. Webers Oper zur Gänze hinausstreicht. Sie braucht ihn nicht getrennt, nicht als von sich weggedrängtes Phänomen, sondern es ist in den Menschen selbst, sowie sie Masse sind. D e shalb kommt Samiel nicht gesondert vor. Bieito bindet die Einzelfiguren an ihre Entscheidungen zurück; wenn Kaspar von Menschenopfern spricht, die er dem Teufel präsentiert, wird das bei Bieito faktisch: Kaspar mordet und gießt die Freikugeln direkt aus dem Leib seiner Opfer.
Als nun auch Max mittut und seinerseits ein Opfer „bringt“, ist das jetzt nicht mehr die Handlung eines, der aus Not seine Seele verkauft, sondern vielmehr Initiation. Erst durch diesen Akt macht sich Max würdig, in die Jägergemeinschaft mitzugehören, die bei v. Weber für die bürgerliche Gesellschaft steht. Den Teufel da noch, geschweige als treibende Kraft, auftreten zu lassen, bedeutete, ihrer Ideologie auf den brutalen Leim zu gehen. Und wer Samiel ist, nun, wer das im Publikum nicht weiß - schon der Alterswarnung wegen sitzen da nicht Schüler -, hat sowieso die eigene Kultur schon längst verloren und ist dem, Adorno, universellen Verblendungszusammenhang entblößter ausgeliefert, als es Max im ganzen Dritten Akt gewesen.
Das ist eine ungeheure und ungeheuer wahre Interpretation. Zu der sich ungeheure Bildideen addieren, etwa wie die Jägermeute der Agathe einen toten Hasen, quasi als Geburtshohn, in die Arme legt. Sowie dieser „Realisierung“ von „echter“ Natur auf einer Bühne und die Umsetzung des Verviehens eines jungen Mannes, der eigentlich unschuldig liebte. Das darf er nicht bleiben, unschuldig. Die Schwäche daran ist in der Gemeinschaft nicht überlebensfähig; doch mit dem Gießen der Freikugeln, also dem Pakt mit dem eigenen inneren Teufel, vertiert der Mensch.
Was man bei Bieito eben bildlich sieht. Die ganze Rolle wird jetzt nackt gespielt, nur verschmiert mit einem Schlamm, der einerseits nicht ungefähr an Kot erinnert und damit für den >>>> autoritären Character steht, der einer jeden Zwangsgesellschaft notwendige Voraussetzung ist. Andererseits liegt in Maxens nackter Erscheinung auch ein Stück Utopie: insofern sie enorm an die des Wollschweins erinnert, das zu Anfang das Wildschwein gespielt hat. Das geht bis in die Körperhaltung, worin Kraft und Unmittelbarkeit und eben auch ein schuldloser Trieb sind. Vincent Wolfsteiner spielt das derart überzeugend, daß die einzige Stelle der Oper, worin Sexualität zugelassen sein kann, zumal einer Frau, unendlich anrührend wird: nämlich in Agathes Traum.
Dort nimmt Wolfsteiner bisweilen sogar die Form eines Fauns an, wie wir sie von klassischen Abbildungen, vor allem aber Statuetten kennen; es ist lediglich ein bißchen zu bedauern, daß sich eine Erektion nicht auf Geheiß erreichen läßt, sonst wäre der Eindruck perfekt gewesen. Die Utopie aber ist die, sein zu dürfen, wie man ist, der Geschlechtstrieb als Geist über den Wassern, dann nämlich – Liebe. Daß dies unmöglich ist und Traumbild bleiben muß, führt diese Inszenierung, gleichsam im Nebenbei, zusätzlich vor.
Angesichts einer solchen Größe kann ich nur meinen Hut ziehen. Man mache sich nur einmal klar, aus welchem S c h m o c k der Regisseur das herausholt.
Zu dem gehört das vermittelte Frauenbild, das auch bei Schiller schon unerträglich war. Drinnen waltet die züchtige (!) Hausfrau. Alle internalisierte Zwangsphobie wird darin als den Männern bequemes ObjektIdeal verklärt, die Frau zum kleinen Mädchen degradiert, das sein Geschlecht nicht kennt und, wo sie etwas davon spürt, sich schuldig und beschmutzt fühlt. Dem entspricht das unerträgliche, ja widerliche Herumgetändel der entsprechenden Musikstücke, dieses scheinkindliche Geschlenker mit dem kompositorischen Handtäschchen am melodischen Handgelenk, und in den Harmonien zipfelt das von Rührtränen betunkte Spitzentaschentuch. Es ist dieselbe Brutalität, aber duftgepudert. Das durchzieht den gesamten Freischütz. Bieito – und hier wirklich kongenial der Dirigent, Patrick Lange, der neuerdings exakt wie der junge Wagner aussieht – konterkarieren das mit dem immer wieder sehr laut ausbrechenden Gelächter, dem Gefeixe, dem Rumgeschieße, dieser ganzen entbundenen, aber einer in der Volksgemeinheit aufgehobenen ewigen Vorpubertät losgelassenster Vandalen: primitiv, ordinär, haßerfüllt, zerfressen von der sich am Zertreten Schwacher einen runterholenden hypostasierten Minderwertigkeit. Daß das die Textur der Oper nicht stört, sondern sie, collagierend, im Gegenteil kompositorisch aufwertet, ist eine der herausstechendsten Leistungen der musikalischen Interpretation. Man kann von einer musikalischen Choreografie sprechen. In sie gehört auch die lautsprachliche Darstellung der meisten Frauencharactere; etwa wirkt Ännchens albern dauerfieses Lachen wie tatsächlich hineinkomponiert. Hier haben, spürt man, Dirigent und Regisseur dasselbe Ziel vor Augen.
Es ist ja nicht leicht, ein schlüssiges Dirigat des Freischützen vorzuführen, weil – ungerechterweise, doch es ist so – jede Interpretation an >>>> Carlos Kleibers Referenzaufnahme von 1979 gemessen werden muß. Patrick Lange wird sie mit Sicherheit kennen. Entsprechend zupackend legt er seine Vorstellung auch an, in den Rahmen des Gegebenen selbstverständlich; er muß das Szenische stärker als Kleiber, der mit anderem „Material“ umging, in die musikalische Durchformung holen. Was ihm bewundernswert gelingt, ihm und, selbstverständlich, seinen Musikern. Der bei Kleiber intendierten Reinheit stellt Lange einen Gegenentwurf gleichberechtigt zur Seite; es ist höchst fraglich, ob unter Kleiber solch eine Gegenwart der Darstellung möglich gewesen wäre, auch wenn er gewiß als reines Klangerlebnis, also eben ohne Szene, das der Komischen Oper übertrifft.
Das gilt auch für die Sänger. Wolfsteiners stupende Darstellung ist schon erwähnt; stimmlich ist aber er so wenig Peter Schreier wie Ina Kringelborns Agathe die der Gundula Janowitz. Ja, es ist bitter, Mandarinen mit Orangen zu vergleichen, doch mediale Wirklichkeit, daß man es tut, will man nicht pädagogisch loben. Was nämlich herablassend wäre. Wohl aber hat Frau Kringelborn unter anderem das Gebet atemraubend klanggestaltet, und die Orchesterbegleitung nahm sich dafür alle Zeit der Welt. Immer präsent, klangvoll wie szenisch völlig glaubhaft, Carsten Sabrowskis Kaspar. Ein gutes Ännchen singt Julia Giebel, die auch noch den Vorteil hat, das Bieito sie gegenüber v. Weber emanzipiert, wenn auch meist in fehllaufenden Aktionen, die ihr Gemeintes, die Emanzipation, dauerveralbern – was durch das Rebellische in ihr eine Reaktionsform eben i s t, oder sagen wir: in der durch sie vibrierenden Aggressivität. Als sie die fahrenläßt, beim Jungfernkranzgesang, wird die Frau zum Opfer sofort selbst. Rein stimmlich derart tadellos allerdings, daß ich beinah aufschrak: Günter Papendell in der kleinen, aber feinen Partie des Fürsten Ottokar.
Buhs und Jubel gaben dem Applaus einige Farbe. Man wird und kann sich über diesen Freischütz also streiten, vielleicht bald auch >>>> hier drunter. Vergessen aber wird man ihn nie.
Carl Maria v. Weber
DER FREISCHÜTZ Romantische Oper in drei Aufzügen.
Libretto von Friedrich Kind.
Dmitry Golovnin, Vincent Wolfsteiner, Ina Kringelborn, Carsten Sabrowski,
Julia Giebel, Alexey Tihomirov, Günter Papendell, Christoph Späth,
Hans-Peter Scheidegger.
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin.
Patrick Lange
Auch wenn das Staatstheater, seit es seine Linden verlor, nunmehr die im Schillertheater schon vorher begonnene Linie fortsetzt, für sogenannte Premieren ein Haus des Gastspiels zu werden, obwohl man eigentlich über ein mehr als nur famoses Ensemble verfügt und es außerdem in dieser Stadt nicht wenige Köpfe gibt, die große, dem Niveau der ehemaligen Lindenoper angemessene Inszenierungen auf die Bühne zu bringen vermöchten,
- weiters unerachtet des Umstands, daß sich Gastspiele so doch auch nennen ließen und gerne mehrfach wiederholt sein dürften, wofern die Qualität und/oder Besucherwünsche es erheischten, - mit einer eigenständigen Staatsoper hat das aber nichts mehr zu tun,
- ferner des Umstands unerachtet, daß nun ganz gewiß keine neun Jahre alte Inszenierung die Bezeichnung „Premiere“ mit Recht noch sollte tragen dürfen,
- sowie jenes, daß der Hausherr selbst ein Regisseur ist, für den es wunder nimmt, daß ihm Neues nicht mehr einzufallen scheint, wenn er doch solch ein Instrumentarium an die Hand bekommen hat, daß es manch anderen Regisseuren, weil sie vor Ideen platzen, vor Sehnsucht Tränen in die Augen treibt,
- also dieses alles beiseite, war >>>> das gestern abend – ich besuchte die zweite Vorstellung – musikalisch einfach nur wunderbar. Welch eine Klarheit dieser musiciens und welch eine straffe und zugleich einfühlsame Führung, die auf den Stab verzichtet hat, des Dirigenten Schlagstock; statt dessen das tiefe Einvernehmen aller, man wolle innig musizieren... - Und welch ein Solistenquartett! Charles Workman, der die Zeit gab, gehört zu jenen Sängern, die betören, wie mir s o immer noch von Jeffrey Francis im Ohr - das war 1996, Händels Semele unter Jacobs -, weil ihr heller Schmelz völlig ohne Schmalz ist und schon gar nicht das zuckrige Knödeln kennt, das manchen Belcanto so dubiöst, und Workman hebt an und könnte sogar schmettern; sie legt sich einem aufs Herz, diese männliche Stimme, als wäre sie gehöhlte, schützende Hand. Das gibt gerade dieser Partie etwas Mefistofe‘les, zumal Workmans Erscheinung auch körperlich sehnig und schlank ist, so daß hier eine Jugend hinzukommt, die seinerzeit schon Falk Struckmanns Wotan verführerisch machte; nix von altem Papa war da noch, als den die Rolle gern verunstaltet wird, wenn auch aus Mangel an jüngeren Sängern, die ihr gewachsen sind.
Und mehr noch, viel mehr! Oh, Delphine Galous eleganter, fast tänzerischer Disinganno, der die zu dekonstruierende Schönheit umstreift wie ein Wind, in dem die Erlenköniginnen singen, Schönklangssirenen, doch aber der Entsagung, weitest in den gewölbten Obertönen bei leicht tiefer Grundierung – und schließlich Sylvia Schwartz, die wirklich monroesche Schönheit des Abends, deren Sopran sich nur zu Anfang etwas mühte, aber schon nach kurzem strahlte, bis sich in ihrer Schlußaria, um sich von der Welt zu wenden, ein jeder Ton allein noch auf sich selbst gestellt bleibt, wie wenn er konzentriert an sich lausche.
Da hatte Inga Kalna es schwer, die das Vergnügen sang. Ihre Schuld war‘s aber nicht, denn sanglich stand sie gänzlich bei den anderen. Sondern der Regisseur hat es versäumt, dem Casting Paroli zu geben. Wenn so ein Vergnügen nämlich backen wird wie die Hausfrau montags am Herd, ist etwas tüchtig schiefgegangen. Gegen die Chameure hat eine solche keine Chance. So daß man schon verstehen kann, wenn die Monroe den Einflüsterungen der eleganten Versucher erliegt. Nur daß es außer diesem so nicht inszeniert ist. Man hatte vielmehr den Eindruck, Jürgen Flimm habe sich, wie weiland Händel vor Clemens des IX., vor Benedikt des VI. Zensur in acht nehmen müssen. Jedenfalls hätte Josef Ratzinger an dieser Inszenierung eine solch betäubende Freude gehabt, daß es ziemlich wunder nimmt, weshalb die Staatsoper das Stück nicht bereits im vergangenen September gegeben. Als Anschluß an seine Rede vor dem Deutschen Bundestag hätte das prima gepaßt.
Zwar läßt Flimm im Programmheft vermerken, gegen die Entsagung der Schönheit zugunsten einer Nonnenkutte spreche deutlich die Musik. Und das ist wahr. Indes verfolgt er völlig katholisch den Oratoriumstext ganz wie ein Knecht – es gibt rein keine szenische Distanz. Nur die beiden Mefistofelchens geben dezent einen Hinweis. Das Stück ansonsten bleibt Erbauung ohne Unterleib.
Da hilft auch Erich Wonders prächtige Bühne nicht, in Sachen Art Deco aber ein Glanzstück. Nur daß die übrigen Akteure, die ja eigentlich anderes nicht zu agieren haben, als daß sie herumsitzen müssen – das eben tun: herumsitzen. Die Szene ist ein Tableau, dessen Figuren aber nicht legieren. Fast hilflos wirkt‘s, wenn mal vier Leute aus dem Schnee die große Bar betreten, auch gehen sie wie Marionetten und gehen so rückwärts wieder hinaus. Das wiederholt sich. Und der schöne Einfall, den bühnenlangen Tresen dieser Bar als Catwalk zu nutzen – von Schönheiten übrigens, die, wie insgesamt die Kostüme, des Hinblickens allemal wert sind -, - dieser Einfall geht in die Knie, weil die Damen einfach nicht gehen können. Aus jeder Modenshow würden sie, so, hinausgeworfen. Hinten und vorne stimmt nicht die Choreografie; und weil ich schon mal am Mäkeln bin: wer hinter die Bar tritt, ohne dafür ermächtigt zu sein, der gibt einen aus. Das ist die Regel. Flimm scheint sie nicht zu kennen. Denn ein paar kleinen Mädchen die Schwänzchen, des Haares, zu bürsten, hilft da als Ausrede nicht einmal dann, wenn uns allen >>>> Canisius noch erinnerlich ist. Außerdem waren‘s da Jungs.
Bisweilen aber gibt es ein Bild, das nachgeht. Etwa der alte Mann, der, im zweiten Teil des Abends, eine Puppe in den Händen hält und sie zwanzig, dreißig Minuten lang ansieht, als säh er selbst sich als Baby und könnte das so wenig fassen, daß er erstarrt. Aber insgesamt erzählt uns der Regisseur einfach nicht, was denn an Wahrheit die Schönheit soll gesehen haben, daß es sie derart in die Kutte treibt. Die Bühnenbilder I und II sind rein identisch: da muß etwas Inneres sein, was diese junge Frau dazu bringt, ihre Jugend, weil sie doch eh vorübergehen wird, ungeduldig schon gleich jetzt zu enden - so wie einer, dem ein Infarkt prophezeit ist für in, sagen wir, achtundzwanzig Jahren, um dem zuvorzukommen, sich schon gleich jetzt, zum Beispiel elektrisch, totschlägt – kurz: so inszeniert, ist das Stück Ketzerei, nämlich gegen das Leben, und prüde bis zur Trockenheit. Nimmt man Flimms Meinung von jener Händels ernst, er, Händel, habe die Aussage, nämlich die Botschaft seines Heils- und klösterlichen Erweckungssstücks musikalisch konterkariert, dann hat er, Jürgen Flimm, hier Händel gelästert, nämlich die Musik szenisch unterlaufen. Eine Audienz ist ihm, in Rom, nunmehr sicher. Doch auch >>>> Der Wachturm sei bereits für Schillers Glasfoyer um einen Standplatz eingekommen. Derweil hat Opus dei neue Libretti in Sichtung, die möchten bitte, wird inquisitorisch empfohlen, weltliche Texte künftig ersetzen, zum Beispiel den der Lulu von Berg.
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Il trionfo del Tempo e del Disinganno Oratorio von Georg Friedrich Händel
Inszenierung Jürgen Flimm, zusammen mit Gudrun Hartmann - Bühnenbild Erich Wonder
Kostüme Florence von Gerkan - Choreographie Catharina Lühr - Licht Martin Gebhardt
Dramaturgie Ronny Dietrich und Detlef Giese.
Sylvia Schwartz - Delphine Galou - Charles Workman - Inga Kalna
Les Musiciens du Louvre · Grenoble
Marc Minkowski
Wieso hält sich so etwas vierundvierzig Mal seit der Premiere, und anderes, das in die neuere Geschichte der Oper dringend hineingehörte - etwa >>>> Benedikt von Peters Fidelio -, wird nach kurzem abgesetzt? Nur deshalb, weil man den Kleidern eines restlos nackten Kaiser die Honneurs gibt - hier heißt er Neuenfels -, um mit bei Hof im Haus zu bleiben? Anders kann es gar nicht sein, wie ich überhaupt in den letzten Jahren nicht eine einzige Inszenierung dieses... ich k a n n Regisseur dazu nicht sagen... dieses... dieses... egal --- nicht eine einzige Inszenierung sah ich von ihm mehr, die nicht peinlich gewesen wäre. Da wirkt offenbar eine Art schon mumifizierter Pubertät, die Neuenfels selbst und seine Claquers indes für theaterrevolutionär halten wie 17jährige den adoleszenten Motzertrotz. Bei denen gehört sich das auch so; für einen mittlerweile Siebzigjährigen ist es fatal. Doch ginge man drüber mit Nachsicht hinweg, stellte diese losgelassene, und hochdotierte überdies, Regression nicht ein Unglück nach dem anderen an. Das, und nur das, war vorgestern abend tragisch zu sehen, bizarr-tragisch aber und ärgerlich. Die Oper selbst war es nicht, auch wenn wir etwas anderes hörten.
Wie nämlich sich verhalten? Jeder Buh-Ruf trifft die Sänger, trifft das Orchester und den Dirigenten, die aber alle taten, was immer sie nur konnten. Der eigentlich zu Meinende sitzt längst in seinem Zuhause doch und stopft sich voll mit Honoraren; da schert es ihn nicht mehr und schert ihn auch wohl nie, daß er sein Ensemble hat in die Wüste geschickt, auf daß es sich lächerlich mache wie Alfredos alter Herr, dem Neuenfels ein dickes Kreuz umgehängt und den er mit einem Klumpfuß ausgestattet hat, damit wir an den Teufel denken. Wann immer dieses Bühnenmensch mit einem Symbol daherwinkt, von dem wir nicht gleich wissen (weil wir‘s zu gut wissen), was es soll, gilt Neuenfels‘ Gesetz des jeweils billigsten Gemeinten. So grob kann etwas gar nicht sein, daß es nicht herbeigezerrt werden müßte. Deshalb bekommen wir im vierten Akt auch Stierhoden zu sehen, nackte, aber rosa, die einem Zuhälter aus dem Schritt baumeln, bevor er draufhaut und ein Altmännerschwanz draus wird, der an Berliner Currywürste ohne Darm erinnert. Ich konnte die angeödeten Seufzer gar nicht zählen, die da durchs Publikum raunten. Ganz entsprechend muß auch Alfredos Vater über die Bühne, als hätte er in die Hosen gekackt und kriegt, sie wenigstens zu wechseln, aktedurch die Zeit nicht. Characterzeichnung? Nebbich!
Dabei, welch eine Rolle ist das eigentlich... wie sich in dem alten Germont die wirklich so empfundenen Interessen seiner Familie mit der Liebe seines Sohnes überwerfen, wie er auf dem Alten, Althergebrachten beharrt und tatsächlich dabei auch die Zukunft Alfredos im Auge hat, wie er dann aber, schon bei seiner ersten Begegnung mit der Traviata, allmählich versteht und versteht, was Tragik ist, und wie ihn dann die Reue, spät, zu spät überkommt – all das steckt in dieser Partie und kann in die sangliche Gestaltung finden; welch ein Reichtum, welch ein Konflikt und welche Not.
Das interessiert Neuenfels aber nicht. Sondern er will seine halbstarke Ideologie, halb ist sie einfach nur so dumm, daß man von dämlich sprechen muß, weiterverbreiten, egal, was in dem Werk steht und vor allem: was ein Sänger wäre zu gestalten vermöge - ließe Neuenfels ihn denn. Der Mann ist für sämtliche Sänger:innen die reine Katastrophe und hat noch nicht mal Unterhaltungswert, so klebrig ist das alles. Tom Erik Lie jedenfalls hatte keine Chance. Deshalb mußte er sich auch, schon klar, proletisch besaufen, weil bekanntlich das die Weise ist, in der jede höhere Bourgeoisie ihre Konflikte löst; innere Kämpfe kennt sie ja nicht, vor allem aber keine Haltung. Die hat der Proletarier allein. Noch zum Sterben Violettas nimmt da Germont einen Schluck. Und w i e sie stirbt! Liegt dabei doch in den Armen Alfredos, müßte nur leicht davonsinken – alle Peinlichkeit, die wir von Sterbeszenen in der Oper kennen, wäre erlöst. Aber Neuenfels kriegt es auch da noch hin, daß es richtig einen Rums macht. Er müßte die Sterbende nur noch letztmals flatulieren lassen, um eine tiefere Publikumsergreifung zu bewirken.
Das geht bei den Massen-, bzw. Chor- und Tanzszenen aber schon los. Wo Verdi an die Stimmung der Cancans denkt und sie musikalisch imaginiert, wird bei Neuenfels gestolzt, gestelzt, gepinguint und, logisch, rumgemickymaust – fast alle seine Choreografien reiten in über die Jahre immer ausgedörrterer Manier auf seinem Triumphmarsch von 1980 herum, deren Aida eine Putzfrau gewesen. Seither putzfraut er sich durch, immer für Skandälchen gut, die ihn in den Medien halten – etwa bei dem musikalisch wunderbaren, inszenatorisch indes unsäglichen Idomeneo an der Deutschen Oper, 2003 hier in Berlin. In Frankfurtmain hat er sogar >>>> Penthesilea vernichtet. Achilles war das mißlungen.
Es wäre deshalb nicht minder ein brutaler Unfug, als seine Inszenierungen sind, über dieses Menschen „Arbeits“versuche auch nur noch ein einziges Wort zu verlieren, gäbe es nicht doch eine nennenswerte Tragik dabei. Wie nämlich Brigitte Geller versucht, mit welcher Intensität und Liebe zum Charakter, den sie darstellt, mit welch einem herzrührenden Sangesklang mitunter, - wie sie bemüht ist, vielleicht doch noch dieser Oper alles Recht zu ersingen, das sie hat, - wie sie sich freimacht von Neuenfels‘ Unerträglichkeiten, alleine noch auf sich als Violetta Valéry konzentriert, welche Würde sie noch da verstrahlt, als Alfredo längst zum Holzfäller wurde, Neuenfels‘ sensiblen Griffen ganz ein Bild, - wie sie dann gegenüber dem hosenvollen Harlekin, als den man seinen Vater gibt, zu klagen weiß, nicht nur um ihrer selbst, sondern auch um seinetwillen, des Sängers wegen, dem der alte Germont derart grob verweigert wurde, - ja b e i d e Rollen will sie singen und gestalten, die Geller, a l l e Rollen, wenn es sein muß, allen die Intensität zurückerstatten, für die der Regisseur vielleicht zu blau gewesen ist... - das, und wirklich, war tragisch an diesem Abend. Daß so etwas gelingen ja doch nicht kann. Aber dadurch, genau solch einer praktischen Vergeblichkeit halber, schien doch noch mal ein weniges Traviata auf. Und als der Geller an einer heikelsten Stelle, im vierten Akt, dann zweimal kurz die Stimme brach, kamen mir die Tränen. Welch eine Liebe zu ihrer Rolle, sogar dieses zu riskieren! Und daß sie es dann abbekommt, wie die... wie sie.... - so sehr ist sie Traviata da geworden. Auch die mag keine Stimme gehabt haben, deren Druckkraft Häuser wie das der Deutschen Oper füllte, doch die Geller gleicht das mehr als aus – mit einer, nämlich, unendlichen Kunst der Tongestaltung und melodischer Einfühlung, vermittels der Gestaltungsschönheit also, die man grad auch auf Großen Bühnen selten findet. Für ein Haus wie die Komische Oper ist diese Sängerin ideal: Ihretwegen geht man hin. Und zeigte einmal mehr, warum und wie zu recht. Nur mangelt‘s ihr vielleicht an Partnern.
Großartig nun aber das Orchester auch, für das der Weggang StClairs das große Glück bedeutet hat, Patrick Lange zu bekommen. Man kann nur hoffen, er bleibe dem Hause lange erhalten. Dann könnte das, zu beiderseits und unserem Gewinn, musikalisch für den Anfang eines Kurses stehen, von dem man eines Tages als von eine Ära spräche.
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LA TRAVIATA Oper in drei Akten von Giuseppe Verdi. Libretto von Francesco Maria Piave.
Deutsche Textfassung von Walter Felsenstein.
Inszenierung ... Hans Neuenfels Bühnenbild ... Christof Hetzer
Kostüme ... Elina Schnizler Dramaturgie ... Bettina Auer Chöre ... André Kellinghaus
Licht ... Franck Evin Regiemitarbeit ... Susanne Øglænd.
Brigitte Geller - Karolina Gumos - Elisabeth Starzinger - Caren van Oijen - Timothy Richards - Tom Erik Lie - Joska Lehtinen - Hans-Peter Scheidegger - Adam Cioffari - Rosen Krastev - Matthias Siddhartha Otto - Matthias Spenke - Christian Natter.
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin.
Patrick Lange.
Ich kann nicht anders, als >>>> dies eine exemplarische Aufführung zu nennen, bei der einem besonders im dritten, dem abschließenden Akt manch ein Schauer den Rücken hinunterläuft, - politische Schauer vor allem. Weil ich denken mußte: so geht Geschichte, geht über die Opfer einfach hinüber, bringt noch schnell die Väter um, nachdem die Geliebte aufgehangen ist und allezeit dort hängenbleibt, und wendet sich der Tagesordnung zu, die so brutal bleiben wird, wie sie schon immer war. Dazu das harmonisch aufgedonnerte, zunehmend hohl wirkende, schließlich schreckenerregende Getöse staatshymnischer Machtinszenierung, der das Volk immerfort beispringt, gleichermaßen in Angst, ja Panik vor den nächsten terroristischen Übergriffen, denen man selbst zum Opfer fallen könnte, seiner Führer, wie bereit, deren Gefolter, liegt man nur selbst nicht auf der Streckbank, jubelnd beizuspringen, um sein Gaudi dran zu haben, ständig schwankend hin und her zwischen Klage über Gewalt und der Begeisterung daran : bekäme man nur selbst von einer Macht die Finger, man wäre bräche die der andren, die dann schwächer, ja träte ihnen die selbst erlittene Not noch mitten in die Fresse – dazu ein tenörig derart jubelnder Held, daß fast schon von einer Persiflage müßte gesprochen werden, wäre alldies nicht derart wahr: blind für die Liebe seiner Nahen, daß man es -wütig nennen müßte, wär es denn nicht so kalt. Die sich für ihn geopfert hat, Liù, hängt da noch aufgehenkt, als er, der siegreiche Calaf, darunter hintritt und trägt der eroberten Prinzessin, die Anlaß dieses Unheils war, das Brautkleid seiner von der Härte eines Täters erhitzten Leidenschaft zu.
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Man kann darüber gar nicht diskutieren, so wahr ist diese Inszenierung, und zwar mit und gegen Puccini, der selbstverständlich seinen Hörern alles harmonische Futter gab und die großen Gefühle; doch in dem Stück ist selber angelegt, was Lorenzo Fioroni an der Deutschen Oper Berlin aus ihm herausgeholt hat: freigelegt hat, will ich das nennen. Dabei funktioniert sein Konzept noch immer, fast zweieinhalb Jahre nach der Premiere, und zwar bis in die Details der Personenführung hinein. So etwas ist vor allem dann extrem selten, wenn in der Zwischenzeit, wie hier und nach zwei Jahren völlig normal, die Besetzung sich geändert hat. Sie steht heute der Premiere in nichts nach. Atemberaubend souverän Carl Tanners als Schreipartie berüchtigter Calaf, voll menschlicher Hingabe, die ihr Selbstopfer (aber wozu, fragt man sich: für solch einen Arsch?) einschließt, und enormer Wärme in der Stimme, die auch völlig klar wird ganz in den Höhen, Martina Welschenbachs mädchenhafte Liù, schließlich Peter Maus, unfaßbar, daß ich ihn 1984 bereits, fast dreißig Jahre ist das her, in Horst Steins Meistersingern gehört habe; hier nun gibt er einen Himmelskaiser, der schon von seinem Alter zerbrochen ist und genau aus dieser Gebrechlichkeit, gleichsam authentisch, Verwundung herausklingen läßt. Für einen Machtmenschen zu greis geworden, der aber nur durch den Tod abgelöst werden kann, ist es so unerbittlich logisch, daß ihn seine Tochter ersticht, um für ihren ihr endlich gemäßen Gemahl den Thron freizuräumen, wie daß dieser dasselbe mit seinem Vater tut. Denn alleine dessen Existenz würde ihn lebens-, nunmehr herrscherlang an die Erbarmungslosigkeit gemahnen, die seine Machtergreifung brauchte.
Dieser Wiederaufnahme ist deutlich anzumerken, wie so gar nicht hier geschludert wurde in den neuen Proben. Das unter John Fiore spielende Orchester der Deutschen Oper ist extrem präsent, mächtig im Klang und zugleich durchsichtig. Noch die abgefeimtesten Chinoiserien Puccinis macht es im Sinn der Inszenierung böse mit. Nein, eine Turandot zu unserer Beschaulichkeit ist das fürwahr nicht – ja wie denn auch? Wer es sich in ihr bequem machen möchte, muß mit geschlossenen Augen dasitzen, aber selbst solch einem hebt das Engagement allein schon des Orchesters die Lider, ob man das nun will oder nicht.
Beklommen treten wir in die für diesen Winter viel zu wenig kalte Nacht. Und können nur noch in Timurs tiefe Klage einstimmen – für eine Inszenierung, in der Bühnenbild und sogar die auf den transparenten Vorhang projezierten Videos, sowie die Sänger und alle Musiker so dicht zusammenstehen wie der Chor, der eine besondere Nennung verdiente, weil er seinem alten Ruhm das Recht ersang, noch immer wahr zu sein.
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Giacomo Puccini
TURANDOT
Dramma lirico in tre atti.
Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni,
nach dem Schauspiel von Carlo Gozzi.
Inszenierung Lorenzo Fioroni Bühne Paul Zoller Kostüme Katharina Gault Chöre William Spaulding
Erika Sunnegardh - Peter Maus - Carl Tanner - Martina Welschenbach - Stephen Bronk - Alexey Bogdanchikov - Jörg Schörner - Yosep Kang - Tobias Kehrer - Kathryn Lewek - Rachel Hauge
Chor der Deutschen Oper Berlin Kinderchor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
John Fiore
So wirklich in die Spiellaune fand das Gewandhausorchester erst, leider, im zweiten Akt und besonders dann ab dem kurzen Vorspiel zum dritten, fing aber irgendwann, vielleicht aus eigener Erleichterung, so zu rennen an, daß den Akteuren ein wenig die Stimme durcheinandergeriet, besonders in den Mengenszenen, bevor sich alle zu dem berühmten Terzett wieder fingen. Eine klassische, dachte ich, zweite Vorstellung womöglich, von der Premiere noch ermüdet, in die man alles gegeben, auch wenn es „nur“ die Wiederaufnahme >>>> dieser dreizehn Jahre alten Inszenierung war. Die hatte, ohne eine besondere „Modernisierung“smaßnahme, auf den ewig bittren Zauber dieses eben nicht Verklärungs-, sondern Reifungsstücks gesetzt und war und ist dennoch auch in historischer Sicht ein Bild von Verfall und neuem Aufstieg: indem Marcel Kellers Bühne für den ersten Akt auf das tatsächlich allein in der Ausstattung, nicht aber dem Raum luxuriöse Schlafgemach Frau v. Werdenbergs so klein- wie intimgemacht wurde, unerachtet des Umstands, daß es sehr wohl ein Empfangsraum ist, der hinter einer Antichambre gelegen. Wenn zum zweiten Akt der hinaufschwebende Vorhang ins riesige Foyer des neuen Kaufadels hineinsehen läßt, der auch epochal später fundiert zu sein scheint, mit einigen Beigaben der Art nouveau, so wird durchaus bedeutet, daß eine neue Klasse an die Macht gekommen. Die will nun am Prestige der vorigen, die sie ablöst, zwar noch teilhaben, aber deren Repräsentanten verlieren wie der bäuerliche Ochs von Lerchenau bereits die Contenance – oder versuchen, sie noch zu retten, „mit leichter Hand“, wie die Marschallin sagt. „Die nicht so sind, die straft das Leben und Gott erbarmt sich ihrer nicht“ - was einer der wahrscheinlich meistzitierten Sätze der Librettodichtung überhaupt ist. Mit einer wirklich eleganten Geste läßt Kirchner sie, allein über den Bühnenentwurf, auch zu seiner politischen, jedenfalls historischen werden.
Das sind, wenn man sie bemerkt, große Momente dieser Inszenierung, wie sie das vorgeblich persönliche Geschick und persönliche Haltungen auf die Verfassung der Welt überträgt, und immer mit diesem etwas bitteren, doch süßen Lächeln, darin sich Weisheit gern verbirgt – oder weil wir sie anders nicht zu erkennen vermögen. Sie kommt uns drin entgegen, in dem sie sich ganz ebenso verniedlicht, wie das Mohrlein verniedlicht ist, vor dem die ethnische Korrektheit, die neuerdings sogar Mark Twain hintübersäubern will, immerhin achtsam haltgemacht hat. Bloß hat man ihm ein blaues Antlitz gegeben und die dicken Lippen weißgeschminkt. So winkt uns das Kind, noch bevor der Vorhang des vermeintlichen Rokokos gehoben. Und pinnt gleich „Ist‘s ein Traum?“ daran, dabei schon das Ende des Stückes im Händchen, nämlich das Spitzentaschentuch, mit welchem winkend das Mohrlein durch die letzten Operntakte abflitzt. Da aber hat sich sowohl das Palais noveau als auch das unterdessen zum Beisl-Séparee verwandelte Schlafgemach der Marschallin längst ins Ewige hinaufgehoben, und ein blaues Firmament schimmert, dunkelrund und weitblau, um die Liebenden herum; hoffnungsvoll unter dem Anstoß leuchtet es schmal, aber hell – eine geradezu erlösende Abstaktion, auch wenn wir wissen: ach, es wird der junge Octavian bald selbst ein Feldmarschall und in Wald und Kammer auf Jagd sein, und das naive Sophiechen wird‘s dann halten, nunmehr Frau Gräfin Rofrano und nimmer, nimmer noch naiv.
Manchmal verharrt das Stück retardierend in der Aktion, was möglicherweise der Wiederaufnahme geschuldet ist, die, nach so langer Zeit, einer Neueinstudierung gleichkommt, durch aber eine andere Hand, nämlich Gundula Nowacks, etwa wenn die beiden Intriganten das quasi inflagranti ertappte Jungpaar schnappen und lange, zu lange rufen müssen, bis endlich jemand herkommt; auch das herrliche Durcheinander des Foppens von Akt III ist nicht immer recht getaktet, oder halt nicht mehr, wogegen wirklich kaum zu merken war, daß diesen Ochs - auf dem fiesen Umweg über seinen Sänger - ein Hexenschuß erwischt hat. So dann noch zu singen, meine Güte, drei Chapeaux! Achtbar die Marschallin Lioba Brauns, wenn auch, wie häufig, eine Spur zu alt: Wir müssen doch fühlen, daß Octavian mitnichten werde ihr letzter „Bub“ gewesen sein – in Zeiten des da noch höchst ungefesselten Patriarchats eine folgenswerte Leidenschaft, übrigens, dieser beachtlichen Frau zum erigierten Jüngling. „Sie wissen zwar nicht, was sie tun“, habe Madonna gesagt, „das aber durch die ganze Nacht.“ Reife, schließlich, hat sie selbst. Die muß sie sich nicht holen. Der Einfall aber, sie am Ende des Ersten Aktes sich seitlich auf den Sessel setzen zu lassen, von wo sie kurz ins Publikum schaut, ist für die Intimität ihrer Wahrheit zu resignativ, auch zu bedeutsam, zumal dazu der Vorhang fällt; da bleibt Götz Friedrichs Regie uneingeholt: Frau v. Werdenberg, bereits für den Kirchgang gekleidet, wendet sich auf ihren eleganten Schuhen herum und läßt noch einmal ihren Blick durch das ganze Zimmer. Denn wir, wir sind da von keiner Bedeutung: so stolz ist sie allein.
Fehllos, vollkommen, Kathrin Görings Hitzsporn Octavian, so absolut ideal für die Rolle und Partie, wie es auch Eun Yee Yous in ihrer zauberhaften Erscheinung dieses naiven Zickleins wäre, wär es ihr denn möglich, die ganze Partie in hellerer Lage zu singen: Nicht, daß sie nicht, wo es drauf ankommt, die wirklichen Höhen, und klangschönst, erreicht hätte. Das durchaus. Doch insgesamt ist die Stimmfarbe, vor allem in den Mitten, zu nahe an Octavians, über dem sie eigentlich schweben müßte alle Zeit. Und in Akt III stand sie in der Tür, als wär sie nervös nicht des Geschehens halber, also als die aufgeregte, hin- und herverwirrte Sophie, sondern wie eine Sängerin, die ihre Partitur verfolgen will und auf präzisen Einsatz spannt.
Glänzend Gaston Riveros Sänger.
Vital bis in die schönsten Tiefen Jürgen Linns auskomödierter Ochs und von verblüffender Chuzpe Jürgen Kurths Farinal, triumphierend schmetternd, als der Tag beginnt, und niedergeschlagen mies, wenn der gehemmte Verkauf seiner Tochter den Aufstieg bedroht, und bitter dann, so auch gesungen, sein wohlfeiles „So sind sie halt, die jungen Leut“, worauf Lioba Braun leider kein „Ja, ja“ zu entgegnen weiß, dessen Klang die ganze spezielle, von ihrem Leben erfüllte Marschallinnen-Färbung aus leichter Bitterkeit, Güte, Raffinesse und freundlicher Herablassung enthalten kann und sollte. Wenn irgend einer Person der Literatur wäre ein wirkliches Grabmal zu setzen, dann ihr, und auf dem Wiener Zentralfriedhof nämlich. Wir schmückten jährlich dort den Stein.
Ihr auch zuliebe wäre zu wünschen gewesen, daß Ulf Schirmer, Generalmusikdirektor und Intendant des Hauses, hätte die Möglichkeit gehabt, mit diesem großen Orchester Hofmannsthals und Straussens Oper so neu einzustudieren, als wäre das Stück noch nicht schon hundertmal gespielt. Wahrscheinlich aber hat ein Farinal modern dagegen buchgehalten. Oder die Gewerkschaft.
Richard Strauss
DER ROSENKAVALIER Komödie für Musik in drei Aufzügen
Text von Hugo von Hofmannsthal
Gewandhausorchester Leipzig.
Musikalische Leitung Ulf Schirmer | Inszenierung Alfred Kirchner | Bühne Marcel Keller | Kostüme Joachim Herzog | Choreinstudierung Alessandro Zuppardo | Einstudierung Kinderchor Sophie Bauer.
Lioba Braun - Jürgen Linn - Kathrin Göring - Jürgen Kurth - Eun Yee You - Katja Beer - Martin Petzold - Karin Lovelius - Matthew Anchel - Keith Boldt - Torsten Süring - Dan Karlström - Gaston Rivero - Andreas Reinboth.
Chor und Kinderchor der Oper Leipzig.
So mein Elfjähriger gestern nachmittag, zum zweiten Akt der Kinderoper „Mikropolis“ von Christian Jost, die auf das Libretto von Michael Frowin geschrieben worden ist und an der Komischen Oper Berlin ihre >>>> Uraufführung erlebte. Auch wenn sich freundliche Zweifel anmelden lassen, ob es sich tatsächlich um eine Oper und nicht vielmehr um ein Musical handelt, hat die Komische Oper damit einen Wurf gelandet – und eben nicht nur geworfen, sondern getroffen auch. Das liegt nicht nur an dem einfallsreichen, witzigen und allein s o auf politische Korrektheit angelegten Textbuch, daß man nicht dauernd die Absicht merkt – und zumal spielt er sehr wohl mit den kleinen Grenzen. Etwa, wenn er der Bremse ein typisch Berliner Kanackerdeutsch zuschreibt („He! Hap ich Idee!“), indes sich die Stubenfliege irrtümlich für eine Eintagsfliege hält. Was zur Konsequenz führt, daß sie ständig in Angst vor dem Abend lebt, aber noch nach dreien davon nicht recht begreift, ihre Art sei vielleicht doch eine andere. Um es mit der Bremse zu sagen: „Er nicht kapiert!“
Immerhin schenkt ihre, sagen wir, ontologische Fehleinschätzung dem Insekt einen wirklichen Hit: den Eintagsfliegen-Blues nämlich, alleine dessentwegen ich meine auch erwachsenen Leser gern in dieses Stück befehlte. Kein Zweifel, daß es sich auch anderswo, etwa in Charts, vielversprechend machte. Kurz: der Komponist hat hier dem Ohrwurm, der ja a u c h ein Insekt ist, einfach das Fenster geöffnet, und nun haben wir die Plage. Wobei es vor allem die Kombination aus Text und musikalischen standards ist, was solchen Nummern ihre Kraft gibt: sie leben vom Bekannten, das sich in ungewohnter Maske zeigt. Viele der Einfälle des Textbuches gehören dazu, zum Beispiel, wenn der Käfer, den die Spinne immer „Kung“ nennt, er aber nennt sich „Kurt“, mehrmals erbost entgegnet: „Ich bin ein deutscher Marienkäfer mit chinesischem Migrationshintergrund.“ Das muß er später nur ansetzen, jeder weiß lachend bescheid, und er winkt selber ab. Die Ausländerproblematik wird hier ganz locken wieder und wieder angespielt: „Bist du Ausländer?“ Das zu der in die Stadt verirrten Landgrille. Oder jemand kommentiert: „Ist doch ein armes unschuldiges Mitinsekt.“ Dann der Bremsenkanack: „Die Landeier haben schon fette Krise.“
Die erzählte Geschichte ist denkbar einfach. Das Grillchen Gesine ist von einem plötzlichen Unwetter in die von Nadja Loschky als Berlin inszenierte Großstadt verweht worden und trifft dort auf eine Gang von Asphaltinsekten, deren Leidenschaft es ist, über die Rückspiegel von fahrenden Autos zu surfen, die sich von Müll ernähren (eingebaut eine sanglich hübsche Nummer zur Abfallgesellschaft) und im übrigen so bürgermoralfrei sind, wie sich das für herumstreunende Rowdies gehört. Die Truppe preist dem Grillchen nun die Vorzüge solch eines „coolen“ Stadtlebens. Aber so recht ist Gesine nicht zu überzeugen, ja in einem ariosen Heimwehsanfall schildert sie ihre verlorene Wiese auf solch nahegehende Weise, daß die halbe Gang ebenfalls traurig wird. Was wiederum die Obercoolen um Bremse, Fliege und Tausendfuß ziemlich abturnt, so daß sie beschließen, das Landei sich schleunigst in den Laubsauger befördern zu lassen, vor dem sie alle dreimal täglich zittern. Der Coup gelingt.
Zur Rede gestellt, druckst die Truppe rum. Schließlich nimmt man sich vor, die Grille aus dem Sauger zu befreien und – betritt ihn selbst. Da wird das Bühnenbild zum Auslöser der Staunensrufe meines Jungen. „Oh-à, ist das k r a s s!“ - Weshalb ich darüber nichts verraten möchte. Ich nähme Ihnen sonst den Spaß. Daß freilich die Geschichte gut ausgeht, ist sowieso klar, und wohl auch, daß einige der Stadtinsekten ihr fürderes Leben nun ebenfalls auf der Wiese zubringen möchten, die obercoole Gruppe allerdings stellt zutreffend fest, es sei zwar schön hier, aber „auch sehr ruhig...“ „... auch sehr beschaulich“ fügt der andre bei und seufzt. „He Leute, bin ich nicht so der Sonnenuntergangstyp“, kanackt die Bremse.
Nadja Loschky hat das in Esther Bialas‘ im ersten Akt fantasiereichen, im zweiten durchaus phantastischen Bildern mit viel Schnelligkeit und einem Kopf inszeniert, der voller Einfälle steckt; nicht nur das, weiß sie sie auch zusammenzunehmen und ihnen eine Richtung zu geben. Und verleiht, indem sie jedem/r Darsteller:in eine zweite, allein mimisch agierende Person beistellt, dem Stück eine zusätzliche Dimension; z.B. ist der Pantomime, bzw. dem Tänzer des Marienkäfers ein chinesischer, jedenfalls asiatiascher Darsteller beigesellt; wiederum die Pantomime der Spinne wird von einer Seiltänzerin gegeben, die sich vom Schnürboden in mancherlei Pirouetten herabhangelt und obendrein dafür sorgt, daß aus nur sechs Spinnenarmen achte werden. Das sind hochgradig poetische Bild-Erfindungen, zu denen auch die sozusagen Kinder der >>>> Darlton-Brüder der Beine Tausendfußes gehören.
Noch einmal zur Musik. Selbstverständlich ist sie melodisch mehr Musical als Oper, ja nicht selten hört man Bernstein hindurch, besonders in den vom Rhythmus vorangetriebenen, möglicherweise ganz bewußt von „Cool“ hergekommenen Tutti-Stellen; manchmal hat sie auch den Schmelz seines „Maria“-Songs. Allerdings sind die einzelnen Nummern, von wenigen wie dem Eintagsfliegen-Blues abgesehen, kaum scharf voneinander getrennt, möglichem Zwischenapplaus, der das Spiel retardieren könnte, ist sozusagen die Luft genommen. Josts zwar an Alltagsmusiken orientierte, dennoch ziemlich elegante Instrumentalisierungskunst tut ein übriges; daß er dabei deutlichen Kitsch nicht scheut, ist kindergerecht. Aber immer ist es der Rhythmus, der dem elektronisch unverstärkten Kunstgesang die Ohren öffnet; pädagogisch kluge Ausnahme auch hier wieder der Blues. Für Kinder- und frühjugendliche Jugendohren ist dieses Stück eine exzellente - gemein gesagt: - Einstiegsdroge. Einige rein gesprochene Parts drängen auch das gerade für Kinder enorme Problem der Textverständlichkeit, des einem Kunstgesang prinzipiell anhaftet, deutlich zurück. So nach der Aufführung im Gespräch mit meinem Jungen festgestellt. Der unbedingt noch einmal hineinwill.
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P.S.: Als Programmheft wird ein illustriertes Kinderbuch ausgegeben, das allein schon den Eintrittspreis wert ist und aus dem sich auch kleinen Kindern die Geschichte abends noch einmal, zum Schlafengehen nach der Oper, vorlesen läßt.
******* MIKROPOLIS Insektenoper für Kinder von Christian Jost. Libretto von Michael Frowin.
Musikalische Leitung Christian Jost. Inszenierung Nadja Loschky
Bühnenbild und Kostüme Esther Bialas. Choreographie Zenta Haerter
Dramaturgie Bettina Auer. Licht Franck Evin.
Erika Roos - Anastasia Melnik - Annelie Sophie Müller - Matthias Siddhartha Otto
Peter Renz - Horst Lamnek - Marko Spehar - Anna Borchers Caren van Oijen
Solide, ja, solid‘. Aber nicht aufregend. Wenn es in der Deutschen Oper Berlin >>>> gestern abend Höhepunkte gab, dann waren sie den Sängern zu verdanken, allen voran dem Philipp Roberto Scandiuzzis, der besonders den Klagegesang am Anfang der dritten Aktes zu Minuten höchster Intensität ausgestaltete: wie er da Phrasierungen zog und zugleich mit welcher Souveränität er da Höhen und besonders die Tiefen mit seiner Seele füllte, griff unmittelbar in die unsren. „Irgendwann hört Technik auf, von Bedeutung zu sein“, hat der große Rostropovitch einmal gesagt: dann nämlich, wenn man sie nicht mehr merkt und ganz andere Hindernisse der künstlerischen Gestaltung ins Zentrum rücken. Aber auch, was die Venezolanerin Lucrezia Garcia zuwegebrachte, die Elisabeths Partie sang und ausgesprochen kurzfristig, mit nur einer Woche Probezeit, für Anja Harteros einsprang, ist bemerkenswert. So beginnen bisweilen Weltkarrieren. Dummerweise -. da haben Persönlichkeiten wie Waltraud Meier unterdessen neue Maßstäbe gesetzt; Netrebko indes bloß als Erscheinung (das ist die andere Seite diese Medaille: stimmlich nur „befriedigend, - setzen!“) - dummerweise also füllt ihre Erscheinung das Vorurteil der allzu gewichtigen Operndiva allzu wörtlich aus, was wiederum zu einem inszenatorischen Problem führt. Man mag Don Carlos, mit Massimo Giordano nicht nur sängerisch eine Idealbesetzung dieser Partie, einfach nicht abnehmen, daß er sich in ein solches Riesenweib verliebt: James Dean jagt nach anderer Beute. Wenn man aber Kierkegaards Forderung ernstnimmt, daß eine Schauspielerin so gut sein müsse, daß ihre Erscheinung über der Kunst restlos vergessen werde, dann reicht diese Stimme eben doch nicht ganz hin. Mir selbst hat sich Kierkegaards Forderung freilich erst ein einziges Mal eingelöst: bei Margaret Price. Ob sich Frau Garcia zu deren Stimm- und Gestaltungsgröße eines Tages noch erheben wird, jedenfalls, bleibt abzuwarten – wobei diese Forderung in keiner Weise menschlich ist; das weiß ich selbst. Kunst fragt aber nicht nach Humanität, so wenig wie Genie. Dieser Stachel wird uns für immer im Fleisch steckenbleiben, er läßt sich ohne weitere, und oft schwere, Verwundungen nicht ziehen. Da war Anna Smirnovas Erscheinung in der Partie der Eboli ein, sozusagen, Kompromiß; auch sie tadellos im Gesang. Was für ein Haus wie die Deutsche Oper Berlin erwartet werden muß, musikalisches Weltniveau, löste sich denn auch ein. So brandete nachher der Jubel eines Publikums, das in diesem Haus mehr als in anderen Häusern der Stadt ein durchweg großbürgerliches genannt werden muß; vor einem Jahrhundert hätte sich draus der Kaufadel regeniert. Es war wirklich auffällig, wie sehr die jungen Leute fehlten, die nicht nur die Komische, sondern auch die Linden-Oper längst anzuziehen weiß.
Zudem bedeutet, daß sich etwas einlöst, eben noch nicht, daß es gleich aufregend wäre; für solche Aufregung sorgten allein, vor allem ab dem dritten Akt, Scandiuzzis Baß und Giordanos Tenor, sowie Donald Runnicles Stabführung, der ich noch viel mehr Eigenwilligkeiten wünschte, Übertretungen, Schärfen. Die können sich aber auch nur dann aus dem Regelgerechten lösen, wird eine Szene von Visionen angefeuert. Das ist >>>> dieser Inszenierung n i c h t zu konzedieren. Im Gegenteil ist sie, ecco, solide und konventionell – was diesem Publikum selbstverständlich entgegenkam. Dabei ist gerade Verdis Don Carlos eine enorm politische und darin auch gegenwärtige Oper. Aber Marelli hält das möglichst schmerzfrei, man möcht ja den Genuß nicht stören – auch nicht durch eine öffentliche Ketzerverbrennung, bei der hier am Bühnenhintergrund drei oder vier Statisten am, danach sieht es aus, Kreuz hängen; dazu wird ein bißchen mit Lichtfeuer gespielt und mehrfach die unumgängliche Nebelmaschine recht tüchtig eingesetzt. Kein Gedanke an das Völkerschlachten auf dem Balkan oder an die historischen Pogrome von Moskau bis Auschwitz, an die 500.000 Kinder im Irak oder die wahlweise kürzeren und längeren Ärmel von Sudan bis Sierra Leone. All das liegt dem Don Carlos aber nicht nur nahe, sondern es ist einer modernen Inszenierung dieses Stoffs geradezu abzufordern – und da auch beginnt erst die inszenatorische Frage: Wie vermittle ich das, ohne daß es gleich selbst ein Klischee wird? Doch gleichsam vornehm dranzugehen, in Andeutungen und halben Provokatiönchen, damit man sich auch wohlfühlt im Schrecken, macht Oper und in ihr die Opfer zu gehobenen Jahrmarktereien auf dem politisch korrekten Niveau eines in Rente gegangenen Mittelstands.
Wie oft also wünschte ich mir gestern abend, >>>> Bieito wäre über diese Partitur hergefallen! Zu welchem Temperament das dann auch Runnicles hingerissen haben könnte und mit ihm sein Orchester! – Aber nein. Sondern Marellis Interpretation begnügt sich imgrunde mit dem Bühnenbild - denn auch für dieses steht er ein -, begnügt sich mit metallartigen Quadern, die, unten zusammengeschoben und oben zusammengedreht, zweifach die Lichtspalts eines Kreuzes ergeben, zweifach, weil das vorne und hinten geschieht, wodurch sich stets die Imagination eines geschlossenen Raumes herstellt, sei es Kirche, sei es Kerker. Zu einem solchen wird auch der Königspalast-selbst, und auseinandergeklappt, bzw. auseinandergedreht steht man vor brutalen Mauern und - im Querspalt jetzt, wie auf Hitlers Tribünen, das Volk – monumentalen Repräsentanzbauten faschistischer Architekturen. Das ist Schillers und Verdis Thema absolut angemessen und malt sehr genau die beengende Bedrohung durch die Inquisition aus, in deren Machtbereich sich das Geschehen in gegenseitiger Abhängigkeit von der Krone gegen die zu Ketzern gewordenen flandrischen Rebellen vollzieht – geradezu schicksalhaft, weil den politischen Belangen die persönlichen, ja intimen der Handlungsträger unlösbar eingewunden sind. Das macht sehr vieles klar: etwa, daß Philipp, wiewohl vor keiner Grausamkeit, ja selbst der Opferung des eigenen Sohnes nicht zurückschreckend, sehr wohl lieben kann, sehr wohl seinerseits unglücklich sein kann und, davon in ständige Zweifel gestürzt, vom Großinquisitor immer wieder ideologisch gefirmt werden muß. Es vergißt aber die Gegenwärtigkeit der Geschehen und läßt dann obendrein, eine sowieso überkommene, in Italien noch beliebte Unart, von der Rampe singen. Und es gibt kaum einen dramatischen Einfall, der über Fasching hinausginge. Ja selbst dort, wo Morelli solch einen Einfall einmal hat, muß er ihn auf Geschmack moderieren: Eine Frau aus dem Volk, die ein Baby im Arm trägt, klagt – woraufhin ihr das Kind entrissen wird. Statt aber, wie es geschehen wäre - deutsche Soldaten haben das in Rußland sehr gerne so gemacht -, den Kinderkopf an der metallenen Mauer zu zerschlagen oder das Kleine ins Feuer zu werfen, wird es einem der roten Popen überreicht, der es nun, als wäre es ein Findelkind, in seinen Händen fast sorgend beschaut. Genau so funktioniert Verharmlosung. Aber vielleicht bin ich ein bißchen ungerecht, weil dieser Don Carlos wie der Simon Boccanegra zu meinen favorisierten Verdi-Opern gehört und eigene inszenatorische Vorstellungen die hier angebotenen überblenden, so daß diese einfach nicht mithalten können. Übrigens sang die Mutter, von der ich eben erzählte, nicht nur enorm schön, sondern von allen Frauenstimmen war sie die allermenschlich innigste: jenseits jeder „Divigkeit“; ich wüßte den Namen der Sängerin gern, denn der Besetzungszettel nennt sie nicht.
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So sei den musikalischen Hochleistungen des gestrigen Abends geklagt, daß der Erinnerung unterm Strich ein schaler Geschmack von Müßigkeit bleibt, von Veranstaltung – und das bei einem Stück, das nach dem Aufruhr s c h r e i t. So etwas hat sich in einer Inszenierung wiederzuspiegeln, ja die Inszenierung hat er zu sein. Dabei war nicht einmal die französische Fassung gespielt worden, die manche Konzessionen an die Pariser Wohlbetuchtheit gemacht hatte – die ich aber dennoch der italienischen, späteren und sozusagen gebändigten, vorziehe: einmal wegen des anderen, kompositorisch ziemlich sperrigen Sprachmelos‘, und zum zweiten, weil die fünfaktige Fassung für Regietheatler sowieso ein inszentorischer Leckerbissen wäre. Allein schon das banale, an der Opéra seinerzeit obligate Ballett, das Verdi für die italienische Version wieder gestrichen hat, ließe sich zu einer ungeheuerlichen Szene formen, zumal im scharfen Aufeinandertreffen mit der Massenverbrennung. Andererseits entspricht Marellis Auffassung dem schillerschen Unternehmen der Klassizierung seines eigenen Stücks und damit auch Verdis Bändigungen – sie setzt sie geradezu fort. Bis man im endlich Schmerzfreien ankommt, egal, was da erzählt wird. Musikalisch lohnt sich der Besuch, das will ich wiederholen, allerdings. Und mit welch entschiedener Größe Runnicles sein Orchester in jeden Zwischenapplaus einfallen und es rigide weiterspielen läßt, um in die Konzentration aufs Eigentliche zurückzuzwingen, das muß man in jedem Fall erleben.
Diese Musik, die spätestens nach Alfred Schnittke polystilistisch genannt werden muß, recht eigentlich aber synkretistisch ist, nämlich synkretistisch befreit, muß man gehört haben - , mit einem Wort: hören, und zwar möglichst auch pur, ohne jedes Bild. Dann merkt man unmittelbar - tatsächlich unvermittelt - welch eine dramatische, aber auch dramaturgische Kraft sie hat; sie wird über ihren Anspielungsreichtum zu Bildern selbst. Und eben deshalb ergreift sie auch dort, wo unsere immer noch, ja zunehmend mehr auf tonale Mozart-Bastarde abgerichteten Ohren, erst einmal abwehren wollen. Weil man die Harmonie sucht, erfüllende Surrogate, Auflösung, >>>> Vergessenheit. Indem Ronchetti aber auf Alte Musik zurückgreift - mitunter nur angedeutet, bisweilen nachdrücklich und da aus dem Off elektronisch zugespielt -, lösen sich im Publikum die Sperren – sogar fast innig dort, wo plötzlich, aus der Ferne, eine Art wahrer Sehnsuchtston kommt, den die Anima singt, in welche alle Protagonisten dieses Stückes verfallen sind: Salomé. Nein, sie kommt nicht, bleibt fort; der Sehnsuchtsort, den die unerfüllbare Liebe immer bedeutet, da sie zugleich doch, hier, vor allem Projektion der beteiligten Männer ist, bleibt verschlossen... besser noch (also schlimmer, viel schlimmer): man bleibt ausgesperrt in der Kälte. Welch ein Einfall, daß Ronchetti das, gegen Ende der nur kurzen Oper auf dem furchtbar berührenden Klagegesang des „Genius der Kälte“ aus dem Dritten Akt von >>>> Henry Purcells „King Arthur“ ausführen läßt, zu den Wilde-Zeilen „Ah, es ist kalt hier!“ und den dann folgenden. Das, viel weniger Richard Straussens Oper, ist musikalisch Ronchettis eigentliche Referenz, und zwar das ganze Stück hindurch; auf Richard Strauss ist vor allem semantisch referenziert. Wir kennen den tragödischen Ausgang seines Expressionismus, das muß man nicht wiederholen, wenn man denn dieses Sujet wählt. Nur selten also ertönt, und dann extrem kurz, ein Anklang an Strauss. Wir haben seine Salomé ja sowieso im Kopf; damit wir dran erinnert bleiben, spielt auf der schmalen Bühne, die sich zwischen den langen beiden, einander gegenüber aufgebauten je dreistufigen Publikums- na ja - -tribünchen entlangzieht, ein Junge mit abgetrennten Styropor-Köpfen. Links von ihm, anfangs, sitzt Herodes in Unterhose und bedient einen Dia-Projektor, der auf eine der drei Glaswände, welche die Bühne in die Segmente der verschiedenen Szenen teilen, Fotografien von Frauenwaren: von Schuhen etwa usf. Sein Sänger übernimmt, wie die beiden anderen, aber auch andere Partien; mit Mikrofon etwa wird er zu Jochanaan. - Wiederum in der Mitte der Bühne sitzt ein Junge von ungefähr elf oder zwölf, der den Pagen singt, mal, oder mal den jungen Syrier; im rechten Segment steht der Countertenor, um Herodias zu geben, und ganz rechts steht, als einziger sichtbarer Instrumentalist der Bratscher, der kurzfristig auch Rollen bekommt, ja zwischendurch, da sie doch fernbleibt, zur Salomé travestiert wird. Daß er dann nicht lächerlich wirkt, ist eine der Leistungen in dieser kleinen Inszenierung und also Elmar Supp zu verdanken. So redet, singt und bratscht man sich mehr und mehr in die leere Verlassenheit hinein, um schließlich, nachdem der frierende Herodes sich in Folien ein- und eingewickelt hat, im Schweigen zu erstarren: hier eben auch das sehr kenntliche, vor allem rhythmisch ausgeführte Purcell-Zitat. Der Genius der Kälte hat gesiegt.
Er hatte es freilich nicht schwer. Denn die Verlassenheit eröffnet schon das Stück. Aus dieser Verlassenheit wird, eigentlich, Salomé erst erträumt – ein furchtbarer, sinnloser Traum, da wir doch die andre Oper kennen. Aber nicht einmal das, der Exzeß, erlöst uns.
Man kann von Existentialismus sprechen, die Assoziation zu Sartres Stück „Huis clos“ liegt durchaus auf der Hand. Hier aber, meine ich, beginnt auch das Problem der Inszenierung: sie verdoppelt, verdoppelt sogar das Zitierverfahren – nicht, indem sie wirklich auf Sartre abstellen würde, aber indem sie allzu sehr Beckett im Kopf hat. Imgrunde ist die Bühne Esther Dandanis eine dreifache Ausfertigung des Endspiels. Das zieht von Ronchettis Musik einige Sinnlichkeit ab, dörrt sie sozusagen aus, rückt sie von uns weg und macht sie zum Lehrstück. Dazu gehört auch die Unterhose des Tetrarchen, Feinripp von Schießer, bei dem man sich ertappt fühlt, dem Mann auf die Eichel zu starrten: wo auf dem Stoff formt sie sich ab? Sowas ist inszenatorisch schlichtweg nicht nur ein störender, sondern auch ein Unfug, der einen aus dem Stück wirft und außerdem den Darsteller lächerlich macht. Wozu? Und die halbe Nacktheit des Bratschers, als er sich umziehen muß, bzw. umgezogen wird, wirft einen ganz genauso aus der Magie. Solche Ungelenkheiten stören, weil sie - um Verlassenheit zu zeigen - schlichtweg zu billig sind, menschlich billig. Es wäre aber sowieso, für dieses Stück, eine Ausstattung zu wünschen, die einerseits vor jener Opulenz nicht zurückschreckt, von der gerade die strauss‘sche Musik erfüllt ist, und andererseits auch größren Raum für die Komik eröffnet, die schon in dem synkretistischen Verfahren liegt – sowie für eine ziemlich spitzzüngige Bosheit Lucia Ronchettis: denn in der Salomé ist es ja gerade der begehrte Mann, der sich der Frau verweigert; die Frau kommt in Jochanaans Weltbild schlicht weg n i c h t, bzw. „rein“ als unheilbringend vor. Das dreht Ronchetti, indem ihre Salomé das Passepartout für unerfüllbare Männerwünsche darstellt, kurzerhand um. Sie wird zu einer in ihrer Abwesenheit sämtliche Männer bestimmenden Lulu, die aber nicht ihrerseits zum Opfer wird.
Hinzu kommt das an sich grandiose elektronische Verfahren, das in dieser Staatsopern-Werkstatt – nach der Stuttgarter Uraufführung von 2004 die zweite Interpretation - selbst ein inszenatorisches Element ist, und zwar ein tragendes. Der Klang kam da von über uns, war gleichsam das Dach der Szene. Das führt anfangs zu einer Art Beklemmung, die aber, weil so ortbar, ihr Unbehagliches sehr schnell verliert. Einzig die Fernklänge, die von „irgendwo“ tönten, behielten gestern abend dauerhafte Kraft. Andererseits war es fantastisch, wie sich der direkte Gesang, auch das direkte Spiel der Bratsche, mit dem elektronischen Zuspiel amalgamierte, und sowieso die Faktur, die z.B. den Knabensopran völlig identisch in den Counter hineinkomponiert. Da saß man tatsächlich, um das zwar stanzig, doch treffend zu sagen, gebannt.
Sanglich war diese Aufführung, ich sah die dritte, tadellos: ein in seinen Höhen absolut reiner Countertenor (Valer Varna-Sabadus), ein ausdurchsstarker Baß (Markus Hollop) und ein Knabensopran - welch idealer >>>> Miles! -, von dem man gar nicht fassen kann, daß wirklich dieser Junge so singt. Dazu die auf noch feinste Schwingungen des musikalischen Vorgangs reagierende Live-Elektronik Thomas Seeligs. Und alledies unter der auf die Bühne per Monitor übertragenen musikalischen Leitung Harry Lyths. Mit Recht klatschte das gestern abend leider nicht ausverkaufte Auditorium, als wär der Raum überfüllt. Und meine Begleitung und ich saßen leise redend noch da, als fast alle schon gegangen waren – erst ein Tinnituston, der schlußmachen wollte, trieb uns hinfort.
******* >>>> LAST DESIRE.
A Tragedy in One Act.
Musiktheater von Lucia Ronchetti
Musikalische Leitung Harry Lyth. Inszenierung Elmar Supp.
Ausstattung Esther Dandani. Licht Irene Selka. Live-Elektronik Thomas selig.
Valer Barna-Sabadus - Markus Hollop - Juri Hörster - Yuta Nishiyama.
Die nächsten Vorstellungen:
12., 13., 15., 22. und 23. Oktober 2011,
je um 20 Uhr. >>>> Karten.
„...da ist so die Weite von Sibirien drin!“ hauchte entzückt eine ältere Dame ihrem Begleiter zu. Das war im Seitengang vor den Treppen, als ich das Schillertheater verließ. Indessen nicht Sibirien steckt, sondern das Problem der Inszenierung darin, in dem gepuderten Anhauch. Nicht, daß sie schlecht wäre, im Gegenteil. Aber wozu war Patrice Chéreau überhaupt da, wenn doch das Bühnenbild und die Kostüme restlos, ja die meisten Sänger, außer Olaf Bär, mit der Produktion der Wiener Festwochen aus dem Jahr 2007 identisch waren? Nun, der Mann war eingeflogen, damit das Publikum, nachdem es seine Bankkonten sich anderthalb Stunden lang am Leiden konnte delektieren lassen, einen Star zu beklatschen hatte, nämlich in Leib und, hier paßt das, Haft, dem, so kam ich zu ahnen nicht mehr umhin, noch ennuierter war als ihm. Denn was ein Leben muß das sein, wenn man wieder und wieder dieselben Einfälle, und über Jahre, repetieren soll? Zumal die einer Inszenierung, die man längst auf DVD sehen kann und kann sie sich auch bei Youtube, siehe hierüber, und ganz auch im Internet saugen, um Szene für Szene zu studieren. Sowas tu ich nämlich, wenn ich mich vorbereiten will auf etwas, das einmal für neue Interpretationen stand. Ansonsten sprach man nicht von Premiere, sondern nannte es, was ja nicht schändet, Repertoire oder Wiederaufnahme, ja, wenn‘s sich so trifft wie hier, von einem Gastspiel, meinethalben Übernahme.
Nun aber haben wir einen neuen Begriff, ich führ ihn hiermit ein – rein, um zu spezifizieren: den der Charlottenburger Premiere. Das ist so etwa die Mischung von allem, was nicht Premiere ist, aber läßt sich als solche vermarkten. Schon weil sie den Vorteil hat, teurer als echte Premieren zu sein, alleine wegen der in sie verpflichteten Stars. Denn an sich, ausstattungs-ökonomisch, macht das Totenhaus nicht wirklich etwas her. Das kann man aus den eigenen Werkstätten billiger haben
Jedenfalls konnte von einer Premiere, zumal als Auftakt der neuen Spielzeit, keine Rede sein. Sogar der Dirigent war teurer Gast, doch immerhin aus unsrer Stadt; da fiel für Reisekosten nichts als das Taxi an. Teuer war sicher auch Chéreaus selbstredundante Tätigkeit. Und all die Sänger einzufliegen! Als hätte die Staatsoper nicht ein eignes Ensemble, das ganz genau so fähig wäre, das Totenhaus zu spielen – und vielleicht unter einer Regisseurin, einem Regisseur, die oder der etwas Neues zu sagen hätten, darzustellen, darstellen zu lassen, anstelle ein großes Stück Opernliteratur interpretativ ein- für allemal festzustanzen. Doch abgesehen davon: Wir sind in Berlin! Da handelt man nicht wie Coburg oder Achim; ja Bremen selbst ist stolzer. Ich meine, vier Jahre nach der echten Erstaufführung, nämlich in Wien, kommt diese Inszenierung an unser führendes Haus und gibt sich als Premiere aus. Peinlich, peinlich. Nur wollte das das Publikum nicht merken, Christoph Hein, der dawar, sowieso nicht, aber auch nicht die übrigen Bedeutsamkeiten, von denen das Auditorium sitzplatzfüllend mit ausverkauft war. Und wollte Tilman Krause, von der Welt, allen Ernstes über eine Inszenierung Neues schreiben, die man weltauf, weltab schon besprochen hat, nachdem sie schon alle gesehen haben?
War denn ich selbst nur naiv, im Totenhaus einen neuen Chéreau zu erwarten?
Ja, war ich.
Es geht eben nicht um die Arbeit am Stoff, geschweige gestern, zur Spielzeiteröffnung, um Erkenntnis und Berührung, nicht einmal ums Erschauern durch Musik und schon gar nicht darum, auch in den Elendsten den, wie Janáček schrieb, göttlichen Funken zu finden. Sondern schlichtweg darum, sich Weltbedeutung vorzuspielen, auch wenn man an zwanzigster Stelle steht. Der Opernfetisch at it‘s worst - allerdings war es für Pelze zu warm, die zu tragen aber auch nicht mehr korrekt ist.
So war die Charlottenburger Premiere denn auch ziemlich routiniert: Die Gefangenen litten, kann man sagen, wie am Schnürchen, dem existentialistischen. Das paßt so gut zum Schick... Pardon, ich mein: zum Chic. Da übertrug sich nichts, ja selbst der Adler, weil er in Wien bereits, in Amsterdam und New York, in Mailand und viel anderswo hat hölzern sich gen Freiheit schwingen müssen, war seiner Symbolik müde geworden, sozusagen Drei Schwestern im Lager und schmalgelutscht wie eine ständig repetierte Inszenierung Godots, ich meine die ewige, die mit Horst Bollmann, einst und hier an diesem Haus.
Mag sein, daß Chéreaus Inszenierung Maßstäbe für Janáčeks Totenhaus setzte. Ich habe seine Arbeit mit Boulez, die filmisch ebenfalls dokumentiert ist, voll hoher Achtung mitverfolgt, und in der Tat: Es gibt auch einen Einfall, der bildlich ungeheuer ist und das wohl bleiben wird, - wenn nämlich die rechte Seitenwand, dieselbe von 2007 in Wien, die nackten Gefangenen ausspuckt. Da ist man momentlang angefaßt. Doch reicht das für eines der wichtigen Opernhäuser dieser Welt? Wäre es nicht den großen Komponisten – und die Elenden, von denen er mit Dostojewski erzählt – mehr geehrt, hätte man eine eigene Interpretation erarbeiten lassen rein aus dem Hause selbst? Und wär das Risiko eingegangen, daß man scheitert? Aber dann, wir wissen‘s, wär nicht so zahlreich Geleute erschienen, schon gar nicht der Flitter eines Westberliner Establishments, das sich in vorgeführtem Elend so hundchenmäßig wohlfühlt. Man muß das nur richtig garnieren, Simon Rattle allein hätte sicher nicht mehr gereicht. So joggte im Flugzeug Chéreau denn herbei.
Die Banane ist groß, doch ihre Schale ist größer – das sagte einst Man Ray. Er wußte aber da noch nicht, daß man die sich auch anziehen kann. Wie Kleider neuer Kaiser. Wie laut sie, derart angezogen, dann endlich ovatieren konnten!
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Z mrtvého domů. (Aus einem Totenhaus).
Oper in drei Akten von Leoš Janáček
Musikalische Leitung: Simon Rattle. Inszenierung: Patrice Chéreau.
Künstlerische Mitarbeit: Thierry Thieû Niang. Bühnenbild: Richard Peduzzi.
Kostüme: Caroline de Vivaise. Licht: Bertrand Couderc. Chor: Eberhard Friedrich.
Willard White - Pavlo Hunka - Eric Stoklossa - Štefan Margita - Peter Straka - Vladimír Chmelo -
Jiří Sulženko - Heinz Zednik - Alfredo Daza - Arttu Kataja - John Mark Ainsley - Ján Galla - Florian Hoffmann - Olivier Dumait - Susannah Haberfeld - Ales Jenis - Marian Pavlovič - Peter Hoare - Stephan Rügamer.
Zuerst – prima la musica e poi le parole – zur Musik. Bei >>>> Alexander Vedernikov ist mir >>>> schon einmal aufgefallen, daß er wirklich zugreift (zugreifen läßt, nämlich seine Musiker), sich also nicht fein scheut, nicht zögerlich ist, sondern Expressives nimmt er hart ran und so auch den Schmelz. Gestern abend tat er‘s auf eine Weise, daß Janáčeks Musik so plötzlich - wie erst unmerklich - nach dem elegischen Tschaikowski eines Onegins klang, slawisch selbst durch das deutsche Textmelos hindurch. Auf keiner meiner Aufnahmen ist das so zu hören, weder bei dem Janáček-Experten >>>> Mackerras noch bei Kent Nagano, ja sogar auf meiner tschechischen Schallplattenpressung unter Václav Neumann nicht. Dabei ist und bleibt es heikel, Opern in übersetzten Fassungen aufzuführen; in Naganos feinnerviger Einspielung etwa klingt Das schlaue Füchslein wie eine englische Oper aus den Jahren William Waltons, in manchen ariosen Wendungen bisweilen sogar nach Britten, während in Werner Hintzes neuer Textübersetzung, bzw. -fassung sich der Rosenkavalier Richard Straussens melodisch assoziiert, unter Vedernikovs Führung sehr deutlich beim das Stück fast beschließenden Sinnieren des Försters: „Wie doch die Zeit vergeht!“, besonders dann in der Zeile „...und nun sind wir schon froh, wenn wir hinterm Ofen sitzen und uns keiner stört“ - ein Eindruck, der sich beim Tschechischen auch nicht entfernt herstellt. Ganz sicher läßt sich‘s diskutieren, ob ein solches Phänomen Opern nicht sogar bereichert, die Differenz aber ist ohrenfällig. Wobei in diesem Fall noch eine textinterne Auseinandersetzung hinzukommt. Es gibt nämlich bereits eine bekannte Übersetzung des Librettos, die seinerzeit kein geringerer als Max Brod, der Vertraute Kafkas, besorgt und die Janáček selbst nicht nur autorisiert hat, sondern des deutschen Sprachmelos halber hat er sein Stück zu Teilen dafür sogar umkomponiert. An der Komischen Oper wird aber die tschechische Kompositionsfassung gespielt, und der in dieser Hinsicht, muß man schon sagen, geniale Dramaturg Werner Hintze hat dafür abermals eine seiner bühnenpraktischen Eindeutschungen des Librettos geschaffen, die den übersetzten Text so gut wie möglich der Partitur anschmiegt: prima la musica eben. Freilich bleibt dabei ein wenig die poetische Dichte auf der Strecke; der einzelne Satz, für sich genommen, ist oft nicht ohne Holz. Doch Hofmannsthals, die auch in einem Libretto die ästhetische Würde ihrer Sprache erhalten, sind generell selten. So ist das Hauptproblem von Hintzes Fassung ein anderes: sie betont nämlich die historische Herkunft der Oper, indes Homoki eine maskenspielhafte Allegorie, die überzeitlich sein muß, vor den Augen gehabt hat. Dieser Widerspruch wird immer dann besonders deutlich, wenn sich auch in der Musik das Bäuerische etwa der Tänze akzentuiert, etwas vergangen Burleskes, dem dann der Holzschnitt der Sprache entspricht. Einer Übersetzung ist ihre Vergängnis sowieso, als ein bereits Vergangenes, immer schon mit eingeschrieben. Das ist in den Originalsprachen grundsätzlich anders. Selbst alte Sprachen altern nicht; ihre Übersetzung eben aber sehr wohl.
Wenn Homokis Inszenierung ein Problem hat, dann eben dieses. Und gegen Ende wird ein bisserl dick aufgetragen, wenn das versöhnliche, den Tod in neues Leben nicht wendende, sondern ihn in ihm aufhebende Finale plötzlich ein >>>> Tutto è burla nel mondo werden soll, das aber nicht fugiert ist, sondern gestampft wird, was das dazuinszenierte Stammtischsgelächter noch vergröbert. Außerdem ist der Förster ganz sicher kein Falstaff; er wurde auch gar nicht gefoppt. So wird nun die erschütternde Strahlkraft der Bejahung niedergegrölt, die Janáčeks Partitur wie einen Sonnenaufgang feiert. Was als Hymnos gemeint ist, wird zu Lärm. Den hätte man da zurücknehmen müssen, es sei denn, Homoki hätte die Bejahung als verklärende Affirmation deuten wollen, was der übrigen Inszenierung aber massiv widerspräche.
Sie lebt vielmehr von einem staunenden Betrachten all dessen, in das wir selbst ganz eingebunden sind, zu dem wir selbst gehören, nicht nur des Lebens und Sterbens, sondern auch des Tötens und Getötetwerdens. Es ist wundervoll, wie Homoki dem die Balance hält. Er trifft Janáčeks Pantheismus, und ungemein zärtlich, genau, ohne daß dabei an Lust noch Leid der Protagonisten, die wir alle selbst sind, Abstriche gemacht würden. Es geht eben nicht um eine maue Einsicht, Ergebenheit oder gar Abkehr. Im Gegenteil. Leben ist: mitzuwirken. Mitzufeiern, mitzuleiden. Und Unrecht mitzutun. Dabei ist „das Leben ein Traum“, in den Homoki den Förster versetzt, nur das Modell, das ihm erlaubt, gleichzeitig sich zuzusehen, wobei es mehr als nur pfiffig ist, daß sich genau darin ein Teil der tatsächlichen Lebensgeschichte dieses Försters vollzieht, die hier zugleich die Lebensgeschichte auch anderer Arten sich nahe ineinander spiegeln läßt, sowohl der Tierwelt wie der Menschen. Es sind, zugegeben, einfache Geschichten, aber in dieser Einfachheit verbürgt sich eine Konkretion, deren einzige Fragwürdigkeit in der Naivetät besteht. Die gefährdet das Spiel ein wenig, indem ein einziger Schritt zu grob die Fabel ins outrierende Volkstheater abrutschen ließe, das von Vergröberungen eben lebt. Janáček agitiert aber nicht, und auch Belehrung ist ihm fremd. Vielmehr steht - diese Inszenierung führt das großartig vor - die Füchsin zugleich für sich selbst wie für die menschliche Braut und überhaupt für erotische Lockung, sowie der Förster für den Bräutigam, wobei er sein Alter wechselt und diese Alter direkt aufeinandertreffen, indem der junge Fuchs zum Förster wird und schließlich, am Ende, die nunmehr erschossene Füchsin in einem ihrer Kinder deutlich wiederaufersteht und so von dem alten Förster auch erkannt wird. Das hat nichts Burleskes, sondern ist eigentlich mystisch. Mag sein, daß Homoki davor ein wenig eine Angst gehabt hat, die einer durchaus nachvollziehbaren Angst vor dem Kitsch entspricht oder einer davor, schließlich doch noch kindlich zu werden – ein Inszenierungsansatz, der bei dieser Oper oft gewählt wird, weil man sich dabei auf die Sympathie von Eltern verlassen kann, die ihren Welpen zusehn, wenn die spielen. Eben das war zu vermeiden. Homoki hat es auch vermieden.
Dabei hilft ihm Christian Schmidts Bühnenbild enorm. Wir sehen den immergleichen, nicht aber selben Raum, der auf eine große Tanne hinausgeht, mit der ein Wald sich öffnet. Noch einmal, und mit Lust, ist hier das historische Kernstück der Komischen Oper inszeniert worden, ihre Drehbühne nämlich, die nach wie vor von dem Drehkranz eines alten Panzers aus dem Zweiten Weltkrieg bewegt wird – eine wirklich aparte Volte des Pazifismus, wenn man sich den reigenhaften Zyklus der Natur vergegenwärtigt, dem Janáček das Hohelied singt. Indem die identischen und doch differenten Räume sich ins Blickfeld bewegen, ist ein immer schneller werdendes und dabei zunehmend glaubhaftes Maskenspiel möglich, worin aus einer Schulklasse Mädchen unversehens ein Hühnerharem wird, aus dem Pfarrer ein pfründevoller Dachs und aus dem Schulmeister der Hahn – was angesichts der jungen Mädchen erotisch nicht gänzlich korrekt ist, aber mit einem Augenzwinkern vorgeführt wird, das jede Form kathedriger Moral gleichsam aus dem Handgelenk erledigt. Schon können die Identitäten auch direkt vor den Augen des Publikums getauscht werden, so daß wir tatsächlich zugleich den Förster in dem jungen Fuchs und in diesem schon den alten Mann zu sehen fühlen, der dasselbe Geschehen am Schluß der Oper noch einmal erlebt, auch wenn einer der Protagonisten bereits ein Urenkel ist. Gleichzeitig drängt sich in den immergleichen Raum immer weiter der Wald vor, der bei Janáček Natur-insgesamt symbolisiert, den Wald also in uns oder, um es in meinen eigenen Worten zu sagen, das >>>> Bleibende Thier. Janáčeks wie Homokis Schlaues Füchslein gibt dem Wort vom Wunder des Lebens gegenüber einer, mit Adorno gesprochen, negativen Kritik neues Recht, gerade indem Unrecht und Grausamkeit nicht ausgeblendet, sondern jederzeit mit vergegenwärtigt werden. Daß dies so selbstverständlich funktioniert, liegt ganz besonders an des Försters, Jens Larsens, Fähigkeit, immer aufs neue zu erstaunen, wenn er die Dinge sieht. Das ist unendlich anrührend vielleicht gerade, weil alle anderen Figuren, jedenfalls als Menschen, Typen bleiben, mit Ausnahme noch der Füchsin, Brigitte Gellers, die ganz ähnlich ambivalent gehalten ist: auch sie tötet, einmal sogar den halben Hühner/Mädchen-„Stall“, eine Szene allerdings, in der mir Homoki druchaus zu diskret ist - kann sein, einer generellen menschlichen Haltung wegen -, ebenso wie bei der Füchsin Erschießung, die nicht wenig von einer Exekution hat, also der Bestrafung jener, die sich an geforderte Verbindlichkeiten nicht halten, bzw. das vom Menschen gesetzte Recht übertreten. Wobei ein besonderer Dorn darin sticht: der Henker, ein Wilderer, tut es nämlich auch nicht. Er selbst, wie die Füchsin, ist Dieb. Und der Förster stellt zwischendurch seiner geliebten Füchsin tödliche Fallen. Denn das ist ein notwendiger Teil seines Hegens. Unvereinbar die menschliche Sozialität mit der Amoral der Natur. Und eben doch dies alles vereint im tätigen Anschaun. So lange die Erde sich dreht.
Spiellust und Melancholie, aber nicht eine burla - anders als Verdis Alterswerk ist Janáčeks Oper tief ungesellschaftlich; ich wollte unsozial schreiben, haftete dem nicht, unangemessen, Abwertung an. Deshalb ist das Stück auch weder humoristisch noch märchenhaft. Indem aber die, sagen wir, altböhmische Innenausstattung der Bühne sowie die Kostüme allzu sehr die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg konkretisieren, wird wider Homokis eigener Absicht das Allegorische wieder entschärft, das er mit großem inszenatorischen Recht hat loslassen wollen, und wird zur historisierenden Fabel. Vielleicht aber zeigt sich eben darin ein Etwas, das wir, als Städter, schon verloren haben und woran vielleicht auch gar nicht anders als historisierend erinnert werden kann. In jedem Fall ist diese Inszenierung eben nicht in einer „surrealen Welt“ angesiedelt, wie das Pressematerial nahlegen möchte, und kann sich deshalb wirklich nur noch in dem konkreten, ja naturalistischen Stammtischsgelächter aufheben, das durch den finalen überzeitlichen Hymnos grölt. Das ist ein wenig schade in dieser wirklich oft berührenden Inszenierung. Gesehen und gehört haben freilich sollten Sie sie. Also klicken Sie unten „Karten“ an.
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Leoš Janáček. DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN.
Deutsche Textfassung von Werner Hintze. Inszenierung - Andreas Homoki. Bühnenbild und Kostüme - Christian Schmidt.
Dramaturgie - Werner Hintze. Chöre - André Kellinghaus. Licht - Rosalia Amato.
Musikalische Leitung - Alexander Vedernikov.
Füchsin Spitzohr - Brigitte Geller. Der Förster - Jens Larsen. Die Försterin/Die Eule - Caren van Oijen. Der Schulmeister/Der Hahn - Andreas Conrad. Der Pfarrer/Der Dachs - Frank van Hove. Harašta - Carsten Sabrowski. Der Fuchs - Karolina Gumos. Der Dackel - Katarina Morfa. Die Wirtin - Ariana Strahl.
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin.
DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT wird im Rahmen eines Projektes der Universität Innsbruck beforscht und über >>>> DILIMAG, sowie durch das >>>> deutsche literatur archiv Marbach archiviert und der Öffentlichkeit auch andernorts zugänglich gemacht. Mitschreiber Der Dschungel erklären, indem sie sie mitschreiben, ihr Einverständnis.
Wien
Donnerstag, 30. November 2017 CHAMBER MUSIC
Vorstellung der neuen Nachdichtungen VERLAGSABEND >>>> ARCO >>>> Buchhandlung a.punkt
Brigitte Salandra
Fischerstiege 1-7
1010 Wien
20 Uhr
Die Dynamik
hatte so etwas. Hab's öfter im Kopf abgespielt....
Bruno Lampe - 2018/01/17 21:27
albannikolaiherbst - 2018/01/17 09:45 Zwischenbemerkung (als Arbeitsjournal). ...
Freundin,
ich bin wieder von der Insel zurück, kam gestern abends an, die Wohnung war kalt, vor allem ...
albannikolaiherbst - 2018/01/17 09:38 Sabinenliebe. (Auszug).
(...)
So beobachtete ich sie heimlich für mich. Zum Beispiel sehe ich sie noch heute an dem großen Braunschweiger ...
findeiss - 2018/01/16 21:06 Pferde
In dieser Nacht träumte ich, dass ich über hügeliges Land ging, mit reifen, dunkelgrünen, im Wind raschelnden ...
lies doch das noch mal
dann stimmt auch die zeitrechnung
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/interview-mit-anadyomene/
und...
Anna Häusler - 2018/01/14 23:38
lieber alban
sehr bewegend dein abschied von der löwin, der...
Anna Häusler - 2018/01/14 23:27
Bruno Lampe - 2018/01/11 19:30 III, 356 - Merkwürdige Begegnung
Seit einer Woche war die Wasserrechnung fällig und ich somit irgendwie gezwungen, doch noch das Postamt ...
Bruno Lampe - 2018/01/07 20:34 III, 355 - … und der Gürtel des Orion
Epifania del Nostro Signore und Apertura Staordinario des einen Supermarkts - Coop. Seit dem ersten Januar ...
Bruno Lampe - 2018/01/03 19:44 III, 354 - Neujahrsnacht e dintorni
Das Jahr begann mit einer unvorgesehenen Autofahrt bzw. mit der Gewißheit, mir am Vormittag Zigaretten ...
albannikolaiherbst - 2018/01/03 15:16 Isola africana (1). Das Arbeitsjournal ...
[Mâconièrevilla Uno, Terrasse im Vormittagslicht
10.32 Uhr
Britten, Rhapsodie für Streichquartett]
Das ...
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Zuletzt aktualisiert am 2018/01/17 21:27
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